In Württemberg ist der Trollinger die meistangebaute Rotweinsorte. Die bekömmlichen Weine haben sich zu einem schwäbischen Nationalgetränk entwickelt. Zudem ist er auch Namensgeber der hiesigen Marathon-Veranstaltung. Da ich auch ausgesprochener Rotweinfan und zudem auch Schwabe bin, zwar ein Bayerischer - aber ist ja egal, liegt es nahe, auch mal den Trolli zu probieren …natürlich den Marathon und den Wein.
Zeitig aufstehen heißt es für mich und Jan, um rechtzeitig am Start im nördlichen Baden-Württemberg anzukommen. Zweieinhalb Stunden Anfahrt aus Augsburg müssen wir einplanen. Regengeschwängerte Wolken prägen das Bild um 5 Uhr bei unserer Abfahrt, aber weiter nördlicher im Ländle soll es tagsüber besser, ja sogar ganz passabel werden. Und siehe da, zwischen Ulm und Stuttgart reißt der Himmel auf und innerhalb einer Stunde haben wir strahlend blauen Himmel über uns. Was meine (Wein-)Vorfreude natürlich noch beträchtlich steigert. Wer kostet schon gerne im Regen.
So erreichen wir pünktlich eine Stunde vor dem Start unser Ziel am Frankenstadion in Heilbronn, wo uns am Theresienplatz in unmittelbarer Nähe des Startbereiches ausreichend Parkplätze zur Verfügung stehen. Start, Ziel und der komplette Eventbereich bis zum Zelt, wo Jan sich noch nachmelden und wir unsere Startunterlagen empfangen können, liegen zentral und schnell erreichbar im und um das Stadiongelände. Nach dem zehnten Geburtstag vom Vorjahr wird heuer mit der 11. Auflage des Trolli ein neues Jahrzehnt eingeläutet.
Gut gefüllt, auch ohne Jubiläum präsentiert sich unsere Tüte mit den Zugaben. Zum Finishershirt bekommen wir noch Laufsocken und natürlich die begehrte Flasche Marathon-Trollinger. Zudem erhält noch jeder Finisher eine Medaille, Urkunde und die Möglichkeit zur Massage. Gemeldet haben heuer wieder über 6.000 Läufer/innen, wobei 90 % für den Halbmarathon entfallen, der auch mit oder ohne Stöcke gewalkt werden kann.
Unser Timing passt heute optimal, ohne Stress und auch ohne irgendwelche Zeit totschlagen zu müssen, machen wir uns auf den Weg zum 2-3 Minuten entfernten Startplatz an der Neckar-Brücke. Startzeit ist 8.45 Uhr und mit Thunderstruck von AC/DC werden wir auf den Weg geschickt. Die Badstraße führt uns zum Einlaufen an einem Neckararm entlang, etwa einen Kilometer bis zur Rosenbergbrücke, die wir überqueren.
Ich grellen Gegenlicht sehe ich einen Wahnsinnigen auf einem 30 m hohen Turm vor mir balancieren. Seit 1985 steht das „Über dem Abgrund“ genannte Kunstwerk auf den Zinnen des „Götzenturms“, der früher der südwestliche Eckpfeiler der Stadtmauer war. „Viereckiger Turm“ hieß er damals, bis im 19. Jahrhundert der Götzenturm aus ihm wurde, da Goethe den Helden in seinem Schauspiel „Götz von Berlichingen“ vor einem Turm sterben lässt. Der berühmte Ritter saß während seiner dreieinhalbjährigen Gefangenschaft (1519-1522) eine Nacht im „Bollwerksturm“ ein, der durch die Stadtmauer mit diesen hier verbunden war.
Ein U-Turn führt uns nach der Brücke wieder zurück ans lauschige und schattige Ufer des Neckars. Das Wetter ist wirklich herrlich geworden, mit optimalen Lauftemperaturen von ca. 15 Grad. Dazu passt das wunderbare Angebot einer privaten Station nach 5 Kilometern am Straßenrand in Sontheim: frisch gebackener Hefezopf. Da kann ich mal nicht nein sagen, da mein erstes Frühstück doch schon recht lange her und im Anbetracht der frühen Morgenstunde auch ausgesprochen mager ausgefallen ist. Ein paar Straßenecken weiter wird mir dazu auch gleich an der ersten Verpflegungsstelle ein Gläschen Trollinger angeboten, mit dem ich die letzten Krümel hinunter spülen kann. Mit Michael Siebert ist auch gleich jemand gefunden, der mit mir anstößt.
An dieser Stelle möchte ich gerne einen Abschnitt aus Eberhard’s früheren Bericht zitieren: Bereits seit dem ersten Marathon wird der Trollinger auch an manchen Verpflegungsständen angeboten. Allerdings habe ich da nie zugegriffen, kann somit auch nicht berichten, wie sich Marathon und Wein vertragen.“ Ich bin da weniger zimperlich, halte es da eher wie Anton: Wenn sich ein guter Tropfen anbietet, sage ich nicht nein. So werde ich euch von dieser Erfahrung weitergeben und vielleicht vom Pfad der Tugend locken.
Einen weiteren Aspekt, es heute etwas gemütlicher angehen zu lassen, betrifft meinen physischen Zustand. Für mich steht heute der zweite Teil eines gemischten Doppeldeckers auf dem Programm. Gestern musste ich bereits bei einem kräftezehrenden Tennis-Punktspiel für einige Stunden meinen Mann stehen. Daher benötige ich vielleicht doch im Verlaufe des Marathons noch etwas Unterstützung in Form dieses Zaubertranks. Da meine Mannschaft an diesem Wochenende nicht genügend Spieler zur Verfügung hatte, musste ich einspringen. Mir passte das zwar nicht so recht ins Programm, aber man muss ja auch immer wieder mal was Verrücktes ausprobieren. Der Trollinger muss es heut halt richten, ich vertraue auf seine Kraft.
Aber bisher läuft es überraschender Weise noch besser als befürchtet, etwas zäh, aber es geht durchaus. Vor mir läuft wieder Michael, mit dem ich mich einige Zeit gut unterhalte. Irgendwann fällt mir eine Besonderheit an seinem giftgrünen Laufshirt ins Auge. Vorne steht „Finisher 2011“ und auf der Rückseite „Gran Canaria Maratón 2012“. Die „Kanarienvögel“ haben einen waschechten Fehldruck produziert, es auch rechtzeitig gemerkt aber dennoch nicht unter den Tisch gekehrt, sondern beim Zieleinlauf zusätzlich zum korrigierten Shirt an die Finisher verteilt.
Auf der Württemberger Weinstraße gelangen wir nach Flein, wo wir von vielen begeisterten Zuschauern empfangen werden. Vor einem Blumengeschäft werden wir sogar durch ein Spalier von fliegenden Blütenblättern geleitet. Hier zu Hause ist der bekannte „Fleiner Eselsberg“, ein Riesling, aber ich sehe ihn nicht im Angebot. Vielleicht darf der nicht ausgeschenkt werden, weil wir ja auf der Trollinger Strecke sind?
Schon vom Start weg geht es tendenziell immer leicht aufwärts, ab km 8 beginnt mit dem Aufstieg zum Haigern der bergigste Abschnitt. Auf knapp zwei Kilometer müssen 75 Höhenmeter mit bis zu 7,3 % Steigung bezwungen werden. Damit hat er sich den Beinamen „Kotzbuckel“ eingehandelt. Aber soweit ich sehe, bewältigen alle laufend und mit Bravour dieses Kriterium. So schlimm ist er auch halt auch nicht. Ich hätte liebend gerne mehr davon. Optisch präsentiert sich uns der Weg durch die Weinfelder an Steilhängen entlang wie ein bacchisches Amphitheater. Die Traubenblüte ist gerade am Anfang, die Reben fangen erst an zu treiben.