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Laufberichte

Wintertraum am Mont Blanc

02.09.12
Autor: Joe Kelbel

Refuge Bonatti (2010m) km 21, vor Streckenänderung km 22. Es ist so geil hier oben. Die Läuferschlange zieht durch die baumlose Landschaft,  niemand ahnt, wie wir  Stunden später auf diesen Höhen weinen werden.

Wir erreichen Arnuva (1769 m) km 26, es ist dieselbe Kilometerzahl wie vor der Streckenänderung, nur war die Cut-Off-Zeit 17:00 Uhr, nun 14:30! Irgendwas lief da schief, ich bekomme Cut-Off-Panik. Es ist 14 Uhr und ich stehe in der Schlange, um in das Versorgungszelt zu kommen. Davor, drinnen und dahinter Läufermassen. Platzangst seit dem Mont Blanc Tunnel mit den Italienern im Nacken, also schnell zum Aufstieg auf den Grand Col Ferret (2537m).

In einer langen Reihe tigern wir die 700 Höhenmeter empor, nur einer ohne Stöcke, dafür hat der die Hände frei zum Fotografieren. Es sind die letzten fröhlichen Momente des Laufes, es sind die letzten lauten Angebereien überdrehter Italiener. Mit zunehmender Höhe und zunehmendem Schneefall reduziert sich die überkandidelte Welt Charmonix´s mit seinem Bierpreis von sieben Euro.

So viel hatte ich beim Briefing in Courmayeur begriffen: Macht Euch vom Acker, wenn ihr auf dem Grand Col Ferret (2537), oder auch Col de Verreck seid! Es wird kalt!

Uih! Und wie fetzt der eisige Wind! Mützen und  sonstiges Ausrüstungsgedöns nehmen einen schnellen Abgang zum frostigen Abgrund. Nebelkristalle nadeln ins Gesicht. Diejenigen, die ihren Mützen und sonstigen Ausrüstungsgegenständen hinterher hechten, ahnen nicht, dass sich ab jetzt die Schneefallgrenze mit geil gespreizten Fingern hungrig über die Läuferschar stürzt.

Runter! Runter! Panikartig laufen wir hinab. Das Grinsen in meinem Gesicht liegt am Klappern meiner Zähne. Eine Ewigkeit vergeht, ehe wir einen Brunnen erreichen und die Wasserflaschen mit Eiswasser auffüllen.

La Fouly (1598m) km 40 (Cut Off vorher 20:30, jetzt 18:45). Mörderisches Gedränge im Verpflegungszelt. Käsestückchen sind geschmacklich zu extrem, die Salamischeiben haben feste Haut, Kekse sind zu trocken, Cola dreht den Magen um. Heiße Brühe macht Durst. Es ist etwa 16 Uhr, ich habe verdammt viel Zeit gutgemacht. Hinten in meinem Rucksack rattern die SMS`en der Rennleitung ein. Cut-Off-Zeiten werden verlängert, aber was interessieren mich SMS´en? Die könnten ja von meinem Bewährungshelfer sein.

Viele Läufer sehen nicht die Schilder in den Verpflegungszelten, wissen nicht, bei welcher Kilometerzahl sie sind, alles ist geändert, großes Durcheinander. Ich nehme es mit Gelassenheit, muss nur laufen und erfahre jetzt: etwa 96 Kilometer, etwa 5000 Hm und der nächste Ort: Praz de Fort ist ein Traum von Hausbaukunst.

Die Omis mit dem selbstgebackenen Kuchen, später die Enkelinnen mit dem warmen Tee, dazwischen die alternative Kneipe, in der die Wirtin Johannisbeeren puhlt, dort lasse ich mich für zwei Bier nieder und brülle den vorbeiziehenden Läufern dieses nervige “Bonne Courage” entgegen. Immer wieder dieses “Bonne Courage”. Seit Stunden höre ich das, es geht mir auf den Senkel!

Es muss zu dieser Zeit gewesen sein, als der UTMB (19 Uhr) gestartet wurde. Dort stehen sie mit gemischten Gefühlen: lange Anreise und dann gibt es nur eine Miniausgabe des UTMB.  Aber in der Nacht werden sie zu demütigen und dankbaren Läufern. Dann läuft der Gewinner des CCC in Charmonix ein. Die Front der UTMB-Läufer unter dem Start/Zielbanner muss zurückweichen. Er kann kaum gebührend gefeiert werden, die UTMBler wollen starten, Verzögerung.

Wir sind im Tal Issert , km 50, der Anstieg nach Champex-Lac (1477 m) km 54 ist schnell vergessen, Cut Off vorher 23.45, jetzt keine Ahnung, weil nur Läufermassen hier, panische Platzangst.

Vom Dach des  Versorgungszeltes rinnt der kondensierte Schweiß, während ich versuche, ein trockenes Hemd zu finden. Mir geht´s nicht gut. Nach 30 Minuten kann ich ein paar Nudeln essen. Ich hasse Nudeln, habe die Dinger bei jeder Pastaparty, jedes Wochenende. Ordner ermahnen mich, mich auszuruhen. Ich blicke hinaus: Bindfäden, richtige Scheiß Bindfäden. Jemand schickt mich zurück: Ausrüstung. Also Regencape drüber, Petzl-Lampe, Handschuhe, Kaputze und schnell am Seeufer entlang. Schnell geht nicht, niemand nimmt jetzt Fahrt auf, es ist grausam und die folgenden Stunden werde ich niemals vergessen können:

Wenn der Lauf nicht Dein Freund war, so war er Dein Lehrer!

 
 

Informationen: Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB)
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