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Laufberichte

Der lange Lauf durch die Ewige Stadt

26.03.06
Autor: Klaus Duwe

Ich bin ein Gladiator

 

So wie heute, am Sonntag in aller Frühe, mag es zu der Zeit von Kaiser Titus gewesen sein. Die Menschen strömen erwartungsfroh Richtung Kolosseum, lautes Stimmengewirr umgibt sie und die Sprachen, die sie sprechen sind sehr unterschiedlich.

 

Über 50.000 Menschen fanden in dem viergeschossigen, 48 Meter hohen Amphitheater Platz, in manchen Aufzeichnungen ist sogar von bis zu 70.000 Menschen die Rede.  Bis zur Abschaffung der Gladiatorenkämpfe (438 n. Chr.) fanden hier die blutigsten Kämpfe satt, die man sich (oder auch nicht) vorstellen kann. Alleine bei der Einweihung, die 100 Tage dauerte, sollen 2.000 Gladiatoren und mehr als 5.000 wilde Tiere ihr Leben gelassen haben.

 

Die Menschen heute kommen nicht zum Schauen, ganz im Gegenteil. Sie sind selbst die Akteure, die Gladiatoren von heute. Marathon heißt das Zauberwort, und dieser Sport passt zu Rom wie kaum ein anderer. Immer mehr Läuferinnen und Läufer wollen den langen Lauf durch die Ewige Stadt miterleben, 12.308 sind es in diesem Jahr. Damit ist Rom der mit Abstand größte Marathon in Italien und mischt, was die Teilnehmerzahlen anbelangt, im Konzert der großen Läufe in Europa mit. Geht es nach der Attraktivität, liegt die Stadt am Tiber schon immer ganz weit vorne. Geht es um schnelle Zeiten, kann man sich ebenfalls sehen lassen. Trotz der oft gescholtenen Pflasterpassagen muss der Sieger in Rom immer deutlich unter 2:10 Stunden laufen.

 

Alles ist bestens organisiert und klappt hervorragend. Nur gestern, bei der Abholung der Startunterlagen, hätte ich mir an der U-Bahnstation einen Hinweisschild zum alten Messegelände Roma EUR gewünscht. So bin ich eben wie ein Lemming den anderen hinterher, und nach einem kleinen Umweg kam ich zum Kongresszentrum, wo sich vorübergehend ein langer Stau am Eingang gebildet hatte. Weil die Räumlichkeiten ziemlich beengt sind, lenkt man den Besucherstrom nämlich in eine Richtung, und so kam es am Morgen beim ersten Ansturm zu Verzögerungen. Da wir aber in diesem Jahr von der Sonne noch nicht allzu sehr verwöhnt sind, nimmt bei herrlichem Sonnenschein keiner die kurze Wartezeit im Freien übel. Zu den Startunterlagen gibt es neben dem T-Shirt diesmal eine Tasche für’s Notebook und viele kleine Geschenke der Sponsoren.

 

Hier am Kolosseum flüchten inzwischen viele rechts auf den Hügel, um den morgendlichen Toilettengang nachzuholen. Man muss schon aufpassen, wo man hin tritt. Toilettenhäuschen sind zwar überall vorhanden, aber wie bei allen Veranstaltungen halt nicht in ausreichender Zahl. Die Cafés in der Nähe sind alle überfüllt. Entlang der Straße stehen die Busse, in denen man die Kleiderbeutel abgeben kann.

 

Der Konstantinsbogen, der an den Sieg von Kaiser Konstantin über den Mitkaiser Maxentius an der Milvischen Brücke (werden wir heute noch sehen) erinnert, ist Meeting-Point. Hier trifft man sich, bevor es dann zu den genau gekennzeichneten Startblocks auf der Via dei Fori Imperiali geht, deren Zugänge streng kontrolliert und mit meterhohen Zäunen gesichert sind. Ist man einmal dort drin, gibt es kein Zurück mehr. Deshalb zögern viele ihren Gang dort hin so lange wie möglich hinaus. Auch dadurch kann es mal zu einem Engpass kommen, den man dann aber dem Veranstalter nicht anlasten darf. 

 

Die Atmosphäre und die Kulisse vor dem Start sind einmalig. Die Stimme des Sprechers kommt hier hinten nur sehr undeutlich an, ist aber nicht so schlimm, wenn man sowieso kein italienisch versteht. Trotzdem kriege ich mit, dass stolz die Teilnehmerzahlen verkündet werden und Bürgermeister Walter Vetroni eingetroffen ist, der statt des Startschusses mit einer weißen Fahne als Zeichen des Friedens das Rennen freigeben wird. Ansonsten bin ich nur am genießen. Immer wieder drehe ich mich um und schaue gegen die Sonne auf die gewaltige Fassade des Kolosseums.

 

Alle machen beim Countdown mit, um den ersten Startblock ins Rennen zu schicken. Riesiger Jubel ist zu hören. Wir rücken nach, warten fünf Minuten, dann wieder der Countdown und um 9:15 Uhr sind wir an der Reihe. Trotz der breiten Straße ist es eng und das Gedränge ist groß. Mir scheint, der eine oder andere rechnet sich noch einen Podiumsplatz aus. Ich will heute nur drei Dinge: genießen – den Lauf, die Stadt und das herrliche Wetter.

 

Bei den meisten City-Läufen wäre die Piazza Venezia mit dem gleichnamigen Palazzo und dem riesigen Monument  der absolute Höhepunkt des Rennens. Hier in Rom ist das „nur“ der Anfang nach noch nicht einmal einem Kilometer. Auf der Treppe hat sich eine vielköpfige Musikkapelle postiert und die Läufermenge wird von zahlreichen Zuschauern stürmisch gefeiert. Ein Stück weiter sehen wir  rechts die Reste des Circo Massimo, wo einst vor 300.000 Zuschauern Wagen- und Jagdrennen veranstaltet wurden. Nach drei Kilometern kommen wir zur Piazza Albania und hier ist für einen Gestürzten das Rennen schon vorbei. Mit blutigen Knien und Tränen in den Augen steht er da und wartet auf Versorgung.

 

Nach 5 Kilometern kommt die erste Getränkestelle und wir laufen danach auf der Lungotevere dei Vallati, einer Allee, entlang des Tiber. Bei Kilometer 7 sehen wir links auf der anderen Flussseite die Engelsburg, ursprünglich das Mausoleum Kaiser Hadrians, später Grabstätte weiterer Römischer Kaiser (unter anderem Marc Aurel und Caracalla) und als Besitz der Päpste deren Zufluchtort. Papst Nikolaus III ließ 1277 von dort einen 700 langen, geheimen Gang zum Palast des Papstes im Vatikan bauen. Gleich daneben steht der Justizpalast.

 

Über die Ponte Cavour geht es über den Fluß zur Piazza Cavour, wo ein Sänger so leidenschaftlich eine Ballade vorträgt, wie es nur ein Italiener kann. Nur kurze Zeit später kommen wir aus einer Seitenstraße auf die Via della Conciliazione und laufen rechts genau auf den Petersplatz mit dem Dom zu.

 

Der Anblick und die Atmosphäre sind unbeschreiblich. Keiner kann sich dem Zauber entziehen. Es ist noch nicht lange her, als fast täglich von dieser historischen Stätte Bilder über den Bildschirm gingen, erst vom langen Sterben und der Trauerfeier Johannes Paul II.  und dann vom neuen Papst, Benedikt XVI.  An diesem herrlichen Morgen gehört die Szenerie alleine den tausenden Läuferinnen und Läufern, die hier mit Musik und vielen Zuschauern begrüßt und beklatscht werden. Man muss schon mehr als abgebrüht sein, um hier ohne Gänsehaut durchzukommen.

 

Wir sind beim Petersdom noch keine 10 Kilometer gelaufen, und schon steht für die junge Frau, die gerade zu mir aufschließt fest, dass es der schönste Lauf ihres Lebens ist. Sie sagt mir das mit Tränen in den Augen. Ich kann nicht sprechen und zeige ihr nur meinen erhobenen Daumen. Andere Zeiten kommen mir in Erinnerung und ich empfinde tiefe Dankbarkeit, dass ich hier sein kann, laufen kann und gesund bin. Ich habe in diesem Moment nur den einen Wunsch: es möge so bleiben.

 

Bei Kilometer 13 sind wir wieder am Ufer des Tiber auf einer breiten Straße, die für den Verkehr zur Hälfte gesperrt ist. Dadurch kommt es schon zu Behinderungen, die aber für italienische Verhältnisse ziemlich klaglos hingenommen werden. Hier auf diesem Terrain wurde schon mehrfach Sportgeschichte geschrieben. Hinter den alten,  ehrwürdigen Gemäuern aus der Zeit der Olympiade 1960 sieht man das moderne Zeltdach des Olympia-Stadions, wo Deutschland 1990 Fußballweltmeister wurde. Ich habe aber auch noch sehr gute Erinnerungen an die Olympischen Spiele in Rom, an Armin Hary, der vor kurzem 65 Jahre alt wurde und hier die Goldmedaille im 100 Meterlauf gewann, an Cassius Clay, der in Rom seine Weltkarriere begann und natürlich an Abebe Bikila, der barfuß den Marathonlauf gewann und in 2:15 Weltbestzeit lief.

 

Wir erfrischen uns an der Verpflegungsstelle, wo es wieder Wasser und Gatorade gibt, dazu jede Menge Obst (Äpfel, Orangen und Bananen) und Wasserschwämme. Die Tische sind weit auseinander gestellt, sodass sich das Gedränge in Grenzen hält. Es ist ohnehin ruhiger geworden, auch die Gespräche sind leiser und kürzer. Viele walken mittlerweile.  Es geht noch immer der auf der breiten Verkehrsstraße weiter, unter der Ponte Milvio durch (wo Kaiser Konstantin den Maxentius besiegte, ihr erinnert Euch?), bis wir nach einem kurzen Anstieg (km 20) den Tiber überqueren und nach der Moschee die Halbdistanz erreichen. Hier ist für etliche Schluss. Sie wollen oder können nicht weiter.

 

Auf der anderen Seite des Tiber kommen wir jetzt wieder zur Ponte Milvio, die bereits 207 v. Chr.  als Holzbrücke erbaut und  immer wieder erweitert wurde. In zahlreichen Kriegen und Auseinandersetzungen war sie hart umgekämpft und hielt sogar den tonnenschweren Panzern im zweiten Weltkrieg stand.

 

Wir laufen Richtung Stadtmitte, abwechselnd rechts oder links auf der halbseitig gesperrten Straße. Die Zuschauergruppen nehmen zu und aus den Autos wird uns und ein „Let’s go“ zugehupt. Die Stimmung in Rom ist prächtig und ich denke, sie war noch nie so gut. Es macht einen Riesen-Spaß, hier zu laufen. Ich setze mein Vorhaben, ohne Zeitdruck zu laufen, auch konsequent um. Trotzdem bin ich jetzt  nur am Überholen. Viele sind das Rennen viel zu schnell angegangen, laufen jetzt langsamer oder sind am Gehen.

 

Wir kommen zur Piazza Navona (ca. km 26), einem der schönsten Plätze in ganz Italien. Im 1. Jahrhundert war hier eine Arena, deren Umrisse man an der Anordnung der umliegenden Paläste und Kirchen noch erkennen kann. Auf dem  Platz um den Vierflüßebrunnen von Bernini (1647 – 51) ist immer etwas los, hier treffen sich junge und alte Menschen. In der Mitte sind Verkaufsstände und Musikbühnen, in den Cafés und Bars genießt man den Espresso und das beste Eis Italiens. Der Platz ist so typisch für Italien, dass viele Szenen des Filmes „La Dolce Vita“ hier gedreht wurden. Für die Marathonis hat man heute mit Gittern eine Gasse gebildet, die Zuschauer stehen dahinter dicht gedrängt. 

 

Über  viel gescholtene aber gar nicht sooo schlimme Pflasterwege geht es weiter durch die Geschäftsstraße Via del Corso zur Piazza dei Popolo (km 30) mit dem ägyptischen Obelisken aus dem Circo Massimo in der Mitte, den Kaiser Augustus nach Rom schaffen ließ. Leider ist er wegen Renovierung gerade verhüllt. Wir umrunden zwischen den Gittern den gesamten Platz, bestaunt und beklatscht von viel Publikum und spätestens jetzt kommt sich jeder vor wie ein Gladiator.

 

Gleich darauf erreichen wir die Spanische Treppe, auf deren 135 Stufen die Menschen wie auf einer Tribüne dicht gedrängt sitzen. Heute wird ihnen mit dem Marathonlauf eine weitere Attraktion geboten und sie danken es mit viel Applaus. Ihren Namen hat die Treppe von der Spanischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl, die hier seit dem 17. Jahrhundert ihren Sitz hat. Nur einen kurzen Moment dauert es und wir sind an der Fontana di Trevi (1732 - 51), Roms berühmtesten und größten Brunnen mit Neptun und einem wilden und einem zahmen Pferd in der Mitte.

 

Neben den vielen berühmten Bau- und Kunstwerken gibt es zahlreiche Kirchen, Paläste und Statuen zu bestaunen.  Ein weiterer Höhepunkt steht an, als wir erneut auf die Piazza Venezia kommen genau auf das weiße Nationaldenkmal für König Victor Emanuel II. und die Einheit Italiens zulaufen.  Den leichten  Anstieg anschließend spüre ich trotz defensiver Laufweise deutlich. Rechts sehen wir noch einmal den Circo Massimo und bei km 35 die Pyramide des Cestius und die Porta San Paulo.

 

Jetzt laufen wir auf der vollständig gesperrten Via Ostiense ungefähr 2,5 Kilometer bis zur Basilika San Paolo, eine der vier Patriarchalkirchen Roms, und dann auf der anderen Fahrbahnseite zurück. An der Strecke ist nicht viel los, nur eine großer Sendewagen vom Sponsor  RTL sorgt mit lauter Musik für Stimmung. Etwas Aufmunterung tut Not, denn einige Marathonis kommen mittlerweile arg gebeutelt daher, sind von Krämpfen geplackt oder einfach fertig mit Rom und der Welt. Anderen wiederum sieht man die Freude an ihrem Sport auch noch 4 Stunden Laufen noch an. Zu denen zähle ich mich heute.

 

Bei Kilometer 41 sind wir am Foro Romano, sehen links den Siegesbogen des Konstantin und vor uns das Kolosseum. Auf der Wiese sitzen viele Menschen und feuern die Läuferinnen und Läufer ein letztes Mal an, die so den letzten Anstieg besser meistern. Oben angekommen, geht es auf die Via dei Fori Imperiali zum triumphalen Zieleinlauf.

 

Spätestens jetzt hat jeder sein Lachen wieder gefunden. Es ist ein erhebendes Gefühl, vor dieser Kulisse und mit den gewonnenen Eindrücken und Erlebnissen den langen Lauf durch die Ewige Stadt erfolgreich  zu beenden. Manche nehmen dankbar und überglücklich die Medaille auf Knien entgegen. Man gratuliert und freut sich miteinander.

 

Auch nach über 4 ½ Stunden Laufzeit gibt es für jeden Finisher noch eine Wärmefolie, ausreichend und in großer Auswahl Getränke und Obst. Jeder bekommt sogar noch eine Tüte mit Verpflegung auf den Weg. Die Straße hinter dem Ziel gleicht einem großen Heerlager.

 

Zu den Bussen mit den Kleiderbeuteln ist es nur ein kurzes Stück. Schnell etwas Frisches anziehen, noch ein wenig in der Sonne sitzen, Espresso trinken im Café gegenüber und einfach noch die Atmosphäre genießen.

 

Acht Stunden gibt man den Marathonis Zeit, die Strecke zu absolvieren. Ganz so lange dauert es nicht, dann sind die letzten, eine Diabetis-Gruppe aus Kanada im Ziel. Nie habe ich glücklichere Menschen gesehen.

 

Streckenbeschreibung:

Flacher Rundkurs, bis auf wenige Ausnahmen Anstiege nur an Brücken oder Überführungen. Nicht nur die vielen Sehenswürdigkeiten, auch die gepflasterten Streckenabschnitte drücken das Tempo.

 

Rahmenprogramm:

Marathonmesse im Kongresszentrum auf dem alten Messegelände Roma EUR. Dort gibt es auch die Startunterlagen und großzügige Geschenke des Hauptsponsors asics (tolle bedruckte Tasche und sehr schönes T-Shirt).

 

Weitere Veranstaltungen:

Rollstuhl-Fahrer starten vor dem Marathonlauf, der 5 km –Lauf (Stracittádina) mit 20.000 TeilnehmerInnen kurz danach. 

 

Auszeichnung:

Medaille, Urkunde aus dem Internet

 

Logistik:

Startgelände mit Metro gut erreichbar. Zu Fuß vom Bahnhof (Statione Termini) ungefähr 20 Minuten. Kleiderbeutel werden an extra gekennzeichneten Bussen abgegeben. Ausgabe direkt im Ziel. Kurze Wege. Wer noch zur Toilette muss, braucht Geduld. Die Schlangen vor den Häuschen sind lang, die umliegenden Cafés und Bars überfüllt.


Verpflegung:

alle 5 km Getränke (Wasser, Iso), Bananen, Äpfel und Orangen.  Zusätzlich Erfrischungsschwämme.

 

Zuschauer:

Größeres Zuschauerinteresse als in Rom gibt es bei keinem Marathon in Italien. Trotzdem ist das Drumherum auf den Straßen (noch) nicht mit vielen City-Marathons in Deutschland zu vergleichen.  

 

Informationen: Maratona di Roma
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