marathon4you.de

 

Laufberichte

Fühl Dich gut - Valentinstag in Terni

 
Autor: Joe Kelbel

Da die Marathonstrecke für uns freigehalten wird, ist der Zugang zu den Wasserfällen kurz gesperrt. Der Marathonläufer hat aber freien Eintritt und könnte samstags oder sonntags die Travertinfelsen erklimmern. Unterhalb der Wasserfälle befinden sich romantische Höhlen. Der „Tunnel der Liebenden“ ist ein beliebtes Versteck, zumal unter den geliehenen Regenmänteln Privatheit garantiert ist.

Der „Balkon der Liebenden“ hat wiederum einen historischen Hintergrund: Der Freund der schönen Nerina zweifelte an der Reinheit seiner Freundin, worauf Valentin mit dem Bischofsstab auf den Felsen schlug und einen wunderschönen, weissen, reinen Wassernebel, einem Brautschleier gleich, entfachte. Wahrheit oder Dichtung? Nerina ist nicht mehr.

Es gibt Nektarinen an den Verpflegungsstationen. Die Verpflegung wird von Kilometer zu Kilometer besser, die Orientierung an den Verpflegungstischen fällt schwer, das Angebot ist riesig. Zu trinken gibt es Tee, Cola, Wasser und „Sali“, damit ist nicht Salz gemeint, sondern Iso.

Die schnellen Halbmarathonläufer kommen uns von oben entgegen. Geschätze 300 Höhenmeter werden wir Marathonläufer auf unseren ersten 21 km erlaufen. Den Unterschied merkt man nicht beim Hinauflaufen, eher wenn man später wieder hinabläuft.

Mandrie, dahinter Torreorsina, die Festungssiedlung aus dem 13. Jahrh. Bemerkeswert sind die Reliquien des Teodoro, die aus den Katakomben von San Saturnio (Rom) hierher gebracht wurden, und das Stadttor aus Travertin. Das Tal gibt den Blick frei zu den schneebedeckten Sibillischen Bergen.

Collestate hat sagenhafte 397 Einwohner, wobei die Alten im oberne Teil wohnen (350 m) und die Jungen unten im Tal.  Die Halbmarathonläufer verlassen uns (km 12) und laufen zurück nach Terni. Für uns beginnt eine ruhige, sonnige Reise durch geheimnisvolle Bergdörfer. 

Ein Polizeiauto (BMW) drängt uns lautstark zur Seite. Über Lautsprecher erzählt der Polizist irgendetwas von „keine Panik“ und „nur die Ruhe“, aber seine Drängelei nervt. Kaum ist er an mir vorbei, wirft er das Lenkrad rum und hält vor der kleinen Bar „Ristoro del Folle“, was in etwa „Raststätte der Bekloppten“ heißt. Dort warten schon seine Motoradkollegen, allesamt mit E-Zigaretten im Mundwinkel. An unserem Ristoro (also VP) herrscht Durcheinander, weil ein Läufer in die Getränketische gelaufen ist.

Ich entdecke ein Strassenschild: „Colleporto“, also Hafenhügel. Dann kommen wir nach Casteldilago (Schloss am See). Das ist eine schöne, kleine Stadt, die sich um
einen Bergsporn kuschelt. Eine rätselhafte Stadt, denn es gibt weder See, noch Schloß. Aber solche Namen haben immer einen Ursprung und der offenbart sich an der Nordseite des Felsen von Casteldilago, an dem wir knapp vorbeilaufen. Hier befindet sich oben eine Mooring, also Ringe für das Befestigen von Booten. Als ich später die Landkarte anschaue, steht dort auch tatsächlich noch auf italienisch: „See der Nera“. Demnach laufen wir durch ein wirkliches Wunder, denn hier gab es einmal einen ganz, ganz großen See, bevor 271 v. Chr. der Konsul Curio Dentato den Fluss Velino umleiten ließ und mit dem neu geschaffenen Weltwunder, dem Wasserfall Marmore, das Land hier trocken legte.  Das unglaubliche für mich ist, dass auch nach 2300 Jahren die Orte noch ihren seebezogenen Namen tragen.

Km 17,5 -  Abstecher nach Arrone. Die mittelalterliche Burgsiedlung lebt von einer leckeren Art der Landwirtschaft: Forellen und Trüffel. Keule entdeckt gleich die Treppen, die linker Hand an dem steilen Felsen nach oben zu der winzigen Siedlung „La Terra“ führen. Er sagt scherzhaft, dass man im August hier einen Ultra veranstalten müsste, denn solche Treppen darf man nicht links liegen lassen.

Wir durchqueren das Unterdorf „Santa Maria“, einst zum Kirchenstaat gehörig. Die Strasse führt steil hinauf zur Kirche Santa Maria. Es ist der einzige Abschnitt, auf dem man bei diesem Marathon auch mal gehen darf. Vor dem Eiscafe macht eine lustige Band gute Stimmung. Ein Blick zurück auf die  Kirchturmspitze, die von der Frühlingssonne geflutet wird. Es ist ein märchenhaftes Dorf, es ist ein märchenhafter Lauf.

Längst sind die lauten Rufe der Läufer verstummt und so mancher fängt an zu wandern. Bei einem Zeitlimit von 6 Stunden ist das kein Problem. Ein Problem ist wieder der nervige Polizei-BMW. Ich lege einen Zwischenspurt ein, um die Übeltäter zu fotografieren. Das Grinsen des Hauptmannes nehme ich als Entschuldigung.

Links, 400 Meter  über uns, zwischen Eichen und Pinenwälern dominiert Montefranco unsere Laufstrecke. Die kreisrunde Bergsiedlung wurde von den Langobarden zur Verteidigung gegen die Sarrazenen gegründet. Im 13. Jahrhundert von dem deutschen Kaiser Otto IV, ein Welfe, erobert, kam es später zum Kirchenstaat und erst 1860 zu Italien. Montefranco hat wegen seiner strategischen Lage eine Geschichte, die diesen Bericht sprengen würde. Die Stadt ziert die Rückseite der Medaillie, die ich bald um den Hals tragen werde.

Auf der Höhe von Capitignao kommen uns schon die schnellen Marathonläufer entgegen. Der 3:30 Pacemaker ist alleine, der 3:45 auch. Nur am 4er kleben ein paar Läufer. Wunderschönes Sonnenlicht vor schneebedeckten Bergen.

Ferentillo war vor drei Jahren, als ich hier das erste Mal gelaufen bin, noch der Startort. Es ist ein wunderschönes mittelalterliches Dorf mit zwei alten Schlössern. Das Dorf besteht aus zwei Ortsteilen: Marterella (links) und Precetto (nicht Prosecco) rechts, verbunden durch die mächtige Mauer „La Rocca“, die das Tal blockiert. Wir überqueren die Nera und laufen nach rechts, nach Precetto.

Eine Verteidigungsmauer umgibt die Kirche San Stefano, in deren Krypta sich das Mumienmuseum befindet. Die Mumien waren Hauptdarsteller im Film „Nosferatu - Phantom der Nacht“ mit Klaus Kinski als Graf Dracula.

Durch verwinkelte Gassen geht es zurück. Hier hüpft mein Läuferherz, es geht in Richtung Ortsteil Marterella, wieder über die Nera. Ich bin überwältigt von dieser genialen Streckenführung, von den Spielereien der Bögen, Gassen und Brückchen, Ausdruck der Lauffreude des Streckenchefs. So muss es sein!

Bei km 23 ist unser Wendepunkt, von hier ist es nicht weit bis zum Kloster St Pietro en Valle. Es ist absolut sehenswert, weil architektonisch und künstlerisch einmalig. Neben dem Kloster ein gruseliges Dorf, was im Mittelalter aufgegeben wurde, darüber das Schloß Umbriano, einst als Bollwerk für die Abtei gedacht.

Jetzt wird ein wenig gekämpft, denn Ferrentillo, also Marterella liegt ein wenig höher.
Ferentillo liegt schon in den Sibillischen Bergen, von hier starten wunderbare Trailveranstaltungen.

Ín Ferentillo verabschiede ich mich von Keule, denn vor drei Jahren war hier der Startpunkt und ich möchte noch einmal in Erinnerungen schwelgen, suche das Klingelschild vom Seniore Paletti, an dem alles vorbei geht, und lasse mich vor der kleinen Kneipe nieder. Der Bürgermeister persönlich brennt mir, dem Tedesci, einen auf den Rücken. Francoforte! Si!
Ich bin jetzt Mister Paletti. 

Irgendwann kommen nur noch Fußlahme, dann muss ich weiter, es war eine angenehme Pause. Doch dann ist es wie immer: Ein Marathon bleibt ein Marathon und ist mit Kampf verbunden. Ich quäle mich ein wenig, auch wenn es nur noch abwärts geht.

Wir sind zurück an den Wasserfällen. Es gibt viele, viele Wege an diesem Felsen. Beliebt ist die Loggia, die von Papst Pius VI gebaut wurde, obwohl ich kaum glaube, dass er die handwerkliche Fähigkeit dazu hatte. Aber ich glaube mal den Erzählungen der Einheimischen. Es soll 1781 gewesen sein. Die Loggia liegt sehr weit oben und der durch die aufsteigende Gischt gebildete Regenbogen soll sich kreisförmig am Himmel gebildet haben. Göttlich perfekt also.

Die Wasserfälle sind jetzt ein eher trauriger Anblick, denn der Ventino dient am Nachmittag  der Stromgewinnung. Deswegen laufen wir jetzt auf dem Rückweg oben an der Strasse entlang und dann durch den Tunnel. Immer mehr Läufer sammele ich ein. Bernd sieht ziemlich leidend aus, er kämpft noch mit einer Erkältung.

Wir laufen direkt auf den Palazzo Spada zu. Im 16. Jh. als Handelshaus gebaut, mit einzigartigen Fresken ausgestattet, dient er jetzt als Stadthalle. Dann kommt auch schon der  roten Teppich, der uns direkt zum Dom Santa Maria Assunta führt. Die Atmosphäre hier ist einzigartig. Einige Läufer kommen tränenüberströmt ins Ziel.

Die Medaillien, die uns umgehängt werden, sind richtig schön. Darauf zu sehen ist der Hl Valentin, Serapina und Sabino. Auf der Rückseite die Bergstadt Montefranco. Darüber steht geschrieben: „Corri l amore“, Lauf der Liebe.  Die Frauen bekommen rote Rosen, was den Tränenfluss verstärkt.

Mehr zum Thema

Gerade wurden die drei schnellsten Pärchen geehrt: 5:40 sind sie zusammen gelaufen, jetzt hüpfen die sechs Läufer freudig im Kreis und werden von Fotografen belagert. Die Zielverpflegung ist genial, zwar gibt es keinen Schinken vom Knochen wie vor drei Jahren, das wäre bei diesem gewaltigen Läuferfeld logistisch nicht mehr machbar, aber es gibt frisch geröstetes Brot mit Olivenöl. Lange drücke ich mich noch im Zielbereich rum, um diese wunderbare Stimmung zu genießen.

Für mich steht fest: Dieser Marathon ist jetzt meine Nr.  1!

 

12
 
 

Informationen: Maratona di San Valentino
Veranstalter-WebsiteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024