Nach fünf Jahren zieht es mich wieder nach Kandel zum Bienwald Marathon. Petrus schickt uns ein Frühlingslüfterl, Sonnenschein und warme Temperaturen. Erste Blumen, Vogelgezwitscher, die Natur erwacht, Winter war dieses Jahr wo anders. Es war nicht immer so. Doch heute ist heute und der Genuss steht für mich im Vordergrund. Viele Teilnehmer halten es wie ich, doch einige nutzen die Strecke für einen Angriff auf die Bestzeit oder gehen gar zum ersten Mal auf den langen Kanten.
Für die Nacht habe ich mich in der Jugendherberge in Karlsruhe einquartiert. Wer keine Ansprüche hat, den bieten diese Herbergen eine preiswerte Unterkunftsmöglichkeit. Und der Zapfenstreich um 22.00 Uhr ist schon lange gestrichen.
Nach dem reichlichen Frühstück nehme ich eine Läuferin mit nach Kandel. Martina Best lief letztes Jahr am Bodensee ihre Premiere über die klassische Distanz unter vier Stunden. Ein Klasseergebnis. Nach gut 20 Minuten Fahrzeit wird die Karre unweit des Bienwaldstadions eingeparkt. Im Ort selbst sind Wegweiser für die Veranstaltung angebracht und an einigen Stellen stehen auch Einweiser, die den Verkehr schnell und zügig abwickeln.
Fünf Minuten gehen wir zur Bienwaldhalle auf der anderen Seite des Stadions, und drinnen herrscht schon emsiges Treiben. Vor der Halle bietet ein kleiner Bauernmarkt Schinken, Wurst, Honig und dergleichen an. Alles aus der Region.
In der Sporthalle brummt das Geschäft. Für die Hungrigen und jene, die ein zweites Frühstück brauchen, warten zahlreiche Helfer an der Kuchentheke, um die Wünsche zu erfüllen. Praktisch ist die Zahlung gelöst: Du kaufst einen Gutschein über fünf oder zehn EUR und die Helfer streichen die Beträge je nach Konsum ab. So geht keine Zeit beim Suchen von Wechselgeld verloren.
Übersichtlich sind auch die Helfer mit ihren gelben Shirts und der entsprechenden Aufschrift zu erkennen. An der Meldestelle erhalten die Teilnehmer ihre Unterlagen in Sekundenschnelle, dazu wird eine Papiertüte überreicht. „Nebenan erhalten Sie das Laufshirt,“ so werde ich in die zweite Halle geschickt. Das funktionelle Kleidungsstück kommt heuer in hellblauer Farbe daher. Und, das macht den Lauf sehr sympathisch und preiswert, das Shirt ist im Meldegeld bereits enthalten.
Das Startgeld reicht bei früher Voranmeldung beim Halben mit 17 EUR bis hin zu 36 EUR beim Marathon am Renntag. Zu lange warten soll man mit der Anmeldung nicht, denn 2200 Läufer gelten als Grenze. Aufgrund des sehr milden Winters sind viele Läufer gut vorbereitet und die Teilnehmerzahl kratzt die 2000er-Marke. Die lauffreundlichen Bedingungen, sonnig, kaum Wind und Temperaturen bis an die 20-Grad-Grenze, lassen viele Athleten in Kandel antreten.
Gegen 09.30 Uhr mache ich mich fertig zu Rennen. Derzeit hängt zwar noch das Thermometer in einstelligen Bereich, so nehme ich noch eine ärmellose Weste mit. Dafür strahlt schon die Sonne mit den Teilnehmern um die Wette, als wir in die Startzone aufgerufen werden. Es sind einige Startzonen ausgeschildert, wo man sich einordnen sollte.
Einige Pacemaker bieten ihre Dienste an, um den Wunsch auf eine bestimmte Zeitvorgabe zu unterstützen. So werden Zeiten von 3.00 bis 4.30 Stunden angeboten, alle Pacer sind an ihren gelben Shirts und Ballons deutlich zu erkennen. Ich werde im Laufe des Rennens versuchen, mich an die Gruppe der 3.45 Stunden-Läufer zu klemmen.
Punkt 10.00 Uhr ist es soweit: Zwar schießt uns nicht mehr der frühere Ministerpräsident Kurt Beck auf die Strecke, das übernimmt heute der Sozialminister Alexander Schweitzer. Die Strecke musste zwar wegen einer Baustelle in Minfeld noch ein wenig umgelegt werden, dafür ist der Start direkt vor der Bienwaldhalle.
Nach ein paar Sekunden und Fotoschüssen kann auch ich das Starttor durchschreiten. Pack mas, die Marathondistanz wartet auf seine Bezwinger. Ein kurzer Schwenk am Waldrand und dann laufen wir nach rund fünf Minuten bereits in Kandel ein.
In der Ortsmitte biegen wir auf die Bundesstraße 427 ein und laufen Richtung Minfeld. Die Straße ist für den Verkehr komplett gesperrt. So können wir uns ausbreiten. Eng ist es an keiner Stelle. Viele Zuschauer sind hier nicht zu sehen, nur einige beobachten die Szenerie und klatschen. Wer einen Lauf mit Stimmung haben will, ist im Bienwald verkehrt. Wer seine Form prüfen will oder bei wem eine lange Einheit auf dem Plan steht, der ist hier genau richtig. Und wer Berge hasst, auch.
Wir sehen noch einige schöne Fachwerkhäuser und dann verlassen wir Kandel. Rechterhand gewinnen einige Windräder Energie, der kaum vorhandene Wind lasst sie träge und langsam auf dem Galgenberg drehen. Das Läuferfeld ist fröhlich und winkt mir als Fotograf freundlich entgegen.
In Minfeld, dem letzten Ort, bevor wir im Bienwald verschwinden, empfangen uns am Abzweig an der Bundesstraße einige Leute, die nicht mit Applaus geizen. Am Ortsausgang bei Kilometer fünf können wir verpflegen: Wasser, Mineralgetränke und warmer Tee werden gereicht. Obst und Cola kommen später noch hinzu. Und um in der Zielzeit und im richtigen Tempo zu bleiben, werden alle Kilometer angezeigt.
Unsere Laufstrecke wird dann ein wenig schmaler, aber Platz ist immer noch genügend. Der Bienwald ist ein rund 120 Quadratkilometer großes, westlich des Rheins gelegenes Landschaftsschutzgebiet, das größtenteils auf dem Grund von der Stadt Wörth liegt. Der Wald bietet eine Heimat für über 150 gefährdete und seltene Pflanzenarten. 120 verschiedene Vogelarten betreiben hier ihr Brutgeschäft. Wer seine Ohren spitzt, wird heute unterschiedliches Vogelgezwitscher hören. Nur wenn man Glück hat, kann man die hier heimische Wildkatze sehen. Gar nicht zurückhaltend und scheu dagegen sind die zweibeinigen Laufkatzen, die meist in Gruppen im Bienwald auftreten.
Unser Weg führt an der Hardtmühle vorbei, wo mich Charly, ein Freund unseres Reporterkollegen Bernie, grüßt. Bernie laboriert immer noch an seiner maladen Achillessehne und hofft, demnächst wieder für M4Y unterwegs zu sein.
Erst vor wenigen Jahren wurde hier die Bienwaldruhe geschaffen, ein Friedhof zur Naturbestattung. Wir laufen daran vorbei. Kurz nach dem Naturfreundehaus biegen wir auf die Kreisstraße K 15. Hier können wir zur Abwechslung die Leitpfosten zählen, wenn Langeweile einkehren sollte. Kurz danach wird bei Kilometer zehn die Zeit genommen und angesagt. Auf der anderen Seite kommt uns bereits die Spitze des Halbmarathons entgegen. Schnell wird das dichter.
Kurz nach dem zwölften Kilometer ist die Wende für die Halben. Das Verhältnis von Marathon zum Halben ist hier ähnlich wie anderswo auch. Rund 1300 laufen die 21,1 Kilometer, knapp 600 den Marathon. Wer jetzt als gemeldeter Marathoni schon platt ist, darf umsteigen und wird auch gewertet. Nach der Wendestelle wird es sehr übersichtlich. Meine Wahl, mich an der Gruppe der 3.45-Läufer zu orientieren, ist richtig.
Auch einen lieben Freund sehe ich wieder. Im Bad Füssing absolvierte er seinen 199. Marathon, heute feiert Petr Kuchar aus Kladno ein Jubiläum, seine Nummer 200 über die klassische Distanz. Kurz danach läuft die Gruppe auf Kati Schramm auf, auch gelegentlich als Schreiberling für M4Y tätig. Nur für zwei Stunden würde ihr die Kraft reichen, meint sie. Schaun mer mal, wie es ihr nausgeht.
Schon bald kommen uns auf der anderen Straßenseite die Dreistundenläufer entgegen, die in einem Wahnsinnstempo in Richtung Halbzeit rennen. Da sind fast noch 20 Athleten dran, während bei uns eine Hand zum Zählen ausreicht.
Schon frühzeitig kündigt eine Guggenmusik den Ort Schaidt an. Die schrägen Töne werden immer lauter, dann biegen wir rechts ab und laufen zum Wendepunkt eins in einem Industriegebiet. Der 2000 Einwohner zählende Ort, der heute zur Stadt Wörth gehört, war früher Zentrum der Korbwarenindustrie. Wende eins, es geht wieder zurück, aber die Hälfte ist noch nicht geschafft.
Die Tommler und die Blechmusi sind weiter am Spielen. Ich kann nicht anders, und mache mit den Musikanten der Jockgrimer Feierbatscher Faxen und Bilder. Ein Läufer aus dem Gegenverkehr reißt mir die Kamera aus den Hand: „Damit du auch drauf bist!“ Meine 3.45er Gruppe hat durch meine Kasperei einen Vorsprung von über 100 Meter herausgelaufen. Bis ich das wieder aufgeholt habe, vergehen zwei Kilometer.
Auf der Gegenseite wird dann das Feld dünner. Zuerst kommt mir die Startnummer 1 entgegen. Angelika Abel trägt sie, weil die zuteilung nach dem Alphabet geht. Sie einen deutlichen Vorsprung auf ihren Lauffreund Eberhard, der aber meint, sie noch einzuholen.
Kurz nach der Halbmarathonmarke (hier wird die Zeit genommen) biegen wir auf einen schmaleren Asphaltweg ein. Im Zickzack müssen wir fünf Kilometer bis zur Wende zwei hinter uns bringen. Das Feld ist nun weit auseinander, aber trotzdem bekommen wir einen Rüffel von einem Spitzenläufer, der schon zurückkommt. „Müsst ihr zu viert nebeneinander laufen“, schimpft er.
Ich mache noch zwei Bilder von der 3.45er-Gruppe, die kurz zuvor eine neue Anführerin bekommen hat, und mache mich dann nach vorne aus dem Staub. Vielleicht gelingt mir ein weiterer negativer Split – das würde schon taugen.
Kurz vor Büchelberg ist die Wende zwei. Man glaubt, die Strecke steigt etwas an, wenn auch nur im Mikrobereich. Ein paar Helfer sind hierher abkommandiert und wachen darüber, dass alles in geregelten Bahnen abläuft. Eine mitlaufende Kamera lässt keinen Platz für Beschiss.
Erzählen will ich euch, dass auf diesem Kurs schon zwei Mal Deutsche Meisterschaften (1984, 1989) und eine Quali für Olympische Spiele (1984) stattfand. Aus dem Jahr 1984 stammen so auch noch die Streckenrekorde von Ralf Salzmann (2.14.15 Stunden) und Susamme Riermeier (2.38.13). Diese Zeiten würden zwar nicht in Berlin, aber bei vielen nationalen Veranstaltungen auch heute noch für einen Sieg locker ausreichen. Nächster Jahr feiern die Pfälzer ein Jubiläum, den 40. Marathon. Der Halbmarathon steht seit 1999 im Angebot.
Es geht zurück. Nochmals kann man das Feld gut beobachten. Ich lasse es laufen und kann mein eingeschlagenes Tempo halten. Der 30. Kilometer ist noch auf dem schmalen Teerweg markiert, doch dann biegen wir wieder auf die breite Kreisstraße.
Kurzzeitig ist mir langweilig, so vertreibe ich mir die Zeit mit Leitpfostenzählen. 20 Pfosten später ist ein weiterer Kilometer geschafft. Mittlerweile wird auch an den V-Stellen Cola ausgeschenkt. An einer Tankstelle sehe ich einen Helfer mit einem Zitronenfalter an seinem Zeigefinger. Das Insekt hat dort die Reste von Cola oder Iso erschnüffelt. Die Restkilometer sind bereits einstellig, als wir in Richtung Naturfreundehaus abbiegen.
Kilometer 38, wir verlassen nun den Bienwald, links und rechts von der Rennstrecke sehe ich große Wiesen. Der Ausflugsverkehr per Pedes oder mit dem Velo (wie Daniel einen Drahtesel nennt) nimmt zu. Die Leute haben gut zu Mittag gegessen und brauchen jetzt ein wenig Bewegung. Und wir brauchen langsam auch etwas Nahrhafteres als Iso und Wasser oder Bananen und Orangen.
Kilometer 40, wir setzen am Floßgraben zum Endspurt an, die Stadionsprecher sind bereits zu hören. Nur einer ist noch besser drauf als ich und lässt mich buchstäblich stehen. Auf der Straße zum Stadion kann ich mich dann bei zwei Marathonis revanchieren. Es geht ins Stadion, die Markierung 42 ist ausgangs der Gegengerade und dann winkt mir schon Klaus aus dem Zielkanal zu. Wieder ein Marathon im Sack. Klaus klopft mir auf die Schulter: „Super gemacht, unter 3.40 Stunden. Da drüben wartet dein Lieblingsgetränk.“
Eine Halbe Erdinger und ein paar Orangenschnitze, das reicht mir als Verpflegung im Stadion. Ich warte noch kurz, um einige Läufer abzuklatschen und mache mich dann auf zum Duschen und in die Bienwaldhalle. Der Chef empfiehlt mir Saumache, die Pfälzer Spezialität, die Ex-Kanzler Kohl oft seinen Gästen servierte.
Und was kommt da rein: Zwää Zwiwwle, dobbld so viel Subbegrien, es Draifach an Grumbeere, es Segsfach an geraischadm Peeklflääsch, Muskaad, Mayoran, Dhymian, Pimend, Peffa, Loawea, Korianda, Knoblaach. Die Mass wärd bei 85 – 90 C lang gegaad. Und dann mit Klees, Grumbeere orra Piree un mid Kraut särviad und gfressa.
Wohl bekomm's. Bis zu meinem nächsten Lauf in der Pfalz will ich nicht mehr so lang warten.
Weitere Bilder vom Bienwald Marathon gibt es hier
Teilnehmer im Ziel:
Marathon 539; Halbmarathon 1281.
Streckenbeschreibung:
Alles asphaltiert. Kurs führt über abgesperrte Straßen, Wald- und Wirtschaftswege. Zwei Wendepunkte. Die Teilnehmer sehen das Feld zwei Mal.
Wettbewerbe:
Marathon, Halbmarathon.
Zeitnahme:
ChampionChip.
Auszeichnung:
Urkunde (über Internet oder am Lauftag mitnehmen) und Laufshirt für jeden Teilnehmer. Medaille kann gekauft werden.
Verpflegung:
Alle fünf Kilometer mit Wasser, warmen Tee, Iso, Obst, später auch Cola. Im Ziel zusätzlich alk-freies Weizen.
Fazit:
Schnelle Strecke, deine Bestzeit ist in Gefahr. Für die schnelle Truppe!
Männer
1 Schneble, Gerhard (GER) TV Gailingen 02:35:59
2 Fischer, Martin (GER) TV Offenbach 02:37:38
3 Dörr, Hans-Jörg (GER) TV Hatzenbühl 02:38:30
Frauen
1 Grüber, Almuth (GER) Engelhornsports 02:54:04
2 Veith, Pamela (GER) TSV Kusterdingen 02:59:42
3 Fromm, Nadine (GER) Team Ronhill 03:00:00
519 Finisher