marathon4you.de

 

Laufberichte

Marathon in Malibu: Erfolgreiche Frustbekämpfung

11.11.12

Nach rund 30 min. Fahrzeit kommen wir in Camarillo an, mit etwa 5° ist es knackig kalt. Zehn Minuten vor dem Start, die ersten Sonnenstrahlen, spenden wenigstens etwas Wärme, entscheide ich mich für „Kurz“ und entledige mich meines Langarmshirts. Weitere fünf Minuten später gebe ich meinen Rucksack auf den letzten Drücker ab und beginne zu frieren. Macht ja nichts, der Start ist ja gleich. Um 7:10 Uhr ist allerdings immer noch nichts passiert und ich friere wie ein Schneider. „That’s Malibu“, meint mein Nachbar angesichts meiner Ungeduld. Erst um 7:30 Uhr dürfen wir dann los, woran es gelegen hat, wird wohl immer deren Geheimnis bleiben.

Wir laufen einmal ums Karree, dann führen die ersten Kilometer vorbei an riesigen Gemüsefeldern. Wenn man das sieht, glaubt man gerne, daß von hier aus die halbe Nation mit Gemüse und Obst beliefert wird. Man sieht viele mexikanische Landarbeiter, die unter harten Bedingungen ihr karges Brot verdienen. Völlig flach ist der Kurs bisher, der Blick geht weit voraus und kündigt bereits hier eine harte mentale Prüfung an, denn Zuschauer hat’s nur ganz vereinzelt. Wenigstens ist der Himmel wolkenlos, aber das haben wir Älteren ja schon bei Ilja Richters „Disco“ von Albert Hammond gelernt: „It ne-he-ver rains in Californa…“

Auffällig sind die zahlreichen japanischen Teilnehmer, die über den Pazifik mal gerade eben auf die andere Seite gewechselt sind. Ich überhole den heutigen Marathon-Rekordhalter, den der Starter in der Wartezeit ermittelt hatte: Auf 426 Zähler schraubt er heute sein Konto. Unterwegs müsste ich mich mal in die Büsche schlagen, aber das geht bei den Amis gar nicht. Vereinzelt stehen Dixi-Klos am Rand, aber ich habe keinen Bock auf Anstehen, denn natürlich warten da schon die ersten Mädels. Irgendwann finde ich dann eine Baumreihe, hinter der man sich doch gut verstecken kann, und traue mich, allerdings nicht als erster. Keiner verhaftet mich, Glück gehabt.

An der ersten von 18 Verpflegungsstellen gibt es nur Wasser, bald aber kommt Iso dazu, dreimal geben sie sogar Gels aus, was in den USA durchaus nicht üblich ist. Zäh ziehen sich die km über plattestes Land, Gemüse links, Gemüse rechts, und Läufer in der Mitte. Und dann sehe ich sie tatsächlich, und das mehrfach: Startnummern von New York, die etliche Läufer hinten ans Trikot geheftet haben, der Aufruf scheint also doch auf Gehör gestoßen zu sein. Ob das in Santa Barbara, wo der Marathon gestern stattfand, ebenso war? Ein erster, aber vorerst einziger Aufstieg führt uns über eine Brücke, die zu einer Navy-Liegenschaft („Point Mugu“) führt, vor der wir links abbiegen. Vorher dürfen wir aber die ausgemusterten Kampfjets bewundern, die sie an der Straße ausgestellt haben.

Ich komme mit Matthew ins Gespräch, dessen Vater in Frankfurt als Pilot beschäftigt war, daher kann er ein wenig Deutsch sprechen und freut sich, das anwenden zu können. Überhaupt werde ich häufig angesprochen, aber dafür laufe ich ja auch im Nationaltrikot. Er versucht heute seinen ersten Marathon und will unter 4 Std. bleiben. An der nächsten Verpflegungsstelle entwischt er mir, obwohl wir zusammenbleiben wollten. Scheinbar fühlt er sich stark, vielleicht ist er es auch, gewarnt habe ich ihn jedenfalls.

Nach elf Meilen – übrigens sind die Meilen passenderweise auf kleinen Surfbrettern einzeln ausgewiesen – kommen wir auf den berühmten Highway #1, den Pacific Coast Highway, den wir für den Rest des Laufs auch nicht mehr verlassen werden. Rechts die See, links Berge, das ist schon nicht schlecht. Schlecht ist allerdings, daß nur eine Spur abgetrennt ist und der normale Verkehr an uns vorbeirauscht. OK, beim Transeuropalauf ist überhaupt nichts abgesperrt, aber auf das ständige Vorbeirauschen könnte ich schon verzichten, auch wenn uns immer wieder hupend Beifall gespendet und Respekt gezollt wird. Die Sonne brennt mittlerweile gnadenlos. Zwei Stunden sind vergangen, der kühle Wind (überwiegend von vorne und auflandig kommend) lässt uns die steigende Wärme aber nicht spüren. Wenigstens habe ich mich mit Lichtschutzfaktor 50 eingecremt, schließlich will ich nicht als Grillhähnchen ankommen.

Die Halbmarathonmarke ist zwar nicht gesondert gekennzeichnet, aber ich liege unter zwei Stunden und damit im selbstgesetzten Soll. Die ellenlangen Geraden sind wirklich nichts für Weicheier, man kann im wahrsten Sinne des Wortes meilenweit nach vorne schauen. Wer hier seinen ersten Marathon packt, der hat sich sicher keinen ganz leichten ausgesucht. Klasse ist immer wieder der Blick aufs Meer und – sehe ich da richtig? Ja, ich erhalte begeisterte Bestätigung: Zwei Delphine tummeln sich klar erkennbar, herrlich! Mehrfach werden wir von der Highway Patrol abgesichert. „Guten Tag!“ kommt es bzw. er mir entgegen. Deutsch kann er zwar nicht, aber dafür reicht’s, und wir haben uns beide darüber gefreut. Shakehands und weiter geht’s. Dann tauchen nach etwa 15 Meilen die ersten Häuser auf, die nah am Strand gebaut sind. Das hört sich zwar toll an, ist es aber nur bedingt. Was nützt mir der schönste Blick aufs Meer, wenn hinter mir 24 Stunden lang der Verkehr vierspurig vorbeirauscht und ich mehr als einsam wohne?

Tja, und dann passiert genau das, was ich befürchtet hatte. Wer dehnt sich da schmerzverzerrt am Straßenrand? „Mein“ Matthew. Er versucht zwar nochmals mitzuhalten, fällt aber bald zurück. Im Ziel hat er 25 Minuten auf mich verloren und viel gelernt. Wie heißt es so schön? War der Marathon nicht Dein Freund, war er Dein Lehrer. Und dann beginnt es für alle hart zu werden, denn der Kurs wird wellig. Absolut nichts Dramatisches, etwa vergleichbar mit den Bostoner Newton Hills („Hartbreak Hill“), aber gegen Ende tun auch die insgesamt nur 155 gemessenen Höhenmeter weh. Gegen Ende muß ich wieder mal die Zähne zusammenbeißen, aber wirklich schiefgehen kann definitiv nichts: In meinen beiden letzten Glückskeksen vom gestrigen Cinesen finde ich: „Walk with a good heart and you will run with success“ und noch besser: „Your example will inspire others“.

123
 
 

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024