Den Weg zum Himmel kennt keiner und keiner weiß, wann er ihn antreten muss. Doch einen irdischen Weg zum Himmel kann man immer im Juni um die Sonnenwende erkunden. Ich meine den HimmelswegeLauf im Burgenlandkreis um Naumburg.
Genau gesagt belaufen wir die Strecke mit Start am Sonnenobservatorium in Goseck bis zum Ziel an der Arche Nebra. Für mich wird damit wieder ein weißer Fleck beseitigt, das heißt, eine neue Strecke erkundet. Darauf freue ich mich sehr. Auf den Weg gebracht hat mich Henny, denn sie will unbedingt die Medaille haben, die jeden Finisher auf dem Marathon, den Halben sowie auf den zehn Kilometern (Lauf, Wandern und Nordic Walking) sowie auf der Radtour (ca. 40 Kilometer) überreicht wird.
Es wird ein familiärer Event werden, da bin ich mir sicher. Denn die Familie Cierpinski, Vater Waldemar (zweimaliger Olympiasieger im Marathon) und seine Söhne Falk und André halten die Organisation in fester Hand. Ich kenne das ganze Procedere noch vom Mitteldeutschen Marathon, der dieses Jahr am 15.10.2017 stattfinden wird.
Wir fahren wieder einmal mit der Bahn und kommen so am Tag zuvor recht entspannt in Naumburg an. Ich bin von der Schönheit der Innenstadt echt überrascht. In gut drei Wochen wird entschieden, ob die Region in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wird. Ein Stadtführer bringt uns Naumburg näher. Unsere Unterkunft haben wir im Umfeld des Naumburger Bahnhofs gebucht. Vorteil: Von hier werden die Marathonteilnehmer zum Start mit Bussen gefahren und vom Ziel kannst du mit der Bahn nach Naumburg zurückfahren.
Strahlender Sonnenschein erwartet uns, als wir um 07.45 Uhr den Bus besteigen. Es gibt zwar noch einen späteren Bus, der aber eher für die Radfahrer gedacht ist. Mit diesem könnte es zeitlich mit dem Start knapp werden. Nach knapp 30 Minuten erreichen wir Goseck. Am Besucherparkplatz steigen wir aus und wandern die rund 500 Meter zum Sonnenobservatorium. Der Himmel hat sich nun fast zugezogen, mit 15 Grad und Wind ist es fast zu kühl, wenn man sich nicht bewegt.
Die Kreisgrabenanlage von Goseck wurde erst 1991 bei einem Flug von dem Luftbildarchäologen Otto Braasch entdeckt. Erneute, nun auch geomagnetische Untersuchungen im Jahr 1999 ermöglichten eine Kartierung des Grundrisses. Die Anlage besteht aus einem runden Ringgraben mit einem Durchmesser von 71 Metern, der von einem äußeren und inneren Palisadenring gesichert ist. Die drei Zugangswege sind nach Norden, Südwesten und Südosten ausgerichtet. Die beiden südlichen Zugänge sind bis auf wenige Tage auf den Sonnenauf- und Untergang zur Wintersonnenwende ausgerichtet. Anfangs dieses Jahrhunderts wurden dann auch Zeichen gefunden, die auf die Sommersonnenwende deuten. Nach modernen Auswertungen wurde festgestellt, dass die Anlage aus dem 49. Jahrhundert vor Christus stammt, lange Zeit vor der Entstehung von Stonehenge.
In der Anlage erhalten wir unsere Startunterlagen. Nehmt dazu die Meldebestätigung mit, auf der eure Startnummer steht. Einige Läufer melden noch nach. Die nicht benötigte Kleidung kann in bereitstehenden Kombis verladen werden. Am Ziel wird diese wieder ausgegeben. Waldemar Cierpinski weist uns kurz in die Strecke ein. So sollen wir das Gefälle hinunter zur Saale vorsichtig laufen, denn unten geht es scharf rechts auf einen Waldweg. Wir stellen uns am Eingang des Observatoriums auf und inszenieren einen Start für die Presse. Der eigentliche Start befindet sich rund 200 Meter weiter auf einem Feldweg.
Am eigentlichen Startort ist der Landrat Götz Ulrich, der eben die Pistole hoch gehalten hat, wie vom Erdboden verschluckt. Waldemar sucht und muss dann das Läuferfeld ohne den Promi und ohne großes Brimborium losschicken. 150 Marathonis machen sich auf dem Weg, noch fröstelnd. Nach kurzem Wegstück laufen wir in die rund 1000 Leute zählende Gemeinde Goseck hinein. Nur wenige Zuschauer sind am Wegrand, fast könnte man jeden per Handschlag begrüßen. Einige Feuerwehrkameraden sichern die Querstraßen ab und weisen uns den Weg.
Noch im Ort laufen wir an der Zufahrt zum Schloss Goseck vorbei. Etwa im neunten Jahrhundert wurde hier eine Burg errichtet, die Stammsitz der sächsischen Pfalzgrafen war. Teile der 1053 geweihten Klosterkirche sind heute erhalten. 1997 wurde die Kirche umfangreich saniert. Eine Stiftung des Landes Sachsen-Anhalt hat im gleichen Jahr das Schloss übernommen und begann mit Sicherungsmaßnahmen zum Erhalt des Gebäudes, nachdem es lange Jahre als Kornspeicher und Jugendherberge genutzt wurde. Ein 20prozentiges Gefälle bringt uns hinunter zur Saale. Einige Helfer warnen uns vor der angekündigten scharfen Rechtskurve. Unten im Tal können wir dann das Schloss Goseck sehen, wenn wir über unsere rechte Schulter lugen.
Die Sächsische Saale begleitet uns nun auf den nächsten Kilometern. Der Fluss entspringt im Fichtelgebirge unweit Weißenstadt, nach 417 Kilometern mündet sie bei Barby in die Elbe. Der Saaleradweg führt über die gleiche Distanz und gilt als einer der anspruchsvollsten in Deutschland. Besonders im Oberlauf und im Bereich der Saaletalsperren ist ein gewässernahes Radeln häufig unmöglich.
Fünf Kilometer sind gelaufen, da führt uns der Weg hinein nach Eulau, einem Ortsteil der Stadt Naumburg. 500 Einwohner leben hier. Nur kurz halten wir uns in Eulau auf, dann führt uns eine Straße wieder hinaus. Ich komme mit Peter Kohlschmidt ins Reden. Wir stellen fest, dass wir in meinem Landkreis nur gut zehn Kilometer auseinander wohnen. Der Peter will auch einmal meinen Verein im Training besuchen. Von Marathon4you und einem Neuburger, der spezielle und lange Laufevents besucht, hat er schon gehört. Nur der Name fällt ihn nicht ein. Ich helfe ihm auf die Sprünge: Anton Lautner.
An der Naumburger Weinmanufaktur verlassen wir die Straße und wechseln wieder auf den Radweg, wo wir nach 45 Minuten Rennerei die erste Tankstelle aufsuchen können. Wasser und Bananen stehen im Angebot. Später führt uns die Reise weiter auf einer Wohnstraße. Wohnhäuser und kleinere Weinberge wechseln sich an der Abbruchkante des Bergzuges ab.
Kurz vor Freyburg wartet die zweite V-Stelle, die mir schon mehr gefällt. Gibt es doch „Schwarzes Gold“ als Rosé zusätzlich zum Trinken. Da lasse nicht nur ich das Wasser stehen, das in unseren Landen die Ochsen bekommen. Und lobe dafür den Wein. Der Becher wird geleert und die Helfer wollen schon nachschenken. Doch Peter und ich ziehen weiter.
Oberhalb des herzoglichen Weinbergs steht Schloss Neuenburg auf einem Sporn der Hochfläche über der Unstrut. In dessen Tal sind wir nun unterwegs. Das Schloss war einstmals eine der größten Burgen der Landgrafen von Thüringen. Im elften Jahrhundert wurden die ersten Ringmauern hochgezogen, die Bautätigkeit dauerte noch bis ins 15. Jahrhundert an. Seit einigen Jahren wird das Schloss als Museum und für die Gastronomie genutzt.
Die Stadt Freyburg mit ihren knapp 5000 Einwohnern tangieren wir nur kurz. Gern hätte ich einen Abstecher in das Zentrum mit Rathaus und Marienkirche gemacht. Unter den Landgrafen wurde Freyburg 1203 erstmals erwähnt und erhielt ein paar Jahre später um 1261 das Stadtrecht. Heute befindet sich hier der Sitz der Rotkäppchen Sektkellerei, eine ostdeutsche Marke, die sich nach der Wende im Gegensatz zu vielen anderen Firmen nicht gehalten hat, sondern heutzutage sogar Marktführer ist. Im Bereich der Innenstadt haben Polizei und Helfer den Verkehr im Griff. Wir haben Vorfahrt und verlassen die Stadt auf dem Radweg der Weinstraße Saale-Unstrut.
Bei der dritten Tankstelle empfiehlt uns der Helfer den selbstgebrannten Obstler. Prost, ich gieße mir eine Kostprobe hinter die Binde und bin der einzige Genießer. Die anderen Läufer trauen sich nicht zum Degustieren.
Ortseingang, die Feuerwehr hat den linken Teil der Straße für uns abgesperrt. Ich hole mir einen Riesenanschiss ab, als ich das Ortsschild fotografiere. Ein paar Meter beim Feuerwehrhaus betreiben die Floriansjünger eine Tankstelle und schenken dem Feuerwehrkameraden auf der anderen Seite des Tisches auf Nachfrage auch Gerstensaft aus. Danke, Freunde. Die romanische Kirche hier stammt aus dem 13. Jahrhundert, das Dorf wurde jedoch schon im 7. oder 8. Jahrhundert durch Slawen gegründet. Auf einer schmalen Holz- und Eisenbrücke verlassen wir den Ort und überqueren die Unstrut.
Nun folgt ein Radweg, der uns nach Laucha bringt. Ich habe seit einigen Kilometern mein Tempo erhöht. Ich fühle mich gut und außerdem nervt mich der Wind, der permanent von vorne bläst. In Laucha feiern wir Bergfest, die Hälfte ist geschafft. Hier starten um 10.00 Uhr die Halbmarathonläufer, die jetzt, eine Stunde später, über alle Berge sind. 3000 Einwohner hat der Ort, der zur Gemeinde Unstruttal gehört. Einige dieser Bewohner stehen am Rand der Strecke und feuern uns an. Als Luchau wurde die Ansiedlung bereits im Jahr 926 benannt, ebenfalls haben Slawen hier gesiedelt.
Wir laufen an der Stadtkirche St. Marien vorbei. Die wurde im 15. Jahrhundert erbaut. Anzuschauen wäre das Rathaus (aus dem 16. Jahrhundert), der Marktplatz und die Stadtmauer. An der Unstrutmühle (1847 errichtet) verlassen wir wieder den Ort.
192 Kilometer lang ist die Unstrut, die bei Kefferhausen im Eichsfeld entspringt und als wasserreicher Zufluss bei Großjena in die Saale mündet. Im Unterlauf wird hier fleißig Wassersport (Kanufahren) betrieben. Von den Ruderern kommt Applaus auf die Strecke herüber, ich winke zurück. Später werde ich die Wanderer im Zielbereich wieder treffen. Die Tank- und Verpflegungsstellen sind nun alle drei bis vier Kilometer, verdursten und hungern braucht keiner bei Wasser, Mineralgetränk, Apfelschorle sowie Bananen und Äpfel. Später verlassen wir den geteerten Radweg, ein Feldweg führt leicht bergan, einige der Marathonis fallen in den Wanderschritt.
Wir tangieren Burgscheidungen nur kurz und laufen dann auf der Ortsverbindungsstraße Richtung Karsdorf. Uwe Lakmann vom Weyher Lauftreff hat sich seine Kraft gut eingeteilt. Er verwickelt mich in ein Gespräch, quasselt ohne Unterlass, während dem Reporter die Luft ausgeht, weil der sein Tempo mitgeht. An der folgenden Tankstelle hat er sich schon ein Bierchen reichen lassen, als ich ankomme. Ich nehme mir einen großen Schluck und mache mich gleich davon. Es dauert nur zehn Minuten, da hat Uwe schon wieder aufgeschlossen.
Die evangelische Kirche St. Laurentius dominiert den knapp 2000 Einwohner zählenden Ort. Am Ortseingang sehen wir linkerhand das Zementwerk, Hauptarbeitgeber der Gemeinde. Bevor ich die Kirche näher betrachten könnte, werden wir nach links eingewiesen, wo an der Verpflegungsstelle Uwe einen Krapfen verdrückt. Die Reste des Puderzuckers hängen in seinem Bart, ich muss lachen. Zehn Minuten später lacht er, als er mich wieder überholt.
Nun geht es kilometerlang auf einen Radweg, du siehst ewig weit, zudem macht mich der weiter blasende Wind mürbe, ich muss mein Tempo drosseln. Ich habe vielleicht in den letzten vier Wochen zu viele lange Sachen gemacht. Es dauert geraume Zeit, dann laufen wir unter der Schnellzugstrecke Erfurt/Leipzig durch, die schon seit einiger Zeit in Betrieb ist.
Reinsdorf, der Ort gehört schon zur Stadt Nebra, die Restkilometer sind mittlerweile einstellig geworden. Ein Stuhl mit einem gefüllten Wassereimer drauf wird vom Vordermann genutzt. So muss sich der Wandersmann nicht bücken für die Hand voll Wasser. Vor der Dorfkirche steht eine weitere Tankstelle.
Wellig wird es in Nebra, noch vier Kilometer. 3500 Einwohner zahlt die Stadt an der Unstrut, im 12. Jahrhundert wurde das Stadtrecht verliehen. Mittlerweile kommen die Radfahrer herangefahren, die eine Stunde nach uns gestartet sind. Ich habe es nicht bemerkt, wann denn die Spitze gekommen ist. Sehr lobenswert ist es, dass sie uns mit „Respekt“ und „tadellose Leistung“ anfeuern.
Dann steht ein Läufer mit Kamera da, der Jens-Uwe Börner von der Gänsefurther Sportbewegung. Ich kann nicht sagen, ob der Jens-Uwe schon seinen Marathon beendet hat, auf mich gewartet hat oder von hinten gekommen ist. Ich bin mittlerweile platt. Wir verlassen Nebra und nehmen die letzten drei Kilometer in Angriff. Genau bei Kilometer 39 befindet sich die letzte V-Stelle. An einem Waldspielplatz stehen zwei weitere Fans. „Die standen schon letztes Jahr hier und machten Remmidemmi“, so Jens Uwe.
Kilometer 41, irgendwann muss jetzt noch die ultimative Steigung kommen. Wir verlassen den Unstrutradweg und überqueren die Bahnlinie. Gleich daneben liegt der Bahnhof, von dem aus wir mit Medaille und/oder Startnummer kostenlos mit der Burgenlandbahn nach Naumburg zurückfahren können.
Jetzt kommen uns viele Finisher entgegen und bekommen applaudiert. Nur noch zwei Kurven und nur noch 400 Meter, höre ich. Das kann nicht stimmen, begann der letzte Kilometer erst kurz vor dem Bahnhof. Die nächste Gruppe sagt „noch 700 Meter“, das kann schon richtiger sein.
Dann bieg ich auf die Zielgerade ein, ich sehe die Arche in 400 Meter Entfernung, weit oberhalb, vielleicht 50 Höhenmeter. Mir haut‘s nun die Panzersicherung hinaus, muss gehen. Anderen Läufern geht es nicht besser. Ich lese „Sehnen lügen nicht“ und „Entdecke den Kenianer in dir“. Deute den letzten Spruch um in „entdecke die Schnecke in dir“. Steil, steiler, ich sehe das Transparent mit Start, nicht Ziel. Egal, nur mehr 50 Meter, der Moderator lässt mich wieder ins Traben kommen. Und dann ist der Marathon geschafft, der Läufer erledigt. Medaille umgehängt, Orangenlimo zugereicht, ich schnappe nach Luft und lasse mich auf einer Bierbank (ohne Bier) nieder.
Ich realisiere, dass ich mich soeben in den Himmel hochgearbeitet habe. Die Medaille ist der Himmelsscheibe von Nebra nachempfunden. Das 32 Zentimeter im Durchmesser bei einer Stärke von 4,5 Millimetern in der Mitte und 2,3 Kilogramm schwere Original wurde im Jahr 1999 von Raubgräbern auf dem Mittelberg (etwa drei Kilometer von hier entfernt) gefunden. Durch ein Landesgesetz war der Fund wertlos, gehörte er doch rechtlich dem Land Sachsen-Anhalt. In einem wahren Krimi mit einigen Hehlern wurde der Fund in Basel von der Schweizer Polizei sichergestellt.
Ich verbleibe für meine weitere Arbeit im Zielbereich und sehe, dass die vielen Läufer und Radfahrer das bewusste Lächeln im Gesicht haben, das sagt, „ich hab's geschafft“. Ich glaube, ich muss auch nächstes Jahr hierher kommen. Was Waldemar, seine Familie und seine Helfer da auch die Beine stellen, das ist beachtlich. „Wir wollen hier touristisch und sportlich die Region weiterbringen,“ so der sympathische Olympiasieger. Damit liegt er richtig, die Läufer danken es mit einer Rekordbeteiligung von 1400 Teilnahmen, ein Zuwachs von 30 Prozent. Chapeau!
Marathon Männer:
1. Uwe Länger, 1. FC Union Berlin, 2.54.57
2. Lutz Kuhardt, LT Unterkirnach, 3.15.22
3. Andrej Wolf, SCC Schamede, 3.16.14
4. Thomas Machemehl, Berlin, 3.16.29
5. Thilo Korn, ARV zu Leipzig, 3.22.23
Marathon Frauen:
1. Maria Tomack, o.V., 3.25.33
2. Jana Haase, SG Adelsberg, 3.47.44
3. Juliane Grobe, o.V., 3.51.31
4. Annette Hüls, LG Welfen, 3.53.54
5. Annegret Nicht, Turtle Runners, 4.04.04
132 Marathonfinisher
Da empfiehlt sich eine Stadtbesichtigung von Naumburg mittels Stadtführer. Nur einige Details, der Dom St. Peter und Paul, Marktplatz mir Stadtkirche St. Wenzel und Rathaus, Wenzelsturm, Marientor, Max-Klinger-Haus und Nietzsche-Haus. Deutschland hat bei der UNESCO die Aufnahme des Naumburger Doms und der hochmittelalterlichen Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut beantragt. Im Juli wird sich das entscheiden. Naumburg ist derzeit gut erreichbar (ICE/IC-Bahnhof, Autobahn 9)