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Laufberichte

Sprung auf, marsch marsch zum Marterhorn!

07.07.12

Trotz der frühen Morgenstunde bin ich jetzt schon gut am Ölen, aber das ist genau das Wetter, das ich mir gewünscht habe. Vielen wird es heute jedoch sehr schwer fallen, nicht jeder verträgt das, Schattenpassagen erfreuen sich großer Beliebtheit. Schnell zieht sich das Feld weit auseinander und mit einem mehrmaligen Über- und Unterqueren der Bahnstrecke gewinnen wir rasch, aber noch moderat, an Höhe. Nach guten fünf Km erfolgt die erste Verpflegung, die heute richtig Klasse sein wird, an wirklich nichts fehlt es. Offensichtlich hat Andrea, die Orga-Chefin, auch von meinem Drama am Biggesee gelesen die komplette Strecke mit metallenen Schildern versehen lassen und mir damit jegliche Chance zum Verlaufen genommen. Von unserem Begleitzug, der „Fahrenden Tribüne“, in dem sich unsere Fans und die zweiten Staffelläufer befinden, höre ich wilde Schreie, Rüdiger wird wohl erkannt. Leider bin ich so zwischen dreißig und sechzig Sekunden zu langsam, hätte mein Weib gerne gesehen, fürchte aber, beim Aufholen zu überziehen und das später büßen zu müssen.

Auf dem siebten Km geht mir für heute erstmals das Herz auf: Ein Naturpfad durch den Wald ist genau die Art von Weg, wie ich ihn liebe, ist aber durchaus anspruchsvoll. Weniger vom Untergrund her, der ständige Wechsel zwischen hell und dunkel erzwingt högschte Aufmerksamkeit. Nach zwei weiteren Km geht es erstmals heftig nach oben, die ersten wandern bereits, bei mir ist es grenzwertig. Bevor ich es mir anders überlegen kann, ist der Scheitelpunkt erreicht. Kurz vor dem nächsten Ort, Randa, sehen wir das Resultat eines schweren Bergsturzes vom April und Mai 1991: Millionen von Kubikmetern Fels und Geröll hatten sich vom Berg gelöst und beginnen sich erst ganz langsam wieder mit Grün zu füllen, eine schwere, nach über zwanzig Jahren immer noch unvernarbte Wunde. In Randa ist das erste Viertel geschafft, natürlich rein entfernungsmäßig gesehen, angesichts des noch zu Erwartenden eigentlich kaum erwähnenswert.
 

Vor dem Feuerwehrlokal hat die erste der heute aktiven Bands bereits Pause, wie übrigens später alle anderen auch. Alle. Keine einzige hat bei meinem Vorbeilauf gespielt, ich erwäge jetzt noch Protest einzulegen. Immer wieder säumen Vorratsspeicher den Weg, die auf hölzernen Füßen stehen, die ihrerseits wiederum von großen Felsplatten bedeckt sind: Eine einfache, aber wirkungsvolle Mäuseabwehr, wie ich meine. In Täsch erfolgt die nächste Verpflegung, auch der erste Gartenschlauch zum Abkühlen wird angeboten. Mittlerweile schon lange wieder auf Asphalt unterwegs, kommen wir so ganz langsam der Halbzeit näher. Wie gesagt, rein entfernungsmäßig. Gisela beschwert sich, daß ich sie exakt in dem Augenblick knipse, als sie zum ersten Mal eine kleine Gehpause einlegt. Ja, Mädel, shit happens! Immer wieder beliebt sind Tunnel: Kühl im Sommer werfen sie ein prima Echo von den Wänden und sind auch noch gute Fotomotive.

Vom Asphalt werden wir wieder reichlich entschädigt, schöne und angenehme Naturwege sind für die Beine die reinste Erholung und die kleinen, teils holzgedeckten Brücken echt etwas fürs Auge. Über mehrere enge Serpentinen schrauben wir uns wieder in die Höhe, nehmen tolle, aber anspruchsvolle Pfade auf und ab, bis wir einen ersten Blick auf Zermatt werfen können. Zermatt. Hmmm. Der erste optische Eindruck besteht aus Rohbauten und Kränen. Der zweite aus mit großen Häusern dichtbebautem Grund. Wirklich schön finde ich das nicht. Klasse ist aber auf jeden Fall der Empfang am Ortseingang, an dem der Staffelwechsel stattfindet und nicht nur unsere Fans jede Menge Alarm machen. Danach hält sich die Stimmung allerdings doch in Grenzen. Das ist bei der Jungfrau in Lauterbrunnen und Wengen völlig anders. Ob es daran liegt, dass nicht einer der 700 Helferinnen und Helfer aus Zermatt stammt, wie wir gelernt haben? Gibt es hier vielleicht örtliche Animositäten, die dazu führen, dass die Namensgeberin des Marathons nicht hält, was sie versprechen sollte?

Wie dem auch sei – wir drehen eine große U-förmige Runde durch den Ort und kommen zugegebenermaßen doch noch an ein paar netten Gebäuden vorbei. Halbzeit habe ich bei etwa 2:10 Std., was nach ggü. den 2:03 bei der Jungfrau nachvollziehbar ist, da wir bis hierher ja die doppelten Höhenmeter zu absolvieren haben. Kurz hinter Zermatt geht’s dann aber ins Eingemachte, Wengen lässt grüßen. Mit der Lauferei ist es sehr schnell vorbei, jegliches Gespräch um mich herum verstummt und gemessenen Schrittes zieht die Karawane bergan. Und der Sultan hätt Dorsch.

Ja, dann meine ich bei etwa Km 26,5 das Matterhorn zum ersten Mal zu erblicken. Außer mir schaut aber alles auf den Boden und ist mit sich selbst beschäftigt, daher bleibe ich etwas unsicher. Auf jeden Fall sieht das, was ich zu sehen meine, im wahrsten Sinne des Wortes hervorragend aus. Bei der nächsten Verpflegungsstelle steht ein kleiner Lkw der Feuerwehr, auf der Ladefläche vier Kinder. „Da sieht aber stark nach Ferien bei Euch aus!“, meine ich. „Das SIND Ferien!“ schallt’s heraus und die Gesichter strahlen. A propos strahlende Gesichter: Sabine Meier aus Hannover spricht mich an. „Schreibst Du wieder einen Bericht, Wolfgang? Die lese ich doch immer!“ Sabine, Du warst pures Doping für mich, schade, dass ich schon verheiratet bin.

Die Bergwelt über uns öffnet sich mehr und mehr und ruft echte Begeisterung in mir hervor. Weißer Schnee auf grauem Stein, der sich scharf vom blauen Hintergrund abhebt, hier und da ein paar Wölkchen – Herz, was willst Du mehr? Was zu trinken, ich könnte saufen, wie ein Kamel. Überwiegend schattenlos geht es weiter, aber die nächste Versorgung ist nicht wirklich weit. Dann der erste Bergsee unter uns, wieder Singletrail, ein rundes Holzbrückchen, ich könnte schweben. Dann der Jörg, der ein rotes Luftballonherzchen für seine Liebste an einem Busch befestigt. Ich habe den starken Verdacht, daß Du derjenige bist, der, von der Öffentlichkeit nicht ganz unbemerkt, im Ziel seinen Schatz mit einem Blumenkranz erwartete und ihr per Mikro einen vielumjubelten (und vor Zeugen angenommenen) Heiratsantrag machte. Was ist das alles einmal schön. Ihr Schweizer solltet Euch mal einig werden, ob es an der folgenden Verpflegung nun Sunegga oder Sunnegga heißt.

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