marathon4you.de

 

Laufberichte

In the heat of the night

23.05.09
Autor: Klaus Duwe

Wo kommen die Leute plötzlich her? Entlang der Straße stehen erstaunlich viele Zuschauer und bestaunen und beklatschen die „Verrückten“, die bei noch immer fast 30 Grad teilweise wie die Sprinter losrennen. Aber man kennt sie ja, die Italiener …
2558 Anmeldungen werden verkündet, 528 davon sind Marathonis. Vorab hier die Finisherzahlen: 1870 „Halbe“, 337 Marathonis. 36 % „Schwund“ und Ausfall beim Marathon? Das ist ja fast wie beim Ultrai-Trail um den Montblanc.

Auf den ersten Kilometern ist die Welt in Ordnung. Die Strecke entlang dem Fluss Sile ist wunderschön, man kann die Türme von Venedig sehen. Es ist warm, sehr warm. Schnell sind die Klamotten durchgeschwitzt. Jeden Luftzug vom Wasser her möchte man einfangen.

Kaum einer wird wissen, dass der unscheinbare Fluss zur Linken in Wahrheit ein ganz besonderer ist. Still ist das Wasser, man kann kaum eine Fließrichtung erkennen. Wie ein See liegt er da und wird immer breiter. „Stille“ bedeutet auch sein Name, der aus dem lateinischen (Silet) abgeleitet ist. Des Rätsels Lösung ist die Tatsache, dass der Sile kaum Zuflüsse hat und nur vom Grundwasser gespeist wird. Deshalb steigt er auch bei Niederschlägen nicht an und hat niemals Hochwasser.

Hin und wieder passieren wir eine kleine Siedlung oder Werft und werden von ein paar Anwohnern bewundernd beklatscht. Trotz der Hitze, ich bin von der Streckenführung begeistert und nehme im Nachhinein die Abgeschiedenheit des Startplatzes dafür gerne in Kauf.

Als ich bei km 11 nach Cavallino komme, ist es Nacht. Von dem schmucken Ort (im letzten Jahr wurde hier gestartet, Bilder findet ihr in meinem Bericht) sieht man nicht viel, nur die schön beleuchtete Kirche, das gut besuchte Ristorante an der Straße und viele Zuschauer. Hier haben die 11km-Läufer ihr Ziel. Cavallino ist bei Campern sehr beliebt. Es gibt unzählige Plätze und Anlagen.

Die Straße ist völlig verkehrsfrei, gut beleuchtet und es ist plötzlich sehr still. Nur die Schritte sind zu hören und das Atmen. Tapp, tapp, tapp … Erst zwei Kilometer später unterbricht Verkehrslärm die Stille, gleichzeitig geht es spürbar bergauf. Nur kurz, es ist eine Straßenbrücke (km 14). Um auf die rechte Fahrbahnseite zu wechseln, müssen wir umständlich und langläufig links abbiegen, zurück laufen, unter der Brücke durch, wieder links und dann in der ursprünglichen Richtung unseren Lauf fortsetzen. Sicherheit wird groß geschrieben.

An den zahlreichen Verpflegungsstellen gibt es Wasser und Iso, Bananen, Äpfel, Orangen und Kekse. Trinken ist das Wichtigste bei diesen Bedingungen. Genial sind auch die vielen Wasserstellen, an denen man sich mit herrlich kühlem Wasser erfrischen kann. Ich lasse nicht eine aus und es stört mich überhaupt nicht, dass ich klatschnass durch die Nacht laufe. Im Gegenteil. Jeder noch so kleine Luftzug verschafft mir so weitere Abkühlung.

Jesolo kündigt sich an. Man sieht die Lichter der Stadt und hört das Leben, Autohupen, Musik und Gekreische. Plötzlich sind wir mittendrin. Vorbei am großen Vergnügungspark „Aqualandia“ geht es zur Piazza Nember, grelle Lichter und Live-Musik auf der Verkehrsinsel und aus verschiedenen Kneipen, Cafés und Restaurants, Anfeuerungen und Jubel empfängt die Läufer. Man ist geblendet, erfreut und motiviert. Auch die müdesten Geher nehmen wieder den Laufschritt auf und geben auf diesen 1500 Metern ihr Bestes.

Dann sind wir auf der Strandpromenade. Rechts der verwaiste Strand, die eingeklappten Schirme und Liegen in Reih und Glied, aus Rauschen des Meeres wird nur von den Zurufen einzelner Zuschauer übertönt. Links steht Hotel an Hotel, die Terrassen und Gärten hell erleuchtet. So könnte für mich der Rest der Strecke sein.

Aber nix da, gleich sind wir an der Piazza Marina (km 20) und laufen durch eine große Menschenmenge Richtung Piazza Mazzini, wo die HM-Läuferinnen und -Läufer gleich ihr Ziel erreichen – und offensichtlich viele Marathonis ihren Nachtlauf vorzeitig beenden.

Für die Harten geht es am Carducci-Platz links in die Nacht. Auf einen Schlag hat die Kirmes ein Ende. Das Auge muss sich an die Dunkelheit gewöhnen, man ist irritiert. Ein ganzes Stück vor mir sehe ich einen Läufer. Ihm nach.

Gleich habe ich ihn auf der breiten Straße eingeholt. Die Straße ist in Gegenrichtung stark fahren und rechts und links total zugeparkt. Es ist halb Elf, in der Stadt ist jetzt Hochbetrieb. Eine harte Prüfung für einen einsamen Läufer? Nein, ich habe mich bewusst so entschieden. Ich will 42 km laufen, 22 davon liegen hinter mir. Die nächsten zwei Läufer will ich nicht überholen, aber sie sind mir zu langsam. Also vorbei.

Ich krame meinen iPod raus und lasse mich von REM treiben. Wir sind bei km 25 außerhalb der Stadt, Felder und Wiesen rechts und links. Frösche quaken und Kräuter duften. Die Straße wird von provisorischen Leuchten erhellt oder ist illuminiert. Taschen- oder Stirnlampe braucht man auf keinem Meter. Ein Riesenaufwand für die Organisatoren, aber eine schöne Atmosphäre für die Läufer. Obwohl, nicht jeder kann sich daran erfreuen. In der Hitze der Nacht, es hat noch immer 26 Grad, nimmt die Müdigkeit zu, die Beine werden immer schwerer und dann läuft man in dieser verlassenen Gegend. Marathon ist halt auch eine mentale Prüfung.

Dann gibt es Aufmunterung. Ist es eine private Party, die da mit Bier und Schweinebraten gefeiert wird? Egal, jedem der vorbei kommt, wird ein Becher in die Hand gedrückt und der Weg zum Büffet gewiesen. Dann wieder Einsamkeit … Menschen sieht man nur an den gesicherten Kreuzungen und an den sporadisch auftauchenden Wohnhäusern. So geht das, bis bei km 32 die Viale Oriente erreicht wird, der man die nächsten 3 km folgt. Zwar gibt es hier im Centro Est auch viele Kneipen und Hotels, aber so belebt wie das westliche Stadtzentrum ist es nicht.

Als wir erneut einen knappen Kilometer am Strand entlang laufen, bin ich einen Moment versucht, ins Meer zu springen. Ich lasse davon ab, fürchte mich vor sandigen Füßen und eventuellen Blasen. Stattdessen trabe ich weiter, beobachte auf der kurzen Begegnungsstrecke auf der Via Altinate ein paar vor mir liegende Kollegen und rechne mir aus, dass ich einige davon auf den letzten 6 Kilometern noch überholen kann, auch wenn ich selber nicht mehr der Frischeste bin.

123
 
 

Informationen: NightMarathon
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner
 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024