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Laufberichte

Sandgestrahlt

 
Autor: Joe Kelbel

Der Start verzögert sich, man wartet auf eine große Gruppe Läufer. Die Musiker heizen uns ein. Rachid Elmorabity (MdS-Gewinner 2012) steht in der ersten Reihe, hält die Meute zusammen. Er wird den 10 km-Lauf in  31 Minuten gewinnen.

Nach dem Start kurze Unterhaltung mit dem Gouverneur Abdelghani Samoudi, der sich freut, dass etwa 200 Ausländer in den Starterlisten geführt werden, dann nimmt mich Lahcen mit dem 4x4 auf die Strecke mit.

Der Wind schiebt über die  breite Oase des Draa eine meterdicke, bedrohliche Staubwolke. Irgendwie bin ich doch froh, heute nicht laufen zu dürfen, denn was sich da zusammenbraut, sieht wenig gemütlich aus. Wichtig ist, dass man bei einem Sandsturm ein (totes) Kamel dabei hat. Zunächst quetscht man den breiigen Mageninhalt aus, so erhält man Wasser für mehrere Tage. Entfernt man die Innereien samt Lunge, kann man sich im Inneren des Kameles wunderbar vor dem Sandsturm schützen. Besser noch, wenn man die Haut abzieht und damit die offene Bauchhöhle abdeckt. Die Chance so zu überleben, wiegt den Gestank auf.

Wasser gibt es bei dem Marathon allerdings alle 5 km und die Sandwalze schafft es nicht ganz über den Gebirgszug. Dennoch ist der Wind auf der Südseite so stark, dass viele Läufer nur noch gehenderweise die Laufstrecke bewältigen können. Wie Nadelstiche prallen Sandkörner gegen die nackten Beine und knirschen zwischen den Zähnen, dazu ist es aussergewöhnlich kalt, gleichzeitig verbrennt die Sonne Nacken und Waden.

Die Strecke ist dieses Jahr viel besser von Polizei und Nationalgarde gesichert, sodass es dieses Jahr keine unangenehme Bettelei  im Bereich der Kasbah von Amezrou  gibt. Oft werde ich gefragt, wie es mit der Sicherheit bestellt ist. Der Marathon steht unter dem besonderen Schutz des Königs von Marokko. Dafür schließen die Ahansal-Brüder jährlich einen Schutzvertrag mit dem König, Mohammed VI., ab.

Die algerische Grenze (ca 150 km von hier, hoher Stacheldrahtzaun) ist mittlerweile auch für die Tuareq gesperrt und  militärisch stark bewacht. Bernd hat das Gesetz der Wüste schnell begriffen und holt einen unangenehmen Jugendlichen mit einem beherzten Tritt vom Fahrrad.

Schön ist, dass der Organisator des Marathons noch Zeit hat, mit den Nichtläufern Rainer und mir, bei sich zuhause während des Laufes einen starken Kaffee zu trinken. Dass hier auch andere Sachen getrunken werden, bewies der Autofahrer, der in der Nacht mit dem Auto den Startbereich niedermähte.

Karl-Heinz, der vor wenigen Jahren noch 117 kg schleppte, ist das erste Mal in Afrika. Nicht nur er ist überwältigt von diesem Wüstenlauf .Ein Lauf durch die Wüste verändert, beruhigt, bringt einen zurück zur Basis des Lebens. Lange noch sitzen wir am Abend zusammen. Ich lausche den Schilderungen der Läufer über beissenden, eiskalten  Sandsturm und dem einsamen, erfolgreichen Kampf und träume von einem Comeback als Läufer. Für uns steht fest, wir wollen mehr Einsamkeit, mehr Vergessen von dem hektischen Leben daheim, wir wollen tiefer eindringen eine magische Welt.

 

 M´ Hamid und der Sand von Erg Chegaga

 

In Tamegroud (übersetzt in etwa: Ende der Welt) befindet sich die wertvollste Bibliothek Marokkos ( Zawia Tamegroute). 4189 handgeschriebene Bücher aus dem Mittelalter überdauern hier die Jahrhunderte in der trockenen Wüstenluft, nur geschützt durch dicke Lehmmauern. Fotografieren verboten.

Interessant der Stammbaum Mohameds (um das Jahr 1000 geschrieben), beginnend mit Abraham. Die Schriftzeichen sind über die Jahrhunderte anscheinend unverändert geblieben, denn Samir, der den sechsten Platz beim MdS belegte, kann die Bücher noch lesen. Es gibt astronomische Bücher mit Zeichnungen des Planetensystems (12.Jahrh), mathematische und medizinische Bücher, Wörterbücher arabisch-alttürkisch-berberisch.

Äusserst beeindruckend ist die Töpferei nebenan, in der die Pokale für den Zagora Marathon hergestellt werden.  Die Farben erhält man, indem man Minerale vor dem Brennen aufträgt. Für Essensgeschirr nimmt man Pflanzenfarbe, wie Safran, Luzerne, Henna und Indigo.

In Tagounite sind die letzte Tankstelle und eine große Militärbasis, dann enden Handyempfang und Straße. Wir sind in Ouled Driss. Rheinländer lachen über diesen Namen, doch  hier ist nichts Driss, außer die wohl-abgeklemmte Hinterlassenschaft der Dromedare.

Mittagessen in der Karawanserei „Rose du Desert“. Fotoshooting mit Dromedaren, so manches FB-Profil wird mit diesen Fotos geändert werden.  Bis Ende der 80er Jahre gab es für Europäer keine Genehmigung, dieses Gebiet zu betreten, geschweige denn, hier zu übernachten. Dann kam die große Dürre, machte Landwirtschaft unmöglich. Seitdem lässt man die Off-Roader in dieses entlegene Gebiet, um wenigstens einige Dirham zu ergattern.

Wer laufen kann, wandert nun in die Einsamkeit, vorbei an der Kasbah. Vom Ksar (Lehmfestung) Ksebt el Alouij (Fort der europäischen Legion) zogen im 16. Jahrhundert die versklavten Christen nach Mali und eroberten Timbuktu.

Ich lasse mich mit einem 4x4 zu unserem Bivouc (Nomadenzelte mit Teppichen ausgelegt) fahren. Unter einer verdorrten Akazie liegend, träume ich in den wolkenlosen Himmel. Da entdecke ich aufgespießte Käfer -  es ist die Vorratskammer eines Neuntöters, eines kuckucksgroßen Vogels, der den Sommer in Europa verbringt. Mangels Akazien spießt er hier seine Beute auf Stacheldraht .

Als meine Laufkameraden eintreffen, zwingt die untergehende Sonne uns zu einem  Sundowner auf der großen Düne. Die  Sundowner, die muss man schon selbst mitbringen, oder man begnügt sich mit dem „Whiskey Berbere“, dem übersüßten Tee. Marokko ist der weltgrößte Importeur von Zucker.

Lange sitzen wir auf der Düne und lassen uns vom eiskalten Wind mit Sand garnieren, während unten das Abendessen (Tajiine) bereitet wird. Am Lagerfeuer sitzend, lauschen wir den Trommeln der Berber. Samir erklärt uns den Sternenhimmel und wie man sich danach orientiert, wenn man nächtens durch die Wüste läuft. Als das Feuer niedergebrannt ist, sitzen wir stumm im Kreis und lauschen dem lautlosen Nichts, bis uns die Kälte in die Zelte treibt. Ein wunderbarer 30ter Dezember endet.

 

Silvester

 

Zurück in Zagora, werden vergessene Laufutensilien eingesammelt. Anscheinend macht Laufen blöd. Ich habe eh immer einen Koffer in Zagora.

Am Abend geht es zur Silvesterparty ins Bivouac Ahansal. In Erinnerung bleiben die langen Gespräche mit den hier beschäftigten Einheimischen. Viele sprechen kein französisch, weil sie nie zur Schule durften. Wie man sich dann verständigt? Ich weiss es nicht, irgendwann wird es  einfach und dann erfahre ich, wie die Ahansal-Brüder mit ihren Lauferfolgen und Verbindungen den Menschen hier Arbeit und Brot geben, wie großzügig sie sind und wie glücklich die Leute hier sind, diese Halbgötter des Sportes als Arbeitgeber zu haben.

Hier im Silvesterbivouac sind vielleicht 150 Europäer aus allen Ländern versammelt und  viele wissen nicht, mit welchen Berühmtheiten sie am Feuer sitzen. Wer mag, geht irgendwann auf die große Düne, entsagt dem kleinen Trubel im Zeltdorf und starrt in den grenzenlosen Sternenhimmel.

 

Ouarzazate

 

Dieser Ort ist für MdS Läufer Hölle und Paradies. Im Hotel „La Gazelle“ hängt ein großes Foto von der Olympiazweiten Anke, die das Team Deutschland jedes Jahr zum Marathon des Sables begleitet. Dieses Hotel ist die Basis der deutschen Läufer. Thomas wird im April wieder hier sein, ich darf träumen. Warum Hölle und Paradies? Es gibt Fotos vor dem MdS und nach dem MdS…alle hier geschosssen.  Eines Tages bin auch ich auf diesen Fotos, Inshallah.

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Informationen: Zagora Sahara Trail
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