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Laufberichte

Daham is daham

 

100 Meter weiter in Richtung Praterstern befindet sich auf der Praterallee die „große“ Labestelle, die von beiden Seiten bedient wird. Die wenigsten Läufer bleiben nach  3 ½ km stehen, sondern rennen vorbei. Der Kurs führt die Hauptallee weiter und wendet nach ca. 1,5 km, sodass laufend Gegenverkehr herrscht. Durch die Abtrennung der Strecke in der Mitte mit Pylonen wird die gerade Linie vorgegeben.

Knapp nach der Labestation und 20 Laufminuten kommen mir auf der rechten Seite die Allerschnellsten entgegen. Es sind 7-km- und Halbmarathonläufer, die einen Vorsprung von rund 1 ½ km haben. Mein Lauftempo beträgt 10 km/h oder 6 min/km.  Den Halbmarathon möchte ich in 2:06 Stunden schaffen. Je näher ich zur Wende auf der Praterallee komme, desto dichter wird das Feld der entgegenkommenden Läufer, darunter auch Freunde und Bekannte wie die beiden Andys, Ewald, Josef mit Susanne. Laut dem gleichbleibenden Streckenverlauf erreicht man die Labestelle das zweite Mal nach Kilometer 6 auf dem Rückweg ins Stadion. Ich verweile kurz und checke das Angebot: Wasser, Red Bull, Saft (aufgemischt), einige Bananenstücke. Das Angebot ist nicht überwältigend. Trotz einer 30-Sekunden-Pause zeigt die Uhr dann im Stadion eine 42-er Zeit an, die netto sogar um rund 30 Sekunden darunter liegt. Meine erste Runde habe ich also nach Plan hingekriegt. 

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn man einen ganzen Marathon auf dem weichen Belag der 400m-Bahn im Stadion laufen könnte. Da würde ich vielleicht nach 105 Runden wieder einmal unter  4 Stunden finishen können, wenn mich vorher nicht das Drehwurm-Syndrom zum Aufgeben gezwungen hat. Als ich im Stadion in die 2. Runde gehe, durch den Ostsektor durchlaufe, wo sich direkt beim Ausgang eine weitere kleine Labestation befindet, sichte ich unter den Einlaufenden Dutzende 7-km-Läufer, die zeitlich hinter mir liegen. Zumindest 100, wenn nicht mehr Halbmarathonis laufen mit Zeiten um 6:30 min/km um 30 Sekunden langsamer als ich und haben nun auf den verbliebenen 2 von 3 Runden Gelegenheit, auf die vor ihnen liegenden Marathonteilnehmer aufzuschließen.

Wieder auf der Praterallee in östliche Richtung laufend marschiert vor mir ein dick vermummter Halbmarathon-Staffelläufer, der dem Aussehen nach in der M-60 startet. Ihm ist kalt, doch da er nur eine Runde „läuft“, wird er nicht mehr auf der Strecke sein, wenn sich der Nebel gegen Mittag lichtet. Ich sage freundlich „Hallo“ und laufe an ihm vorbei.

Als ich dann nach der Wende mit dem Ausgangstempo 10 km/h entlang des Heustadlwassers wieder zur Kreuzung Praterallee/Meiererstraße komme, sind knapp vor Kilometer 10 noch immer einige 7-km-Läufer auf der anderen Seite am Weg ins Ziel zu sehen. Wenn  jemand mit 8 oder 9 min/km unterwegs ist, finisht er oder sie knapp unter oder über einer Stunde. Das kommt bei jedem Rennen vor. Auch bei kurzen Distanzen gilt die Gauß’sche Normalverteilung: Ein kleiner Prozentsatz ist schnell, die breite Mehrheit liegt im Mittelbereich, einige wenige rangieren am Schluss des Feldes.

Bald darauf erblicke ich auf der anderen Seite Susanne, mit fast 80 Marathons führt sie die Liste der österreichischen Marathonsammlerinnen deutlich an. An ihrer Seite befindet sich Josef,  der von Woche zu Woche schnellere Marathonfinisherzeiten hinknallt. Die beiden haben  sich wie schon beim Wachau-Marathon vorgenommen, solange es tempomäßig  geht, gemeinsam zu laufen. Nach 66 Laufminuten liegen sie bereits 1 ½ km vor mir.  Im nächsten Augenblick folgen ihnen Andy, Otto mit seinen beiden Clubkollegen in roten Shirts, Werner und Börni, der mir vor dem Start gesagt hat, heute nur einen Trainingslauf um 4:30 bestreiten zu wollen. Ich antwortete ihm spaßhalber,  dass er ab der  vierten Runde mit mir rechnen müsse. Aber noch liegt der Börni am Ende der 2. Runde um zwei Minuten vor mir.

Nach 2 Runden oder 14 Kilometer  laufe ich mit 1:24 Stunden über die Matte. Vor und hinter mir die superschnellen Halbmarathonis, die deutlich unter 1:30 finishen werden. Noch bin ich exakt in der 6er-Zeit, aber insgesamt sind kaum mehr als 15 oder vielleicht 20 Marathonläufer hinter mir. Die Praterallee gilt in Läuferkreisen als schnelle Strecke, hier wurden schon viele nationale Rekorde erzielt, bspw. im Halbmarathon.  Es könnte der Fall sein, dass so mancher auf eine persönliche Bestzeit beim diesjährigen Wiener Herbstmarathon hintrainiert und jetzt den Turbo gezündet hat.

Ich begebe mich auf die 3. Runde, das Feld hat sich schon ziemlich gelichtet. Es sind immer noch  Dutzende Halbmarathonläufer erst auf der zweiten Runde und laufen hinter mir auf der anderen Straßenseite ins Ernst-Happel ein, wo am 22.10. die Wiener Austria gegen Athletico Madrid in der Euro League spielen wird.
Inzwischen ist es 11.30 Uhr, der herbstliche Morgennebel über dem Wiener Prater hat sich schon etwas gelichtet. Andy sagte mir noch knapp vor dem Start, dass ihm Kälte beim Laufen viel lieber als Wärme sei – wenn er Pech hat, könnte die Temperatur heute gegen Mittag auf 20 Grad C oder sogar mehr ansteigen. Mir wird mein Langarmshirt auch schon zu warm, vielleicht hätte ich doch den orangen M4Y-Arbeitsdress für den Oberkörper nehmen sollen. 

Auch auf der dritten Runde begegne ich wieder meinen Bekannten und Lauffreunden, nur haben sie ihren Vorsprung inzwischen ausgebaut. Ich liege bei der Labe knapp vor Kilometer 21 um ca. 1 Minute über der 6er-Zeit, mit 2:08:01brutto laufe ich über die Matte. Eine Minute  Verspätung ist zu tolerieren, wenn man es steuern könnte. Nun muss ich versuchen, auf der zweiten Hälfte des Marathons das Tempo einigermaßen zu halten, dann könnte sich eine Zeit unter 4:30 ausgehen. An 4:15 kann ich momentan nicht denken, da ich nach bisher 44 Marathons in diesem Jahr längst auf Vorrat laufe.

Gleich am Beginn der 4. Runde kommt es zu einer lustigen Unterhaltung: Ein älterer Läufer mit kurzen grünen Shorts, ärmellosem Windbreaker und luftigem Singlet scheint mit seinen Kräften am Ende zu sein, er trabt langsam des Weges. Er trägt die Startnummer 850, dürfte sich erst am Renntag angemeldet haben, schließlich waren laut der Starterliste bei Pentek-Timing  ca. 140 Marathonläufer vorregistriert. Als ich vorbeilaufe, sagt er laut im breiten Wiener Slang: „Herst host um Erlaubnis gfrogt, dos vorbeilaufn derfst“. Ich darauf: „ Herst Oida, wos is – ich wü nur schnö zu an Buschn umme, du wast eh warum…“  Das kleine Geschäft dauert eine halbe Minute, bald darauf habe ich ihn wieder eingeholt. „Hetzan host freie Bohn, zaa on...“ Ein lustiger Typ und sehr sympathisch. Zu dem Zeitpunkt hoffe ich, dass er in 6 Stunden den Marathon beenden wird.

Das Teilstück entlang dem Heustadlwasser bis zur Stadionallee hat mir schon in früheren Jahren nie gefallen. Grund sind die vielen Löcher im geflickten Asphalt und eine ganz leichte Steigung, mit der ich mit in 10 Jahren nie angefreundet habe. Hier habe ich immer schon Zeit verloren. So auch auf der 4. Runde, als ich mit 3 Minuten Rückstand zur 25 km-Anzeige komme. Susanne schreit mir entgegen „Scheidung“, verstanden natürlich im Sinne des gemeinsamen Laufes mit Josef, der davongezogen ist. Doch Susanne liegt fast 3 km vor mir, das sind 18 Minuten nach meiner Tempotabelle. Eine Zeit unter 4 Stunden wird sie nicht mehr schaffen, sagt meine Überschlagsrechnung, aber knapp darüber wird sich ausgehen.

Auch ein anderer Andy ist heute gut drauf, nämlich der mit der Startnummer 46, der mir heuer in Ollersdorf verraten hat, dass er ein wenig für den Herbst-Marathon in Wien hintrainiert. Heute lacht er auch noch auf der 4. Runde übers ganze Gesicht und ist bestens drauf. Mit 2:51 brutto schließe ich die 4. Runde nach 28 km ab. Um 30 km in 3 Stunden zu laufen, müsste ich die noch fehlenden 2 km in 9 Minuten schaffen. Das ist nicht zu machen. 

Der Platzsprecher dürfte geglaubt haben, die 4. Runde wäre meine 5. Er ruft ins Mikro: „Soeben  ist wieder ein Läufer durchgekommen, der nun  auf seiner letzten Runde ist und vielleicht noch knapp unter 3:30 finishen könnte.“  Wäre das der Fall, dann hätte ich mich der zweiten Pacemaker-Gruppe mit 3:30 anschließen können. Bisher haben mich die beiden Pacemaker-Teams schon je einmal überholt.

Direkt am Ausgang des Stadions in östlicher Richtung befindet sich eine kleine Labe, die ich noch nie benutzt habe. Diesmal bleibe ich stehen und gönne mir eine kleine Pause. Nun spüre ich abrupt eine gewisse Müdigkeit, eher im Kopf als in den Beinen. Die Anzeichen eines ungewollten Leistungseinbruches deuten sich an.  Das ist zum Ärgern, denn ich war mir sicher, heute eine passable Zeit laufen zu können. Ein Gel-Päckchen zeigt keine Wirkung, ich trabe mit einer 7er-Zeit weiter. Auch andere gehen nach 30 km, die Garmin zeigt 3:06 Stunden an. 
Jetzt kommt eine Frau mittleren Alters von hinten auf mich zu, mit der ich 2011 beim Herbst-Marathon im Prater  gesprochen habe. Als Ultramarathonläuferin gehört sie der Sri Chinmoy-Bewegung an. In der österreichischen und deutschen Sportpresse wurde schon viel über sie berichtet. Sie überläuft mich spielend. Leider auch einige  andere Marathonteilnehmers bis zum Ende der 5. Runde, die ich mit 49 Minuten abschließe.

Noch größer ist mein Leistungsrückfall auf der letzten Runde. Inzwischen kommen auch die Spaziergänger und Radfahrer in die Prater Hauptallee und negieren vielfach die Absperrungen an der  Laufstrecke. Das ist immer ein Zeichen, dass der Marathon schon fast zu Ende ist. Die Startnummer 43, ein Mann Mitte Sechzig, zieht an mir vorbei. Es ist schon bitter, wenn man keine Reserven mehr hat. Andererseits können andere hinter mir nicht nachrücken, wie ich bei der letzten Wende auf der Praterallee sehe. Der Abstand zu einigen Frauen hinter mir hat sich auf einen Kilometer vergrößert. Ich laufe ins Ziel mit 4:36:52 – die Nettozeit lautet dann 4:36:12 Stunden.

Im Zielbereich sehe ich Werner, der sich in der Sonne am Boden sitzend wärmt. Wir hocken uns zusammen. Er ist mit 4:05:20 heute wieder ausgezeichnet gelaufen, wie eigentlich (fast) alle im 100 Marathon Club Austria. Josef, Jahrgang 1950, finisht mit 3:48:27 und erreicht eine neue persönliche Bestzeit. Er wird Erster in der Altersklasse M-60. Börni hingegen ist ausgefallen,  die Gründe dafür sind mir noch nicht bekannt.

Als ich mich gegen 15 Uhr auf dem Weg zum geparkten Auto mache, kommen mir die letzten beiden Läufer entgegen. Einer hat nur mehr 400 m bis in Ziel, der andere noch 2 ½ km vor sich. Der Wiener Herbstmarathon 2013 endet bei strahlend schönem Wetter und empfiehlt sich so wärmstens für zukünftige Teilnehmer.

Gesamtsieger (keine eigene Damenwertung):

1. Petr Svoboda Petr (CZE): 2:41:19
2. Attila Korpics (HUN) 2:46:33 
3. Radomír Bursa (CZE) 2:48:42

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Informationen: Wien Herbstmarathon
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