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Laufberichte

Barcelooooonaaaaaa!!

01.03.09
Autor: Joe Kelbel

 Anfang Februar kam wieder so eine Mail : „....war wieder am Strand laufen, in T-shirt und shorts...“

Mindestens seit November quälte mich Roland mit diesen mails. Auch wenn Roland  1991 in Tokio bei der Leichtathletik WM und 1992 bei der Oympiade in Barcelona beim Marathonlauf teilgenommen hat, so lasse ich mich doch nicht auf diese Art  sticheln!

Freitagmittag stand ich  bei Roland vor der Tür. „Palimm-Palimm“ macht die Türglocke und mit einer ausgreifenden Armbewegung schmetterte ich ihm ein gewaltiges „Barcelooooonaaaaaa“ ins Gesicht.

Montserrat Caballé (zusammen mit Freddie Mercury sang sie„Barcelona“ bei der Eröffnungsfeier der olypischen Spiele), hätte augenblicklich 20 kg ihres Resonanzvolumens verloren, doch Roland war schlagkräftig und bevor das letzte „aaa“ meines wunderbaren „Barcelooooonaaaaaa“s verklungen war, befanden wir uns schon am Strand und legten eine harte Trainingseinheit ein.

Am Samstag morgen, einen Tag vor dem Hauptlauf findet der Frühstückslauf statt. Auf den letzten 4,195 km des Olympiamarathons von 1992 will ich ein bißchen Olympiaflair einfangen. Ziel wird das  Olympiastadion sein. Es werden eben diese letzten Kilometer sein, auf denen Stephan Freigang in einem dramatischen Finish gegen den Japaner Takeyuki Nakayama die letzte deutsche Olympiamedaille im Marathon (Bronze) in 2:14:00 erkämpfte.

Früher durften sich auch Freizeitläufer im Rahmen des Marathons die Olympiastrecke zum Berg Montjuic  hinaufkämpfen, wo das Olympiastadion ist. Dann entschied man sich  doch für den tiefer liegenden  Plaça d'Espanya als Ziel. Um dennoch ein bißchen Olympiafeeling zu erhaschen, wurde dieser Frühstücklauf angesetzt.

Roland ist seit der Olympiade nicht mehr hier hoch zum Olympiastadion gelaufen, doch sobald wir starten, erzählt er mir wie in einem Film, was er hier erlebt hat: „Do korz noch Kilometr vierzg hani zersch dr Nepales igholt und a Stogg witr vorna där us Sri Lanka“

Kurz vor dem Tunnel, der durch die Felsen führt, steht ein Original 39km-Schild von 1992. Es geht weiter bergauf, dann sehen wir schon das imposante Wahrzeichen, welches über dem Olympiastadion schwebt. Das Marathontor von 1992 ist zugemauert, wir laufen durch die Tiefgarage ein und dann öffnet sich vor uns das gewaltige Innere des Stadions:

„Bim Ilauf is totschvolle Stadion, o wäg dr Schlussfiir, ischs mer wörgle iiskalt dr Rogga ahiglaofa.“

Ich schau mich um und mache ein paar Fotos:  Die Marathonläufer liefen auf den äußeren Bahnen ein,  auf den inneren Bahnen fand der 5000 Meter Lauf statt. Dieter Baumann holte damals  in einem Spurtfinale, bei dem er die letzten 100 m in 11,9 s zurücklegte, die Goldmedaille.

1992 trat beim Marathon ein Sportler aus der Mongolei an, er war bis 1991 blind, wurde durch Spenden des New Yorker Laufclubs operiert, sodaß er ein wenig sehen konnte. Als er in 4:00:44 als letzter ins Ziel kam, wurde für ihn das Ziel vor das Stadion gelegt, denn im Stadion war schon die Abschlußfeier im Gange.

Vorletzter wurde ein Sportler der Malediven. Er ist der einzige Sportler seines Landes, der jemals in irgendeiner Sportart irgendjemanden bei Olympia besiegt hatte. Aber 25 der 112 Marathonläufer hatten aufgegeben. Roland finishte im übrigen damals mit 2:31.32

Weder in Català noch in Spanisch oder Französisch gibt es ein Wort für „Breakfastrun.“ Ein Überstzung würde sogleich als Unwort des Jahres gewählt werden. So wird auf der offiziellen Homepage und auch auf den Straßenschildern nur vom „Breakfastrun“ gesprochen.

Sonntag Morgen: Gedränge in der Messehalle:  10.000 Läufer  wollen rein zur Kleiderabgabe oder raus. Stau, leichte Panik. Unmut macht sich breit, laute Rufe, Pfiffe. Die Zeit drängt. Nervosität.

Irgendwie raus geschafft. Startaufstellung auf der  Plaça d'Espanya. Auf den nächsten 42,195 Km erwarten uns: 159.000 Wasserflaschen, 100.000 Powerade-Flaschen und 8,3 Tonnen  Früchte.

8:30 - statt dem Startschuss hört man erst leise den Freddie und dann immer lauter mit Montserrat zusammen. Dann in einem lauten Cresendo von über 10.000 Läuferkehlen ein schallendes „Barcelooooonaaaaaa!“, was uns das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Mit gewaltigem Rauschen schießen links und rechts Wasserfontänen gen Himmel. Hinter uns der gewaltige Fuente Mágica vor der Kulisse des Nationalmuseums. Barcelona blüht auf in seiner ausgelassenen Gigantomie. Die Katalanen sind wahre Meister in  dieser symphatischen Neigung zum Exessiven. Mit tiefen Gefühl von Seelenverwandschaft passiere ich die beiden Portaltürme, die „Torres Venecianes“ und trete meine gigantische Reise durch das prachtvolle Barcelona an.

Das Läuferfeld zieht sich kaum auseinander. Auf breiten Straßen gehts Richtung Fußballstadion Camp Nou, der Heimat des FC Barcelona. Es fängt an zu nieseln. Ohnehin hat die vom Meer kommende feuchte Luft die Kleidung und die Straßen schon durchtränkt.

Wenige Zuschauer. Vor mir unverkennbar zwei Läufer, die für den Marathon de Sables trainieren. Viele deutsche Läufer. Noch einmal geht es zurück Richtung Start, zum Plaça d'Espanya, dann biegen wir auf die Gran Via ein, Richtung Osten an der Casa Milà vorbei, dem von Antoni Gaudi gebauten Haus, von den Einheimischen „La Pedrera“, der Steinbruch genannt.

An seinem berühmtesten Gebäude, der Kathedrale Sagrada Familia,  dem Wahrzeichen Barcelonas, baute Antoni Gaudi (1852-1926) vier Jahrzente. Immernoch wird weitergebaut, finanziert ausschließlich durch Spenden und Eintrittsgelder. Große Kräne und enge Laufstrecke: ich bekomme kaum die 18 Türme auf die Kamera, viel zu schnell laufen wir an diesem Prachtbau vorbei, das tut in der Seele weh, nicht  in den Beinen. Ich komm wieder!

Auf der riesigen Avinguda Meridiana kommen die schnellen Läufer entgegen, jetzt geht es kilometerweit, leicht ansteigend an riesigen Wohnkomplexen vorbei. Halbmarathonmarke, und wieder abwärts über den Pont de Calatrava Richtung Süden.

Prachtvoll zeigt sich die Avinguda Diagonal. Dächer aus Palmen. Auf dem grünen Gras, in dem die Straßenbahnschienen fast versinken, liegen  hunderte von Wasserflaschen. Reichlich Wasser und Isogetränke gibt es an den Verpflegungsstellen, hauptsächlich in Plastikflaschen. Jedoch erstaunlich selten gibt es einige wenige Bananen, eher gab es Nüsse und Apfelsinen.

In der feuchten Luft rinnt der Schweiß, obwohl es nur etwa 15 Grad warm ist. Immer wieder Fahnen. Franzosen, Engländer, Holländer, Dänen, Deutsche: Jeder ruft in seiner Sprache.

Wendepunkt am pompösen, bunt schimmernden Riesenphallus des Torre Agbar, dem Verwaltungsgebäude der Wasserwerke. Ja hier thront die glorreiche Gigantomie in vollendeter, aber durchaus passender Form unweit des Plaça  de las Glories.

Wieder die Avinguda Diagonal hoch. Keine Reparaturnarbe oder gar Frostloch verunstaltet das glänzende Pflaster von Barcelonas Pachtstraßen. Hier läuft man gerne, nur stellenweise behindert von Unmengen von Wasserflaschen und Unmengen  großer, bunter Schwämme.

Am Meeresufer geht es zurück Richtung Innenstadt. Vorbei am Olympiahafen. Bei Kilometer 35 wird der aus roten Backsteinen erbaute Arc de Triomf sichtbar. Die Frontfassade trägt eine Skultur, die den Schriftzug „Barcelona rep les nations“, „Barcelona heißt die Nationen willkommen“ zeigt.

Ab hier werden die Straßen voller. Die Rufe mehren sich: „Venga!, Venga!“ „Arriba!, Arriba!“ „Vale, Vale !“„ Fuerte!, Fuerte!“ und „ Animo!, Animo!“ Es geht durch die Altstadt und der Barric Gotic. Autos neben Läufern, knatternde Motorräder, ein lautes Wirrwar von Hupen, Sirenen Rufen und Abgasen, die Gassen sind eng. Und immer wieder „Venga, venga“. Links und Rechts hin und her. „Venga Joe, Venga“. Vor mir die Säule des Christoph Columbus. Rechts hoch die Avinguda del Paral-lel.

Es ist nicht mehr weit, aber es geht spürbar bergauf, da höre ich „Venga,Venga Joe, te quiero un pocito“  Das hilft! Die Einwohner sind wach und bilden zwei gewaltige brausende Mauern. Arme wiegen mir entgegen. Über dem schreienden Tentakelmeer sind schon die Torres Venecianes sichtbar.

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„Arriba con estos huesos rotos” Auf gehts mit deinen kaputten Knochen! Und immer wieder :
„A la meta!“ „A la Meta!“ Zum Ziel, zum Ziel!

Nach links: „Venga, Venga!“ Die Av. de la Reina Maria Christina bildet ein Amphitheater mit weißen, wunderbar glitzernden Wasserfontainen, buntem Fahnenmeer  und den  Spitzen des Nationalmuseums als Krone.

Ein breiter Strom von glücklichen Finishern stürmt in einer breiten Schlachtreihe  der Ziellinie entgegen und verteilen schweißnasse Küsse auf die Wangen der Medaillienmädchen.

Ich danke der Stadt Barcelona für ein stark beeindruckendes, grandioses, spektakuläres Marathonerlebnis in einer verspielten, rauschhaften Umgebung. Mein besonderer Dank gilt Maria und Roland für die hervoragende Wettkampfbetreuung.

 


 
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