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Laufberichte

Ulm: absolut relativ

 

Relativ kühl

 

ist es noch, daher kann uns der bei km 2 auf den anderen Donauseite gelegene Pfuhler Badesee nicht allzu stark reizen. Beim Marathon in Palma de Mallorca, wo die letzten zwölf km bei meist brütender Hitze unmittelbar am Ufer verlaufen, hätte ich ein Königreich dafür gegeben. Allerdings verwöhnt uns schon die Sonne, die, wie auf Bestellung, zwei Minuten vor dem Start durchgebrochen ist.

Die Thalfinger Uferstraße führt uns zu km 4, der zugleich den nördlichsten Punkt der Strecke markiert, dann erfolgt erstmalig der Wechsel auf die bayrische Seite. Kurz nach der Brücke biegen wir nach rechts auf den Pfuhler Weg, jetzt parallel zum Hinweg mit einigen hundert Metern Abstand zur Donau, zurück. Nach 5 km gibt es am VP 1 zum ersten Mal Getränke, und die zum Selberschneiden. Nein, ich verulke Euch nicht, werft einen Blick auf das Foto. Jürgen spricht mich an. Ich solle doch mal darauf hinweisen, daß nach seinem Geschmack die Zugläufer viel zu spät, nämlich erst unmittelbar vor dem Start, ihre Plätze einnehmen und viele Läufer daher gar nicht wissen, wo genau sie sich plazieren sollen. Auftrag ausgeführt!

Eine Viertelstunde durch die Prärie braucht es, bis wir nach Km 7,5 km die Pfuhler Seehalle, eine Mehrzweckhalle, erreichen. Als erste von 33 angekündigten Bands/Kapellen heizt uns die Pfuhler Feuerwehrkapelle ein. Für meinen Geschmack soll auch etwas dabei sein, da bin ich mal gespannt.

Nette Idee: Teilnehmer und Zuschauer können im Anschluß an die Veranstaltung zwei Wochen lang abstimmen, welche Band die beste Stimmung/die beste Musik an der Strecke gemacht hat. Die beliebteste Gruppe wird von Radio 7 zu einem Musikevent eingeladen. Wolfgang vom Laufteam der Südwestpresse hat offensichtlich meinen Berichtstitel über Füssen gelesen und diesen für die Aufschrift auf seinem Shirt geklaut.

Wirklich schön ist der gute Zuschauerzuspruch in den dörflichen und städtischen Bereichen, das hervorragende Wetter lädt auch wirklich zum Mitfiebern ein. Direkt danach befinden wir uns kurz im größten Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl, der sich wegen seiner virtuellen Präsenz selber als der internetteste ganz Neu-Ulms bezeichnet.

Km 10 ist direkt bei einer Golfanlage, wieder genau an der Donau. Relativ unverständlich ist mir nicht erst seit eben, wie frau ohne Not von einer Läuferin zur Putterin werden kann, gell, Frau H. M.? Kurz dahinter gibt’s den VP 2 am Sportplatz Offenhausen. Die Band Farmer Sally überzeugt durch knallharte Riffs und schon wieder bricht einer aus dem Läuferfeld aus und macht sich headbangend zum Affen. Meine Stimme habt ihr!

 

Relativ brückenreich

 

wird es auf dem folgenden, langen Abschnitt. Zunächst kommen wir während der km 11 und 12 auf der Augsburger Straße über den Augsburger-Tor-Platz und die Gänstorbrücke wieder nach Ulm. Das Augsburger Tor als Teil der ehemaligen Bundesfestung Ulm (größte Festungsanlage Europas) wurde 1960 trotz Protesten aus der Bevölkerung zugunsten einer breiten Verkehrsstraße weitestgehend abgebrochen. Die Gänstorbrücke ist nach dem 37,5 m hohen Gänstor von 1360, einem heute noch erhaltenen Stadttor im Osten der mittelalterlichen Stadtbefestigung, benannt. Früher jagte man hier die Gänse durch das Tor auf die Gänswiesen, heute uns kreuz und quer durch die Stadt. In Ulm, um Ulm – Ihr wißt schon.

Vorbei am „Congress Centrum“ (diese pseudointellektuelle Vergewaltigung der deutschen Rechtschreibung schätze ich ganz besonders) umrunden wir großzügig das Zeughaus (das ist jetzt nichts Unanständiges, sondern ein ehemaliges Lagerhaus für Waffen und militärische Ausrüstungsgegenstände) und kommen an der St. Georgskirche und dem Seelturm mit seinem Zundeltor vorbei. Der etwa 20 Meter hohe Turm wurde im 14. Jahrhundert als Teil der Ulmer Befestigungsanlage auf dem Zundeltor beim Seelengraben errichtet. Benannt wurde er nach dem Seelengraben, an dem er steht, bzw. nach dem damals noch existenten Seelhaus. Dort nämlich versorgten Ordensschwestern „arme Seelen“, also Aussätzige, andere Kranke und sonstige Bedürftige. Seinen zweiten Namen verdankt der Turm dem im 18. Jahrhundert dort gelagerten Zunder.

Fast schon wieder am Ufer, vorbei am Gänsturm, wechseln wir über die Gänstorbrücke erneut ins Bayrische. Hier bleiben wir aber nur ein paar hundert Meter, und steuern, zuletzt an der sog. Kleinen Donau, einem alten Donauarm, schon wieder Ulm an.

 

Relativ selten

 

erst habe ich Brückenhäuser erblickt, vermutlich daher haben die Neu-Ulmer in Höhe der Herdbrücke auf die Donauinsel extra eines für mich hingesetzt. Wobei sich dieses deutlich von denen unterscheidet, die ich bisher, z.B. in Bad Kreuznach, gesehen habe. Sind es dort historische Bauwerke, die wirklich an einer Brücke quasi kleben, handelt es sich hier um eine ganz moderne Variante, die AN der Brücke AUF der Insel steht, aber genauso heißt wie die geklebten. Über die Attraktivität des Neubaus der Sparkassenzentrale samt separatem Wohnhaus mit 17 Wohnungen und einem weiteren Bürogebäude mit Penthouse läßt sich sicherlich trefflich streiten. Erst in der vergangenen Woche wurde es mit großem Tamtam eingeweiht.

Schon sind wir wieder auf der Württemberger Seite, verlassen diese aber nach kaum 300 m und dem Kurzbesuch des Rathauses (sagenhafte zehn Parteien und Gruppierungen sind hier im Rat vertreten!) erneut und wechseln über die gleiche Brücke abermals ins Weiß-Blaue. Die Kirche St.-Johann-Baptist, die wir streifen, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts aus Abbruchsteinen der Ulmer Stadtbefestigung errichtet, mehrfach erweitert und umgebaut und ist heute eine der bedeutendsten Sakralbauten im expressionistischen Stil. Vor dem Neu-Ulmer Rathaus versorgt man uns bei km 16 zum dritten Mal. Kurz dahinter sind wir am neu errichteten Bahnhofsgebäude, dessen optisch attraktiver Vorgängerbau wie so vieles andere den 2. Weltkrieg leider nicht überdauert hat. Eine glänzende Idee ist die Durchquerung der Glacis-Galerie, eines modernen Einkaufszentrums. Das hat was! Über den Petrusplatz mit gleichnamiger Kirche, die zur Zeit umfangreich saniert wird, nähern wir uns bei km 18 wieder der Donau.

 

Relativ auffällig

 

ist das unmittelbar an der Herdbrücke und damit gegenüber der Ulmer Altstadt gelegene Donau-Center, ein nicht mehr wiedergutzumachendes architektonisches Wohn-Verbrechen in Stahlbeton. Trotzdem ist der Klotz irgendwie faszinierend. Vor knapp zwei Jahren haben hier rund 500 Menschen aufgrund eines Legionellenbefalls monatelang aufs Duschen verzichten müssen. Auch der Gang aufs Klo war zeitweise eingeschränkt, eine echt besch… Situation. Ehrlich, in der Zeit hätte ich da keinen besucht.

Phantastisch ist der Blick über die Donau auf die Ulmer Altstadt und die Läuferkette vor der Stadtmauer. Das könnte man wirklich mal ein paar Minuten genießen, wenn man sich die Zeit nähme. Nach der Donauklinik, die nach eigener Aussage für qualitative hochwertige medizinische Versorgung in Wohlfühl-Atmosphäre zuständig ist (für uns ist keine Sanitätsstation vorgesehen) erstrahlt das Edwin-Scharff-Haus bei 19 km nach gründlicher Renovierung in neuem Glanz. Dem Ulmer „Congress Center“ ähnlich, bietet es neben zwei Sälen u.a.  Konferenzräume, eine Bühne u.v.m. 

Parallel zur Adenauerbrücke geht es rechts unterhalb dieser über einen Steg nach Ulm. Was jetzt folgt, ist ein Pendelverkehr, zunächst auf dem Donauschwabenufer, von fast vier km Länge beinahe bis zum ursprünglichen Startplatz an der Donauhalle. Ulm war zwischen dem Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Ausgangspunkt der Auswanderung der sog. Donauschwaben, die donauabwärts mit den Ulmer Schachteln (womit ausdrücklich nicht ältere Ulmer Damen gemeint sind, sondern flache Schiffe mit einem Haus drauf) in ihre neue Heimat im Südosten Europas, v. a. in den von den Osmanen befreiten Vielvölkerstaat Ungarn, fuhren. Heute kreuzen nur noch fünf Schachteln auf dem zweitgrößten und –längsten Fluß Europas, eine davon habe ich zweimal bildlich einfangen können. Zehn Länder passiert die Donau auf ihrem Weg zum Schwarzen Meer. 

 

Relativ alt

 

ist die mittelalterliche Stadtmauer, an deren Rand wir uns weiter voran arbeiten. Die damals bestehende wurde 1527 nach Albrecht Dürers Befestigungslehre umgebaut und hinsichtlich der aktuellen Waffentechnik optimiert. Die runde Adlerbastei z.B., die wir bald darauf passieren, diente mit ihren ebenfalls dem Wall vorgelagerten baugleichen Schwestern dem flankierenden Beschuß des Grabens. Wunderschön sind die langen km am niveaugleichen Ufer, das ist genau mein Ding. Die Wasserwacht paßt am „falschen“, also am Württemberger, Ufer auf, daß kein Lebensmüder ins Wasser geht. Nach 19 km verlassen uns die Halbmarathoner in Richtung Stadt und Ziel.

Am im vergangenen Jahr errichteten Ulmer Bootshaus (schwimmendes Restaurantgebäude auf der Donau) und an der jubelnden Gattin (die noch Zeit bis zum Start des 10 km-Laufs hat) vorbei sowie unter der Gänstorbrücke durch kommen wir zum Donaustadion. Dieses bietet 19.500 Plätze und ist die Spielstätte des SSV Ulm 1846 Fußball, der 2009 durch die Abspaltung der Fußballabteilung des bekannten Gesamtvereins SSV Ulm 1846 entstanden war. Als Fußballabteilung des Muttervereins hatte er sich in der Spielzeit 1999/2000 tatsächlich mal nicht ganz so erfolgreich in der 1. Bundesliga versucht. Seit der dritten Insolvenz 2014 spielt man in der fünftklassigen Fußball-Oberliga Baden-Württemberg. Relativ erfolglos also.

Relativ viele Trinkbecher landen hier in der Donau, ich kann im Gegensatz zu vielen anderen Punkten weder Auffangbehältnisse noch gute Geister entdecken, die sie einsammeln. Und so sorgt der Wind für ein Anwachsen der Plastikmüllberge im Meer. Irgendwie paßt das nicht, denn bei der Pastaparty hat man richtigerweise, offensichtlich zur Vermeidung wilder Müllberge in der Stadt, zwei Euro Pfand für einen Plastikbecher genommen.

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Informationen: Einstein-Marathon
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