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Laufberichte

Ritter Sport

24.02.13

Fotos: Kay Spamer

 

Wer vom Winter so richtig genervt ist, muss die Zeit bis zum Frühling nur zu nutzen wissen. Uns jedenfalls gehen die Ideen für Winterläufe mit trockenen Schuhen nicht aus. Bürohaus, Bergwerk und jetzt: Malta. Last Minute! Kein Pass, kein Geldumtausch, einfach losfliegen.

Nach einem anstrengenden Arbeitstag hebt der Flieger der Air Malta ab. Wir durchstoßen die dunkelgraue Wolkendecke über Frankfurt am Main. Knapp 2,5 Stunden und 1650 Kilometer liegen zwischen Schnee und Sonne, zwischen Winter und Frühling. Es ist stockdunkel, als wir das Mittelmeer überfliegen. Als würden sie die Insel belagern, tauchen unter uns die Lichter der Schiffe, die vor Malta ankern, auf. Wir überfliegen Dächer und Kirchtürme, bevor kurz darauf die Maschine auf dem Flugfeld ausrollt. Ein Taxi bringt uns in zwanzig Minuten nach Sliema.

Karges Aussehen, schroffe Klippen, sonst noch was? Vielleicht Malteser Aquavit oder gar Playmobil? Ja, Englisch kann man hier lernen. Die Jugend kommt, um ihr Englisch zu perfektionieren, die Älteren zum Bildungsurlaub - und alles dabei noch steuerlich absetzbar. Hierher zieht es Paare und Pärchen, Senioren- und  Schülergruppen, Familien und Singles. Kreuzfahrttouristen und Wellness-Publikum und einmal im Jahr auch die marathonhungrigen Sportler.

Die Gründe und die Motivation, die die Menschen auf dieser Insel zusammenbringt, sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Die einen wollen die große Weltgeschichte finden, andere suchen die kleinen Geschichten des Alltags. Schon im Mittelalter erweiterten die Aristokratischen eines ritterlichen Ordens, die sogenannten „Kavaliere“, ihre Erziehungs- und Bildungsreisen und nannten sie „Kavalierstouren“.  Die Reise ging meist nur bis Rom, ab 1530 führten sie aber auch bis nach Malta. Odysseus verliebte sich hier in die Nymphe Kalypso und lange vor den Rittern sei der Apostel Paulus bei seiner letzten Romreise hier gestrandet.

Von der ganz schnellen Sorte ist Lukas aus Aachen, Marathonsammler und nur auf Stippvisite. Das bedeutet: Freitagabend in Frankfurt einen der letzten Flieger besteigen, am Sonntag beim Marathon möglichst nicht länger als 3:30 Stunden laufen, um gleich darauf von Malta wieder abzuheben. Oder Norbert, der Glückspilz, er gewann den Marathon beim „Arque-Lauf“. Er bleibt drei Tage und will die Insel mit dem Jeep unsicher machen. Nicht jeder hat es eilig, anderen reicht auch schon ein Halbmarathon; gefolgt von einer Woche Urlaub. Eines haben wir aber gemeinsam: Alle mussten wir bei Wind und Wetter, Schnee und Regen trainieren. Alle laufen weg: vom kühlen Wetter in unserer Heimat, alle wollen wir hier an der sonnenverwöhnten Küste Sport mit Kultur verbinden. Es gibt wenig Orte, an denen das besser funktioniert als hier. Viele, nicht nur deutsche, Spezialreiseveranstalter haben das läuferische Marktpotential erkannt und sind bereits lange im Voraus ausgebucht.

 

Eine Insel nicht viel größer als München

 

Das vor bereits 5000 Jahren besiedelte Malta liegt zwischen Sizilien und Afrika und hat eine Länge von 28 und eine maximale Breite von 13 Kilometern. Es ist somit das kleinste Land der Eurozone und eines der kleinsten in Europa überhaupt. Nichtsdestotrotz kann es mit eigenen Briefmarken, Münzen und Autokennzeichen auffahren. Mich würde es nicht wundern, wenn die Malteser eines Tages wegen Überfüllung ihre Insel schließen würden. Jedenfalls hat hier alles seinen Platz: nebeneinander, miteinander, durcheinander.

Das gilt auch für die Sprache. Eine blonde Helferin erklärt uns in Deutsch, von welchem Ort wir morgen starten werden. Die Gruppe Italiener,  die nach uns den Laden betritt, wird temperamentvoll in ihrer Sprache begrüßt. Tatsächlich sagt man: "Malteser seien Italiener, die italienischer sind als ihre Schuhe, die sich für Engländer halten mit Humor, der schwärzer ist als ihr Tee, arabisch sprechen und katholischer sind als der Rest der Welt.“ Wie auch immer.

Eine Marathonmesse gibt es nicht, vielmehr erhält man seine Startnummer in einem Sportgeschäft zwischen allerlei modischem Schnick-Schnack und den neonfarbenen „die-möchte-ich-haben“-Turnschuhen. Gels und Riegel sucht man hier vergebens. An der Kasse hat sich eine lange Abholerschlange gebildet. Ausgerechnet Lukas, der keine Zeit hat, wartet besonders lange auf seine Nummer. Die ist wohl irgendwo verloren gegangen und wird nun seit Stunden gesucht. Bei uns klappt es ohne Probleme. Zur Startnummer wandert noch das ein oder andere Equipment in die Tüte und dazu auch ein feuerrotes  Event-Shirt, welches sich wunderbar in meine Sammlung der besonders langen und breiten Finisher-Nachthemden einreiht.

Eine Pastaparty im klassischen Sinne gibt es nicht, also hinein zum nächstbesten Italiener. Tolle Pasta mit fruchtiger Tomatensoße, auch hier kommt uns der italienische Teil der maltesischen Kultur im richtigen Moment entgegen.

 

Kampf der Nationen

 

Sonntag, 4:30 Uhr: Uns reist eine vertraute und verhasste Melodie aus dem Schlaf. Der Vollmond spiegelt sich im Hafenbecken. Ein junges Pärchen, wohl noch von gestern übriggeblieben, räkelt sich lasziv auf einer Parkbank. Im grauen Licht des milden frühen Morgens interessiert sich kein schlaftrunkener Sportler an dem nur wenige Meter entfernten Zielbanner. In einigen wenigen Stunden wird hier gefeiert.

Jetzt aber möchte jeder von uns einfach nur einen Sitzplatz im Sonderbus ergattern. Es ist 6:10 Uhr, als der Busfahrer unser Transferticket erhält. Das Licht im Inneren des Busses ist heruntergedimmt, als wir den Bus besteigen. Der „Kampf der Nationen" beginnt schon im Bus. Vorne sitzt bereits eine Gruppe Franzosen, zu identifizieren an ihrer einheitlichen blauweißroten Kriegsbemalung auf den Wangen. Hinten eine ausgeschlafene oder auch einfach nur überdrehte Gruppe Italiener, zu erkennen an ihren Schlachtrufen „Forza, Forza“ und dazwischen wir, sozusagen eine müde Gesellschaft Deutscher. Man fühlt sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft oder auch als Mitglied der Gesellschaft der letzten Eroberer.

Zwanzig Minuten schwankt der Bus durch die holprigen Straßen wie ein Schiff auf See. Wir fahren vorbei an Kirchen, Plätzen und Gemüsefeldern. Im Inselinneren erreichen wir die 4000 Jahre alte und einstige Inselhauptstadt Mdina. Der Inselberg ist von einem tiefen Festungsgraben umgeben und somit die höchste Erhebung des Landes. In dieser Stadt fällt es nicht schwer in unglaubliche turbulente Vergangenheit einzutauchen. Kein staubtrockener Geschichtsunterricht, sondern vielmehr erlebte Geschichte, die komprimierter und vielfältiger ist als irgendwo sonst auf der Erde.

Der Geist eines anderen Zeitalters 

Wer Südeuropa beherrschen wollte, musste auch Malta beherrschen. Grund hierfür waren zum einen die strategisch günstige Lage und die zahlreichen Naturhäfen der Insel. Wie überall im Mittelmeerraum hatten sich auch auf Malta die Einwohner in der Antike zum Schutz vor Eroberern und Piraten in das Inselinnere zurückgezogen, was letztendlich aber nur wenig brachte, denn die Machthaber wechselten sich im Laufe der Jahrhunderte ab wie Staffelläufer und jeder zwängte seine Kultur den Insulanern auf.

Zuerst kamen die Karthager, klar Malta lag ja schließlich vor der Haustür. Es folgten die Römer, Vandalen, Byzantiner. 220 Jahre blieben die Araber und ihnen folgten das Königreich Spanien. Wer noch fehlt? Richtig, die Franzosen. Aber das dauerte noch einige Zeit. Erst einmal machten sich die Kreuzritter auf die Suche nach einer neuen Heimat in Europa.

1530 bekamen die Ritter des Johanniterordens das steinige Malta sozusagen geschenkt. Sie hinterließen die eindeutigsten Spuren, denn sie beherrschten fast drei Jahrhunderte Malta und ihre Schwesterinseln Camino und Gozo. Sie waren es auch, die die mächtigen Befestigungsanlagen und die prächtigen Kirchen bauten. Als jedoch im sechzehnten Jahrhundert die Hauptstadt an die Küste verlegt wurde, fiel Mdina in einen (geschichtlichen) Tiefschlaf.

 
 

Informationen: Malta Marathon
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