Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Beim Albmarathon leider nicht in der von Organisatoren und Teilnehmern gewünschten Form. Vielmehr muss man sagen, es legte sich ein Schatten darüber.
Was ist der Grund? Der Heilige Bürokratius, dessen Jünger zuweilen mit weniger schmeichelhaften Bezeichnungen versehen werden. Sogar die Sonntagsausgabe der großen alten Dame der Schweizer Presse (Neue Zürcher Zeitung) hat sich vergangene Woche erlaubt, einen davon zu verwenden. Wohlbemerkt wählte der Schreibende den Begriff Sesselfurzer, ohne dass er selbst in der Sache von der dortigen Angelegenheit betroffen gewesen wäre.
Während der Streckenteil im Ostalbkreis wie üblich ohne Probleme genehmigt wurde, hat die untere Forstbehörde des Landkreises Göppingen die Wegführung auf den Gipfel des Hohenstaufen, den ersten der drei Kaiserberge, beanstandet. Im Kern geht es um den auf den Hohenstaufengipfel führenden Fahrweg. Kritische Punkte, so die Behörde, seien der „schlechte Wegezustand“ und das Laufen auf einer Wendepunktstrecke zum Gipfel. Die alternativ vorgeschlagene Strecke führt auf der Nord- oder Südseite um den Hohenstaufen herum.
Über die Begründung kann man nach Meinung von Hansjürgen Jablonski, der sich in sozialen Netzwerken im Vorfeld der Veranstaltung gegen diese Kastration des Albmarathons stark gemacht hat, nur den Kopf schütteln: „ Der schlechte Wegzustand bezieht sich nämlich nicht auf einen wilden Trampelpfad wie beispielsweise beim Stuifenaufstieg (den die Forstbehörde Ostalb nicht bemängelte), sondern den offiziellen Fahr- und Wanderweg auf den Berggipfel, der auch von Fahrzeugen aller Art (Wanderheim-Bewirtung, Ausgrabungen, Bauarbeiten) benutzt wird. Dass zeitgleich der Bau eines Aussichtsturms auf dem Hohenstaufen propagiert wird und man sich dadurch täglich mehr Besucher auf dem Berg erhofft, macht die Argumentation noch dürftiger.“
Matthias Wenzel, Fachmann in der Sache und Pressesprecher des Alb Marathons sagt: „Für uns vom Alb Marathon-Team – und gerade für mich als Förster – ist diese Entscheidung völlig unverständlich. Zum einen gab es in 20 Jahren Alb Marathon keinen konkreten Anlass für Befürchtungen, zum anderen reden wir hier über einen mindestens drei Meter breiten Fahrweg, auf dem problemlos drei bis vier Personen nebeneinander laufen könnten. Die gewünschte Streckenänderung würde den gesamten Charakter des Alb Marathons als Lauf über die drei Kaiserberge zerstören und das Echo aus Läuferkreisen ist bereits jetzt verheerend.“
"Der Wald und die Wege sollten den Erholungssuchenden vorbehalten sein", meint Martin Geisel, der Leiter des sich quer stellenden Forstamts. Was sind wir Läufer denn anderes als Erholungssuchende, die ihre Suche zwischendurch mit einem Ausflug mit Gleichgesinnten auflockern?
Unabhängig von den Veranstaltern haben sich im Vorfeld verschiedene Läufer aus der Region und weit darüber hinaus zum Widerstand gegen das behördliche Ansinnen der Beschneidung eines Anlasses mit weit reichender Ausstrahlung zusammengetan. Sie wollen sich nicht von Herrn Geisel als Geiseln nehmen lassen.
Von Barbara Böhme erschien am Vortag des Anlasses folgender Kommentar in der Südwest Presse: „Der Landkreis bemüht sich nun seit Jahren händeringend darum, mehr Touristen in die Städte und Gemeinden zu locken. Sportveranstaltungen wie der Alb-Marathon und der Barbarossa-Berglauf können hierzu beitragen. Die Sportler lernen die Landschaft kennen und sehen sie womöglich auch als Urlaubsziel. Sollte sich die Verwaltung jedoch im bürokratischen Labyrinth verlaufen und für den Bürger nicht nachvollziehbare Entscheidungen treffen, wäre das verheerend.“
Dazu kann ich nur sagen, dass ich durch den Besuch von Laufveranstaltungen schon viele Orte besucht habe, die ich sonst kaum aufgesucht und kennengelernt hätte. Und als Folge davon bin ich selbst dorthin zurückgekehrt oder haben aufgrund meiner Empfehlung Verwandte und Bekannte den Weg dorthin unternommen. Aber wie sagen die Marketing-Typen so schön? „Der Markt entscheidet“. Und in diesem Fall entscheide ich mich als Teil des Marktes für Tourismusregionen, in denen ich auch als Läufer auf einer traditionsreichen Strecke willkommen bin.
Als passionierter Läufer reihe ich mich in die Reihen der Protestierenden ein, und wenn es vielleicht nur dazu dient, die Leute um den Organisator Erich Wenzel, die sich mit Herzblut für den Alb Marathon einsetzen, moralisch zu unterstützen, dann lohnt es sich.
Die Startnummernausgabe im Prediger steht im Zeichen des Protests. Unterschriften werden gesammelt und ein banges Fragen erfüllt den Raum: „Erlebe ich heute den letzten ‚echten‘ Albmarathon?“ Bernie kann aus muskulären Gründen läuferisch nicht mittun, er hat auf Anfrage hin aber seine grafischen Fähigkeiten eingebracht und ein tolles Logo für den Protest kreiert. Dieses ziert das T-Shirt, mit welchem ich heute auf die Strecke gehen werde.
Nach eine paar markigen Worten und einem Hinweis mit Augenwinkern auf das nasse Laub am Boden des Stadtparks wird das dicht gedrängte Starterfeld – die Nachmelder standen vorher Schlange wie wenn zu Zeiten der Planwirtschaft eine Lieferung Südfrüchte eintraf – von Bürgermeister Joachim Bläse und einem Vertreter des namensgebenden Sponsors auf die Strecke geschickt.
Voll darauf konzentriert, dass ich niemanden behindere und trotzdem eine gute Fotoausbeute erziele, verliere ich kurz die Orientierung, denn vergangenes Jahr wurden wir auf einer anderen Strecke aus der Stadt herausgeführt. Meine Fähigkeit in Sachen Multitasking wird zudem dadurch enorm gefordert, dass ich viele Bekannte erst jetzt treffe, was natürlich nicht wortlos geht. Fast wie bei einem Familientreffen – einfach freiwillig.
Schon nach etwa drei Kilometern ist Schluss mit Wohn- und Gewerbegebiet, ab jetzt gibt es vorwiegend Landschaft und in der klaren Luft leuchtet die herbstliche Farbpalette besonders intensiv.
Publikum, vor welchem ich protestieren könnte, ist kaum vorhanden. Spielt auch keine Rolle, das ist kein Schauspiel, das ist eine Haltung. Genüsslich laufe ich im Wald den leichten Anstieg mit sanften Wellen, dann ebenso den etwas steileren Anstieg zum Wäscherschloss. „My home is my castle.“ Dem würde mir sicher auch Vexillum – unterwegs mit Kilt und Protest-T-Shirt – zustimmen. Mein Schloss sind die Natur, die Landschaft, die Hügel, die Wälder. Da bin ich daheim. In diesem Zuhause will ich bleiben, dafür will ich kämpfen.
Zuschauerlichen Ansporn gibt es bei der Kapelle und dann sind wir wieder „on the road“. Genau genommen neben der Straße auf einem Fahrradweg. In Wäschenbeuren gibt es Zivilisation und Verpflegung, anschließend wieder Landschaft. Was soll ich dazu sagen? Einfach schön ist es, sich bei diesem herrlichen Wetter draußen bewegen zu dürfen. Erholung pur, so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Kilometerschilder richtiggehend vorbeifliegen. Ich laufe ganz unbeschwert, da ich mich vom vergangenen Jahr her noch gut an die Laufstrecke erinnern kann und weiß, dass mich beim Erklimmen des Hohenstaufens keine Widrigkeiten erwarten werden. Kletterer würden den Aufstieg nur ein paar Ziffern weiter hinten aber immer noch im gleichen Schwierigkeitsgrad einordnen.
Die dritte Verpflegungsstelle gibt noch einen Energieschub und dann geht es auf den Stein des Anstoßes hinauf. Den Weg dorthin habe ich in meinem letzten Bericht als schönen Wanderweg bezeichnet, vielleicht hätte ich auch noch schreiben sollen, dass er auch breit ist. So breit, dass auf der Begegnungsstrecke zwischen mir den entgegenkommenden Läufern noch ein Pferd Platz fände. Zudem gibt es nur auf einem Teil der Strecke Gegenverkehr. Wer den Fernblick auf dem Gipfel schon genossen hat, wird die Bergflanke entlang weiter hinunter und wieder aus dem Wald geführt. Dort erwartet uns ein urlaubsmäßiger Ausblick auf die beiden anderen Kaiserberge.
Der erste, der Rechberg, ist der nächste Fixpunkt und sieben Kilometer entfernt. Der letzte dieser sieben hat es vor allem in sich. Für die Teilnehmer des Rechberg-Laufs über 25km ist es das furiose Finale mit 200 Höhenmetern. Bis dorthin gibt es aber keine Leiden verursachende Elemente. Im Gegenteil: eine weitere Verpflegungsstelle mit Tee, Iso, Cola, Haferschleim, Brot und „ich weiß nicht, was sonst noch“ ist eingebaut, dazu kommt Bernies individueller Demonstranten- und Freundesupport mit zusätzlicher Zufuhr von Apotheker-Limonade. Für seine ebenfalls angebotene isotonische Labung nach Reinheitsgebot habe ich keinen Bedarf, es geht mir schlichtweg zu gut. Demonstrieren ist gar nicht so anstrengend.
Zumindest innerlich strahle ich wie die barocke Wallfahrts- und Pfarrkirche auf dem Rechberg und finde, dass diese Umgebung der ideale Ort ist, mich in Dankbarkeit für diesen Tag zu üben – und noch eine kleine Bitte hinterherzuschicken, der zuständigen Behörde ein Einsehen zu schenken.
Bestens versorgt nehme ich den erneuten Abstieg in Angriff. Der Fußweg hinunter nach Rechberg macht einen frisch geteerten Eindruck. Erst der untere Teil erfordert mit ein paar bemoosten Stellen besondere Vorsicht. In der Ortschaft sorgt auch die Polizei für unsere Sicherheit und mit einem Warnschild mit dem Zusatz „Volkslauf“ werden die Verkehrsteilnehmer um Rücksicht gebeten. Eben, Volkslauf. Wir sind nicht nur Läufer, wir sind das Volk.
Am Dorfausgang folgen wir noch ein kurzes Stück der Landesstraße bevor wir uns auf sanfter Steigung dem dritten Kaiserberg nähern. Dass beim Blick zurück Zeit verloren geht, stört mich nicht. Er entschädigt mit einer Aussicht auf den eben geschafften zweiten Zeugenberg, hin bis zum Hohenstaufen. Das Dreigestirn, so wie es sich gemeinsam präsentiert, gehört einfach zusammen.
Der Stuifen wird eigentlich während des Umrundens erklommen. Auf der Nordseite steigt der Weg erst nur wenig an, liegt aber im Schatten. An manchen Stellen ist das Gras immer noch reifbedeckt. Mit einem als Ho-Chi-Minh-Pfad bezeichneten Singletrail beginnt der Anstieg. Im Rahmen des Europacups der Ultramarathons kann ein solcher bekanntlich auch in Biel gelaufen werden – dazu noch nachts. Steil und mit Wurzeln durchsetzt ist der Pfad auf der Ostseite, dann geht es zum Gipfelkreuz und auf der Südseite an den Punkt zurück, wo drei Kilometer vorher diese Höhenhürde ihren Ausgang genommen hat. Kurz darauf gibt es wieder Verpflegung und wenig später ist auch Bernie wieder zur Stelle, um allenfalls die Versorgung zu optimieren.
Die Teerstraße nach Tannweiler ist wieder eine Begegnungsstrecke, die zu einer Schlaufe führt. Auf dieser wartet der letzte nennenswerte Anstieg hinauf zur Reiterleskapelle. Von weitem schon sind die Waldstetter Lachabetscher zu hören, die sich dort oben postiert haben und uns den (Protest?)-Marsch blasen. Schön, dass sie hier sind, in Rechberg, wo sie letztes Jahr aufspielten, habe ich sie nämlich vermisst.
Bevor es wieder hinunter zu einem weiteren vollen Verpflegungsangebot und zur Teerstrasse geht, gibt es auf dieser Schlaufe eine kurze Begegnungsstrecke zu einem Wendepunkt mit Zeitmessung bei Kilometer 35. Unten, auf dem Rückweg auf der Begegnungsstrecke, kommen mir fröhlich dreinblickende Läufer mit zufriedenem Gesichtsausdruck entgegen. “So sehen doch Erholungssuchende aus“, denke ich mir. Bei Bernie schlage ich nochmals sein Angebot an Getränken aus. Es fehlt mir im Moment an nichts.
Der folgende Wirtschaftsweg erinnert daran, dass nach einer längeren Gefällstrecke schon ein kleiner Gegenanstieg als ganz heftig empfunden werden kann. Das hindert mich aber nicht daran, die Serpentinen in Richtung Waldstetten so richtig hinunter zu brettern. Völlig unvernünftig, das ist mir klar, und dass ich dafür büßen werde, dessen bin ich mir bewusst. Aber was soll’s, es ist wie mit zu vielen Süßigkeiten. Man weiß, dass es auf die Rippen – vielmehr eine Handbreite darunter – schlägt, trotzdem lässt man die Finger nicht davon. Ist doch egal. Für die Muskeln in den Beinen gibt es Kompressionsstrümpfe, für den Ort, wo mal Bauchmuskulatur war, gibt es neuerdings Kompressionsshirts.
Eingangs Waldstetten liegen schon vierzig Kilometer hinter mir, ein Verpflegungsstand steht neben mir und vor mir habe ich noch ein Streckenfünftel. Ich bin darauf eingestellt, dass dies der schwierigste Brocken wird. Nicht nur weil ich mich bisher nicht sonderlich zurückgehalten habe, sondern weil ab der nächsten Verpflegung bei Kilometer 43 in Straßdorf auf dem ehemaligen Trasse der Hohenstaufenbahn noch Kilometer gefressen werden müssen.
Die flott überholende Staffelläuferin hat ihr Pulver schon bald verschossen und ich muss mir sonst ein Opfer suchen, an welches ich mich hängen kann. Ich könnte auch gemächlich nach Schwäbisch Gmünd zurücktrotten, aber der Kopf lässt das nicht zu. Meine Uhr offenbart mir nämlich, dass ohne Nachlassen eine Zeit von unter fünf Stunden durchaus erreichbar ist. Ein Glück, dass ich just in diesem Augenblick weit vorne eine mir bekannte Farben- und Kleiderkombination erspähe. In der Hoffnung, dass ich daran bin auf Max aufzuschließen, versuche ich mich in einem möglichst effizienten Laufschritt. Nach etwa zwei Kilometern habe ich es geschafft und halte den Moment bildlich fest, dann schickt er mich vor.
Eine letzte Koffeinzufuhr noch, dann geht es zurück ins Stadtzentrum. So schön es auch war und immer noch ist, die Markierung des letzten Kilometers auf dem Boden finde ich gar nicht so übel. Dass mir für diese tausend Meter noch fast eine Viertelstunde Zeit zur Verfügung steht, ist überraschend und geradezu luxuriös. So stehe ich nicht in der Versuchung, mit Blick auf eine gewisse Schlusszeit aufs Fotografieren zu verzichten. Ein zusätzlicher positiver Nebeneffekt ist, dass Max dadurch wieder zu mir aufschließt und wir den zeitgleichen Zieleinlauf gemeinsam genießen können.
Das Ankommen gleicht mehr dem Ende eines Triumph- als eines Protestmarschs. Und ich hoffe, dass die Vernunft in der Forstbehörde triumphiert und ich nächstes Jahr in der Tourismusregion als erholungssuchender Gast uneingeschränkt willkommen bin und an der Parade der Feierlichkeiten zum Weiterbestehen des echten Alb Marathons teilnehmen kann.
Männer
1 CHARLES-MANGEON, Benoit TF Feuerbach 3:22:07
2 STURM, Marco LLC Marathon Regensburg 3:26:19
3 WIESER, Jürgen Kaiserteam 3:29:45
Frauen
1 FREY, Dorothea EK Schwaikheim 3:59:01
2 BRAUN, Marion SV Germania Eicherscheid 4:15:15
3 KENKENBERG, Gabriele LC Olympia Wiesbaden 4:21:55
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