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Laufberichte

Hochalpiner Genuss im größten Naturpark der Schweiz

 

Oder: Doppelte Premiere beim Swiss Irontrail

 

Wann kann man eigentlich von einer Premiere sprechen? Den Swiss Irontrail gibt es ja schon länger. Entstanden ist er aus dem Swiss Alpine in Davos. Ein Klassiker, der auch für mich die Initialzündung meiner Laufbegeisterung für die Alpen war. Angefixt von einem Bericht von Klaus Duwe auf Marathon4you, war der Swiss Alpine mein erster Marathonlauf in den Alpen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich nach 22 Kilometern an der Alp Funtauna nicht mehr geglaubt hatte, Davos jemals wieder zu sehen. War ich bis hierhin doch schon viereinhalb Stunden unterwegs. Länger als bei jedem Marathon, den ich bis dahin absolviert hatte.

Im Nachhinein war der Lauf der perfekte Einstieg ins Trailrunning. Fantastische Stimmung auf der Strecke. Viele Teilnehmende und im Grunde perfekt organisiert, wie ein Stadtmarathon. Dann kamen viele Änderungen. Neue Strecken kamen dazu, um auch die Trailrunner zu befriedigen. Das hat der Veranstaltung aber eher geschadet. Nach einigem Hin und Her ist der Veranstalter Tuffli dann mit dem Namen „Swiss Alpine“ nach Chur gezogen. In Davos hat man sich wieder auf die Ursprünge besonnen und richtet den Lauf unter anderem Namen wieder im alten Stil aus. Tuffli hat seine Veranstaltungen nach Art der Strecken getrennt und der Swiss Irontrail in Savognin soll zukünftig die Trailgemeinde ansprechen. Die Erstaustragung im Val Surses war im letzten Jahr auf einer Kurz- und einer Marathondistanz. In diesem Jahr wurden die Strecken angepasst. Mit dem T20, dem T50 und dem neuen T105 deckt die Veranstaltung nun ein großes Leistungsspektrum ab.

 

Zweifache Premiere

 

Die T 105 Strecke wird in diesem Jahr zum ersten Mal angeboten, ist also Premiere. Auch für Birgit, die eigentlich schon sehr Trail-erfahren, aber noch nie weiter als 50 Kilometer in den Alpen gelaufen ist, ist der T  105 eine Premiere. Es ist ihr erster Hunderter in den Alpen und überhaupt. Das ist dann die zweite Premiere. Mit am Start sind außerdem noch meine Vereinskollegen Paul und Myriam, die wie ich im September in den Pyrenäen laufen werden und Peer, der sich auf die Monte Rosa Tour vorbereitet. Wir haben uns den Swiss Irontrail als harte Trainingseinheit mit technischem Anspruch ausgewählt.

Überraschend kommt noch Florian, der Mann von Birgit nach. Er musste seinen Trip auf dem Appalachian Trail wegen Hochwasser kurzfristig abbrechen und wird uns supporten.

 

Anreise

 

Wir reisen schon am Donnerstag an, um uns wenigstens ein wenig zu akklimatisieren. Nach entspannter Fahrt durch Frankreich und die Schweiz erreichen wir schon am Mittag das kleine Örtchen Savognin. Wir gönnen uns eine Pizza und da die Bergbahnen noch geschlossen sind, fahren wir einfach weiter zum Julierpass, dem ganzjährig geöffneten nördlich Zugang zum Engadin, der nur 30 Minuten entfernt ist. Auf 2284 m Höhe entspannen wir von der Fahrt an einem kleinen See und erfreuen uns an der Sonne auf der warmen Bergwiese. Wir genießen noch einmal das gute Wetter. Für die kommenden Tage sieht es nicht so überragend aus. 

 

 

Am Freitag schlafen wir solange es geht in unserer schönen Ferienwohnung. Zum Mittagessen spazieren wir in den Nachbarort, und auf dem Heimweg setzt schon der erste Regen ein. Das trübe Wetter hält an, aber zum Start morgen früh soll es zumindest trocken sein. Wir fahren zur Dorfhalle und holen unsere Startnummern ab. Wir unterschreiben, dass wir die Pflichtausrüstung mitnehmen werden und erhalten einen GPS-Tracker zur Sicherheit, damit die Zeitmesser immer wissen, wo wir sind. Nach einer ordentlichen Portion Pasta geht es ins Bett, müssen wir doch morgen früh beizeiten raus.

 

Trockener Start

 

Um drei Uhr geht der Wecker. Es hat in der Nacht geregnet, aber jetzt ist es trocken. Am Start geht alles sehr entspannt zu. 91 Starterinnen und Starter stehen in der Liste. Wir treffen ein paar alte Bekannte. Die Berge sind wolkenverhangen. Immerhin herrschen angenehme Temperaturen. Die Strecke wurde in den letzten Tagen nochmal angepasst. Aggressive Mutterkühe haben keine Lust auf Trailrunner und so wird die Strecke 4 Kilometer kürzer.

 

 

Nach einem kurzen Briefing geht es recht unspektakulär auf die Strecke. Es ist schon so hell, dass wir die Stirnlampe nicht brauchen. Zuerst durch den Ort und dann weiter über einen Fahrweg geht es moderat in die Höhe. Der erste Anstieg hat schon satte 1500 Höhenmeter. Still ziehen wir den Berg hoch. Zu Anfang haben wir noch den ein oder anderen Blick ins Tal. Dann verschwinden wir in den Wolken. Ab und zu Kuhglocken, aber die dazu passenden Tiere sehen wir nur selten. Zu dicht sind die Wolken. Der Fahrweg hat sich schon lange verabschiedet. Wir haben schnell die Baumgrenze erreicht. Schemenhaft ragen die ersten Felswände vor uns in den Himmel oder besser in die Wolken, denn vom Himmel sieht man nichts.

Nach ein paar kleinen Bergseen wird die Strecke ruppiger. Geröllfelder und Blockwerk wechseln sich ab. Erste Restschneefelder liegen am Weg. Nach einem anstrengenden Anstieg erreichen wir den Pass digls Orgels. Bizarre Felsnadeln stehen passenderweise wie Orgelpfeifen auf dem Übergang. Mehr ist leider nicht zu erkennen. Es ist kalt und ich krame die wasserdichten Handschuhe aus dem Rucksack. Ansonsten reicht mir die übergroße Windjacke, die ich über dem Rucksack trage und damit perfekt die Temperatur regeln kann. Genauso ruppig wie der Anstieg, gestaltet sich auch der anschließende Downhill. An einer Hütte füllen wir die Wasserflaschen auf. Die erste Verpflegung kommt dann in Bergün nach 20 Kilometern.

 

 

Back to the Roots

 

Wir haben eine Stunde aufs Cutoff, also einen guten Puffer. Der warme Kaffee in der Dorfhalle tut gut. Hier habe ich wie oben schon erwähnt meine ersten Schritte als Trailrunner gemacht.
Die Strecke führt jetzt durch das liebliche Albula Tal. Immer wieder werden wir von der Rhätischen Bahn begleitet, die zum UNESCO-Welterbe zählt. Auch die Sonne lässt sich jetzt zwischendurch immer mal wieder blicken.

In Naz erreichen wir die nächste Verpflegung und werden mit Glockengeläut empfangen. Der anschließende Fahrweg endet bald und weiter geht es entlang eines Bachlaufes. Schnell erreichen wir die Baumgrenze. Bach und Trail sind nicht immer sauber zu trennen. Wir sind wieder in den Wolken. Blockwerk und Schneefelder wechseln sich ab. 1500 Höhenmeter sind von Bergün bis zum Fuorcla da Tschitta zu bewältigen. Schade, dass wir die meiste Zeit in einer trüben Suppe unterwegs sind. Erst beim Abstieg gibt die Sonne ein paar schöne Ausblicke auf die majestätische Bergwelt frei. Ein paar Altschneefelder sind zu queren. Insgesamt ist sehr viel Wasser auf der Strecke.

 

 

Entspanntes Zeitfenster

 

Bei Kilometer 37 erreichen wir die nächste Verpflegung. Außer ein paar Melonenstückchen und Wasser gibt es nur die Riegel des Sponsors. Schade. Ich vermisse die sonst in der Schweiz so üppige Verpflegung mit Käse und Bündner Fleisch. Immerhin gibt es einen Schluck Cola. Aber nur einen. Wir liegen gut in der Zeit. Noch zwei Stunden bis zum Cutoff. Die Sonne hat jetzt Oberhand. Schnell erreichen die Scharte Falotta und die nächste Verpflegung, die aus ein paar Wasserflaschen besteht. Wir nehmen lieber in der Hütte eine Cola und ein isotonisches Getränk, bevor es in den nächsten Aufstieg geht. Immerhin haben wir schon mehr als die Hälfte der Höhenmeter. Aber der Abstieg nach Bivio ist heftig. Meine nassen Socken bescheren mir eine Blase. Ich hätte gleich anhalten sollen, aber wollte dann doch lieber warten bis zum Dropbag, das in Bivio auf uns wartet. Anfängerfehler.

 

Pasta und Dropbag

 

Am Ortseingang empfängt uns Florian, unser Supporter. Wir werden von Andrea Tuffli persönlich begrüßt. Ich vergesse ganz zu fotografieren und habe nur noch die leckeren Nudeln im Sinn, die hier angeboten werden. Nach einer guten Portion geht es schon besser. Florian erzählt uns, dass Peer, Myriam und Paul schon eine halbe Stunde vor uns da waren. Peer hat wohl Knieprobleme, aber die beiden anderen sind wohlauf. Wir wechseln die Schuhe und machen uns dann auch gleich auf den Weg. Es geht auf einen 20 Kilometer langen Loop zum Septimerpass, dann über Forcellina und den Fuorcla da la Valletta zurück nach Bivio. Es ist der Streckenabschnitt, der wegen der aggressiven Mutterkühe gekürzt werden musste.

 

 

Wir folgen erst einem Fahrweg bis zu einer Brücke, die von Kühen belagert wird. Sie sehen nicht aus, als ob sie uns Platz machen würden. Kälber sind auch dabei. Der Klügere gibt also nach und so suchen wir uns eine Stelle, wo wir den Bach möglichst trocken überqueren können. Einige Kühe folgen uns dabei und beobachten neugierig, wie wir unsere eben gewechselten Schuhe voll mit Wasser und Schlamm laufen lassen. Die anderen stehen immer noch auf der Brücke und schauen voller Verachtung auf uns herab und denken: Das habt Ihr davon, wenn ihr unbedingt in unserem Revier rumrennen wollt. Immerhin wird meine Blase am Fuß gut gekühlt und die Sonne sorgt beim Abstieg von der Forcellina mit ihrem überraschenden Auftritt in der Ferne für ein fantastisches Panorama, bevor sie endgültig hinter der Bergkette verschwindet. 

 

 

Harter Abstieg nach Bivio

 

Für Birgit beginnt hier Neuland. So weit ist sie bisher noch nicht gelaufen. Wir quälen uns den Downhill herunter. Die Orientierung ist in der Dunkelheit nicht immer einfach. Es gibt nur wenige reflektierende Bänder und wir sind froh, dass wir mit der Uhr ganz gut navigieren können. Der Weg fächert sich mehrfach auf und die rotweißen Markierungen sind recht spärlich. Blockwerk, Geröll und Wasserläufe auf dem Weg wechseln sich ab. Der Einstieg zum letzten Aufstieg zum Fuorcla da la Valletta ist überraschend ordentlich mit Fackeln und LEDs markiert. Der Abstieg nach Bivio ist dann aber wieder sehr einsam und ruppig. Wir müssen uns sehr konzentrieren, um die Wegmarkierung zu finden. Das ein und andere Mal müssen wir ein Stück zurück. Bei mir stellt sich Müdigkeit ein und die Konzentration lässt nach, aber Birgit hat die Markierung immer gut im Auge und so können wir grobe Strecken-Abweichungen vermeiden.

 

Heimweg

 

In Bivio gibt es dann gleich eine weitere Portion Pasta. Kaffee gibt es leider nicht, also nehme ich ein Coffeein-Gel. Peer ist noch da. Seine Knieprobleme wurden nicht besser. Florian nimmt ihn und einige andere Abbrecher später mit nach Savognin. Myriam und Paul sind schon lange wieder auf der Strecke. Für die letzten 25 Kilometer bleiben uns noch 9 Stunden Zeit. Wir können es also gemütlich angehen lassen.

Beim Anlaufen merke ich, dass die Blase doch ziemlich angeschwollen ist. Zuerst versuche ich es wegzulaufen, aber dann steche ich die Blase mit einer sterilen Nadel auf. Das verschafft etwas Besserung. Es erwarten uns schließlich noch zwei knackige Anstiege und entsprechende Downhills. Anfangs sind wir auf einem Fahrweg, dann nur noch Wurzelwege und Geröll. Zu allem Elend fängt es an zu regnen. Erst nieselt es. Dann richtiger Regen. So ein Mist. Das hätte ich nicht mehr gebraucht. Wenigstens ist es nicht kalt. Ich hatte mir in Bivio schon Ärmlinge übergezogen. Ansonsten reicht mir die Windjacke über dem Rucksack. Die Regenjacke wäre zu warm. Wir sind jetzt ständig auf der Suche nach Flatterband.

Auch hier wünsche ich mir ein paar reflektierende Flatterbänder, zumindest an den Abzweigungen. Jetzt noch verlaufen wäre blöd.

 

Letzter Anstieg

 

In Sur fülle ich meine Flaschen auf. Leider gibt es keinen Käse oder Wurst. Das süße Zeug bekomme ich nicht mehr herunter. Egal. Letzter Anstieg. Es geht nochmal 600 Meter hoch zur Alp Tscharnoz. Ich schnaufe wie eine Dampflok der Rhätischen Bahn. Ich weiß nicht mehr, wie ich auf den Wurzelwegen auftreten soll. Die Blase am Fuß füllt sich immer wieder mit Flüssigkeit. Ab und zu merke ich dann, wie der Druck wieder nachlässt. Dann der letzte Downhill nach .Savognin. 800 Meter geht es auf den letzten fünf Kilometern nochmal in die Tiefe

Die Markierung wird wieder etwas besser. Zwar keine reflektierenden Bänder, aber wieder öfters rotes Flatterband. Die Strecke geht über einen frisch angelegten Mountainbike Parcours. Der Lehm ist schön aufgeweicht und die Steilkurven erinnern mich mit der schmierigen Oberfläche eher an eine Bobbahn als an eine Fahrradstrecke. Aber immer noch besser als Wurzeln und Geröll. Meine Füße danken es.

Mit der Dämmerung lässt auch der Regen nach. Ich packe Stirnlampe und Jacke weg. Wir erkennen unter uns bereits Savognin. Ein Läufer, den wir hinter Bivio überholt hatten, zieht an uns vorbei. Wir traben langsam den jetzt beginnenden Fahrweg hinab und sind froh, dass wir endlich das Ziel in greifbarer Nähe haben. Florian empfängt uns am Zielbogen. Sechundzwanzigeinhalb Stunden waren wir unterwegs, bei einem Cutoff von 30 Stunden. Statt einer Medaille gibt es ein Stirnband und eine Dose Alkoholfreies Bier. Viele Läuferinnen und Läufer sind nicht mehr auf der Strecke. Sie haben in Bivio aufgegeben. Birgit ist stolz auf ihren ersten 100er. Das kann sie sein. Sie hat sich dafür ein wahrhaft hartes Brett ausgesucht.

 

Fazit

Der Swiss Irontrail ist ein anspruchsvoller Traillauf im Hochgebirge mit technisch hohen Anforderungen. Bei entsprechendem Wetter hat er eine fantastische hochalpine Landschaft zu bieten. Die Cutoff Zeiten sind relativ moderat. Die Orientierung ist nicht immer einfach. Das Navigieren mit der Uhr sollte man beherrschen. Lange Anstiege und anspruchsvolle Downhills verlangen einiges ab.

Bei der Verpflegung habe ich den „salzigen Anteil“ etwas vermisst. In der Nacht hätte ich mir Kaffee gewünscht. Die Strecke streift nur wenige Hütten, an den man sich alternativ versorgen könnte. Ich bin gespannt, wie es mit der Veranstaltung weiter geht. Am Rennwochenende war die Konkurrenz sehr hoch. Die Anmeldezahlen waren somit nicht sehr hoch für diese wunderschöne Herausforderung und dem damit verbundenen Aufwand für den Veranstalter.

 

Strecken

T 20 Savognin – Savognin, 20km, +-1.220 Hm

T 50 Bivio – Savognin, 50,5km, +2532Hm, -3099 Hm

T 105 Savognin – Savognin, 104,5km, +-6712Hm

 

 

 

 

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