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Laufberichte

Majestätisch

04.07.09

Als ich im vergangenen Winter an meiner Wunschliste herumbastelte, blieb ich lang an einem Datum hängen, dem 4. Juli. Nicht wegen des amerikanischen Nationalfeiertages, obwohl die transatlantischen Nachbarn dieses Jahr in Sachen Häuptling endlich was zu feiern haben. Nein, Heimatliches und zugleich Weltbekanntes war der Grund dazu. Die Bergsilhouette mit dem wohl höchsten Wiedererkennungswert, das Matterhorn, gibt es an diesem Tag aus einer besonderen Perspektive, aus jener der Marathonläufer, zu bewundern - und ich würde nicht dabei sein können.

Zurzeit ist es mir aus familiären Gründen kaum möglich, an Samstagen an Läufen teilzunehmen. Immerhin gab es in diesem Jahr schon drei Ausnahmen, die ich sehr zu schätzen weiß. Und so stellte ich mich darauf ein, dass ich mich an diesem Tag, in einem Anflug mentaler Absenzbewältigung, damit begnügen muss, mir etwas Schweizer Schokolade zuzuführen. Damit diese das Gemüt noch mehr erhellt, vorzugsweise in der altbekannten Dreiecksform mit ihrer offensichtlichen Reminiszenz an den Berg der Berge.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Das Klingeln des Computers kündigte eine Mail an, welche eine längst abgehakte Sache wieder in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit rückte. Aus Zermatt wurde ich angefragt, ob ich nicht am diesjährigen Marathon starten und einen Bericht darüber verfassen wolle. Das Wollen war nie ein Thema… 

Im Wissen, wie es mich nun wieder erst recht in den Füßen juckte, entschied der Familienrat ohne meine ausdrückliche Bitte, dass ich mir diesen Leckerbissen nicht entgegen lassen solle. Dank zwei kleinen Änderungen, die seit meiner ersten Teilnahme vor zwei Jahren in Kraft getreten sind, würde ich an diesem Ereignis sogar in einem Tagesausflug teilhaben können.

Die eine ist die Verschiebung der Startzeit nach hinten auf 09.30 Uhr. Die andere hat ein paar Milliarden Franken gekostet, zu denen ich mit meinen Steuern ebenfalls beigetragen habe. Damit wurden der 34,6km lange Lötschberg-Basistunnel und seine Zufahrtsstrecken gebaut, welche die Fahrzeit der Bahn von Zürich ins Wallis um eine Stunde verkürzen. Dadurch ist es mir möglich, am Morgen vom Wohnort am nördlichsten Zipfel zum Marathon der südlichsten deutschsprachigen Gemeinde der Schweiz zu fahren.

St. Niklaus - vor dem Start

Der Start und die Startnummernausgabe ist allerdings nicht in Zermatt, sondern schon etwas vorher, in St Nikolaus. Zu dieser Ortschaft meinte das Geographische Lexikon der Schweiz vor hundert Jahren:

Gem. und Pfarrdorf im Nikolaithal; zwischen dem Gabelhorn (3135m) im O. und dem Stellihorn (3415m) im W., welch‘ letzteres vom Turtmanthal trennt.  (…)
Postablage, Telegraph. Station der Linie Visp-Zermatt. Zwei Gasthöfe und ein Restaurant. Das Dorf liegt sehr angenehm am linken Ufer der Visp und am Fuss der gut angebauten  und wiesengrünen Terrassen von Gasenreid und Grächen. Im Winter verdecken die Berge während mehrerer Wochen die Sonne fast vollständig. Die Kirche wird durch einen senkrecht dahinter aufsteigenden Felsen bedroht, von dem schon oft einzelne Teile sich losgelöst haben und niedergestürzt sind. An der nämlichen Stelle mündet auch ein Lawinenzug aus. Es wurde die Kirche z.B. 1749 verschüttet, während der Glockenturm stehen blieb, in dem der Sigrist eben mit dem Morgenläuten beschäftigt war, ohne dass er – ausser einem starken Windzug – etwas von der Zerstörung der Kirche gemerkt hatte. (…)

St. Niklaus ist nach Zermatt die umfangreichste Gemeinde des Thales und zugleich auch – trotz des Weltruhmes von Zermatt – dessen volksreichste. (…)
In St. Niklaus beginnt ferner die thaleinwärts bis Zermatt ziehende Fahrstrasse, während thalauswärts bis Stalden blos ein ziemlich gefährlicher Saumweg führt, der oft in den Fels eingehauen ist und am Rand von Abgründen hinzieht. Haupterwerbszweig der Bewohner sind Land- und Alpwirtschaft mit Viehzucht. Daneben ergreifen auch manche Männer den Bergführerberuf, in dem sie sich als unerschrocken, umsichtig und ausdauernd auszeichnen. (…)

Die Fahrt dorthin verläuft nicht ganz so ruhig und reibungslos, wie gewünscht. Kurz vor der Abfahrt des Zuges steigen zwei junge amerikanischen Pärchen zu und setzen sich ausgerechnet ins Abteil nebenan. Ihre Alkoholfahne haut mich fast vom Sitz. Anscheinend beeinträchtigt Alkohol auch die Hörfähigkeit, anders kann ich mir nicht erklären, weshalb  ihre Kommunikation in einer Lautstärke stattfindet, die sogar einen Frühaufsteher wie mich schmerzt. Irgendwann kommt der einen Schnapsdrossel in den Sinn, dass während der durchzechten Nacht ihr Nationalfeiertag begonnen hat, und sie beginnt mit großer Inbrunst und ebenso großer Anzahl falscher Töne „The Star Spangled Banner” zu intonieren:

„O sag kannst du sehen bei des Morgens frühem Licht,
was so stolz wir bejubelten bei der Dämmerung letztem Schimmer?“ 

 Nein, da kann ich wirklich nichts erkennen. Und sie selbst? „Viel sehen die heute nicht mehr – im Gegensatz zu mir“, denke ich, als dieses olfaktorische und akustische Folterkommando zum Glück ein paar Stationen später aussteigt.

Im Schnellzug ab Zürich habe ich um diese Uhrzeit viel Platz und Ruhe. Mindestens bis zur Lautsprecherdurchsage, dass wir wegen einer Störung des Zugleitsystems auf die alte Strecke umgeleitet und verspätet ankommen werden.  Nach Bern fragt der Zugchef nach Anschlussverbindungen und bevor wir den langen Tunnel verlassen, werden wir informiert, auf welchem Bahnsteig der Zug nach St. Niklaus auf uns wartet. Bis auf den letzten Platz besetzt, ruckelt er los und kommt schließlich nur mit geringer Verspätung an. Vom Bahnhof zur Startnummernausgabe sind es nur ein paar Schritte und die Unterlagen sind schnell erhalten, es bleibt also noch genügend Zeit für die wichtigste Vorbereitung, das Auftragen des Sonnenschutzes.

Ein kurzer Marsch hinunter zur Hauptstraße und schon bin ich im Startgelände. Hier können die Wertsachen und Kleiderbeutel abgegeben werden, wobei für die am gleichen Tag anreisenden Läufer eine Ausnahme gemacht wird; diese dürfen auch eine etwas größere Tasche mitgeben. Individuellen Service nenne ich das.

Viel Zeit bis zum Start bleibt nicht mehr, doch zuerst startet die Elite, dann gehen die Staffelläufer auf die Strecke und erst dann das Feld.

 
 

 
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