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Laufberichte

Majestätisch

04.07.09

St. Niklaus - Zermatt

Ist es Mut oder Rücksichtslosigkeit? Auch hier stehen zahlreiche Teilnehmer im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit umgekehrt proportional weit vorne. Da die Strecke sofort ansteigt und im Dorf die Straßen schmal sind, ist es auf den ersten drei Kilometern nicht einfach, im eigenen Rhythmus zu laufen. Bereits hier ziehe ich in gemächlichem Tempo an Leuten vorbei, welche diese leichte Steigung nicht mehr laufend bewältigen können. Wissen die, was heute noch auf sie wartet? Sicher, ein beeindruckendes Panorama, das ist schon von hier aus zu sehen. Aber auch eine feuchte Wärme und eine zweite Streckenhälfte mit ein bisschen Steigung…

Ich weiß nicht warum. Trotz den Gesprächen im Zug mit anderen Teilnehmern und vielen bekannten Gesichtern fehlt mir das marathonistische Wir-Gefühl. Das liegt aber einzig an mir, denn ich sauge einfach die Eindrücke in mich hinein, die sich über mich ergießen.  Andere hängen ihren Gedanken nach, die wohl einiges tiefer sind. Auf dem Shirt des finnischen Teilnehmers vor mir lese ich, dass dieser heute im Gedenken an Hannu läuft, der von 2004 bis 2008 in Zermatt dabei war und im vergangenen Dezember mit nur 52 Jahren verstarb. Das Bild Hannus, aufgenommen als er das erste Mal auf dem Riffelberg ankam, berührt mich und beantwortet die Frage, die ich kurz zuvor auf einem anderen Shirt gelesen habe: „Warum laufen Sie?“

Aus meinen Gedanken herausgeholt werde ich durch die fahrende Tribüne der Matterhorn Gotthard Bahn, welche auf der rechten Seite langsam an uns vorbeizieht. Aus allen Fenstern des Zuges hängen Fotografen und Angehörige, füllen die Speicherkarten ihrer Kameras und feuern uns an.

Nach fünf Kilometern steht am Speichersee von Mattsand der Kirchenchor von Herbriggen. Sie sorgen heute weder für musikalische noch spirituelle Umrahmung, sondern für das körperliche und das mentale Wohl. Verschiedene Vereine betreuen alle Verpflegungsstellen, an welchen der notwendige Treibstoff in verschiedensten Variationen abgegeben wird.

Und dann nähern wir uns unübersehbar Randa.

Randa ist eine der Haupttouristenstationen für Bergtouren in der Gruppe der Mischabelhörner (…) und eine beliebte Sommerfrische.  Aufzucht eines schönen Rindviehschlages. Gegenüber Randa hängt links der Visp über nackten Felswänden der vom Bieshorn und Weisshorn herabsteigende Biesgletscher, von dessen in etwa 2000m Höhe befindlichem unterm Rand hie und da Eislawinen ins Thal abbrechen, die bis zum Fluss gelangen und ihn sogar überdecken können. Chroniken und mündliche Überlieferungen erzählen von wahren Katastrophen, die diese Lawinen im Thal verursacht haben. (…) Am bekanntesten ist aber das Unglück vom 27. Dezember 1819, an welchem Tag um 6 Uhr Morgens eine 12,4 Millionen m³ haltende Firn- und Eismasse abbrach und den Flusslauf zurückstaute. Das Dorf Rand wurde zwar von den Sturztrümmern nicht erreicht, doch entwurzelte der gewaltige Luftdruck viele Bäume, wehte Tiere, Felsblöcke und andere schwere Gegenstände über die Dächer der Häuser hinweg und nahm auch den Spitzturm der Kirche mit sich, als der Mesmer gerade beim Angelusläuten war. Dieser kam mit dem Schrecken davon (…)

Unübersehbar ist der Schuttkegel zweier gewaltiger Bergstürze vom Frühjahr 1991, an welchem die Marathonstrecke vorbeiführt. Hier sorgt die Natur für Action, aus welcher über die Jahre hinweg wieder eine Idylle entsteht. Der Blick nach oben zum Gletscher ist einfach herrlich, fürstlich!

Von der beliebten Sommerfrische spüre ich heute nicht viel, die Wärme überrascht mich. Wo immer auf der linken Wegseite Bäume oder eine Stützmauer stehen, zieht es den Läuferpulk auf der Suche nach etwas Schatten dorthin. Wer sich abkühlen will, kann im Dorf Randa ebenfalls links halten und sich das kühle Nass auch äußerlich verabreichen lassen.

Auf Nebenstraße und Radweg geht es weiter nach Täsch, wo wieder aufgetankt wird und zahlreiche Zuschauer uns unterstützen.  Von hier an braucht es keine besondere Straßensperrung, denn für Automobilisten ist in Täsch Endstation. Wer weiter nach Zermatt will, nimmt den Pendelzug – oder macht es wie wir. Bevor wir auf einen Wanderweg wechseln, verschwinden wir erst noch in einem Straßentunnel, der im Winter Schutz vor Lawinen bietet.

Der Wanderweg ist die erste alpine Herausforderung, das Tempo wird vom Vordermann vorgegeben. Nicht alle können sich damit abfinden und versuchen im Stil eines Stauhüpfers zwei Meter Boden gutzumachen. Ich begehe den gravierenden Fehler leicht zu verlangsamen, denn es bietet sich ein Fotomotiv an. Prompt erhalte ich vom Hintermann einen Stoß in den Rücken. Nicht aus Versehen, denn wenig später, beim nächsten Schnappschuss, kassiere ich den zweiten. Eigentlich bin ich beim Laufen immer entspannt, nun aber nerve ich mich gehörig. Warum hat sich dieser Trottel nicht auf den ersten 15 Kilometern in eine bessere Position gebracht? Bei der nächsten Gelegenheit lasse ich diesen Drängler vorbei. Ich tue gut daran, nicht zu stark aufzudrehen, denn der Untergrund verzeiht keinen Fehler. Trotz der Konzentration übertrete ich mir den rechten Fuß. Der Schmerz dauert zum Glück nicht allzu lange an, frei nach dem Sprichwort ungeklärter Herkunft: Und ist das Band erst ruiniert, dann dehnt es sich ganz ungeniert.

Endlich kommt der Berg der Berge ins Blickfeld und wir durchschreiten die Hauptstraße Zermatts  -die Bahnhofstraße eben - auf der ganzen Länge.

An einer langen von N. nach S. ziehenden Strasse aufgereiht (es ist nichts anderes, als die Thalstrasse), zeigt das Dorf Zermatt auf den ersten Blick den starken Kontrast, der eine Folge der Umwandelungen ist, welche dieses im Laufe von fünfzig Jahren durch die Entwicklung des Fremdenverkehrs erfahren hat. Während die Nebengassen noch ganz den Charakter eines Alpendorfes von ehedem bewahrt haben, zeigt die Hauptverkehrsader, an der sich prächtige Gasthäuser und eine Menge Bazare aufreihen, das Leben und Treiben einer Weltstadt.

Das Spalier beginnt mit dem Verpflegungsposten, nachher sind es Zuschauer, die Halbmarathonmarke mit Wechselzone für die Staffeln, eine der zwei Luzerner Guggemusiken und nochmals viele Zuschauer, welche die Strecke säumen und für die Atmosphäre eines City Marathons sorgen.

 
 

 
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