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Laufberichte

90. Košice Peace Marathon: Treff mit Freunden

06.10.13 Special Event
 

Für ein angebliches Vier-Sterne-Hotel ist das Frühstück ab 7 Uhr am nächsten Tag im Ambassador ziemlich karg. Die Rezeptionistin hat mich beim Einchecken noch gefragt, ob ich in der Früh ein Ei essen möchte. Ich habe ihr mit verdutzen Gesichtsausdruck geantwortet: „Natürlich, sehr gerne, für mich gleich zwei 3-Minuten-Eier bitte…“ In jeder Frühstückspension gehört das Frühstücksei dazu. Doch die gekochten Eier hier sind so hart, dass ich darauf verzichte. An keinem der Tische befindet sich außerdem ein Salzgefäß. Hartgekochte Eier ohne Salz schmecken mir noch weniger. Der Vorsicht halber habe ich immer bei meinen Marathonreisen im Handgepäck einige Aufgussbeutel Pfefferminiztee dabei. Wie in der Absteige in Berlin-Rankestraße letzte Woche wird auch im nobel klingenden Ambassador nur Schwarztee angeboten. Beim Aldi kosten 50 Päckchen 1,09 Euro. Ich frühstücke bis 7.30 Uhr, gehe dann vors Haus, um den obligaten Wettercheck zu machen. Heute werde ich erstmals eine 2/3-Laufhose anziehen, am Morgen hat es nur 8 Grad.

Eine Viertelstunde vor Rennbeginn mache ich mich auf den Weg zum 500 m entfernten Startareal beim Hilton-Hotel. Zwei schwarzafrikanische Spitzenläufer wärmen sich gerade auf der eingezäunten Rennstrecke im Stadtzentrum auf. Ich mache einige Fotos. Dabei überholt mich eine Gruppe von Läufern, die sich laut unterhalten und einen starken österreichischen Akzent haben. Mein „Verdacht“ bestätigt sich – Sigi Soell, Mitglied im 100 Marathon Club Austria, ist der Wortführer. Man wird es nicht für möglich halten, aber ich habe den Sigi noch nie gesehen, weiß auch nicht, wie er aussieht. Als Erkennungszeichen hilft mir das Clubshirt, das so hauteng ist, dass sich Sigis Muskeln, die harten und die weicheren, deutlich abzeichnen. Manche mögen es eng, ich trage lieber ein weiteres Laufshirt. So passt mir größenmäßig gesehen das M4Y-Shirt in L so gut, dass ich eigentlich nur unser Logo aufnähen müsste.

Der Sigi ist mit seinen Freunden bereits am Freitag im Auto sieben Stunden nach Košice angereist. Er erzählt mir, dass er jede Stadt, in der er einen Marathon läuft, vorher touristisch genau erkundet. Man muss wissen, dass seine Finisherzeiten häufig zwischen 3:30 und 3:45 Stunden liegen, er also in einer Liga verkehrt, vor der ich mich verbeuge. Er ist überdies auch ein Vielläufer. In den kommenden Wochen wird  er mehrfach bei Marathons im Einsatz sein – so auch in Graz beim 20. Jubiläumslauf am 13. Oktober. Ich plane an diesem Tag mit Jürgen Penthor in Zagreb anzutreten.

Im Startbereich herrscht großes Gedränge auf engstem Raum. Neben dem klassischen Marathon mit rund 1800 Teilnehmern (ca. 1600 Männer und 200 Frauen) aus über zwei Dutzend Ländern werden ein Halbmarathon (ca. 800 Starter), ein Staffellauf über die 42,195 km mit vier längenmäßig identen Teilstecken, ein Inline-Skaterlauf und ein Bewerb für Rollstuhlfahrer über 20 km sowie Gemeinschaftsläufe über 4,2 km angeboten. Das gesamte Wochenende steht in Košice im Zeichen des Laufsportes und der Völkerverständigung auf sportlicher Ebene.

Der Marathonkurs, der zweimal zu durchlaufen ist, führt durch die Innenstadt entlang der historischen Plätze, sodass sich für den M4Y-Reporter eine Fülle an Fotomotiven anbieten, die auf das bauliche Umfeld Bezug nehmen. Im Stadtzentrum von Košice, das viermal durchlaufen wird, befinden sich, wie gestern beim Spazieren schon gesichtet, die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten. Am bekanntesten ist der aus dem 15. Jahrhundert stammende Elisabeth-Dom, die größte Kirche der Slowakei.

Als besonderes Service haben die Veranstalter vom Košice Marathon Club eine Live-Internet-Übertragung organisiert, die von 8.45 bis 13.00 Uhr gesendet wird. Der Marathon ist 6 Stunden geöffnet. Die Cut-off-Zeit bei Kilometer 33 ist mit komfortablen 4:30 Stunden festgesetzt, sodass auch die Allerlangsamsten das Ziel nach 42,195 km erreichen können.

Nach dem Start um 9 Uhr laufe ich mit 2 Minuten Zeitdifferenz über die Matte. Um 5 Euro Kaution wird vom Veranstalter ein weißer Championchip mit den Startunterlagen bereitgestellt. So wenig mich ein Marathon vorher nervös macht, so sehr fürchte ich ein technisches Gebrechen. Wenn also der Chip nicht funktionieren würde, hätte ich keinen Nachweis. Bis zum erhofften 52. Marathon in diesem Jahr am 15. Dezember beim 2. Wiener Indoor-Lauf kann ich mir keinen Ausfall erlauben. Ich muss ab November auch weitere Anreisen in Kauf nehmen, denn im Nahbereich von Österreich finden keine Läufe statt. Es gibt ja Kollegen, die seit Jahrzehnten quasi hinter dem Haus auf einer vermessenen Strecke – ob amtlich zertifiziert oder auch nicht sei dahingestellt –  zwei oder drei Male die Woche die 42,195 km in 5:30 bis 6 Stunden in vertrauter Dreisamkeit statutenkonform mit erholsamen Gehpausen dazwischen abspulen und so auf 144 Marathons im Jahr kommen. Ich möchte meine 52 nicht nur an einem Ort, sondern in mehreren Ländern und unterschiedlichen Städten laufen. Trotz zum Teil hoher Kosten bin ich lieber Marathontourist als nur purer Sammler.

Noch ein persönliches Kriterium möchte ich hier anführen: Wer noch nie einen Bergmarathon gelaufen ist, hat etwas versäumt. Nirgendwo sonst erfährt man die Sinnhaftigkeit des Laufens so deutlich wie beim Anblick der Naturschönheiten auf Trailpfaden im Wald, auf Almwegen, entlang von Gebirgsbächen, auf Wanderwegen inmitten blühender Wiesen. Ich bin dankbar dafür, dass ich dies alles schon erlebt habe.

Die ersten drei Kilometer des Košice-Marathons führen entlang der Hauptstraße vorbei an den Sehenswürdigkeiten nach Norden. Bald schon ist die Läuferschlange hunderte Meter lang. Die vielen Halbmarathonläufer erkennt man an der zart blau unterlegten Startnummer, während die Marathonläufer eine Nummer haben, auf der die schwarzen Zahlen auf weißem Untergrund aufgedruckt sind. Ich laufe anfangs etwas unter 6 min/km, mit einem Tempo um 9.30 km/h. Das ermüdet nicht. Wenn ich ein Fotomotiv sehe, finde ich Zeit, etwas vorzulaufen oder an die Seite auszuweichen. Ich habe es noch gar nicht erwähnt: Ich bin auch in Košice wieder M4Y-Läufer. Der Häuptling ist offenbar trotz meiner vielleicht ziemlich langen Beiträge nicht unzufrieden. Mir macht’s außerdem Spaß und mit der Zeit lernt man fotografisch und schreibtechnisch dazu.

Der erste wirklich Bekannte auf der Strecke taucht auf: es ist der Ungar András MACZÓ. Ich kenne ihn seit mehreren Jahren eigentlich nur vom Sehen. Leider spricht er keine westeuropäische Fremdsprache, aber ist bei vielen Marathons in Osteuropa anzutreffen. Zweimal habe ich ihn in Budapest überholt, 2011 in Čadca in der Slowakei ebenso wie in Warschau, auch heuer beim Sri Chinmoy Marathon in Szombathely, wo er Letzter wurde. Er ist ein Original, läuft mit einem weißen Schlapphut, besitzt offenbar auch keine zeitgemäße Laufkleidung. In Szombathely haben ihn die Veranstalter übrig gebliebenes Mineralwasser in ungeöffneten Flaschen mit nach Hause gegeben. Mir ist der Typ sympathisch. Er deutet mir, dass ich weiterlaufen soll, ein Gespräch mittels Zeichensprache während des Marathons will er nicht führen.

Schon auf den wenigen bisher zurückgelegten Kilometern fällt auf, dass die Menschen in Košice  großen Anteil am Marathon nehmen. Ganze Familien sind entlang der Strecke anzutreffen, man winkt, klatscht, ruft das aus dem Eishockey bekannte to toho („Auf geht’s !“). Ich knipse eifrig.

Nach 3 ½ km kommen uns die ersten Führenden entgegen. Sie liegen nach 20 min bereits 1 ½ km in Front. Ich laufe auf eine Frau aus Südafrika auf. Sie startet beim Halbmarathon. Laut Wettkampfreglement trägt sie die zweite Startnummer vorschriftmäßig auch am Rücken. Oberhalb der Erkennungsnummer 2281 hat sie einen weißen Zettel mit Sicherheitsnadeln befestigt, auf den sie  die Zahl 55 in Rot geschrieben hat. Ich frage höflich: „Excuse me please, may I ask you – is this your 55th marathon today?“  “No”, sagt die Lady, “ I’m 55 and run just the half distance today…”

Was mir bei “Ostmarathons” neben der zumeist niedrigen Startgebühr gefällt, sind die vielen „Altherren“, die im reiferen Alter von Mitte Sechzig oder manchmal auch schon über Siebzig bei den Marathons mitmachen und teilweise respektable Finisherzeiten erzielen. Ich überhole in meinem gemäßigten Lauftempo von ca. 6:30 min/km zwar immer wieder auch ältere Teilnehmer wie z.B. die Nummer 917, Antonín Hornák, aber es kommt öfters vor, dass diese Läufer auf der zweiten Hälfte eines Marathons zulegen können.

Knapp vor der Labestelle bei km 5,1 laufe ich auf eine junge Frau auf, die einen sehr lockeren Laufstil in konstantem Tempo um 6:20 min/km hat. Ich bin gespannt, ob ich die Startnummer F155 am Ende auf Distanz halten kann. Zunächst laufe ich aber mit etwas Übermut an ihr vorbei und knipse sie. Sie lächelt freundlich. Bei km 6 zeigt meine Garmin eine Nettolaufzeit von 39 Minuten an, die 10 km möchte ich nach 1:05 Stunden erreichen. Es geht heute ja viel ruhiger zu als letzte Woche in Berlin, man läuft automatisch schneller, wenn statt 40.000 nur 2500 Läufer auf der Strecke sind. Hier in Kaschau gibt es auf dem Marathonkurs kein Gedränge, man hat sozusagen freie Bahn. Daher nehme ich mir vor, um 20 Minuten schneller als mit 4:58 in Berlin zu finishen. Ob sich eine Zeit unter 4:40 ausgehen wird, werde ich nach dem Zieleinlauf sehen.

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