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Laufberichte

Sinnlos ist hier nichts

19.09.15 Pfalz Trail
 
Autor: Joe Kelbel

Das Licht der Strassenlaternen reicht nicht bis hier zur Wiese, der Regen tröpfelt aufs Wagendach, unter mir liegen 450 Tote. 400 Franzosen und 50 Preussen. Auf den Tag genau vor 221 Jahren beendete General Blücher auf dieser Wiese, genannt Kleinfrankreich, die zweite französische Besetzung während der Koalitionskriege.

Es ist kalt im Auto, ich habe Matratze vergessen, die Gedanken drehen sich. Letzte Woche in Pirmasens, wo genau vor 222 Jahren die Preussen zum ersten Mal das französischen Treiben beendeten. In Berlin wird die Quadriga auf das Brandenburger Tor gesetzt, dort blieb sie, bis Napoleon sie über den Weg hier links von der Wiese 1806  nach Paris entführte.

Ich bin wieder im Pfälzer Wald, heute in Carlsberg, östlich von Kaiserslautern. Das Carlsberg in Dänemark will jetzt Bier in Holzflaschen abfüllen. Das Carlsberg hier, nach Karl August von Leinigen benannt, ist eine Hugenottensiedlung. Die Flüchtlinge aus Frankreich brachten dem Grafen kein Geld, die Böden waren zu schlecht. Also rief der Graf „fahrende Familien“ ins Land, jüdische Händler, die zur aschkenasische Kultur gehörten. Askenas ist der Urenkel von Noah und der Name für Deutschland (1. Buch Moses, 10,3). Carlsberg wurde zur größten Hausierersiedlung. Die Sprache, die man nutzte, nennt man Lotegorisch, auf Deutsch Rotwelsch. Ältere Bürger von Carlsberg sprechen es noch. Morgen früh wird wieder „malloocht“!

 

 

Samstag 6 Uhr

 

Beim Briefing in der Halle in Carlsberg Herlingshausen gibt es auch Sprachengewirr. Es gibt Amerikaner, Spanier, Franzosen, einer kommt sogar aus Costa Rica. Sie haben diesen Trail gewählt, weil er international mithalten kann. 86 km und 2400 hm sind kein Volkslauf. Max, der frischgebackene Vizemeister, ist klarer Favorit, weil Martin, der Meister, schon auf dem Weg zum UTAT im Hohen Atlas ist.

Der Pfalztrail hat ein festes Datum gefunden, das ergibt nun 60 Minuten mehr Tageslicht als letztes Jahr. Eine Spitzenleistung der drei Jungs von der Orga sind die insgesamt 4 Wertungen, für die man sich während des Trails entscheiden kann, oder muss: 86,79,78 oder 72 km. Optisch kein großer Unterschied. Wer aber drin steckt, der ist irgendwann für jeden Kilometer, den er weniger laufen muss, dankbar.

 

6:30 Start

 
Zunächst geht es am Eckbach entlang. Die Straßen beidseitig des Ufers heissen „Kleinfrankreich“ weil Hugenottensiedlung, wie ihr gelernt habt.  Es regnet, die Sicht ist Null, meine Stirnlampe hat ein zu kleines Sichtfeld, Brille ist beschlagen. Die Reihe der Ultraläufer erfordert höchste Konzentration, ich muss blitzschnell auftauchenden Wurzeln ausweichen, habe kaum noch Luft.

Nach der ersten Verpflegungststation geht es hinauf zum Kupferbergfelsen.Wie mir die Orga sagt, läuft hier niemand mehr hoch, obwohl ich glaube, dass Max sowas doch läuft.Wer oben ankommt, der wird von einer traumhaften Felskulisse empfangen. Es ist sagenhaft urig! Ein Spanier, ein Amerikaner und ich fotografieren uns gegenseitig vor diesen Felsen, es muss sein!

Es geht hinab ins Langental. Dort ist die ehemalige Wormser Strasse, früher auch Hochstrasse genannt, die von Worms kommend hier den Pfälzer Wald querte.  „Marshall Vorwärts“, also der preussische General Bücher, hat diese Strasse mehrfach nutzen müssen. Nicht um mir auf der Wiese im Startbereich eine schlaflose Nacht zu bereiten, er trieb über diesen Weg mit 50.000 Soldaten, 15.000 Pferden und 182 Geschützen der schlesischen Armee jenen Napoleon bis nach Paris, ein letztes Mal. Und brachte dann die Quadriga zurück nach Berlin.

Direkt an der Hochstrasse liegt Drahtzug (km 16) unser zweiter VP.  Napoleon persönlich gab der Firma Genehmigung zur Drahtherstellung. Heute ist dies ein kleiner Ort, mit gleichem Namen. Die Firma stellt nun Drahtartikel für Kühlschränke her. Sie hat nicht nur hier eine Niederlassung, sondern auch in Frankreich, Polen und Ungarn, ehemals Österreich.

Das Spechttal hat eine ewiglange Steigung. Einst war es idealer Schlupfwinkel für lichtscheues Gesindel. Berüchtigt war der Kraußenbutzer (1610) oder der Brandstifter und Kindsentführer, der „Schwarze Hannes“, den die Franzosen 1802 in Mainz aufs Schafott brachten.

Es geht nun nördlich am Harzweilerkopf vorbei zur Burg Battenberg, über deren Dächer der  Nebel in schaurigen Fetzen hängt. Auf dem matschigen Feld, das wir nun hinunterlaufen fand man 1967 Faustkeile, Kratzer, Schaber und Stichel. Die Funde sind 500.000- 750.000 Jahre alt. Die Artefakte weisen Wüstenlack auf, es gab also ein anderes Klima hier. Es gab soviele Funde, dass man es nicht nötig hat, noch unterhalb der Pflugtiefe zu graben. Ich finde etwas, das sieht aus wie ein Faustkeil. Ich lege ihn zurück, ich habe schon genug zu schleppen.

Die  Mauern rund um die Burg Battenberg sind überwuchert: Apfelbäume, Walnuss, Feigen, schöner Trail. Dann laufen wir in das Burggelände hinein. Das Gelände ist im Privatbesitz, ein Hotel mit Burgschänke. Ein wunderschöner Innenhof, durch den wir zur Verpflegungsstelle laufen. Oleander, Zypressen und ein mediteraner Kräutergarten geben das Gefühl in der Toskana zu sein.

In der Ferne ist das Schloss Heidelberg zu sehen. Es wurde 1689, also über hundert Jahre vor Napoleon das erste Mal von den Franzosen zerstört. Vier Jahre später, mittlerweile wieder zur Festung ausgebaut, nutzen die Franzosen die Abwesenheit der deutschen Soldaten, die im Osten bei den Türkenkriege beschäftigt waren, und steckten das Heidelberger Schloss und die  Stadt in Brand.

Der Graf von Battenberg lud die französischen Generäle auf diesen Burgturm, unter dem unser VP aufgebaut ist, damit sie das Inferno drüben in Heidelberg sehen mögen. Doch die Abschreckung gelang dem Grafen nicht, die Franzosen steckten auch die Burg Battenberg in Brand, damit die deutschen Soldaten, sollten sie von Wien zurückkommen, keine Unterkunft und Nahrung finden, um die Pfalz zurückzuerobern.

Wir sind nun südlich vom Harzweilerkopf, nehmen einen Abstecher ins Tal über den Mittelberg zum Ungeheuersee, dort ist der vierte Verpflegungspunkt mit den ersten Abbrechern. Wegen denen wurde der See aber nicht so genannt, sondern, um Kinder vom Baden abzuhalten.

Schnell laufe ich hinauf, Richtung Weisenheim am Berg und über das Woogtal zurück. Für mich ist die Zeit knapp bemessen. Über diesen Bereich berichte ich nächstes Jahr. Mit dem Schild „Historischer Rundweg“ beginnt ein Trailstück, das mich so sehr begeistert, dass ich jetzt in die Jahrtausende eintauche:

Es geht einen tiefen Hohlweg hinauf. Während rechts die Wand bis auf zwei Meter erodiert ist, reicht die linke Seite 5 bis 6 Meter hoch. Dieser Weg ist 3000 bis 4000 Jahre alt. Wanderer, die wissen, was sich oben auf dem Berg befindet, haben aus Sandstein kleine Pyramiden gebaut. Es sind rote Sandsteinstücke, die 1935 hierherkamen. Neugierig?

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Informationen: Pfalz Trail
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