Die erste Station auf dem Berg ist der Krummholzerstuhl. Es ist eine sofaartige Abbruchkante, ein Steinbruch aus römischer Zeit. Eigentlich heisst der ganze Berg „Krummholzerstuhl“, denn dieser Name ist eine Verballhornung für „Kriemhildefelsen“.
Und das ist der Hit: Hier stand eine megalithische Anlage, bevor die Römer aus dem Quarzitsandstein Material für Särge und die Stadtmauer von Worms brachen. Man fand 19 römische Grafities, eine spricht von Mercurius Cisustius, römisch für den germanischen Wotan. Eine andere lautet: „Dem feindlichen Genius geweiht ist der 5.Winkel des purpurnen Sandsteines.“
Die Römer achteten nicht etwa diese keltische Stätte, sie hatten schieren Respekt vor der fünf Meter hohen Stadtmauer aus rotem Sandstein, die 1500 v. Chr. erbaut wurde und sich jederzeit über die Steinmetze ergiessen hätte können. Als die Römer (ca. 300 n. Chr.) weg waren, zerstörten die Christen die damals schon tausend Jahre alte Stadtmauer der „heidnische Stätte“. Der ganze Gipfel war nun meterhoch mit rotem Sandstein bedeckt.
1934/35 wurden die Steine abgetragen, in einer Zeit, in der nur Germanen und keine Kelten Platz in der deutschen Geschichte fanden. All die Tonnen roter Sandstein, die einst die Stadtmauer des keltischen Oppidums bildeten, wurden von diesem Berg hinabgeschafft. Einige fielen auf diesem Hohlweg, den den schon die Kelten nutzen, von den Lastwagen. 31 keltische Petroglyphen sind auf Zeichnungen erhalten geblieben: Sonnenräder, Sonnenwagen, Vögel und Menschen. Sonnenräder werden noch heute auf Standarten beim Karneval durch die Strassen getragen.
Die „Suppenschüssel“, ein Opferstein direkt an der Laufstrecke, ist original keltisch und wurde erst vor 80 Jahren aus den Trümmern der Keltenmauer ausgegraben. Geopfert haben die Kelten nur symbolisch, also höchstens das Blut vergossen, das seitlich aus der Rinne lief. Es sind tiefe Zeichen in den Stein eingeritzt, niemand hat sie je entziffert.
Der Leiniger Grenzstein ist eindeutig von 1595. Den Abstecher zum Kanapee kann ich mir zeitlich nicht leisten. Kanapee bedeutet Schlafstelle, auf der man im Liegen mampft. Das Kanapee hier ist eine Wohnstätte eines Einsiedlers aus dem Mittelalter. Die Bewohner der umliegenden Dörfer versorgten ihn mit Nahrung, damit er sie vor dem Einfluss der „heidnischen Stätte“ bewahrt.
Wir laufen um den Kriemhildefelsen herum, links der Laufstrecke sind die Fundamentreste der Arbeiterunterkünfte von 1935 zu sehen. Dann erscheint ein mächtiger Abgrund im dunkelgrünen Moos. Mächtige Steine liegen gefährlich nahe an der Kante. Ich pirsche mich dorthin und erkenne Schrotgräben, die vor 1000 Jahren von oben eingehauen wurden, um die Steine zu spalten.
In Amerika wäre dies ein Nationalheiligtum. James Cooper, der Autor vom „Lederstrumpf“, setzt sich in seinem Roman „The Heidenmauer“ mit der „dunklen Seite Deutschlands“ auseinander. Das Buch entstand 1832 im Hotel Vierjahreszeiten in Bad Dürkheim, als er in die Köchin, der „schönen Anna“, verliebt war. Interessant ist auch sein Reisebericht vom Simplonpass, wo der Gondo Event stattfindet.
Links und rechts liegen nun grünbemooste, römische Särge, Stelen und Mauerstücke, alles durcheinandergeworfen. Die Ausgräber von 1935 interessierten sich nicht sehr für römische Relikte. Rechter Hand, hinter einem hohen Zaun, liegen zusammengewürfelt die keltischen Steine, die einst innerhalb der Megalithanlage das Heiligtum bildeten.
Steil führt die Laufstrecke durch einen Hohlweg hinab. Tief eingegraben sind hier die Spuren der römischen Ochsenkarren, die die Särge hinunter zur Wormser Strasse brachten. Die Karren hatten keine Bremsen, Sklaven hielten Stangen zwischen die Streben der Räder, so hinterliessen die schleifenden Stahlgurte der Räder diese tiefen Rillen.
In den „Liebesbriefkasten“ werfen Jungfrauen ein Blatt hinein, um einen Mann zu bekommen. Entweder es ist jetzt Herbst, oder es gibt viele Jungfrauen in dieser Gegend. Ich werfe einen Stein in den Felsspalt „Portemonnai“ und erhoffe mir Reichtum, so wie es die Sage verspricht. Meine letztjährige Aktion hat mir immerhin mehr Reichtum an Marathonerlebnissen gebracht.
Auf dem Weilerskopf ist der mit 12 Treppenstufen markierte 7 x4 Meter lange Gebetsfelsen, ebenfalls aus römischer Zeit. Die Strecke führt die markante Bruchlinie des Rheingrabens hinab nach Leistadt (km 39). Kurz vor dem VP ein altes Hohlwegbündel, es geht hoch, runter, hoch, runter, wie auf der Achterbahn. Hohlwegbündel entstanden, indem man wegen Matsch oder Steinen einen neuen Weg neben dem alten nutze. Sie sind voller kleiner Dinge, die Arbeiter oder Reisende während der Jahrtausende verloren.
Beim Jagdhaus Lindemannsruhe von 1927 (V6) gibt es die Hofruine Weilach (1381). Sie wurde 1790 von einer Räuberbande niedergebrannt. Dann gibt es noch den Teufelstein, ein keltischer Opferstein, der so eindeutige Spuren aufweist, dass selbst Didi es sehen könnte: Sonnenräder, Blutrinnen, Runen, alles vorhanden.
Wir laufen jetzt zum Bismarckturm, Ziel des jährlich stattfindenden Bad Dürkheimer Berglaufes. In Deutschland gibt es noch 146 dieser Türme, die zu Ehren des Reichsgründers gebaut wurden, 27 ausserhalb der heutigen Grenzen. Bismarktürme wurden von Studentenverbindungen initiiert. Es waren ursprünglich keine Aussichttürme, man machte Leuchtfeuer, wenn Party angesagt war. Und das war oft der Fall. Die Originalreliefs hier wurden durch die Franzosen in den 20ern zerstört, das Bismarkbildnis ist neu.
Es geht nun einen Weg hinunter, den ein Wanderer „Scheissweg“ nennen würde. Ich nenne ihn auch so. Es sind keltische Steine, die unseren Lauf schmerzend machen. Wir laufen unterhalb des Heidenfelsens vorbei. Der Name sagt es: ein mytischer Ort. Die Kelten sind für uns das historisch erste bestimmbare Volk, hier war die Grenze zwischen dem südlichen Medriomatiker und den nördlichen Treverer. Nur die Treverer waren bei der Ankunft der Römer noch anwesend, verzogen sich aber auf ihre Hochburgen.
Eine Rotte Wildscheine hat sich auch verzogen, ich kann sie aber noch riechen. Die Suhle ist warm und aufgewühlt, man hat einen Baumstamm daneben gelegt, damit sich die Schweine den Arsch reiben können.
Der Verpflegungspunkt „Schlagbaum“ steht an einer ehemaligen pfälzischen Zollstation, die hier den Pass kontrollierte. An diesem Pass musste jeder Händler zahlen, auch die, die lotegorisch sprachen. Man transportierte hauptsächlich Kurzwaren, also alles, was kürzer als die Elle war. Goethe schrieb einen lustigen Schwank: „Das Jahrmarktsfest zu Plunderschwang“
Per Handy gibt man den Helfern die enorm hohe Abbrecherquote mit Startnummern durch, der Empfang ist schwierig, deswegen darf ich nicht sprechen. Dabei hätte ich viel zu sagen: die Strecke ist Wahnsinn, absolutes Weltkulturerbe!
Die allmächtigste Burg in der Pfalz war die Hardenburg. Wir laufen oberhalb entlang und blicken hinab: Die Burg wurde von den Leinigern erbaut, überstand zunächst den Eroberungsdrang der Franzosen in 17. Jh., wurde dann aber 1794 doch abgefackelt. In der Pfalz brannte in diesem Jahr jede Burg, jedes Schloß, jedes Dorf. Deswegen konnte ich letzte Nacht auch nicht schlafen.
Im Klaustal ist der VP 8, unbedingt sollte man hier seine Getränkevorräte aufstocken, denn nun geht es 12 km den Berg hinauf. Das kann dauern. Zunächst noch ein Blick zurück zur Hardenburg, deren mächtige Mauern das Tal dominieren.
Es geht hinauf zum Nonnenfelsen, eine „Burg“ unterhalb eines Sandsteinfelsens. Man sagt 12. Jahrhundert, was meiner These vom „verschwundenen Mittelalter“ aufgrund der falschen Kalenderberechnung von Papst Gregor wieder Nahrung gibt. Denn wieso sollte man noch im 12. Jahrhundert unterhalb von Felsen wohnen? Vergisst man meine Überlegungen, dann wohnte Adeline hier, die sich in Ruprecht verliebte, was ihr Vater, der Graf, gar nicht gut fand. Ruprecht floh, starb im Kreuzzug gegen die Sarrazenen, wie man die Moslems damals nannte. Adeline wurde Nonne, bezog den Nonnenfelsen, pflegte ihren Vater, der sie nicht erkannte. Vergisst man die Sage, dann kommt man zur Realität: Diese Vorburg der Hardenburg wurde von französischen Truppen gesprengt.
Ursprünglich ist dies ein keltisches Heiligtum, man trifft sich hier regelmäßig, um alte Rituale aufleben zu lassen. Ich war letztes Jahr absolut begeistert vom lieblichen Gesang einer keltischen Sängerin, heute mache ich eine Erkundungstour rund um die Felsen, genieße minutenlang die heilige Ausstrahlung dieses Ortes und untersuche die Kerben und Rillen in den Felsen, um Erklärungen zu finden.
Der weitere Weg hinauf zur Ruine Schloßeck ist weit, weit, ewig weit. Schloßeck ist eine der wenigen Burgen, die vor das 12. Jahrhundert datiert werden, nämlich 9.-10. Jahrh. Meinen Überlegungen zum verschwundenen Mittelalter steht das nicht entgegen, denn es gibt keine Dokumente zu der Burganlage. Man nannte das Ding vor langer Zeit „Heidenloch“. Wer heute schnell war, den erwartete noch ein Fotograf vor der urigen Kulisse. Für mich gibt es jetzt also nur Selfies.
Das Burgportal ist 1883 rekonstruiert worden. Ihr verseht, dass ich fürs nächstes Jahr, wenn ich schneller sein werde, viel Material für meinen Bericht reserviere. Bis zum Rahnfelsen (520 m) ist es nochmal ein ewig weiter Weg, der mehrfach hinunter und mehrfach steil hinauf führt, sich durch winzige Täler windet. Immer wieder hört man das Stampfen der Papiermühle im Isennachtal, manchmal sieht man die riesige Dampffontäne zwischen den Bäumen und langsam registriert auch der ortsunkundige Läufer, dass man sinnlose Schlangenlinien läuft.
Stopp, sinnlos ist hier nichts! Dieser Trail bietet dir eine einmalige und wunderbare Gelegenheit, deine Basis zu finden. Ahnenmäßig wenigstens. Läuferisch hast du hier eh keine Basis mehr!
Cooper, der radikalliberale Lederstrumpfautor, kritisierte 1832 die sinnlose Zerstörung der deutschen Kultur, die durch politische Erschütterungen für ewig vernichtet wurden. Immerhin sind die Reste, die ich hier noch entdecke, für viele Laufberichte ausreichend.
Unterhalb des Rahnfelsens gibt es urige Höhlen im Sandstein, von oben hat man den Blick über das Isennachtal zum Kalmit, nach Bad Dürkheim und weit, weit in die Rheinebene zum Atomkraftwerk.
Beim VP km 67 habe ich mein heutiges Ziel erreicht. Ich werde es nicht schaffen, die Abzweigung zu erreichen, die mich auf die 86 km-Strecke führt. Habe aber 2 UTMB Punkte, die ich nicht brauche. Ich nehme die Abkürzung B und bin verdammt froh drüber, rien ne vas plus. Ich laufe also den Weg hinauf zum Toten Mann nicht mehr, dort wo man einst einen Toten fand, den die Gräfin schnell begraben liess. Jetzt wandeln auch Leichen dort oben rum, sie stossen gleich zu mir auf die Reststrecke.
Meine Abkürzung ist schön! Ich komme direkt nach Höningen, gehenderweise. Hier in Höningen gibt es einen Briefkasten und eine Bäckerhaltestelle, die zweimal die Woche angefahren wird. Der Ort ist klein, sympatisch und hat eine großartige Geschichte: Gebaut natürlich im 12 Jahrhundert, weil das Mittelalter verschwunden ist, wurde das Kloster im 30jährigen Krieg durch die Spanier zerstört. In den Ruinen pulsiert nun das Gastromieleben. Ganz große Empfehlung! Autobahnabfahrt A6, Wattenheim! Ihr werdet begeistert sein!
Es sind zwar nur noch 8 Km bis zum Ziel, doch es geht zum Leuchtberg hinauf. Noch ist es nicht dunkel und „Leucht“ hat auch nichts mit Licht zu tun. „Leucht“ heisst Leiche und als solche fühle ich mich, als ich den Leichenberg emporkraxle und meine Wasserration auf den Weg schütte, um Gewicht zu sparen. Auf der anderen Seite des Eckbaches liefen wir heute morgen, jetzt im Licht sieht die Strecke mit ihren Entenhäuschen auf den Teichen direkt lieblich aus.
Quälerei hinab zum Selighof, einer wunderbaren Ferienanlage, wo heitere Eltern und Kinder mich nach vorne treiben. Dann sind da noch die Hochzeitsgesellschaft und die Kinder, die auf dem Dach spielen.
Ich bin fertig, körperlich und gedankenmäßig. 78,3 km, 2200 hm, gesonderte Wertung, zwei UTMB Punkte. Geschafft, aber nicht wirklich glücklich, steige ich augenblicklich ins Auto und verlasse die Wiese mit den 450 Toten, ohne mich zu verabschieden. Habe vergessen meine Drop-bags abzuholen, ich bin total neben der Kapp.
Dieser Trail gehört zu den wertvollsten in Deutschland. Ich habe mich diesmal zu tief in die Geschichte eingearbeitet, aber jeder Stein hat mir halt zuviel zu sagen. Ich möchte, dass jeder, der irgendwie kann, sich einmal an diesen Trail ranmacht. Ihr werdet der Orga dankbar sein. Dies hier ist Weltkulturerbe. Respekt! Mein voller Respekt!
Laufberichte | ||||||
17.09.16 | Heute mal das "Kleine Grüne" |
Günter Kromer | ||||
11.10.14 | Respekt! |
Joe Kelbel | ||||
05.10.13 | Trailrunning durchs Leiningerland |
Nicola Wahl |