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Laufberichte

Marathon Lake Tahoe: Die fünf Phasen

29.09.13 Special Event
 


Phase Drei – Verhandeln


Es ist Sonntag 4 Uhr morgens und der Wecker klingelt. Gestern sind wir aus dem Yosemite Valley zurückgekehrt und haben in ein günstiges Hotel auf der kalifornischen Seite der Stadt South Lake Tahoe eingecheckt. Auf der Marathonmesse, die am Samstag im nahegelegen Racehotel stattfand, bieten sich zu viele Gelegenheiten, mein hart verdientes Geld auszugeben.



Unsere Unterkunft liegt nur 15 Gehminuten vom Racehotel und damit auch der Abfahrtstelle der Shuttlebusse entfernt. Neben vielen kleinen Geschäften gibt es hier noch zahlreiche Restaurant und auf der Nevada-Seite der Stadt sogar Kasinos. South Lake Tahoe ist eines der zahlreichen Skigebiete, die den See umgeben. Ich denke an Christian: Hat er seinen zweiten Marathon in Berlin geschafft? Nein, er ist noch auf der Strecke! Während ich hier im warmen Bett liege und via App seine Split-Zeiten verfolge, läuft er bei KM 37,5 auf der Bülowstraße etwa einen halben Kilometer vor dem Abbiegen auf den Potsdamer Platz. Und er läuft schnell!! Ich bin stolz auf ihn und motiviert für mein eigenes Rennen. Wir machen uns fertig und kurz bevor wir unser Zimmer verlassen und in die Kälte treten, hat Christian das Brandenburger Tor durchquert und mit 31 Minuten Verbesserung zum Vorjahr seinen zweiten Marathon gefinisht. Der Glückliche!!

Heute Morgen haben Shops und Restaurants noch geschlossen und lediglich das ein oder andere Kasino auf der Nevada-Seite der Stadt setzt einen Pechvogel nach langer, glückloser Nacht auf die Straße. Um 5 Uhr erreichen wir die Haltestelle.



Es ist dunkel und die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt. Die wenigen Läufer, die am Bus warten, sind ruhig und kaum jemand spricht ein Wort. Jeder friert. Im warmen Bus bleibt Zeit in einen Riegel zu beißen und noch einmal die Augen zu schließen. Nach einer Stunde Fahrt ist der See entgegen dem Uhrzeigersinn umrundet und die Stadt Tahoe City an der Westseite erreicht. Startlinie ist Commons Beach und während ich mir zum zweiten Mal an diesem Morgen den Schlaf aus den Augen reibe, tummeln sich am Strand schon zahlreiche Läufer. Die einen laufen sich warm, machen Yoga oder sind auf der Suche nach einem pre-race port-a-pottie, hier liebevoll Nevada-Johns’s genannt.

 


Während die Sonne glutrot über dem See aufgeht, nimmt ein Dudelsackspieler Aufstellung und beginnt mit seiner Kunst. Eine Tradition des Laufes, sagt man uns, und auch wenn wir viele Geschichten gehört haben, konnten wir nicht mit Sicherheit herausfinden, wie es zu dieser Tradition kam. Sollte man bei diesen Tönen  für einen Moment vergessen haben, dass man sich in den USA befindet, dann wird man spätestens um 5 vor 7 Uhr wieder daran erinnert. Die amerikanische Hymne, live gesungen, schallt über den Strand und plötzlich werden auch die hektischen Läufer ruhig und halten einen Moment inne, lauschen ihrer Hymne mit der Hand auf dem Herz und klatschen und jubeln zu den letzten, hohen Tönen. Punkt 7 Uhr. Der Startschuss fällt.


Phase Vier – Depression


Von  Depressionen ist hier keine Spur zu sehen. Alle sind gut gelaunt und freuen sich darauf, dass es endlich los geht. Es ist Race Director Les Wright persönlich, der mit diesem Startschuss seine Teilnehmer auf die Strecke schickt. Unter dem einfachen Startbogen hindurch starten heute einige hundert Läuferinnen und Läufer. Es scheint nur wenige Neulinge zu geben. Im Gegenteil, eine große Anzahl Läufer bricht heute auf zu ihrem letzten von drei Marathons innerhalb von drei Tagen. Sie sind vorgestern einen Marathon gelaufen und gestern auch. Wenn sie später in South Lake Tahoe ins Ziel laufen, dann haben sie mit 72 Meilen den Tahoe Triple gefinisht und dabei den ganzen See in drei Tagen umrundet. Eine Leistung, die mich schwer beeindruckt, zumal nicht wir die Triple-Starter überholen, sondern von diesen überholt werden.

Als ich mit einer von ihnen ein Gespräch beginne und sie mir den Streckenverlauf erläutert, wird meine Mama neben mir aufmerksam. (Entstehen da etwa schon Pläne für das nächste Jahr? Hoffentlich versteht sie mein Interesse an der Streckenführung nicht als Wunsch, im nächsten Jahr daran selbst teilzunehmen.)

Weil sich die Beschilderung der Strecke auf Meilen beschränkt, blicke ich ab und zu auf meine Polar. Integriertes GPS verrät mir die bereits zurückgelegte Distanz in Kilometern. Christian hatte mir den Tipp gegeben, wichtige KM-Punkte in Meilen umzurechnen und aufzuschreiben. Das habe ich natürlich vergessen. Die Hilfsmittel, die ich hier zur Verfügung habe, sind also meine Uhr, die Kilometer hochzählt, und die Schilder an der Strecke, die die Meilen zum Ziel herunter zählt. Aber egal wie man es dreht und wendet: Ein Marathon ist sowieso erst nach 42,195 Kilometern beziehungsweise 26,2 Meilen fertig.

Als ich das erste Mal auf meine Uhr schaue, sind bereits über 5KM vergangen. Das geht schneller als erwartet, auch wenn die Strecke selbst bis hierhin nicht sehr viel zu bieten hat. Die ersten 9 Meilen (14,4KM) verlaufen teils auf der zur Hälfte gesperrten Straße (Highway 89) und auf einem asphaltierten Radweg. Der Radweg schlängelt sich entlang des zunächst flachen Westufers des Sees und man läuft vorbei an rustikalen (Ferien-)häusern, von denen jedes zweite von einer deutschen Familie bewohnt zu sein scheint, wenn man sich auf die Namen auf den Türschildern verlassen kann. Bei Meile 6 (9,6KM) erreicht man die Homewood Ski Area. In wenigen Wochen werden sich hier Ski- und Snowboardbegeisterte von den insgesamt 7 Liften den Berg hinauftragen lassen.


 

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