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Laufberichte

Tiefer Schmerz im Salz der Erde

05.12.09
Autor: Joe Kelbel

Vor 250 Millionen Jahren lag Sondershausen am Nil. Na gut, hätte es Sondershausen schon gegeben. Damals war dort ein flaches Meer, und die Welt stand vor dem größten Massenausterben. 95 % der Meeresbewohner und 66 % der Landbewohner machten die Fliege. Es war nur heiß. Das Wasser des Meeres verdunstete, die Konzentration an Salzen  erhöhte sich stark und lagerte sich  am Meeresboden ab. Die Salzschichten nahmen jedes Jahr im Schnitt 10 cm zu.  Etwa 1,5 Kilometer tief reichen die Salzschichten nun bei Sondershausen.

Kalisalz ist eine Mischung verschiedener Salze. Durch Veredelungsverfahren gewinnt man den Mineralstoff Kalium. Justus von Liebig war Deutschlands erster Dopingchemiker: er checkte 1840, daß Kalium  bei Pflanzen die Photosynthese  intensiviert und die Umwandlung von Zucker in Stärke und den Aufbau von Eiweiß  beschleunigt. Also wurde nach Kali gewühlt, man wollte ja große Kartoffeln. Die Jungs von Sondershausen haben unter ihrer Stadt Löcher von insgesamt 220 Kilometer Länge gebuddelt, in mehreren Lagen, 400 bis 1500 Meter tief, alles für dicke Kartoffeln.

Die Grubenglocke schlägt fünfmal. Signal für die Einfahrt ins Bergwerk. Von unten, aus dem bodenlosen Schacht, kommt der warme Atem der Erde.  Ziemlich komisch ist das Gefühl, in diesen Käfig-Lift mitsamt Gepäck gedrängt zu werden. 15 Läufer, 700 Meter frei schwebend über dem Abgrund. Ein Bergmann schreit: „Noch zwei, los, los, wir haben keine Zeit“ „ Helm auf“. Dann wird ein schwerer Ledervorhang vorgezogen, es ruckelt, dann saust die Kabine  in die Tiefe, es ist stockdunkel, unheimliche Stille.

Der Aufzug rattert gleichmäßig, die  Anspannung löst sich ein wenig. Dieses Jahr hat jemand eine Taschenlampe an die Decke des Lifts montiert, das tut gut. 4 Minten später fliegt der Vorhang auf, da stehen auch schon die  Wächter der Tiefe vor uns.

Sie  genießen sichtlich unsere ängstlichen, orientierungslosen  Dackelblicke, wie wir da aus dem Korb krabbeln. Diesmal gibt es keine rasante Lasterfahrt, wir kommen direkt im Start/Zielbereich an.

Das Start-und Zielgelände ist das infrastruktuelle Zentrum. Hier sind zahlreiche Bierzeltgarnituren aufgestellt, auf denen sich die Läufer breitmachen. „Mephistos Zeche“ ist eine bunt erleuchtete Bar mit Imbiss. Es gibt einen gewaltigen Konzertsaal, Kegelbahn, einen Festsaal, eine Sanitätsstation, Mineralien und Bergbaugegenstände sind ausgestellt.  Ein großer Plan bildet den Streckenverlauf ab: der 10,6 km lange Laufkurs ist achtförmig und berührt sich am Bauch, somit gibt es eine Begegnungstrecke.

Countdown, wir legen los. Der Puls  schießt augenblicklich in die Höhe, es geht 400 Meter steil aufwärts. Ich mache Fotos ohne Ende. Dann stop. Es gibt einen zweiten Start, denn die 400 Meter sollen nicht mitzählen. Drei, zwei, eins, wieder los.

Der Boden ist eigenartig. Was wie glattes Eis aussieht ist griffiges Salz, wo der feine Salzstaub liegt, kann es glatt sein. Manchmal sind schwarze, gläserne Stellen zu sehen, manchmal rote trübe, je nachdem ob Ton oder Eisen enthalten ist.

Gleich wieder Steigung.  Noch laufen wir hier hoch. Bei km 2,5 die erste Verpflegungsstation. Wir schütten uns rein was geht, die Jungs schenken aus wie die Wilden. Dann geht es abwärts, mächtig abwärts, tierisch abwärts. Vorbei am Friedhof. Es ist der Friedhof der Arbeitstiere, es sind die LKW´s und Fräsmaschinen aus DDR-Zeit. Sie werden für immer hier unten in den dunklen Gängen bleiben. Diese riesigen Arbeitstiere wurden einst an der Oberfläche zerlegt und in Einzelteilen nach unten transportiert, um dort wieder zusammengesetzt zu werden. Nun will sie keiner mehr. Gäbe auch keinen Sinn, im Stahl ist Salz, an der Oberfläche würden die Fahrzeuge zerbröseln. Dann wieder aufwärts und tierisch aufwärts. Dann wieder abwärts und  tierisch abwärts.

Irgendwo ist  die tiefste Stelle erreicht, könnte km 4 sein. Hier ist es stickig-heiß. 29 Grad, es riecht nach mächtigem Karnickelfurz und schwerem Diesel. Augenblicklich ist das Hemd klatschnassgeschwitzt, die Zunge ist trocken und  schmeckt nach Öl. Ein unheimlicher Drache schaut um die Ecke, schleudert mir mit Riesengedöns ekelhafte  heiße Luft entgegen. Es ist ein häßliches Lüftungsrohr.

Die trockene Luft (30 %) ist genial gegen meine Erkältung. Die Feuchtigkeit wird aus dem Atemwegen rausgesaugt, die Schleimhäute schwellen ab und ich kann frei atmen, wenn es nicht so heiß wäre.

Wieder Steigung, was sonst. Dann ein Dröhnen wie auf dem Flughafen. Ich weiss nicht was hier wummert, die Maschine macht einen stinkenden Höllenlärm. Verpflegungstation bei km 5, hau Dir Wasser rein was geht, denn jetzt  wird´s heftig: Endlose Steigung, 23%. Wenn Du denkst, Du bist oben , dann kommt eine Kurve, danach wieder Steigung, dann wieder eine Kurve. Unvorstellbar! Es ist ein Spagat zwischen dem, was Du siehst und dem was Du fühlst, ohne Horizont, nur Kampf. Es ist grausam. Meine Fotografiererei ist wilkommenes Alibi: Ich lass mich hängen, schnappe nach Luft. Zu stark sind die verletzungsbedingten Schmerzen, ich mache Faxen und bringe schlechte Witze.

Bei km 7,5 wieder eine Station. Hier ist der Begegnungsteil. Ab hier ist die Laufstrecke ideal, leicht wellig aber eigentlich gut zu laufen. Eigentlich. Kilometerweit reicht der Blick durch den Tunnel, ja, eigentlich könnte man hier laufen, aber ich sehe meine Rötgenbilder vor diesem glitzernd-dunklen Hintergrund und da vergeht mir eigentlich alles.

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Informationen: Untertage-Marathon
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