„Die ersten 12 Kilometer ist es ein ganz normaler Marathon, dann kommen 7 Kilometer Bergwandern und den Rest läuft man entspannt bergab.“ Sagt mir Heiner Schütte. Damit ist eigentlich alles gesagt, den Laufbericht könnte ich mir sparen.
Aber einige Worte mehr hat der Brockenmarathon doch verdient. Er findet im Rahmen des Harz-Gebirgslaufes statt und den gibt es immerhin schon in der 37. Auflage. Da wundert es mich selbst, dass ich noch nie dabei war. Warum, das kann ich nur vermuten: Weil der Berg zu hoch ist - und das Wetter meist zu schlecht!
Die Ausrede Wetter gilt in diesem Jahr nicht. Für den Brocken sind 10 Grad vorausgesagt. Das ist schon was für Norddeutschlands höchsten Berg und so packe ich die Gelegenheit beim Schopfe. Da ich mich kurzfristig entscheide, muss ich schon Freitag anreisen. Anmeldeschluss war Ende September und am Lauftag sind keine Nachmeldungen möglich. Startunterlagen werden natürlich noch ausgegeben.
Nun ist es sicher keine Strafe, sich nur wegen der Anmeldung auf den Weg ins Zentrum von Wernigerode machen zu müssen. Wer weiß es nicht - die Stadt mit ihren Fachwerkhäusern, dem historischen Rathaus (soll eines der schönsten überhaupt sein) und dem Schloss ist sehenswert und ein Touristenmagnet. Ich bekomme nicht das Gefühl vereinsamen zu müssen, als ich zum Rathaus schlendere…
Im Rathaus wird bekanntlich gern und oft geheiratet, heute gibt es zusätzlich die Startunterlagen und die Möglichkeit, sich anzumelden. Man muss schon weit laufen, um einen würdigeren und ungewöhnlicheren Ort für so etwas Gewöhnliches wie eine Laufanmeldung zu finden.
Ich liebe Läufe, die am Samstag stattfinden. Nach einer erholsamen Nacht im „Sporthotel“ mache ich mich rechtzeitig auf den Weg zu dem am anderen Ende der Stadt gelegen Ortsteil Hasserode.
Wann rechtzeitig ist, verrate ich nicht. Selbst auf die Gefahr hin, dass ihr mich für einen Egoisten haltet. Aber lieber Egoist sein, als bei einer eventuellen Teilnahme in den nächsten Jahren verzweifelt nach einem Parkplatz suchen zu müssen, weil euer Auto schon da steht. Ich zumindest finde noch einen Parkplatz an der Hochschule Harz.
Die Parkplatzsuche ist sicher nicht leicht. Aber die Politessen drücken an diesem Tag nicht nur ein Auge zu… Das verrät der Startsprecher und schränkt ein: "Sofern ihr nicht gerade in einer Feuerwehrzufahrt parkt." Aber wer macht denn so etwas?
Umkleidemöglichkeiten gibt es in unmittelbarer Nähe des Starts, dort kann man auch seine Kleidung abgeben und duschen. Fürs Duschen ist aber noch zu früh…
Ich greife mal etwas vor. 118 Frauen und 630 Männer werden das Ziel erreichen. Allein beim Marathon, und es finden noch zahlreiche andere Läufe statt. Da ist schon was los am Start. Ich treffe auf einige Läufer aus meiner Gegend. Was nichts Ungewöhnliches ist, hier trifft man Leute aus jeder Gegend.
Die aus meiner Gegend, vom SC Riesa, muss ich natürlich fotografieren. Leider werden sie das Bild vergeblich im Laufbericht suchen. Es fiel der Zensur zum Opfer - Chefredakteur Klaus Duwe hat es einfach so weggelassen. Aber, liebe Riesaer, ihr müsst euch nicht ärgern. So verschwommen, wie das Foto war, hättet ihr euch ohnehin nicht erkannt.
Nächstes Foto: Hajo Meier. Das ich den hier sehe, das gibt mir Kraft. Wenn sich ein Läufer wie er, immerhin AK 75, so einen Brocken wie den Brocken zutraut, dann müsste ich 62jähriger Jüngling das wohl wie nebenbei schaffen. Denkt man. Aber Hajo erzählt mir, dass er zurzeit gut in Form ist, in diesem Jahr schon 4:35 gelaufen ist… Alter schützt vor Leistung nicht!
Am Start erleben wir Läufer ein unterhaltsames Programm. Von Jagdhorn bis Aufwärmgymnastik ist alles dabei. Und natürlich wird das Schild mit dem Brockenwetter gezeigt. Uns erwarten 10 Grad und Nieselregen. Da gab es schon trostlosere Aussichten…
Wie schon erwähnt, die ersten 12 Kilometer sind normaler Marathon. Im Vergleich zu dem, was uns am Berg erwartet, eigentlich das Aufwärmprogramm. Es geht meist leicht bergauf, aber man kann sich noch unterhalten. Ich komme mit Andreas Gäbler ins Gespräch. Er läuft heute seinen 50. Marathon. Glückwunsch – und dann müsste ich ihn eigentlich fotografieren. Aber nein – keine Zeit, denn wer in drei Stunden nicht auf dem Brocken ist, für den ist Schluss, der wird aus dem Rennen genommen. Um dieses Unglück nicht erleben zu müssen, habe ich mir Fotografierverbot erteilt.
Ich bin noch gar nicht lange unterwegs, da will ich nicht glauben, was ich sehe. Eine Frau mit Gehhilfen – man kann es wohl auch Krücken nennen. Die steht nicht an der Strecke, nein, die läuft vor mir, die hat eine Startnummer! Und ich muss noch einen Gang höherschalten, um sie überhaupt zu erreichen.
Wisst ihr, was ihr Arzt gesagt hat? Wenn es ohne nicht geht, dann soll sie mit Krücken laufen. Sie bleibt dann doch zurück. Und mal ehrlich, so richtig kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das Ziel erreicht. Und was lese ich später in der Ergebnisliste? Startnummer 4301, Bettina Keilen, 5:47:09 Stunden. Was für eine unglaubliche Leistung!
Logisch, dass ich sie trotz meines Fotografierverbotes aufs Bild bannen musste. Und wie ihr seht, habe ich später noch mehr Bilder gemacht. Manchmal denke ich, ich bin gar nicht so charakterstark wie ich denke…
Sollte jemand durch meinen Laufbericht dazu verleitet werden, auch mal den Brocken in Angriff zu nehmen, hier eine Warnung. Ihr werdet ein Schild sehen, auf dem zu lesen ist: Wasserscheide zwischen Elbe und… Ja und was? Weiß ich nicht, denn in diesem Moment macht es platsch. Die Pfütze ist nicht groß, aber tief und ich stehe wie unter einer Dusche, nur dass das Wasser von unten kommt. Und habe jetzt die Brühe im Schuh und vor Schreck vergessen, weiterzulesen. Jetzt weiß ich nicht, wohin das Wasser läuft, das nicht in die Elbe läuft. Ich nehme mal an, in die Weser. Aber eine gesicherte Erkenntnis ist das nicht.
Kurz vor Kilometer 9 geht es auf einmal ganz steil bergab. Nur wenige Meter und ich erwähne es nur, damit es euch nicht so geht wie mir. Denn ich sehe dort viele Leute und denke: Endlich ein Getränkestützpunkt – ich habe Durst! Das ist aber keiner, das sind nur viele Zuschauer, die mich dermaßen anfeuern, das es wie von selbst bis zum ersten Verpflegungsstützpunkt bei Kilometer 10 läuft. Wir sind jetzt am Ortsrand von Ilsenburg.
So etwa bis Kilometer 13 bleibt alles beim Alten. Ich laufe. Doch spätestens dort wird man daran erinnert, dass unser Ziel ein Berg ist. Aber noch wechseln sich Lauf- und Gehabschnitte ab. Und als ich so gehe, sehe ich vor mir ein Shirt, auf dem von hinten zu lesen ist: 2. Schloss Marienburg- Marathon. Und wenn man von hinten Schloss Marienburg-Marathon liest, kann das von vorn nur der Heiner Schütte sein…
Er erzählt mir, dass der Brockenlauf einer seiner Lieblingsläufe ist und dass er schon oft hier dabei war. Was auffällt: Das sagen viele! Aber hatte Heiner nicht gar Lieblingslauf gesagt? Ich weiß es nicht mehr genau – aber das würde ich ihm auch nicht abkaufen.
Sein Lieblingslauf muss doch der von ihm organisierte Schloss Marienburg-Marathon sein. Der findet am 22. November statt, der Halbmarathon ist fast ausgebucht und für den Marathon sollte man sich auch beeilen.
Kilometer 16, eine Linkskurve und ich sehe, was die Stunde geschlagen hat. Hier beginnt der Betonweg, einst für die Fahrzeuge der Grenztruppen angelegt. Ja, die hatten Fahrzeuge, die mussten sich nicht zu Fuß diesen Steilanstieg hinauf quälen - wie wir. Es soll ja Läufer geben, die da auch noch hochlaufen. Ich gehöre nicht dazu. Mir wird schon beim Gehen die Puste knapp. Und so geht das jetzt drei Kilometer. Nur unterbrochen von einem Plateau.
Und was sehe ich, als ich das Plateau erreiche – den Brocken mit seiner markanten Bebauung. Und was das Schönste daran ist – den hatte ich noch gar nicht erwartet. Ich hätte mir den Aufstieg schlimmer vorgestellt. Na ja, noch schlimmer…
Seit Kilometer 15 sind fast nur noch blaue Läufer unterwegs. Aber nicht was ihr denkt. An der dortigen Verpflegungsstelle gab es keinen Alkohol. Nein, wir wurden neu eingekleidet, bekommen Wetterschutzumhänge – sehen jetzt alle schick aus. Und ganz nebenbei sind wir auch noch vor dem einsetzenden Nieselregen geschützt.
11.42 Uhr stehe ich in 1142 Meter Höhe auf dem Brocken. So hat es mir zumindest Chefredakteur Klaus Duwe mitgeteilt, nachdem ich ihm die Bilder geschickt habe und ihm darauf die Uhrzeit aufgefallen ist. Ihm ist diese Punktlandung vor einigen Jahren auch schon mal gelungen. Die von Marathon4You sind eben gut!
Bekanntlich liegt oben auf dem Brocken so ein Brocken, vor dem sich jeder fotografieren lässt. Selbst Läufer. Und selbst auf die Gefahr hin, dass es Zeit kostet. Die am Stein befestigte Tafel mit der banalen Aufschrift „Brocken 1142“ beweist schließlich, das man ein Held ist.
Auch ich lasse mich fotografieren. Aber der mich fotografiert hat keine Ahnung. Wie sehe ich denn aus! Zweiter Versuch – diesmal drücke ich den Fotoapparat einer Frau in die Hand. Mein Gott, die hat auch keine Ahnung! Bleibt nur noch eins – ein Selfi. Aber besser sehe ich darauf auch nicht aus. Also an den Fotografen kann es dann doch nicht liegen…
Es werden wohl fünf Minuten sein, die ich auf dem Brocken vergammelt habe. Etwas umsehen wollte ich mich schon, ich war noch nie hier oben. Gern würde ich auch schreiben, die Aussicht war überwältigend, aber wie es sich für den Brocken gehört, gibt es keine Aussicht, sondern nur Nebel.
Nach dem Berg kommt das erholsame Stück. Sagte bekanntlich Heiner Schütte. Aber als ich die Straße Richtung Tal laufe, denke ich: Noch über 20 Kilometer! Ich glaube, ich war so auf den Berg fixiert, dass ich verdrängt habe, dass ich auch wieder runter muss. Ja, es geht sanft bergab, aber ich will eigentlich gar nicht mehr. Ich fühle mich ausgelaugt, muss bergab Gehpausen einlegen. Aber natürlich nur, wenn es keiner sieht. Und ich werde nicht selten beobachtet – es sind viele Wanderer Richtung Brocken unterwegs.
Ich glaube, es ist bei Kilometer 25, als wir die Straße verlassen und auf einen Waldweg einbiegen. Dort wartet auch gleich eine Verpflegungsstelle. Ich höre noch, wie ein Läufer nach einem kleinen Jungen fragt – da bin ich aber auch schon wieder weg. Kurze Zeit später erreicht mich der Läufer und erzählt mir eine Geschichte. Sie handelt von dem kleinen Jungen, den er vor zwanzig Jahren an diesem Stand kennenlernte. Er war mit seiner Mutter hier. Und heute wieder, inzwischen selbst als Helfer. Höchste Zeit, auch mal wieder den Helfern Danke zu sagen! 20 Mal als Läufer beim Brockenlauf mitgemacht zu haben, das ist schon was. Aber 20 Mal als Helfer dabei gewesen sein, das ist nicht weniger.
Wir sind jetzt auf dem Harzer-Hexen-Stieg unterwegs. Hexen sehe ich keine, wem wundert es, der bekannte Wanderweg ist fast hundert Kilometer lang, sie werden gerade woanders sein… Der Hexenstieg biegt ab, weiter geht es auf Waldwegen. Bis Kilometer 30, da geht der Waldweg auch weiter, aber plötzlich wieder bergauf. Wie schön, ein Grund mehr für eine Gehpause.
Dann öffnet sich der Wald. Ein Talblick, der einfach nur begeistert und uns zeigt: Da unten liegt Wernigerode, da unten ist das Ziel. Aber das ist noch weit. Jedoch stelle ich fest, dass ich immer besser in Form komme. Jetzt sind die Kilometerschilder so aufgestellt, dass sie uns sagen, wie viel Kilometer noch vor uns liegen. Noch fünf, noch vier… und schon taucht aus dem Wald heraus das Ziel auf. Geschafft!
Etwas später auf der Autobahn. Zwei Stunden stehe ich im Stau. Vielen in und neben den Autos sieht man die schlechte Laune an, sie sind genervt. Warum? Ich vermute, weil sie nicht so einen schönen Tag hatten wie ich…
Siegerliste Marathon
Männer
1. Malte Bruns LC Paderborn 02:53:55
2 Eike Eyermann Brockenlaufverein Ilsenburg 02:57:39
3. Stefan Seidel SG Adelsberg 03:00:37
Sieger Frauen
1. Britta Giesen Laufwerk Hamburg 03:28:61
2. Sylke Hübner NSV Wernigerode 03:44:36
3. Uta Jurkschat Rennsteiglaufverein 03:45:18
748 Finisher
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14.10.06 | „Aber schön war es doch“ |