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Laufberichte

Mit Speed durch die Natur

 

War das wirklich eine gute Idee? Dem Bienwald-Marathon im südpfälzischen Kandel eilt ein spezieller Ruf voraus. Dem eines schnellen Laufs: Ganz flach, ganz wenig Kurven, 100 % Asphalt durch (fast) 100 % Natur, prädestiniert für „PB“-Ambitionen. Allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem man normalerweise noch gar nicht auf Schnelligkeit und schon gar nicht auf 42 Kilometer gepolt ist. Vor zwei Wochen noch überzog Hoch „Hartmut“, passender Russen-Peitsche tituliert, mit beißender Kälte aus dem Osten das Land und ließ bei minus 15 Grad meinen Long-Jog zum Short-Walk schrumpfen. Und jetzt und heute, am zweiten Märzsonntag, soll ich Marathon laufen?

Wie dem auch sei: Man darf es durchaus auch etwas langsamer angehen. Rede ich mir zumindest ein. Trotz (oder auch wegen?) der marathonischen Unzeit hat sich in Kandel ein echter Klassiker der deutschen Marathonszene etabliert. Seit 1976 und damit zum nunmehr 43. Mal können winteraktive Läufer, und das sind typischerweise welche der Spezies "ambitioniert", zeigen, was in Ihnen steckt. Und bei frühlingshaften 13 Grad gibt es auch wettermäßig keine Ausrede.

 

 

Immerhin über 2.100 sind es, die sich für den gemeinsam startenden Marathon und Halbmarathon angemeldet haben, wobei das Verhältnis etwa bei ein zu drei Vierteln liegt. Eine stolze Zahl, wie ich meine. Treff- und Sammelpunkt vor dem Start ist die Bienwaldhalle am Ortsrand von Kandel. „Früher Vogel fängt den Parkplatz“ könnte man sagen, denn das Gelände rund um die Halle und das Stadion gleich daneben ist schnell zugeparkt und je später man kommt, desto länger ist der Aufwärmmarsch vom Stellplatz, den die Helfer zuweisen. Ich bin vorgewarnt und früh dran. Und habe entsprechend Zeit und Muße, die wärmende Halle auszukosten. Hier bekomme ich meine Startnummer, nebenan im Messezelt das Teilnehmershirt, und kann bei einem Käffchen entspannt den zunehmenden Trubel beobachten. Allerorts, in und vor der Halle, ist man noch dabei, alles für den „Apres Run“, das große Feiern nach dem Lauf, herzurichten, drinnen die Bühne und das Kuchenbuffet, draußen die Stände von Anbietern lokaler Spezialitäten. Ich freue mich schon jetzt darauf.

 

Auf geht’s

 

Erst kurz vor 10 Uhr leert sich die Halle, aber dann schlagartig. Umso voller wird es nun vor dem Startbogen vor der Halle. Schilder mit Zielzeiten erleichtern die richtige Positionierung im Feld. So genau nimmt es aber niemand. Ausreichend Platz gibt es ohnedies und sehr relaxt ist die Stimmung. So relaxt, dass ich die Tatsache, dass der Startschuss schon gefallen ist, erst merke, als sich der Pulk vor mir auf einmal in Bewegung setzt. Ehe ich mich versehe quere ich die fiepende Startlinie – das erste Laufabenteuer der Saison beginnt.

Von Anfang an ist das Grundtempo hoch. Beeindruckend ist der Läuferlindwurm, der sich durch die erste langgezogene Kurve zieht. Nach einem ersten Naturschnuppern holt uns kurzzeitig die Zivilisation nochmals ein. Wir queren einen beschaulichen Außenbezirk im Westen Kandels. In Reih und Glied stehen die Häuslein hier, darunter einige hübsche Fachwerkhäuser. Gleich hinter dem letzten Haus signalisiert ein Schild: die Ortsgrenze Kandels ist endgültig erreicht.

 

 

Weiter geht es auf der allein für die Läufer reservierten B 427 gen Westen in Richtung Minfeld. Fünf einsame Windräder drehen sich, die winterkahlen Felder überragend, träge am Horizont. Eine fast schon bleierne Ruhe und Stille liegt über dem Land. Dynamik versprüht in dieser Umgebung allein die Läuferherde. Flott geht es dahin. In Minfeld verlassen wir die Bundesstraße, drehen eine Schleife durch den stillen Ort, ehe am Ortsausgang, nach 5 km, die erste Verpflegungsstelle auf uns wartet.

Auf einem kleinen Sträßlein geht es weiter durch die Wiesen. Aus der Straße wird ein breiter Weg, der uns zunehmend auf den nahenden Wald einstimmt. Das Naturfreundehaus, wo sich überraschend viele Zuschauer zum Anfeuern versammelt haben, bei km 7 signalisiert uns final: Jetzt geht es ….

 

… rein in den Bienwald

 

Summa summarum knapp 30 km sind es, die wir während des Marathons in jenem Wald verbringen, dem der Lauf seinen Namen verdankt: Dem Bienwald. In dem etwa 120 km² großen, dicht bewaldeten Landschaftsschutzgebiet hat sich eine urtümliche Flora und Fauna bewahrt. Ein dichtes Netz aus Bächen durchzieht die schwer zugänglichen Gehölze aus Buchen, Eichen und Kiefern. Vögel, Amphibien, Käfer – all das hat hier in Vielzahl und variantenreich seinen Lebensraum, für uns Läufer freilich im Verborgenen. Nicht ganz klar ist, woher der Name „Bienwald“ eigentlich stammt. Eine Erklärung ist, dass das „Bi“ von den Bienen abgeleitet ist. Immerhin war der Wald schon im 7. Jahrhundert als „Biwalt“ bekannt, was ihm gar eine historische Dimension verleiht.

Aus der Läuferperspektive bleibt vor allem eines hängen: Eine ziemlich undurchdringlich wirkende Wand aus unzähligen schmalen, sich dicht an dicht reihenden Baumstämmen. Zu ihren Füßen türmen sich Massen welker, brauner Blätter und lassen erahnen, welche Laubmengen die Bäume von Frühling bis Herbst krönen.

 

 

Vom Abzweig beim Naturfreundehaus aus stoßen wir weiter in das Herz des Waldes vor und treffen kurz nach km 9 auf die wieder etwas breiter und besser ausgebaute K 15. Für viele Kilometer bildet diese Straße nun unser Laufband.

Gen Westen geht es immer geradeaus entlang der Schneise, die die Straße in den Wald geschlagen hat. In der Gegenrichtung der ansonsten verkehrsgesperrten Straße sehe ich es am Horizont auf einmal blinken. Es ist ein Polizeimotorrad, das sich langsam nähert. Im Gefolge: Der führende Halbmarathon-Läufer, wieselflink und schon auf dem Weg zurück nach Kandel. In 1:05:34 wird er sein Ziel erreichen. Deutlich dahinter tröpfeln die Verfolger zunächst nur vereinzelt ein. Mich erwartet dagegen erst einmal die Messmatte bei km 10. Und darf hier eine Spezialität des Bienwald-Marathon erleben: Alle 5 km und so auch hier ruft ein Streckenposten jedem Läufer die Bruttozeit zu.

Immer dichter wird der Strom der Halbmarathonläufer auf der Gegenspur, deren Gesichter von total gestresst bis total entspannt die ganze Palette potenzieller Läufermimiken abbilden. Etwa bis km 12,5 währt der face to face-run, dann ist abrupt Schluss damit. Mitten auf der Straße und ganz unspektakulär ist der Wendepunkt für die Halbmarathonis eingerichtet. In meditativer Versunkenheit könnte man leicht versucht sein, einfach der Masse zu folgen, denn geradeaus ist es schlagartig ziemlich leer auf der Straße. Auch ganz offiziell ist es den Marathonis möglich, hier und jetzt bis zur Weiche entscheiden, auf den „Halben“ umzusatteln. Eine gute Idee und vor allem beruhigende Option für diejenigen, die sich ihres Laufvermögens zum Winterausklang noch nicht so sicher sind. Allerdings: Ich habe niemand gesehen, der diese Option gezogen hat. Und für mich gilt ohnehin: Wenn man über einen Marathon berichten will, sollte man ihn schon ganz gelaufen sein.

 

 

Die zumindest im ersten Empfinden totale Einsamkeit auf der Laufpiste hält allerdings nur ein Stück weit an. Kurz vor km 15 setzt läuferischer Gegenverkehr erneut ein: Erst vereinzelt, dann immer mehr. Es sind jetzt die schnellen Marathonläufer, die mir vom noch ein Stück weit entfernten nächsten Wendepunkt entgegen kommen.

Blechbläserklänge schallen schon aus einiger Entfernung an mein Ohr. Eine Musikgruppe hat sich am Waldesrand beim Ortseingang von Schaidt bei km 16,5 platziert und macht Stimmung für die aus dem Wald eintrudelnden Läufer. Vom Ort selbst bekommen wir allerdings kaum etwas mit: Zunächst am Waldsaum entlang, dann ein Stück weit eine Pappelallee entlang: Schon ist bei km 17,5 die Wendemarke erreicht.

Auf gleichem Weg geht nun zurück für mich. Mit Spannung blicke ich in die Gesichter derjenigen, die mir noch nachfolgen. Eine ganze Menge sind es. Und eine ganze Menge von ihnen sind es auch, die später noch an mir vorbei ziehen werden. Aber noch kann ich mein Tempo laufen. Vor allem dann, wenn die Pacemaker mit ihren Zielzeit-Fahnenwedeln entgegen kommen, herrscht richtig Stimmung auf der Piste.

Das Erreichen des km 21 bedeutet eine weitere Zäsur im Rennverlauf. Zur Marathonhalbzeit werden wir von der K 15 auf einen südöstlich abzweigenden Weg in Richtung Büchelberg gelotst.

 

 

Tief im Dschungel

 

In der Rückschau lässt sich sagen: Die folgenden zehn Kilometer, einmal mehr eine Pendelstrecke, sind die wohl spannendsten des Laufparcours. Im Zickzack führt der Kurs durch den hier noch unzugänglicher, urtümlicher und verwunschener wirkenden Wald. Der Waldboden ist teilweise wassergeflutet, viel totes, von einem leuchtend grünen Moosteppich überzogendes Holz liegt herum, keine Menschenhand greift hier regulierend ein. Passend dazu ist auch das Sträßlein noch ein wenig schmaler und holpriger, wenngleich auch hier konsequent asphaltiert, was das Dschungelfeeling ein wenig relativiert.

Bevor wir Büchelberg erreichen und noch mitten im Wald erwartet uns bei km 26 der Wendepunkt. Damit heißt es: Das Ganze wieder zurück, bis wir bei km 31,5 erneut auf die mittlerweile altbekannte K 15 stoßen.

 

Finale Herausforderung

 

Bis jetzt war das Laufen gefühlsmäßig noch eher Kür für mich, jetzt beginnt die Pflicht. Die letzten 11,5 km sind heute eine wahre Herausforderung für mich. Dominierte bisher eher das wohlig-positive Gefühl der Ruhe, Entspannung und Naturnähe, so bekommt das Ganze nun einen anderen Touch: jetzt sehe ich die Monotonie der Landschaft, die Einsamkeit auf der Piste, die Stille, die endlosen Geraden weniger blumig. Aber dieses Erleben gehört eben dazu, wenn man unbedingt Marathon laufen will. Und das kann man im Bienwald, wenn man anständig vorbereitet ist, ohne Zweifel in besonders guter und vor allem schneller Weise.

 

 

Ablenkungspunkte und Streckenhighlights sind für mich jetzt primär die alle 5 km eingerichteten Verpflegungsstellen. Wasser, Tee und Iso, Apfel und Orangenstücke gehören zum Standard, Cola und Traubenzucker ergänzen das Angebot auf der zweiten Streckenhälfte. Mit den freundlichen und engagierten Helfern sind sie Oasen der Lebendigkeit inmitten der Mühsal des Laufens. Die Stationen helfen mir jedes Mal wieder ein wenig über den Berg. Weiter und weiter geht es auf dem letztlich schon vom Hinweg weitgehend bekannten Kurs.

Endlich erreiche ich wieder das Naturfreundehaus. Von hier aus müssen wir nicht mehr den Umweg über Minfeld nehmen, sondern werden auf einen kürzeren Kurs in Richtung Kandel gelotst. Bei km 39 verlassen wir endgültig den Wald. Wir zweigen auf ein einsames Nebensträßlein ab, das uns final mit ein paar Biegungen garniert unserem Ziel näher bringt. Als ich endlich eine Lautsprecherstimme durch die Luft hallen höre, weiß ich, dass das Ziel nicht mehr weit sein kann. Am Stadion vorbei müssen wir uns aber erst den Weg zum Haupteingang erkämpfen und uns dort auf einer abschließenden Stadionrunde über die Tartanbahn beweisen, ehe der Zielbogen Erlösung verspricht.

 

 

Selten habe ich das Gefühl gehabt, mir mein kühles Zielbier so verdient zu haben. Das Feiern geht damit aber erst los. Bei Speis und Trank sammelt sich die Läufergemeinde in der proppenvollen Bienwaldhalle und lässt das Laufevent standesgemäß ausklingen. Eine flotte Runde laufen und danach kräftig abfeiern – das kann man in Kandel ohne Zweifel besonders gut.

 

 

 

Impressionen

(Klaus und Margot Duwe)

 

 

Informationen: Bienwald-Marathon
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