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Laufberichte

Burgos Ultra Trail: Der Weg der Legenden

21.09.16
Autor: Joe Kelbel

2. Etappe 52 Km + 1400m- 1500m
Der Schatz des Roderichs, dem letzten König der Westgoten

 

Unter dem Druck der Völkerwanderung zerbricht das Römische Reich, zahlreiche germanische Stämme fallen auf der spanischen Halbinsel ein. Die Barbaren, wie die Römer die Germanen nannten, überwinden die Straße von Gibraltar, nehmen die afrikanischen Provinzen ein. Historiker schreiben, es wären 50.000 Germanen gewesen, die nach Afrika gerudert sind. Genetiker haben über die mütterlicherseits vererbte DNA der Mitochondrien 5000 Personen errechnet.

Im Jahr 418 entstand das Reich der germanischen Westgoten zunächst in Toulouse, nach der Niederlage gegen die Franken (507) verlagerte sich die Hauptstadt nach Toledo. Die folgenden 200 Jahre westgotischer Herrschaft brachte der iberischen Halbinsel ein wortwörtlich goldes Zeitalter, in dem ungeheuere Schätze aufgehäuft wurden. Al Andalus (arabisch für Atlantis) nannten die Araber dieses goldene Reich. Im Jahr 711 beendete ein  muslimisches Heer die Herrschaft der Westgoten für immer. Was war der Grund? Die Geschichtsschreibung bietet keine Anhaltspunkte, allein eine Legende bringt mich weiter:

 

 

Graf Julian von Ceuta hatte eine Tochter Cava Florinda, die er zur Ausbildung an den Hof König Roderichs nach Toledo schickte. Der König vergewaltigte Cava Florinda. Als die Schändung  sichtbar wurde, verbündete sich der Vater von Cava Florinda, der Graf von Ceuta, mit dem Gouverneur von Tanger, dem Mauren Tariq ibn Ziyad. Mit Mauren meinte man die nordafrikanischen Berberstämme, in denen die germanischen Stämme (Barabaren) aufgegangen sind. Einzig im Staat Mauretanien ist der Begriff Mauren noch erhalten geblieben.

Tariq ibn Ziyad war Kommandeur des Kalifats Umayyyad, dem zweiten der vier Kalifate die nach dem Tode Mohameds entstanden. Nur die Offiziere und Finanziers der Besetzung Al Andalus waren Araber.  In der Schlacht von 711 also wurde Roderich  getötet, Spanien kam 800 Jahre lang, bis 1492  in den moslemischen Herrschaftsbereich.

Doch wo ist der sagenhafte Schatz des Roderich geblieben?

Unser heutige Trail startet in Sedano, geht entlang eines schönen Flusses, durch undurchdringlichen Urwald, durch mittelalterliche Dörfer nach Valdelateja, von dort steil hinauf in eine beeindruckende Klippenlandschaft, in der ein westgotischer Schrein hängt. Ist hier das Versteck des Schatzes des Roderichs, oder ist hier gar der Heilige Gral verborgen?  Die Legende sagt, daß Rariq ibn Ziyad die westgotischen Adligen, die den Schatz retten wollten, bis nach Amaya verfolgt hat. Dort hat er sie abgeschlachtet. Den Schatz muss er also hier irgendwo versteckt haben, denn er zog sofort weiter, die Königsstadt León zu erobern (712).

Man geht heute davon aus, daß der Schatz von der Bevölkerung gefunden wurde. Wie man 5000 Jahre zuvor die Knochen der Krieger von Bravum in den Nischen der steilen Canyons im Hochtal des Ebros versteckt hat, so versteckte man nun den Schatz in den Nischen, und schon bald fielen die Dörfer mit ihrem enormen Reichtum an Tempeln und Burgen auf. Aber der eigentliche Erlös des Schatzes finanzierte die Rückeroberung von León im Jahre 856 durch König Ordoño von Asturien. León wurde nun der wichtigste christliche Stützpunkt auf der iberischen Halbinsel.

Es geht hinab ins steile Tal des Rudrón, über uns nun die Tafelberge mit ihren zerklüfteten Klippen. Der Canyon wird immer schmaler, dann geht es durch urwaldartige Auen, dann steil hinauf auf die trockenen Schutthänge der Tafelberge. Atemraubende Ausblicke. Auf dem höchsten Punkt steht der 4500 Jahre alte Dolmen „Las Arenillas“. Dolmen ist kornische Sprache, also altkeltisch und bedeutet Steintisch, unter dem sich die Grabkammer befindet. Der Dolmen war mit einem Hügel aus Steinen und Erde bedeckt. Ein Gerücht sagt, daß man in der Grabkammer 30 Skelette, im Gang 13 fand. Dann müsste das Grab „nachverwendet“ worden sein.

 

 

Auf dem Plateau von Masa hat noch nie ein Mensch gelebt, zu unbequem sind hier die Wetterverhälnisse. Unzählige Elektro-Windräder verschandeln die ohnehin grausame Landschaft. Die Windmühlenflügel zerschneiden den eiskalten Schneeregen.

Am Rande des Tafelberges, oberhalb des  mittelalterlichen Dörfchen Poza de la Sal steht eine bronzene Säule, auf der ein Geier thront. Es ist ein Denkmal für Félix Rodriguez de la Fuente (1928-1980) der mit seinen Natursendungen berühmt wurde. Gerade hier in Poza de la Sal gibt es eine einzigartige Natur, vor allem die natürlichen Salzpfannen, die größten Europas, machten die Region berühmt. Noch beeindruckender ist das Castillo de los Rojas, es ist die erste Burg, die im Zuge der christlichen Rückeroberung Spaniens (etwa 884) gebaut wurde.
Darunter sind die Ruinen des Palastes des Marquis von de Poza.
Am späten Nachmittag erreiche ich das touristische Refugium, unser heutiges Camp. Die Unterkünfte, die wir nutzen, sind Herbergen für Jakobswegpilger. In der Küche werkeln Maria und Nuria, sie sind ausgebildete Köchinnen für gesundes Essen. Mir wäre es ja lieber, wenn das Gemüse kurz vor dem Essen durch eine fette Haxe ersetzt würde.

Generell ist um 21 Uhr Nachtruhe angesagt. Dann düst Rodrigo los, er ist der Course Marker,  markiert die Strecke für den nächsten Tag. Rodrigo ist ein liebenswerter, völlig durchgeknallter Typ, der das Amazonasgebiet zu Fuß durchquert hat, ein Jahr alleine durch Spanien, die Mongolei und Patagonien tourte.

 

3. Etappe 48 km +1100m- 800 m
Die Schlacht der Brüder bei Atapuerca (1054)

 

Kaum hatten die Mauren Spanien erobert,  vereinigten sich die unbesiegten Stämme Nordspaniens unter dem Asturischen König Pelagius (Pelayo) und erreichten 722 den ersten Sieg gegen die Mauren. Es war die Schlacht von Covadonga. Ein Name, der aus Hawai stammen könnte, aber Schmutzlatein ist. Ich übersetze mit „Höhle der Herrin“.  Bezeichnet wurde ursprünglich damit der Schoß der germanische Erdgöttin, die wir heute Frau Holle nennen.

Seit der Christianisierung durch die Westgoten ist die Kirche der „Jungfrau von Covadonga“ geweiht und ein wichtiger Marien-Wallfahrtsort auf dem Jakobsweg. In der Grotte der Jungfrau von Covadonga liegen die Gebeine Königs Pelayos, des ersten siegreichen Königs gegen die Mauren.  

 

 

Die Könige von Galizien, Aturien, Leon, Kastillien, Navarra und Aragon führten in den nächsten hundert Jahren eine Rückeroberung Spaniens mit christlichen Siedlern, Heirat, Bau von Burgen und Kriegszügen durch. Im Jahr 1054 jedoch brachte Ferdinand I, König von Kastilien und León, wegen Streitigkeiten um das gemeinsame Grenzgebiet seinen Bruder García, König von Navarra, um. Ferdinand machte sich daraufhin zum Imperator von Gesamt-Spanien (Imperator Totius Hispaniae), was als Beginn der  kompletten Rückeroberung Spaniens und Gründung des Spanischen Imperium gilt. Das sei 1057 gewesen, so steht es  in den Geschichtsbüchern.

Die Legende aber klingt plausibler: Er hat seinen Bruder nicht umgebracht, schon gar nicht 1057. Die Brüder Ferdinand und García verhandelten 1054  in Atapuerca, unseren heutigen Tagesziel, über die gemeinsame Grenze. Weil das lange dauerte und damit es lustiger wird, wurde dem Rotwein kräftig zugesprochen - auch von den Gefolgsleuten. Nun standen diese wegen der  jahrelangen Kämpfe gegen die Mauren mächtig unter Testosteron, das sich wunderbar mit Rotwein, Kloppereien und heftigen Beleidigungen abbauen lässt. Jedenfalls war es nicht Ferdinand, der Garcia umbrachte, sondern einer seiner Söldner. Daß ein Söldner einen König tötet, darf nicht in den Geschichtsbüchern stehen, also erfand man den Brudermord. Dafür brauchte man drei Jahre, in denen Garcia nicht für tot erklärt wurde.

 

 

Wir starten von Poza de la Sal nach Süden, durch die atemberaubende Landschaft  Las Torcas. Weiter über die Via Italia, der 2000 Jahre alten Römerstrasse. Unsere Trail endet heute in Atapuerca, wo der 1000 Jahre alte Stein, der „Fin del rey“ steht, zum Gedenken an den Tod des Königs García.

Bedeutend älter, nämlich 800.000 Jahre, sind die fossilen Überreste einer neuen Menschenart, des Homo Antecessor, die hier 1997 gefunden wurden. Homo Antecessor gilt als direkter Vorfahre des Neandertalers. Oder sind es Knochen von Aliens, die hier gestrandet sind? Dazu in der morgigen Etappe mehr.

Vor unserer Unterkunft steht ein Maulbeerbaum. Ich klettere hinein und futtere die süßen Früchte, deren blutroter Saft mich von oben bis unten einsudelt. Von meinem Hochsitz sehe ich Helen, die als letzte Läuferin eintrifft. Es ist ihr erster Laufevent. Ich schlage Alarm und wir geben ihr einen Riesenempfang, bis sie in Tränen ausbricht.

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