marathon4you.de

 

Laufberichte

Einfach Kult – der New York Marathon 2010

07.11.10

Angeheizt wird die Stimmung durch eine Vielzahl von Bands, die sich bisweilen fast schon die Hand reichen. Über 120 sollen es sein, die sich über die Strecke verteilen und das ist sicher nicht übertrieben. Rockiges der härteren Art ist vielfach angesagt, aber so vielfältig, wie die Menschen dieses Mulit-Kulti-Stadtteils sind, ist letztlich auch die Musik. Selbst ein Trupp Dudelsackpfeifer gibt ein Ständchen für uns.

Bei Meile 3 erreichen wir die erste Versorgungsstation, der ab hier weitere im Abstand von jeweils einer Meile folgen. Beidseitig der Straße geboten wird schlichtes Wasser, was hier natürlich nicht so profan genannt wird, sondern in Würdigung des Sponsors „Poland Spring Brand 100 % Natural Spring Water“, sowie ein nicht minder wortgewaltiges Elektrolytgetränk „Lemon-lime Gatorade G Series Pro Endurance Formula“, was aber nicht heißen soll, dass es deswegen besonders schmeckt. Emsig reichen die zahlreichen Helfer dem dürstenden Läufervolk die Becher. Regencapes schützen sie dabei vor unfreiwilligen Duschen durch hektisch agierende Läufer. Kulinarisch werden die Läufer im Übrigen, US-Marathon-typisch, weitgehend auf Nulldiät gehalten. Wer etwas zu beißen braucht, muss sich bis Meile 20 gedulden – da stehen Bananen auf dem Verpflegungsplan –, auf die mildtätige Spende eines wohlmeinenden Zuschauers hoffen oder durch Mitnahme von Proviant vorbeugen. Private Gönner gibt es an der Strecke aber durchaus. Verhungern muss also niemand. 

Erst nach knapp 3,5 Meilen / 5,5 km vereinigen sich die bis dahin getrennt geführten Läuferströme. Während sich die Blauen und die Orangen schon bisher jeweils eine Straßenhälfte teilen durften, waren die Grünen auf einer anderen Strecke unterwegs. Doch hat sich das Läuferfeld bis dahin schon soweit entzerrt, dass es auf der weiterhin vielspurigen Straße zu keinen Behinderungen kommt.

Das Williamsburgh Savings Bank Building mit seinem markanten kuppelgekrönten Uhrturm, bereits 1927 gebaut und mit 156 m noch heute das zweithöchste Gebäude Brooklyns, markiert schon aus der Ferne das Ende der langen Geraden.

Kurz dahinter, bei Meile 8 / km 13 macht die Strecke einen scharfen Knick nach rechts und wir biegen in die schmalere Lafayette Avenue ein, eine Allee, gesäumt von hübschen älteren Reihenhäusern, aber merklich ansteigend. Das Spektakel am Straßenrand erreicht hier einen neuen Höhepunkt und wirkt durch die geringere räumliche Distanz der Zuschauer noch intensiver. Die mit der Steigung verbundene Mehranstrengung wird damit mehr als kompensiert.     

Etwas ruhiger wird es erst wieder im jüdisch geprägten Viertel Williamsburg. Einige mode- und auch im Übrigen zeitgeistresistente orthodoxe Juden im klassischen schwarzen Einheitsoutfit beäugen das Spektakel distanziert oder ignorieren es schlichtweg. Wahrscheinlich empfinden sie uns eher als Plage denn als nette Abwechslung. 

Das Straßenbild wird zunehmend abwechslungsreicher und wirkt innerstädtischer. Viele Läden und Lokale säumen bei km 20 in Greenpoint unseren Weg. Am Horizont werden einzelne Hochhäuser sichtbar. Und dann ist sie auf einmal da: Die Pulaski Bridge, unser Tor nach Queens. Die Brücke selbst ist an sich nicht weiter erwähnenswert. Sieht man einmal von der ansteigenden Rampe ab, ist sie kaum als solche wahrnehmbar. Ihren besonderen Reiz bezieht sie jedoch aus dem Umstand, dass wir von hier erstmals einen weiten Panoramablick über den East River hinüber nach Manhattan erleben dürfen. Die markanten Spitzen des Chrysler und des Empire State Building sowie die türkis schimmernde Fassade des UNO-Gebäudes stechen aus der Skyline von Midtown Manhattan heraus. So ganz nebenbei erreichen wir auf der Brücke den Halbmarathon-Punkt.

 

Queens

 

Queens ist der flächenmäßig größte und einwohnermäßig nach Brooklyn zweitgrößte Stadtbezirk New Yorks. Er gilt als Schlafstadt der New Yorker mit dem Charme mehr oder weniger gepflegter Langeweile und ohne Attraktionen, es sei denn, man würde den hier beheimateten John F. Kennedy Airport („JFK“), den Hauptflughafen New Yorks, hierzu zählen. Aber auch der ist nicht gerade eine Augenweide.

Von Queens bekommen wir letztlich nur einen kleinen Ausschnitt mit. Gerade einmal knapp vier Kilometer unseres Kurses berühren diesen borough. Seinen optischen Reiz erhält dieses Wegstück vor allem durch die zwischen den Häuserschluchten immer wieder geradezu magisch hervor spitzenden Wolkenkratzer Manhattans. Auch hier stehen jedoch die Menschen wieder in dichtgedrängten Reihen und feuern uns an.

Schon von Weitem sichtbar türmt sich der erste Brückenbogen der fast 2,5 km langen Queensboro Bridge auf, ein über 100 Jahre altes, zweistöckiges Monster aus Stahl. das über den East River hinweg Queens mit Manhattan verbindet. Die Brücke bildete einst die erste feste Verbindung zwischen den beiden Stadtbezirken und läutete den wirtschaftlichen Aufstieg Queens ein.

Wir müssen die Stahlbrücke auf der düsteren unteren Etage queren. Auf der oberen Ebene donnert über unseren Köpfen der Autoverkehr. Hier spüre ich zum ersten Mal, warum der New York Marathon nicht gerade zu den leichten Marathonstrecken dieser Welt zählt. Auf der ersten Brückenhälfte geht es zwar nur leicht, aber permanent bergan und das spüre nicht nur ich in den Beinen. Da hier auch keine Zuschauer stehen dürfen, sind die Läufer bei der Bewältigung dieser Aufgabe ganz auf sich gestellt.  Es ist auffällig ruhig im Feld. Auf der anderen Seite lenkt der sich zwischen den massiven Metallstreben bietende grandiose Ausblick auf die nahende Skyline Manhattans ab, in die wir langsam eintauchen. So ganz nebenbei passieren wir die 25 km-Marke.

 

Manhattan

 

Es ist zunächst nur ein fernes, leises Rauschen, das wir auf der hinab führenden Seite der Queensboro Bridge vernehmen. Langsam schwillt es an, gleich einer Brandung, der wir uns nähern, wird stärker und stärker. Am Ende der Brücke, schon inmitten der Hochhäuser Manhattans, windet sich unser Kurs in einer 270 Grad-Kurve fast einmal um sich selbst und ehe uns versehen, rollt uns eine donnernde Lärmwand entgegen. Ober genauer gesagt: wir tauchen hinein.

Die First Avenue liegt vor uns, mindestens sechs Spuren breit, und tobende Menschenmassen am Straßenrand, soweit das Auge reicht. Fast schon verlieren sich die Läufer in der Breite der Straße. Ich bin hin und weg, kann es kaum fassen. Einiges hatte ich ja erwartet, aber das, was sich mir bietet, ist einfach atemberaubend. Es ist in Worte kaum zufassen und in Bildern ebenso wenig auszudrücken: Man muss es einfach erleben. Ich schwebe mehr als dass ich laufe, jede Anstrengung scheint wie weggeblasen. Und das Irre ist: Die Menschenmengen nehmen kein Ende. Eine einzige riesige Party scheint hier abzulaufen, und das über Meilen. Eine Party, die internationaler nicht sein könnte. Menschen aus aller Herren Länder feiern zusammen und ausgelassen die Läufer, aber letztlich auch sich selbst, schwenken Fahnen und Transparente, schreien sich die Seele aus dem Leib und lassen, salopp gesagt, einfach mal ganz unbeschwert „die Sau raus“. Psychologen mögen hier vielleicht so etwas wie Massenhysterie entdecken. Für mich ist es einer der eindrücklichsten Momente meines Marathonlebens.

 
 

Informationen: New York City Marathon
Veranstalter-WebsiteOnlinewetterGoogle/Routenplaner
 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024