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Laufberichte

Zum Heulen…

 

In der Nähe dieses für mein Rennsteigläuferleben so wichtigen Punktes bleibt Bernd plötzlich stehen. Schmerzen im Oberschenkel, verkündet er. Besser vielleicht, wenn wir einige Meter gehen, dann wird es bestimmt wieder besser. „Es“ stellt sich später als Muskelzerrung raus – und wird natürlich nicht besser…

Während er geht, laufe ich vor, um später auf ihn zu warten. Um Zeit zu haben, in der bekannten Schlucht vor der Getränkestelle Schwalbenhauptwiese einige Fotos zu machen. Normalerweise ist gerade die schmale, stolperwurzelübersäte Schlucht einer meiner Lieblingsabschnitte. Diesmal gehe ich nur, von jedem Läufer und von jeder Gruppe, die mich überholen, entsteht ein Foto.

Am Ausgang der Schlucht steht ein Bratwurststand. Ich schleiche um ihn herum, weil ich eine windgeschützte Stelle suche, um auf Bernd zu warten. Und um immer wieder in den Taschen zu kramen, ob nicht doch irgendwo etwas Geld steckt. Was habe ich nur für eine Frau, die mich zu einem Marathon schickt, ohne mir zu sagen, dass ich Geld einstecken soll. Ich frage mich, ob eigentlich Fälle bekannt sind, bei denen Menschen neben einem Bratwurststand verhungert sind? Vor diesem Schicksal bewahrt mich Bernd.

Er hat eine schlechte Nachricht – der Zustand des Muskels ist  nicht besser, eher schlechter. Und ich möge doch loslaufen, würde immer noch eine Zeit von reichlich 5 Stunden erreichen. Er wird bis ins Ziel wandern. Ab Kilometer 23. Ich glaube, Laufgeschichte wiederholt sich, denn genau ab dieser Stelle musste auch ich nach dem Sturz wandern, weil der Fuß nicht mehr mitspielte.

 


Das Angebot von Bernd nehme ich natürlich nicht an. Gewinnen werde ich nicht mehr, und ob ich am Ende 1500. oder 2000. werde, wem interessiert das. Wenn ich mit Bernd gehe, ist er wenigstens nicht so einsam wie ich damals, als ich über 20 Kilometer wandern musste. Dabei nimmt die Strecke kein Ende, vor Verzweiflung habe ich das Rennsteiglied gesungen. Bei meiner Stimme und Musikalität werden Hirsch und Reh hoffentlich nicht abgewandert sein.

Unser erster Wanderabschnitt geht über reichlich 6 Kilometer bis Neustadt. Diesen asphaltierten, endlos langen und fast ständig ansteigenden Abschnitt muss man nicht mögen, hinter sich bringen muss man ihn trotzdem. Wir sind nicht allein, auch andere haben Probleme. Einige sogar mit dem Streckenverlauf. Ein Pfeil auf der Straße sorgt für Verwirrung. Für mich kein Thema, in den zurückliegenden Jahren  ging die Strecke immer geradeaus die Straße entlang. Abbiegen wäre daher schon mathematisch falsch - die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist auch am Rennsteig die Gerade.

Im Tannengrund haben wir einen Läufer vor uns, in kurzen Hosen und T-Shirt geht er den Berg hinunter. Der ist garantiert falsch angezogen, denn hier auf der freien Fläche weht ein verdammt kalter Wind. Schlau wie ich bin, habe ich natürlich die Jacke dabei.

Aber ich muss euch mal was verraten. Das muss jedoch unter uns bleiben. Vor zwei Jahren hole ich die Startunterlagen in Neuhaus und als ich dann abends in unserer Pension „Waldydill“ in Stützerbach die Sachen für den Lauf bereitlegen will, stelle ich fest, dass ich die lange Laufkleidung vergessen habe. Für den nächsten Tag sind 3 Grad vorausgesagt. Das war der einzige Rennsteiglauf, bei dem ich ausschlafen konnte…
 
An der Verpflegungsstelle Neustadt erwartet uns schon wieder Herbert Roth – zumindest in musikalischer Form. Zwei Frauen an einem Verpflegungsstand schunkeln zu der Melodie, einige Läufer machen mit. Das gibt es nur am Rennsteig. Ich halte mich lieber an die Verpflegung - man hat Bemmen für uns geschmiert. Auf Hochdeutsch könnte man auch sagen: Es gibt belegte Brote! Und es gibt Schleim. Ohne Schleim kein Rennsteiglauf!

Nach Neustadt geht es bergab. Sozusagen zum Erholen, denn dann kommt der Burgberg, der hat es in sich. Einziger Trost – es werden immer weniger Kilometer die vor uns liegen, wir sind bald im einstelligen Bereich.

Die Helfer an der Verpflegungsstelle Großer Dreiherrenstein sind gemein. Haben die doch wirklich eine Tafel mit den Durchlaufzeiten der ersten drei Frauen und Männer aufgestellt. Der erste Läufer war 11.09 Uhr hier. Das dürfte schon eine ganze Weile her sein, da habe ich lieber nicht auf meine Uhr geschaut…  

Auf einer Bank am Dreiherrenstein sitzt ein Pärchen. Sie hat sie schon – die Medaille, die ich so gern möchte, von der wir aber noch 9 Kilometer entfernt sind. Ich frage vorsichtshalber, ob sie mir nicht die Medaille schenken würde. Aber wie ich vermutete, die rückt die nicht raus. Also weiter!

Kurz vor der letzten Verpflegungsstelle in Frauenwald noch so eine Rennsteig-Besonderheit. Mitten im Wald ein Lautsprecher, der uns mit Schlagermusik anspornt. Durch die Musik bessert sich schlagartig der Gesundheitszustand von Bernd, er geht schneller. Ich will aber auch nicht ausschließen, dass er weiß, dass es an der Verpflegungsstelle in Frauenwald Bier gibt…

 



Frauenwald ist Standort eines Denkmals, das seinesgleichen sucht. Ein Denkmal für den Rennsteiglauf mit der hoffnungsvollen Inschrift: Nur noch lumpige fünf Kilometer bis zum Ziel! Na ja, die werden wir wohl auch noch schaffen.

Eins merke ich aber, mein Plan, Bernd durch Gespräche etwas aufzumuntern, läuft ins Leere. Der will nicht mit mir reden. Der denkt bestimmt: Schmidt, halte doch endlich mal deine Klappe! Im Gegensatz zu mir, der sorgenfrei über den Rennsteig wandert, hat er Schmerzen.

Die Reitallee, dieser lange Anstieg vor dem Ziel in Schmiedefeld, hat mir nie was ausgemacht. Aber heute kann ich die Sprüche derer, die schon lange das Ziel erreicht haben, nicht mehr hören. Ihr schafft das noch! Daran zweifle ich nicht und was mich betrifft, ich könnte auch noch nach Neuhaus zurücklaufen. Aber wie das am Rennsteig so ist, auf die Idee sind bestimmt auch schon andere gekommen.

Im Ziel vergesse ich das Wichtigste: Ich muss doch Bernd gratulieren. Für ihn war es ein besonderer Lauf – der 150. Marathon. Ich bin mir sicher, den wird er nicht vergessen! Er ist aber schon wieder zu Scherzen aufgelegt und findet eine Variante, unsere wahrlich nicht heroische Zeit von fast sieben Stunden schön zu reden: Immerhin war es persönliche Jahresbestzeit beim Rennsteiglauf…

 



Und die Zeit hat auch was Gutes: Wir müssen nicht so lange auf den Beginn der Läuferparty warten. Ich bin noch gar nicht richtig im Festzelt, da beginnt schon die Gruselgugge aus Ilmenau die Massen einzuheizen. Mit ihrer schrägen Musik treffen sie den Nerv der Läuferschar. Viele stehen schon auf den Bänken. Und das, ganz nebenbei erwähnt, nachdem sie einen Supermarathon, Marathon oder Halbmarathon in den Beinen haben!

Wie jedes Jahr führt hier am schönsten Ziel der Welt Hans-Peter Müller durch das Programm. Das Rennsteiglied erklingt, der Schneewalzer. Ich wische mir über die Augen. Aber das hatte ich ja schon erwähnt: Der Rennsteiglauf ist zum Heulen…

 

 

Weitere Bilder und Berichte vom Reinnsteiglauf
findet ihr auf Trailrunning.de

 

 

Siegerliste


Supermarathon (72,7 km)

Männer

1 Seiler, Christian (GER)     GutsMuths RSLV     -     04:50:56     
2 Lynas, Matthew (NOR)     GutsMuths RSLV     -     05:40:52     
3 Jurkschat, Wolf (GER)     GutsMuths RSLV     -     05:44:06

Frauen

1 Kern, Karin (GER)     LAV Stadtw. Tübingen     -     06:16:47     
2 Jakob, Anja (GER)     Klingenthal/Vogtland     -     06:22:25     
3 Wagner, Carola (GER)     Delligser SC     -     06:23:13

2147 Finisher

Marathon (43,5 km)

Männer


1 Ludewig, Heiko (GER)     LTV Erfurt     -     02:42:16     
2 Stengel, Oliver (GER)     Uni Giessen     -     02:49:29     
3 De Franceschi, Luigi (GER)     SV Ohmenhausen     -     02:53:25

Frauen

1 Kruhme, Nicole (GER)     GutsMuths RSLV     -     03:07:28     
2 Hempel, Kristin (GER)     USV Erfurt     -     03:15:26     
3 Rottenbach, Christina (GER)     KS-Sportsworld     -     03:18:55

3036 Finisher

 

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Informationen: GutsMuths-Rennsteiglauf
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