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Laufberichte

Glück im Unglück

28.10.18 LAKE GARDA 42
 

Ich schwebe über dem Wasser. Fast schwindelig wird mir, wenn ich nach unten blicke. Dorthin, wo das Wasser tief unter mir gegen den Fels klatscht. Senkrecht fallen die Felswände in die Tiefe – und steigen über mir ebenso in die Höhe. Eine atemberaubende Kulisse, ein einmaliges Gefühl. Mittendrin bin ich. Ohne Seil und Sicherung. Nicht etwa beim Steilwandklettern. Sondern beim Marathon laufen ….

Unter denen, die sich schon lange dem Marathon verschrieben haben, gehöre ich eigentlich eher in die Kategorie der „Sammler“ und nicht zu den „Traditionalisten“. Neuer Marathon, neues Abenteuer, lautet meine Devise. Aber am Gardasee bin ich nun schon zum dritten Mal. Und das will etwas heißen. Im Nordteil des Sees, dort, wo er sich zum Flaschenhals verengt, wird bereits seit 2007 Marathon gelaufen. Allerdings mit im Laufe der Jahre wechselnder Strecke. 2010 begeisterte mich der Kurs von Limone via Riva, Arco, Torbole nach Malcesine. 2013 spielte sich der Streckenlauf dann primär nur noch am Ostufer mit Start in Malcesine und Ziel in Torbole ab. Nett war das, aber eben auch nur nett.

„Zurück zu den Wurzeln“ heißt es 2018 wieder. Und das mit einem Paukenschlag. Denn in den Kurs integriert ist das erst seit Mitte Juli fertig gestellte erste Teilstück des Projekts „Garda by Bike“. Ziel des Projekts ist, den Gardasee bis 2021 rundum mit einem 140 km langen Radweg zu erschließen. 100 Mio. € wollen die beteiligten Bezirke und Provinzen dafür investieren. Unumstritten ist das nicht: Die hohen Kosten, der fragliche Nutzen, die beeinträchtigte Umwelt. Aber im Hier und Jetzt als Läufer darf man sich auf ein sehr spezielles Lauferlebnis freuen. Dazu noch später.

 

Limone

 

„Zurück zu den Wurzeln“ bedeutet auch: Gestartet wird wieder im bezaubernden Limone. Fluch und Segen bedeutet die besondere Lage. Unterhalb der jäh aus dem See steigenden Steilwände duckt sich entlang der Küstenlinie die malerische Altstadt mit ihren winkeligen Gassen und pittoresken Gemäuern. Ein spektakulärer Anblick, vor allem, wenn man über das Wasser per Linienboot anreist. Aus dieser Perspektive fallen auch sogleich jene eigenwilligen Stelenwälder um und in Limone auf. Sie sind die Tragesäulen verfallener Zitronengewächshäuser, in denen die Frucht einst kultiviert wurde. Der Fluch der besonderen Lage: Die tägliche Heimsuchung durch Heerscharen von Tagestouristen, die zumeist per Boot angeshippert kommen und zumindest den Limoncello-Verkäufern traumhafte Umsätze bescheren.

 

 

Für die meisten Läufer ist Limone auch schon vor dem Start erster Anlaufpunkt. Ziel ist das „Centro Congressi“ am Rande der Altstadt an der Hauptstraße gelegen. Erfreulich unaufdringlich passt sich der natursteinverkleidete Neubau in die Umgebung ein. Von Freitag bis Sonntag Morgen bekommt man hier die wichtigste Startinsignie: Die Startnummer. Ein „Gardasee Marathon Set“ inklusive Funktionsshirt gibt es obendrauf.

Den lauffreien Samstag sollte man nutzen, eine entspannte Bootsrundfahrt über den Nordteil des Sees via Limone, Riva, Torbole, Malcesine zu unternehmen. Hier ein Spritz in einer Bar, dort ein Cappuccino in einem Cafe - das macht Laune und man bekommt ganz entspannt einen Eindruck von den Orten, die auf unserer Laufstrecke liegen. Und vor allem von der grandios-wilden Berglandschaft, die alles umrahmt.

Für mehr als nur einen Wermutstropfen sorgt allerdings das von den Meteorologen bereits vorhergesagte Mittelmeertief, das im Stau der Südalpen schon am Samstag rund um die Uhr für Dauerberieselung sorgt. Mal sorgen wilde graue Wolkenfetzen für Spannung am Himmel, doch immer wieder versinkt der Horizont im diffusen Einheitsweiß. Und vor allem dann öffnen sich die Himmelsschleusen in einer Weise, wie ich es nur von tropischen Monsunschauern kenne.

 

Feuchtfröhlicher Start

 

Wer es vorzieht, nicht am Startort Limone, sondern im Zielort Malcesine Quartier zu beziehen, muss sich über die Frage, wie er am Sonntagmorgen zum Start kommt, keine Gedanken machen. Denn von Malcesine gibt es „direttissima“ eine Bootsverbindung quer über den See. Vor dem ersten offiziellen Linienboot, das erst und damit zu spät um 9:20 Uhr ablegt, startet im ersten Morgengrauen schon um 7 Uhr ein Shuttleboot. Etwas arg früh, wie ich meine, denn Start ist erst um 9:30 Uhr. Und es regnet, wie gestern, ohne Unterlass weiter. Erst auf dem Weg durch die dunklen Gassen bekomme ich eher zufällig mit, dass die Fähre nicht vom üblichen Anleger im Ortszentrum, sondern einen Kilometer nördlich vom speziellen Anleger der Autofähre startet. Es soll nicht die einzige Überraschung für heute bleiben.

 

 

Auf dem Passagierdeck suche und finde ich mit all den anderen regenfest gewandeten Läufern Schutz. Nur gute zwanzig Minuten dauert die Fahrt, schon rumpelt der Schiffsrumpf und ich blicke durch die beschlagenen Fenster inmitten grüne Natur. In Limone hat die Autofähre ihre eigene Anlegestelle am äußeren Ende der langen Promenade. Ich folge der Karawane, die zunächst am Ufer entlang, dann über die zahllosen Metallstiegen eines Parkhauses in die „Oberstadt“ und von dort geradewegs dem Centro Congressi und damit dem Startpunkt auf Limones Hauptstraße, der Via IV Novembre, entgegen pilgert.

Schnell füllen sich die Bars in der Umgebung. Espressoschlürfend, mit einem Brioche in der Hand, vertreiben sich die Läufer gut gelaunt eifrig palavernd die Zeit. Und davon haben wir noch mehr als genug. Aber ich gebe zu: Das hat etwas. Selten habe ich vor einem Marathon eine so relaxte Stimmung erlebt. Draußen wird noch eifrig gewerkelt und erst kurz vor dem Start sind Startmatten und Startbogen installiert, donnern laute Beats über die Straße    und Cheforganisator Stefano Chelodi verkündet die Hiobsbotschaft: Heute wird es nichts mit dem Marathon. Die Sarca hat Hochwasser und so sind die Passagen auf dem Damm, die uns auf einem Pendelkurs in Richtung Arco und zurück geführt hätten, kurzfristig behördlicherseits untersagt worden. Konkret bedeutet das: Von 42,2 km bleiben nur 30 km übrig. Erst ungläubig schauen die Läufer, aber schnell arrangieren sie sich mit ihrem „Schicksal“. Und auch ich denke mir: Wenigstens ist der Teil weggefallen, der optisch am ehesten verzichtbar erscheint.

Erst kurz vor dem Start sammeln sich die verhinderten Marathonis einschließlich derer, die ohnehin nur für für die 30 km-Distanz gemeldet waren, vor dem Startbogen. Und siehe da: Wenigstens Petrus scheint ein wenig Erbarmen zu haben. Der Regen lässt nach, auch wenn die zwischen den Bergen wabernden grauen Wolkenbänke erahnen lassen, dass das nur ein Geschenk auf Zeit ist.

 

Auf der Gardesana Occidentale nach Riva

 

Direkt auf die sich vor uns auftürmende Felswand laufen wir zu. Aber zum kollektiven „an die Wand klatschen“ kommt es natürlich nicht: Schon nach den ersten zweihundert Metern verschluckt uns die Finsternis eines ersten Tunnels.

Wir sind allein auf der kurvigen „Gardesana Occidentale“, die von hier aus noch etwa zehn Kilometer weit nach Riva führt. Erst 1927 bis 1932 wurde diese als Verbindungsstraße zwischen Riva und Salo im südlichen Teil des Gardasee gebaut. Bis dahin waren die Orte am nordwestlichen Ufer nur per Schiff erreichbar. Für die ersten 28 km von Riva nach Gargnano mussten seinerzeit 74 Tunnel in die Steilhänge gesprengt werden; etwa ein Drittel davon befindet sich im Teilstück von Limone nach Riva. Bis heute gilt diese Strecke als eine der Traumstraßen Europas, deren Schönheit sich dem Durchfahrenden bei üblicherweise regem Autoverkehr aber leider nur in Momentaufnahmen erschließt. Aber heute, im Hier und Jetzt, dürfen ausnahmsweise nach vielen Jahren wieder einmal die Läufer die Herrschaft über die Straße übernehmen.

 

 

Und es ist wirklich ein grandioses Lauf- und Landschaftserlebnis, das sich uns bietet. Extrem ist der stete Wechsel zwischen Hell und Dunkel, zwischen der See- und Naturlandschaft und zuweilen tiefer Finsternis in den häufig unbeleuchteten Tunneln. Wie Filmsequenzen laufen die tunnelfreien Abschnitte ab. Langsam zieht üppig-wuchernde Natur, eingebettet in die wilde, fast senkrecht abfallende Felslandschaft an uns vorüber. Und mittendrin sind wir. Aus dem Grün ragen die weitgefächerten Kronen vereinzelter Pinien und vor allem kerzengleich in den Himmel ragende Zypressen heraus. Tief unter uns  kräuseln sich die Wellen des Sees in der steifen Brise, Wolkenbänke umwabern die im Dunst fast konturlos und unnahbar am jenseitigen Ufer empor steigenden Berge des Monte Baldo-Massivs. Wie mächtig diese sind, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass der Gardasee gerade einmal 65 m üNN hoch liegt, die Gipfel aber bis über 2.000 Meter aufragen. Dann wieder ein Schnitt: Dunkelheit. Aber schon kurz darauf: Eine neue Szenerie beginnt, immer wieder etwas anders, immer wieder faszinierend.

Auch die Tunnels selbst variieren in ihrer Gestaltung immer wieder. So sind vor allem bei kürzeren Tunnels die Innenwände unverschalt, was ihnen einen archaischen Charakter verleiht. Vom unregelmäßigen, blanken Fels tropft das Wasser, innen sieht man bisweilen kaum die Füße am Boden. Bei einigen Tunnels sind Lichtöffnungen in den Fels gebrochen oder sie sind als Galerien gestaltet. Das hat den Vorteil, dass man einerseits viel sieht, andererseits auch vor Steinschlag geschützt ist.

Ein weiteres - vielleicht „das“ - Highlight erwartet uns jenseits des Cabo Reamol nach etwa drei Kilometern. Denn ab hier sind parallel zur Straße und dort, wo sie in Tunnels eintaucht, an der Außenwand der Tunnels entlang unzählige Stahlpfosten in die Felswände getrieben, über die etwa 50 Meter über dem See ein 2,5 Meter breiter, lediglich mit einem kaum sichtbaren Maschendrahtzaun gesicherter  Holzplankenweg führt. Wir laufen hier über den bisher spektakulärsten Teil der „Ciclopedonale“. Heftig peitschen uns Wind und Regen ins Gesicht. Aber das Naturerlebnis ist unbeschreiblich, vor allem dort, wo sich der Weg außerhalb der Tunnels den natürlich Biegungen des Felses folgend dahin windet.

Ich bin begeistert. Wie gerne wäre ich auf diesem Weg weiter und weiter gelaufen. Doch leider endet der Ausflug in die Luftigkeit schon nach einem guten Kilometer und wir finden uns wieder auf dem harten Asphalt der Gardesana Occidentale. Ich bin schon gespannt, wann an der Verlängerung in Richtung Riva weiter gebaut wird.

Je näher wir an Riva rücken, desto mehr dominieren die Tunnelanteile. Etwa bei km 8 queren wir den im Grün einer engen Schlucht kaum sichtbar werdenden Gebirgsbach Ponale, einen Abfluss des ein paar hundert Meter höher in den Bergen gelegenen Lago di Ledro, der sich zum Schluss als Wasserfall in den Gardasee ergießt.

Kurz darauf folgt ein abschließendes, langes Tunnelstück, das uns erst wieder am Ortseingang nach Riva ins Tageslicht entlässt. Greifbar nahe ist hier schon die Altstadt, in die wir von der endenden Gardesana Occidentale geradewegs hinein geleitet werden.

 

Zwischen Riva und Torbole

 

Riva ist als größter der ufernahen Orte so etwas wie die Kapitale des Gardasees. 16.000 Einwohner sind zwar auch nicht richtig viel, aber die großbürgerlichen Fassaden am Altstadthafen und entlang der Uferpromenade haben durchaus gewissen städtischen Flair. Der Charakter ist ein anderer als der Limones. Während Limone noch vielmehr dem Klischee eines italienischen Dorfes entspricht, erscheint Riva schon eher wie ein tirolerisches Bergstädtchen – einerseits mehr verbauter Naturstein, andererseits mehr schnörkelig verzierte Fassaden.

 

 

In flottem Schritt umrunden wir das von farbenfrohen Fassaden gesäumte Hafenbecken, überragt vom Wahrzeichen Rivas, dem hafenbeherrschenden 34 Meter hohen Uhrturm Torre Apponale, einem bereits aus dem 13. Jahrhundert datierenden Relikt der ersten Festungsanlage Rivas.

Direkt am Ufer geht es weiter, vorbei am palmengesäumten, zumindest äußerlich mondän wirkenden Prachtbau des Hotel Sole. Wenige Momente später ist schon die Rocca am anderen Ende der Altstadt erreicht, eine gänzlich von Wasser umschlossene mittelalterliche Wehrburg, die heute, in eine Parkanlage eingebettet, als Stadtmuseum genutzt wird.

Die Parklandschaft setzt sich am Ufer des Sees fort. Auf gepflegten Wegen und über kleine Brücklein geht es fast auf Höhe des Wasserspiegels dicht am Ufer dahin, vorbei an akkurat geschnittenen Rasenflächen und sorgsam arrangierten Blumenrabatten, Pinien- und Zypressenanpflanzungen und anderen mediterranen Gewächsen. Schließlich erreichen wir den beeindruckend großen, im Weiß der zahllosen Bootsrümpfe erstrahlenden Yachthafen Rivas. Man „sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“, könnte man angesichts des  unüberschaubaren Mastenwirrwarrs der ankernden Boote sagen. Gleich hinter dem Hafen erhebt sich der 376 m üNN aufragende Monte Brione, quasi der „Hausberg“ Rivas. Wie ein gewaltiger Riegel schiebt er sich am Nordufer des Sees zwischen Riva und das benachbarte Torbole. Während er auf der Riva zugewandten Seite sanft und von dichtem Grün bewachsen ansteigt, bricht er auf der anderen Seite jäh und schroff ab.

An der seezugewandten Seite hat man einiges vom Berg weggesprengt, um Platz für eine Uferstraße zu schaffen. Auf einem parallel führenden Weg folgen wir dieser Straße und genießen von hier einen ganz speziellen Panoramablick auf die hinter, vor und neben uns liegende Berglandschaft.

Am Berg vorbei signalisiert das Ortschild „Lido di Arco“ bei km 12, dass wir Riva hinter uns gelassen haben. Kurz darauf dürfen wir, eine chice weiße Stahlbogenbrücke querend, persönlich die mächtig angeschwollene Sarca in Augenschein nehmen. Weit in den See hinaus kann man die Spur beobachten, die die reißenden braunen Fluten im dunklen Blau des Sees hinterlassen. Der erhöht liegende Dammweg wirkt zwar noch nicht bedroht. Aber sicher ist sicher, werden sich die Behörden wohl gedacht haben. Zumindest nicht absehbar ist, wie weit die Fluten dieses einzigen größeren Zuflusses in den Gardasee angesichts der nicht endenden Regenfälle noch anschwellen werden.

Weiter geht es von hier auf zumeist gepflasterten Wegen entlang der zahlreichen hellen Kiesstände Torboles. Draußen im See sieht man Surfer und Segler Wind und Wetter trotzen, während sich die Strände als menschenleere Idylle präsentieren.

Wenig später laufen wir in Torbole ein. Torbole gilt als „das“ Surfer-Mekka Mitteleuropas schlechthin. Besonders hier entfalten die durch die im Norden fjordartige Verengung des Sees angefachten Winde ihre Wirkung, und das mit einer Regelmäßigkeit, nach der man die Uhr stellen kann. Den Winden ist auch zu verdanken, dass nicht selten über dem See die Sonne scheint, während die umliegenden Berge wolkenverhangen sind. Heute gilt allerdings der Grundsatz „die Ausnahme bestätigt die Regel“. Dem mächtigen Tief entgeht auch Torbole nicht.

Da unsere Torbole-Visite nur auf der Durchgangsstraße beschränkt ist, bekommen wir vom Ort selbst letztlich nur am Rande etwas mit. Ehe wir uns versehen, haben wir den  malerischen kleinen Hafen mit der Casa del Dazio, dem alten Zollhaus, mittendrin, passiert und befinden uns, vorbei am Yachthafen nebenan, auf der Gardesana Orientale, dem am Ostufer des Sees entlang führenden Gegenstück der Gardesana Occidentale, und damit geradewegs auf unserem Weg in Richtung Ziel.

 

Über die Gardesana Orientale nach Malcesine

 

Die Gardesana Orientale ist breiter und besser ausgebaut als die Straße auf der anderen Uferseite, sie hat zumeist einfach auch mehr Platz. Gerade auf den ersten Kilometern unseres Weges nach Malcesine muss jedoch auch sie einige dicke, bis in den See reichende Gesteinsplatten überwinden. Daher mussten die Tunnelbauer vor 85 Jahren auch hier ganze Arbeit leisten. Doch fallen gerade diese Kilometer erneut in die Kategorie „Traumstraße“. Weit reicht der Blick über den See auf die düsteren Abgründe der Felsentürme auf der anderen Uferseite. Palmen, Zypressen, Pinien säumen unseren Weg, für mich der Inbegriff mediterraner Vegetation, dichtes Buschwerk besetzt jeden Winkel im zerfurchten Felsgelände um uns herum. In sanften Kurven bahnt sich die Straße durch die wundervolle Landschaft ihren Weg. Fast schon als optische Störenfriede empfinde ich die vereinzelten kleinen Ansiedlungen.

 

 

Während auf der gegenüber liegenden Uferseite zunehmend Limone auf gleiche Höhe rückt, müssen wir eine kilometerlange Galerie durchlaufen. Kurz danach, etwa bei km 25, verkündet ein Straßenschild „Malcesine“. Doch sollte man sich davon nicht beirren lassen: Erreicht ist nur der Kommunalbezirk Malcesines, doch noch längst nicht der Ort. Allerdings verdichtet sich zunehmend die Bebauung entlang der Straße. Vereinzelte Hotels, Lokale, Parkplätze tauchen als Vorboten der Touristenmetropole auf, die Landschaft verliert zumindest entlang der Straße zunehmend ihre Urwüchsigkeit.

Mit Navene erreichen wir den großen Yachthafen Malcesines und werden hier von der Straße auf einen schmalen, aber gut ausgebauten Uferweg abgeleitet. Dicht am Wasser geht es dahin. Am Horizont vor uns rückt eine milchige Wand schnell heran. Für etwa zwei Stunden durften wir uns angesichts der Wetterlage an Petrus' Wohlwollen erfreuen. Damit ist jetzt Schluss. In Strömen prasselt das Wasser auf uns nieder. Und wer noch eine trockene Faser am Leib hatte, der hat sie nun nicht mehr. Aber es ist egal: Keiner Pfütze gehe ich mehr aus dem Weg, allerdings habe ich auch keine Lust mehr, meine Unterwasserkamera auszupacken, die ich dieses Mal ausnahmsweise mitgeführt habe. Aber zu sehen gibt es ohnehin nicht mehr viel.

Als fern am Horizont erstmals das hoch auf einem in den See ragenden Felsvorsprung thronende Castello Scaligero, das Wahrzeichen Malcesines, sichtbar wird, weiß ich aber: Jetzt ist es nicht mehr weit. Langsam nähern wir uns an. Wie keine andere Familiendynastie hat sich das Veroneser Adelsgeschlecht der Scaliger im 13. und 14. Jahrhundert in Verona und um den Gardasee herum durch zahlreiche Wehrbauten mit charakteristisch gezackten Zinnen auf Türmen und Mauern verewigt – und dabei Glück gehabt, dass diese die Jahrhunderte im Wesentlichen unbeschadet überstanden haben. Touristenmagnete sind insbesondere die Bilderbuchburgen von Sirmione und Malcesine. Der Blick von dem den See 70 Meter überragenden Turm der Malcesiner Burg über die Dächer der umgebenden Altstadt hinweg ist ein besonderes Erlebnis.  

Anders als seinerzeit 2010 geht es aber nun nicht mehr via Hauptstraße durch Malcesine hindurch und nach einer finalen Schleife zum Zieleinlauf auf die zentrale Piazza Statuto vor dem Rathaus, sondern das Ziel ist direkt am Ufer etwa einen halben Kilometer vor der Burg aufgebaut. Bewusst war mir das vorher nicht, aber zugegebenermaßen macht mich das heute alles andere als unglücklich.

Das Zieleinlauferlebnis ist witterungsbedingt ein eher kurzes, aber angesichts lediglich 30 gelaufener Kilometer auch ein ziemlich lockeres. Schnell ist die nette Finishermedaillie aus Holz mit der Silhouette des Sees eingeheimst und der Zeitmesschip abgegeben. Auch die Zielverpflegung ist kein Ort der Massenansammlung. Umso voller ist es im Umkleidezelt, wo jeder versucht, so schnell wie möglich sein triefend nasses Outfit los zu werden.

 

 

 

Malcesine

 

So richtig entspannen und das Erlebte Revue passieren lassen kann ich erst, als ich warm eingepackt und trocken in einem der Straßencafes am Hafen im Schutz einer großen Markise sitze und einen heißen Cappuccino schlürfe, während um mich herum gefühlsmäßig die Welt unterzugehen scheint. Der Regen prasselt jetzt mit einer Wucht hernieder, dass ich mir nur denke: Da habe ich heute Glück im Unglück gehabt.

Zumindest in den beiden Stunden seit dem Start habe ich den wunderbaren Kurs am See, einer der attraktivsten, die ich in 15 Jahren Marathonlauferei kennengelernt habe, wettermäßig zwar in einer eher wilden, aber optisch durchaus beeindruckenden Variante erleben dürfen. Die letzte halbe Stunde im Regeneinheitsgrau – geschenkt. Und jetzt hier im Trockenen im Cafe in Malcesine zu sitzen: Einfach genial.

 

 

Überhaupt Malcesine: Mit ihren engen, krummen Gässchen zu Füßen der Burg ist die mittelalterliche Altstadt für mich die bezauberndste und die wohl auch intakteste am ganzen See. Vor allem abends, wenn  - wie in Limone - der Spuk der Tagestouristen vorbei ist, entfaltet sie im Laternenlicht und von Strahlern ausgeleuchtet, ihren ganz eigenen Flair. Und dank zahlreicher Lokale, Bars und Cafes wirkt sie nicht nur wie ein Museum, sondern ist voller Leben. Damit ist sie als Ziel einer Laufreise eine absolute Topdestination.

 

 

Informationen: LAKE GARDA 42
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