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Laufberichte

Venga, Barcelona! Venga!

 

Europa hat viele schöne Städte. Aber wohl kaum eine ist derzeit so „in“ wie Barcelona. Es sind nicht nur Touristen, die in Heerscharen einfallen und vor allem bei den zahlreichen Hinterlassenschaften Antoni Gaudis in Verzückung verfallen,  sondern auch unzählige Studenten und anderes Jungvolk aus aller Herren Länder, die hier einfach eine gute Zeit verbringen wollen.

Und das fällt nicht schwer in dieser Stadt mit ihren stimmungsvollen Straßenzügen und Plätzen, ihrem lässigen katalanischen Flair, den zahllosen Cafes, Kneipen und Lokalen, dazu viel mediterraner Sonne und dem Strand direkt vor der Haustür.

Einmal im Jahr, und das immerhin schon seit 1978, öffnet sich die Stadt auch für eine besondere Spezies von „Besuchern“: die Marathonläufer. Auf einem verkehrsgesperrten Rundkurs dürfen sie einen großen Teil der Sightseeing-Spots im Schnelldurchlauf erleben. Um die 20.000 sind es regelmäßig, die sich das nicht entgehen lassen wollen, etwa 16.000 feiern schließlich ihr Finish unweit der Plaça Espanya. Damit zählt der Marató de Barcelona zu den „Großen“ im europäischen Marathonzirkus. Klassischer Starttermin ist Mitte März – einen attraktiveren Saison-Opener bei frühlingshaft milden Temperaturen wird man kaum finden können.

Für März 2020 war ich angemeldet. Doch statt zu laufen durfte ich am Laufwochende die erste Ausgangssperre in der Stadt live miterleben. Der frisch boomende C-Virus war gerade dabei, die Welt zu erobern. Mehrfach verschoben wurde der Start, meinen Startplatz habe ich aber nicht aufgegeben. Jetzt ist November 2021. Und ich bin wieder vor Ort. Noch immer hält der Virus die Welt im Griff. Aber zumindest sind die Rahmenbedingungen, mit ihm zu leben, jetzt andere. Und auch wenn ich eigentlich ein Impfmuffel bin: Mit der Impfung habe ich mir ein großes Stück persönlicher Freiheit rückerobert. Auch die Freiheit, jetzt unkompliziert an den Start gehen zu können.

 

Plaça Espanya

 

Das Areal rund um besagte Plaça Espanya markiert das Herz der Veranstaltung. Der riesige kreisrunde Platz westlich des Stadtzentrums zu Füßen des 173 m hohen Montjuïc und sein Umfeld bieten optimale Rahmenbedingungen. Da ist zunächst einmal das weitläufige Messegelände, in dessen Halle acht man an den beiden Tagen vor dem Lauf die Startunterlagen bekommt. Wohl beraten ist, wer sich vorher die per Internet übermittelten Unterlagen etwas genauer anschaut. Ich habe es nicht und so dauert es ein wenig, bis ich den etwas unauffälligen Zugang finde,  der dann allerdings in eine riesige Halle führt, wo man nach dem "bib-number-pick-up" in Ikea-Manier im Zickzack durch die modern und großzügig gestalteten Gänge der Marathonmesse gelotst wird. Noch nie habe ich so viele Erinnerungs-Foto-Spots gesehen, vor denen sich die Teilnehmer in langen Reihen geduldig wartend mit Startnummer in der Hand freudig strahlend ablichten lassen.


 

Noch beeindruckender ist allerdings die Kulisse der Start- und Zielgeraden auf der mächtig breiten, von Zypressen, hohen Laternen und Wasserbassins gesäumten Avinguada de la Reina Maria Cristina zwischen Plaça Espanya und Montjuïc. Am Zugang zur Plaça säumen und begrenzen die beiden wuchtigen Torres Venecianes die Straße, im Hintergrund thront das mächtige Rund der einstigen Stierkampfarena. In der anderen Richtung füllen prächtige Paläste, gekrönt vom schlossartigen Palau Nacional mit dem Kunstmuseum, Säulen, Wasserfälle, und schier endlos durch die Parkanlagen empor strebende Treppenläufe die Hänge des Montjuïc. Für Gehfaule gibt es übrigens auch Rolltreppen. Das vielleicht größte Highlight ist die Font Magica zu Füßen des Montjuïc. In den frühen Nachtstunden an drei Tagen die Woche erwachen die Wasserspiele und entführen den Besucher in eine Traumwelt aus Wasser, Licht und Musik. Zumindest normalerweise. Denn Realität ist, dass diese Show weiterhin coronabedingt ausfällt. Aber auch am Tag zaubern die Wasserspiele mit dem Hügel im Hintergrund ein wunderbare Szenerie.

Den gar nicht so beschwerlichen Weg hinauf zum Palau Nacional sollte man keineswegs scheuen. Bei einem Tässchen Kaffee, der Musik der Straßenmusiker lauschend, hat man von dort oben nicht nur einen tollen Blick über das Startgelände, sondern über die ganze Stadt. Noch heftig gewerkelt wird einstweilen auf der gesperrten Avinguada de la Reina Maria Cristina: unzählige Gitter werden montiert, Pavillons errichtet. Schon den Vorbereitungsarbeiten merkt man an: Hier steht Großes bevor. Gelaufen wird am Samstag auch schon: Ein Frühstückslauf und die Kinderläufe stehen im samstäglichen Vorprogramm.

 

Start mit "Barcelona"

 

Auch wenn es Tausende sind, die am frühen Sonntagmorgen dem Startgelände entgegen strömen, so finde ich mich jetzt deutlich besser zurecht als gestern. Hilfreich ist, dass auf der Rückseite der Startnummerntüte alle Wege schön eingezeichnet sind. Vorausgesetzt, man nimmt sie mit. Der Metrostation an der Plaça Espanya entsteigend führt mich der erste Weg zur Gepäckabgabe. Die tonnengewölbeartige Halle ist unschwer gleich neben der Font Magica zu finden. Maskenpflicht und Einbahnregelung erinnern daran, dass noch nicht alles wieder so ganz normal ist.

Danach kann ich mich aber entspannt ins Gewusel und Getümmel stürzen. In Bewegung zu bleiben, ist ohnehin das Gebot der Stunde. Denn auch wenn sich ein wolkenloser Himmel über mir wölbt, so ist es mit gerade einmal 6 Grad Celsius um kurz vor acht lausig frisch und es dauert noch ein wenig, bis die Sonne ihre ersten Strahlen über den Montjuïc schickt. Die Fotomotivjagd lenkt mich zumindest ein wenig vom Frieren ab. Immer wieder aufs Neue kann ich mich für die Wasserfontänen begeistern, die nun auch entlang der Startgeraden emsig sprudeln.


 

Ein wenig zur Ruhe komme ich, als ich gemäß meiner bei Anmeldung allzu optimistischen Zielzeit im grünen Block vier "einchecke". Genau wird an den Zugängen kontrolliert, auch hier gilt Maskenpflicht. Je näher der Start rückt, desto weniger ernst wird diese Pflicht jedoch genommen. Schnell füllen sich die Corrals und schon bald blicke ich über ein schier unübersehbares Menschenmeer. Überaus beeindruckend ist es, nach so langer Zeit wieder einen Marathon dieser Dimension zu erleben. Laute Musik dröhnt aus dem Boxen, unterbrochen vom Redefluss-Stakkato des Startmoderators. Richtig pathetisch wird es, als ein Opernsängernduett, auf dem riesigen Start-Zielbogen stehend und von Feuersäulen flankiert, stimmgewaltig das berühmte Lied "Barcelona", einst ersonnen und gesungen von Freddie Mercury und Monserrat Caballé, anstimmt.

Für 8:30 Uhr ist der Start terminiert. Das heißt aber nicht für mich, um diese Zeit tatsächlich loszulaufen. Denn die Blöcke werden zeitversetzt auf den Kurs gelassen. So taste ich mich langsam in dem Hunderte von Metern langen Startkorridor vor und komme nicht nur einmal in den Genuss der Sangeskunst. Aber dann ist es auch für mich so weit – das Überschreiten der Zeitmatten unter dem Startbogen ist das finale Signal, dass es nun wirklich los geht.

 

Zwischen Stierkampf- und Fußballarena

 

Mit dem Start ergießen sich die Läufermassen in das Rund der Plaça Espanya. Etwa zwei Drittel des Kreisels mit Panoramablick auf die im Morgenlicht intensiv rot leuchtende Arena umlaufen wir, dann schwenkt der Kurs westwärts ab. Zwei schattige Kilometer geradeaus aus dem Zentraum hinaus geht es über die Carrer de Sants. Viel zu sehen gibt es nicht, aber ideal ist dies zum warmlaufen.

Ein Abzweig nach Osten lässt uns nach 3 km das gewaltige Oval des Camp Nou erreichen, mit fast 100.000 Zuschauerplätzen eine der größten Fußballarenen der Welt und Heimstatt des legendären FC Barcelona. Berühmte Spieler und große Erfolge prägen sein Image. Derzeit konzentriert sich die Rekordjagd jedoch vor allem auf das Schuldenmachen: Auf um die 1,35 Mrd. € wird das Soll aktuell taxiert - das muss man erst einmal schaffen.



Weiter ostwärts über die Travessera de les Corts.  Durch das gleichnamige Viertel geht es leicht ansteigend dahin. In einer Schleife nähern wir uns im Folgenden unserem Ausgangspunkt allmählich wieder an. Ein Genuss ist es, nach fünf Kilometern den wärmenden Strahlen der noch tief stehenden Morgensonne entgegen zu laufen. Entlang der Carrer Tarragona passieren wir bei km 7,5 den Parc de Joan Miró und umrunden diesen zur Hälfte. Viel bekommen wir aus der Straßenperspektive von dieser eher kargen und luftigen Anlage nicht mit, doch auch aus der Entfernung sticht Mirós 22 Meter hoch und farbenfroh den Park überragende Skulptur „Donna i Ocell“ (Frau und Vogel) ins Auge.

Am nächsten Abzweig sind wir direkt an der Stierkampfarena, nur jetzt auf der schattigen Nordseite. Zumindest äußerlich lässt der kreisrunde, 1900 im maurischen Stil errichtete Riesenbau „Las Arenas“ noch seinen einstigen Zweck erkennen. Innerlich entkernt ist er seit 2011 weit weniger blutrünstig als Shopping- und Freizeitcenter ein Besuchermagnet. Über eine hübsche Allee werden wir auf den nächsten Streckenabschnitt gelotst.

 

Durch Eixample

 

Ab km 8 nehmen wir ostwärts die Gran Via unter die Lauffüße, eine jener großen prachtvollen Tangenten, die die Stadt über viele Kilometer schnurgerade durchschneiden. Großbürgerliche Häuser vor hochgewachsenen Bäumen säumen den vielspurigen Boulevard. Wir passieren hier das historische Hauptgebäude der Universität Barcelona, dessen Fakultäten für die 63.000 Studenten sich über die ganze Stadt verteilen.

Die städtebauliche Pracht wird nochmals gesteigert, als wir nach 10 km nach links auf den Passeig de Gracia schwenken, die vielleicht edelste Shoppingmeile der Stadt mit zahllosen hippen Stores, einigen teuren Hotels und feiner Gastronomie. Unzählige über die Straße gespannte Lichterketten erinnern daran, dass langsan, aber sicher die "staade Zeit" naht. Mittendrin dürfen wir mit der Casa Batló das erste Fantasiewerk Gaudianischer Bau- und Gestaltungskunst bewundern, zumindest soweit man sich die Mühe macht, einen Blick durch das Baumwerk zu werfen. Wer nicht genau hinschaut, wird von dem form- wie farbreichen "Zuckerbäcker"-Bau, einst als Auftragsarbeit für einen Geschäftsmann erstellt, kaum etwas bemerken. Wer, wie ich, auf läuferischer Fototour ist, nimmt dafür auch ein paar zusätzliche Schritte in Kauf.


 

Gerade einmal drei der schachbrettartig angelegten Häuserblöcke haben wir auf dem Passeig de Gracia zurück gelegt, schon zweigt unser Kurs nach links ab und lässt uns in einer kleinen Schleife   weitere Bereiche Eixamples erkunden. Besonders nett ist der mit einem kleinen Palmenpark aufgelockerte Plaça Doktor Letamendi.

Nach 11 km biegen wir schließlich in die westwärts führende Carrer de Mallorca ein, eine entspannte und lauschige Allee. Noch einmal queren wir den trubeligen Passeig de Gracia, dann geht es beschaulich weiter. Sozusagen die Ruhe vor dem Sturm: Denn nach 13 km erreichen wir, inmitten der dichtbebauten Innenstadtkarrees gelegen, "das" architektonische Highlight der Katalanenmeotropole. Seit 110 Jahren im Bau und noch immer unvollendet: Die Sagrada Familia, Antoni Gaudis Geniestreich und Vermächtnis zugleich. Zum 100. Todestag des Meisters im Jahr 2026 will man diesen einzigartigen Gottestempel fertig gestellt haben. Hoffen zumindest die Optimisten. In Worten kaum beschreibbar ist, was nach seinen Plänen und Fantasien Stein geworden ist, letztlich keiner Stilrichtung wirklich zuordenbar, eine opulente Orgie aus schlanken Türmen – 12 an der Zahl und bis zu 170 m hoch sollen sie einmal werden – , dicht an dicht wie Finger in den Himmel ragend, über einem mächtigen Baukörper, eingefasst von überbordenden Fassaden, Kuppeln, Skulpturen, Reliefs, in immer neuer Gestalt, sich nirgends wiederholend. Nicht von dieser Welt erscheint dieses Bauwerk.  



Im Laufschritt bleibt vom ersten bis zum letzten Blick zurück keine halbe Minute, um an der Südseite vorbei ziehend, zumindest ein paar spothafte Eindrücke dieses atemberaubenden Werkes zu erhaschen. Ohne Zweifel ein Muss ist eine ausgiebige Visite anlässlich eines Barcelona-Trips, von außen wie von innen, auch wenn die Touristen hier geballt wir nirgendwo in der Stadt einfallen. Den vielleicht schönsten Blick auf hat man übrigens aus dem kleinen Park mit See nebenan.

Schon "schluckt" uns wieder die Häuserschlucht der Carrer de Mallorca. Nicht mehr ganz so highlightgespickt geht es weiter.


Venga! Forza! Animo!

 

Ab km 15 dürfen wir uns wieder mehr auf das Laufen konzentrieren. Der Mittelteil des Marathons wird geprägt durch laaange Geraden und Pendelstrecken. Der erste Pendelabschnitt über insgesamt sieben Kilometer führt uns auf der breiten Avenida Meridiana in nordöstlicher Richtung aus der Stadt hinaus. Drei Fahrspuren haben wir für uns und ebenso drei diejenigen, die vom Wendepunkt wieder stadteinwärts streben. Viel zu erleben gibt es hier nicht und so ist das spannendste der Blick über die trennende Leitplanke auf die Gegenspur, vor allem, wenn mal wieder ein fahnenbewehrter Pacer-Trupp mit dichtem Rudel im Gefolge anrückt.

Jeder Kilometer ist gut sichtbar angeschrieben. Entsprechende Markierungen auf der Straße belegen, dass die Streckenführung traditionell dieselbe ist. Für Ablenkung sorgen die Versorgungsstellen. Auch wenn es zwar sonnig, aber nicht wirklich heiß ist, greife ich gerne immer wieder zu. Alle 2,5 km gibt's Wasser und Isotonisches, Ersteres in kleinen Flaschen, von zahlreichen Helfern gereicht. Nachhaltig ist das nicht gerade, praktisch durchaus. Verdursten muss also niemand. Eher schon verhungern, denn das verpflegerische Angebot im Übrigen beschränkt auf Bananen alle 5 km und ab und an Energygels. Man sollte also ordentlich gefrühstückt haben.


 

Ja, und dann gibt es auch noch sie,  die bunt gewandeten Gruppen der Samba-Trommler. Reichlich verteilt sind sie entlang des Kurses, weithin hörbar und immer wieder als Stimmungsmacher wertvolle Dienste leistend. So kündigt sich auch der Wendepunkt auf der  Avenida Meridiana von Ferne auf diese Weise an.

Auf gleichem Weg geht es nun zurück, en passant die Halbmarathonmatte passierend. 22 km liegen hinter mir, als der Kurs einen scharfer Knick nach links macht, uns nun in neue Stadtregionen führend. Einen kurzen Fernblick werfen dürfen wir auf die die Pont Calatrava. Die von leuchtend weißen, kühn geschwungenden Bögen aus Stahl getragene Hängebrücke ist eines der ersten Werke des mittlerweile berühmten Stararchitekten und verbindet die Stadtviertel Sant Andreu und Sant Marti. Über die Brücke führt unser Kurs jedoch nicht, sondern weiter zur Gran Via, der wir erneut ein Stück weit folgen. Komplett anders als zuvor präsentiert sich die Gran Via hier: Die Fahrspuren tiefer gelegt und von hohen Lärmschutzwänden eingehaust, die Straße gesäumt von eintönigen, langgezogenen Gebäuderiegeln. Kaum zu glauben, wenn man die Straße einige Kilometer stadteinwärts erlebt hat.

Das Umgebungsbild ändert sich schlagartig, als wir nach 23,5 km nach rechts auf die Rambla Prim abbiegen. Dichtes Baumwerk säumt die ruhige Straße, bis hin zu Avinguda Diagonal. Nach 26 km erwartet uns hier der nächste Pendelabschnitt von vier Kilometern. Auch die Avinguda Diagonal ist einer jener breiten Boulevards, die die Stadt komplett durchschneiden, nur "nomen est omen" eben  diagonal. Und: Sehr viel attraktiver als das, was wir vorher erleben durften.



Moderne Wolkenkratzer markieren den Einstieg in die großzügig angelegte Allee, allen voran der überaus schnittige Hightech-Wolkenkrater Diagonal ZeroZero, der die katalonische Telefonica-Zentrale beherbergt. Straßenbahngleise im gepflegten Rasenbett trennen die Richtungsfahrbahnen der Avinguda Diagonal. Immer wieder sehe ich weitere chice Zeugnisse modernen Hochbaus durch die Bäume blitzen. Am Horizont ist auch schon bald das den Wendepunkt markierende Highlight dieses Abschnitts auszumachen: Der Torre Glòries. Der markant zuckerhutförmige Bau mit seiner glitzernden Glas-Aluminium-Fassade gehört ohne Zweifel zu den auffälligsten Landmarken der Stadt und überragt mit seinen 142 Metern Höhe alles rundherum. Unübersehbar ist der Turm auch nachts, wenn er farbig erstrahlt. Gewaltig türmt er sich am Wendepunkt nach 28 km vor mir auf und ich muss schon in die Knie gehen, um Läufer und Turm irgendwie gemeinsam aufs Bild zu bekommen.

Der Wendepunkt ist auch in anderer Hinsicht ein besonderes Erlebnis. Denn er ist einer von mehreren Hot Spots entlang der Strecke, an dem sich die Zuschauer ballen. Dass die Spanier ein temperamentvolles Volk sind, darf man hier hautnah erleben. Venga, venga! Forza! Animo! Das sind die Worte, die einem auf Schritt und Tritt entgegen schallen. Und ja: Das macht Laune, das treibt einen an, auch wenn man selten persönlich gemeint ist.

Auf gleichem Weg geht es zurück. Vorbei am naturkundlichen Museu Blau schlägt unser Kursbuch ein neues Kapitel auf: Denn nun geht es direkt dem nahen Meer entgegen.

 

Meeresbrise

 

Drei Kilometer lang haben wir ab km 31 die Möglichkeit, nahe oder auch am Meer frische Seeluft zu tanken. Großzügig in eine Landschaft mit viel Grün eingebettet liegen einige mit reichlich Glas bestückte Hochhäuser. Hohe schlanke Palmen säumen die Straße und unterstreichen den etwas besonderen Touch der Gegend. Über eine kleine Brücke, die tiefergelegte Küstenschnellstraße Ronda Litoral überspannend, rücken wir dem Meer noch ein Stück näher, jedenfalls so nahe, dass wir über die Grünanlagen und den Sandstrand hinweg das Meer glitzern sehen.


 

Eine überaus entspannende Passage, die gerne länger so hätte weitergehen können. Aber auf dem geradewegs dem 154 m hohen Torre Mapfre entgegen führenden Weg rücken wir wieder ein Stück mehr landeinwärts. Üppiges Grün begleitet uns aber weiterhin. Am Torre und dem vorgelagerten Port Olimpic, einst Austragungsort der Segelwettbewerbe bei den Olympischen Sommerspielen 1992, endet nach 34 km unser Ausflug ans Meer.

Die leicht ansteigende Carrer de la Marina leitet uns direttissma wieder landeinwärts. Die selbst in der Entfernung mächtige Silhouette der Sagrada Familia, auf die die Straße geradeweigs zusteuert, begleitet uns.

 

Rund ums Barri Gòtic

 

Ein Abzweig nach links bringt uns auf den Passeig de Pujades und damit nach 35 km zur Nordseite des Parc de la Ciutadella. Dieser Park ist einer der beliebtesten und auch belebtesten der Stadt, ein echter Volkspark, der außer vielen Grünflächen und Spazierwegen auch sonst viel zu bieten hat, etwa eine monumentale Brunnenanlage oder einen von allerlei exotischem Gewächs umrahmten See. Ach ja: Platz fürs katalanische Parlament und den Zoo ist auch.

Vor dem Haupteingang des Parks mit Blick auf das auffallende zinnengekrönte Castell dels Tres Dragons biegen wir ab auf die überaus repräsentative Promenade Passeig Lluís Companys, gesäumt von hohen Palmen und den Türmen des Justizpalasts. Geradeaus fällt der Blick auf den Arc de Tromf, den aus rötlichen Ziegeln im maurischen Stil errichteten Triumphbogen, vor allem im Abendlicht ein echter Eyecatcher. Um diese Zeit sammeln sich hier und auf der von riesigen Laternen hell ausgeleuchteten Promenade vor allem junge Barceloner zum Tanzen, Feiern, Sporteln oder auch nur einfach Abhängen  – bis tief in die Nacht. Doch jetzt ist noch Tag und der zentrale Weg allein für uns Läufer reserviert.



36 km sind geschaft, als wir den Triumpfbogen passieren. Entlang der Ronda St. Pere geht es schattig und ruhig dahin, ehe uns jäh Licht und Trubel empfangen: Wir haben die Plaça de Catalunya erreicht. Wenn es so etwas wie einen Stadtmittelpunkt gibt, dann ist es dieser weitläufige Platz. Aus allen Himmelsrichtungen münden Straßen ein. Mehr noch als Menschen bevölkern unzählige Tauben das weite Areal, sehr zur Freude vieler Kinder. Letztlich streifen wir den Platz nur am Rande und werden, am Konsumtempel El Corte Inglés vorbei, am nächsten Abzweig sogleich wieder aus dem Licht in den Schatten befördert.

Wir erreichen hier, nach 37 km, das sogenante Barri Gòtic, wie die verwinkelte Altstadt Barcelonas heißt. Mittendurch geht es für uns leider nicht, auch wenn es sicher reizvoll wäre. Wir tasten uns sozusagen nur an ihrem Rand entlang. Leicht abwärts führt uns der Weg über die geschäfts- wie lokalreiche Via Laietana erneut der Küste entgegen . Am Weg liegt auch die prachtvolle gotische Kathedrale an der Plaça de la Seu, von der man allerdings  nicht mehr als nur kurz den Turm durchspitzen sieht.

Wieder sind wir am Meer. Zumindest sind wir ihm ganz nahe, denn allzu viele Dinge versperren den Blick. Über den palmengesäumten Passeig Isabell II folgen wir der Küste ein Stück weit westwärts, bis wir nach 39 km das etwa 60 m hohe Monument a Colom, die gusseiserne Kolumbussäule mit Aussichtsplattorm in luftiger Höhe, erreichen. Anlässlich der Weltausstellung 1888 ist sie entstanden. Von hier führt die berühmte und ohne Zweifel publikumsträchtigste Flaniermeile La Rambla durch die Innenstadt. Die gehört aber nicht zum Kursprogramm.

Wir folgen vielmehr der Avinguda del Paral-lel und nehmen damit ziemlich direkt Zielkurs in Richtung Plaça Espanya auf. So ganz direkt ist die Annäherung aber dann doch nicht, weil uns ein Schlenker noch durch den beschaulichen Stadtteil Sant Antoni führt.


 

Im siebten Läuferhimmel

 

Ein letzter Abzweig, ein letzter Sambatrommlertrupp, der uns zur finalen Kräftemobilisierung antreibt. Vor meinen Augen öffnet sich die lange, breite Zielgerade. Was für eine Kulisse! Links und rechts feuern uns Zuschauer im dichten Spalier an. Der blaue Zielbogen, zunächst noch klein und fern, rückt schnell heran, Dahinter die Fontänen der Font Magica vor dem Montjuïc, für mich das "Symbolbild" dieses Laufs. Dann endlich der leuchtend blaue Zielteppich, Momente später habe auch ich es geschafft.

Eine Weile bleibe ich im Zielraum, lasse mich anstecken von den oft überbordenden Glücksgefühlsausbrüchen der einlaufenden Finischer. Eher profan ist, was einen ansonsten im Zielgelände erwartet. Eigentlich fast nichts, außer reichlich Platz. Erst kurz vor dem Ausgang aus dem Läuferkorridor gibt's einen blauen Beutel mit Getränken, die Medaille ist auch gleich drin. Ganz coronakonform, aber mäßig stimmungsvoll.

Dem guten Feeling tut das aber keinerlei Abbruch. Die Grünanlagen rund um die Font Magica mutieren zur dichtbevölkerten Liegewiese. Mich zieht es ein paar Etagen höher, zu einem der Kioske auf den Parkterrassen des Montjuïc. Mit einem Tässchen Americano setze ich mich in die Sonne, genieße den Blick auf den Trubel tief unter mir und fühle mich trotz schwerer Beine und Erschöpfung einfach nur im siebten Läuferhimmel.

 

 


 
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