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Laufberichte

T41: Einsteigerlauf für Fortgeschrittene

 

Mit großem medialem Interesse wurde im letzten Jahr die Premiere des Swiss Irontrail unter Federführung von Andrea Tuffli, dem Initiator und OK-Chef des traditionsreichen Swissalpine, aus der Taufe gehoben. Als neue Konkurrenz und Schweizer Antwort zu dem auf Ultradistanzen gar so übermächtigen UTMB am Mont Blanc war die Veranstaltung angetreten. Mit Distanzen bis zu 201 km noch ein wenig länger und mit Anstiegen bis jenseits der 3.000 m noch ein wenig höher wollte man sein. Doch bildlich gesprochen gründlich "ins Wasser gefallen" ist die Sache.  

Ein Wettersturz war Auslöser für einen mehr oder weniger spontanen Rennabbruch. Für das Wetter kann der Veranstalter natürlich nichts und die Wettersituation in den Bergen ist immer unberechenbar. Der Veranstalter hat sich die Entscheidung auch keineswegs leicht gemacht und die Evakuierung der Läufer von der Strecke mustergültig organisiert. Dennoch gab es einiges an Kritik aus der gut vernetzten Ultraläufercommunity, wie mit der Situation insgesamt umgegangen wurde. Die Erklärungen und Rechtfertigungen des Veranstalters überzeugten nicht jeden. Und so reagiert die Ultraszene beim zweiten Anlauf 2013 auf ihre Art: Sie macht sich rar. Die Anmeldezahlen des Swiss Irontrail dümpeln, gemessen an den Erwartungen, auf ausgesprochen bescheidenem Niveau: Fast 1.100 auf allen Distanzen waren es noch 2012, gerade mal 425 sind 2013 gemeldet, die aber immerhin aus 30 Ländern. Dazu kommt, dass sich die Anmeldegebühren – bis zu 350 SFR für die Königsdistanz – auf einem Niveau bewegen, das nicht mehr jeder akzeptabel findet.

Nichtsdestotrotz: Im Jahr 2013 will ich dabei sein. Denn die Macher des Swiss Irontrail warten auch im Jahr 2 nach der schweren Geburt mit einer Strecke auf, die höchsten Lauf- und Berggenuss durch die Graubündener Gebirgswelt verspricht. Einiges hat man gegenüber dem Vorjahr geändert: So ist der Zielort aller Läufe nicht mehr in Chur, sondern im zugkräftigeren Davos. Die Streckenführung wurde sicherheitsoptimiert und auch im Distanzangebot hat sich etwas getan: So wurde der 21 km-Lauf durch einen "kleinen" Ultra von 48,2 km mit dem Kürzel T41 ersetzt. Dass er nicht, wie man erwarten könnte, T48 heißt, liegt schlicht daran, dass man bei allen Läufen homogen die "1" an die letzte Stelle setzen wollte, auch wenn aufgrund der Streckenmodifikationen nur noch beim T201 die korrekte Distanz wiedergegeben wird.  

Geblieben ist das Angebot von vier Distanzen, reichend vom T201, T141, T81 bis zum T41. Durchgängig umgesetzt wurde das Konzept der Vernetzung aller vier Läufe, das heißt: Die kürzeren Distanzen sind streckenmäßig jeweils Teilmengen des T201. Und: Die Startzeiten sind zeitlich so versetzt, dass eine Vermischung der Läufergruppen während des Laufs und eine potenzielle Parallelität beim Zieleinlauf gegeben ist. Die Betonung liegt dabei auf "potenziell": Denn tatsächlich ist es so, dass sich die Einläufe bis zum Zielschluss über einen Zeitkorridor von mehr als 24 Stunden verteilen können.

Maximal 56 Stunden hat man Zeit für die Bewältigung des T201. Da darf man bei über 11.000 Höhenmetern nicht trödeln. Dagegen lädt der T41 geradezu zu solchem ein: Dieser erlaubt sage und schreibe 26 Stunden (!) bis zum Zielschluss, ließe also genug Zeit zum Blümchenpflücken auf Almwiesen. Das gefällt mir. Und für eben jenen T41, den einzigen "echten" Premierenlauf, bin ich daher gemeldet. Dass dieser dennoch kein gemütlicher Spaziergang ist, verdeutlicht schnell die Höhenmeterbilanz von + 2.930 m / - 2.850 m.  

 

Traileinstieg in Lenzerheide

 

Um via T41 in den Swiss Irontrail einzusteigen, muss man sich nach Lenzerheide begeben. Da dieser Einstieg für Samstag 14 Uhr terminiert ist, kann ich von München aus am selben Tag anreisen. Graubündens Kantonshauptstadt Chur ist bequem zu erreichen, doch dann heißt es, sich in zahllosen Kurven ins tausend Meter höher gelegene Hochtal von Lenzerheide-Valbella hochzuarbeiten. Vor allem als Wintersportort hat Lenzerheide (1.476 m üNN) einen Namen, dabei hat das Dorf als Ortsteil der Gemeinde Vaz/Obervaz nicht einmal eigenen Kommunalstatus. Der Zweitname „Lai“ verdeutlicht: Wir befinden uns mitten im rätoromanischen Sprachgebiet. 

Die Startunterlagen bekomme ich Open Air an einem Stand vor dem lokalen Schulhaus. Pünktlich sollte man sein. Denn die Unterlagen gibt es am Samstag nur zwischen 12:30 und 13:30 Uhr, will man nicht schon zwei Tage vorher zur Abholung extra nach Pontresina fahren. Reichlich knapp bemessen, mag man denken. Aber wie schon gesagt: Die Anmeldezahlen sind überschaubar. Etwa 110 sind es für den T41 und damit ist dieser Lauf nach dem T201 (165 Anmeldungen) noch am zweitbesten besetzt. So gibt es trotz des kleinen Zeitfensters keinerlei Hektik. Wir können uns ganz auf unsere Mission, den Lauf, konzentrieren, denn auch sonst gibt es nichts, was uns ablenken könnte: keine Messe, kein Rahmenprogramm. Die Läufer liegen entspannt auf der Wiese und lassen sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Stimmung kommt vor allem auf, wenn einer der schnellen Läufer der „Langdistanzen“, deren Kurs hier vorbei führt, ein Stelldichein gibt. Soviel Beifall dürften sie wohl nirgendwo entlang der Strecke bekommen haben.   

Wie für die anderen Distanzen gelten auch für den T41 Pflichtgepäckregeln. Der UTMB hat hier einen (sinnvollen) Standard gesetzt, dem alle Bergultraveranstaltungen folgen. Auf eine Kontrolle verzichtet man, dafür dürfen wir auf einem Fragebogen für jedes Detail durch Ankreuzen bestätigen, dass wir es dabei haben. Eine innovative Besonderheit des Swiss Irontrail ist die verpflichtende  Mitnahme eines GPS-Trackers, mit dem man jederzeit geortet werden kann. Eigentlich eine gute Idee. Aber weil für die Miete des Plastikteils nochmals 30 SFR extra zuzüglich Pfand fällig werden, sind sie schon im Vorfeld ein "Aufreger" in der Szene.

Gemütlich bleibt es bis zum letzten Moment. Nachdem auch zwei Minuten vor dem Start niemand daran denkt, vor dem Startbogen Aufstellung zu nehmen, motiviert uns einer der Offiziellen, doch etwas näher zu treten. Viel richtet er nicht damit aus. Mit dramatischer Filmmusik aus „Pirates of the Caribean“ wird uns angedeutet, dass es ernst wird. Die Startpistole versagt und mit einem Lachen trollen wir uns um 14 Uhr von dannen.   

 
Berglauf „soft“ zur Jochalp

 

Betrachtet man die Strecke strukturell, so lassen sich drei Kulminationspunkte ausmachen: Jochalp – Weisshorn – Strelapass.  Moderat ist der Weg zum ersten, ein „Hammer“ der Anstieg zum zweiten und nochmals kernig der dritte.

Gerade der erste Abschnitt ist läuferisch vergleichsweise angenehm und höhenmetermäßig noch ohne größere Schrecken. Durch ein Wäldchen am Ortsrand von Lenzerheide erreichen wir auf bequemen Wegen den inmitten des Hochtals gelegenen malerischen Heidsee. Teils als Badesee genützt, teils als Naturidyll geschützt ist der Igl Lai, wie er im lokalen Surmiran-Idiom heißt. Dem naturgeschützten Ostufer folgend präsentiert sich der See geradezu als Postkartenidyll. Verwinkelte Buchten, verschilfte kleine Inseln, sumpfige Wiesen, dazwischen Gruppen dunkler Nadelbäume prägen das Bild. Fast schon in eine skandinavische Wildnis fühle ich mich versetzt, wäre da nicht die nahe Durchgangsstraße.

Unterwegs passieren wir die Talstation der Bergbahn zum Parpaner Rothorn (2.863 m). Kenner der Bergmarathonszene werden sofort assoziieren: Graubünden Marathon. Ziel dieses Laufs ist der Gipfel des Rothorns, läuferisch einer der härtesten Brocken, die ich kenne.   

Kaum drei Kilometer sind wir unterwegs und gerade mal warmgelaufen, schon empfängt uns am Rande des Nachbarorts Valbella die erste von vier Verpflegungsstationen entlang der Strecke bis Davos. Jetzt schon? Auch da zeigt sich, dass der T41 eben nur ein Nebenbewerb ist und sich dem Versorgungsplan des T201 unterordnen muss. Und der sieht in Valbella eine "Tränke" vor. Dass die Dichte der Stationen im Übrigen vergleichsweise dünn ist, mag der eine als Manko sehen, doch ist dies Teil des auf Selbstautonomie basiereren Veranstaltungskonzepts. Und wenn man mal ehrlich ist: Das Naturerlebnis Trailrunning in der unberührten Weite der Berge und Vollversorgung, wie es etwa das Massenevent Jungfrau Marathon bietet, das passt eigentlich nicht wirklich zusammen.  

Recht gemütlich geht es weiter durch das Wiesengelände. Immer wieder bremsen uns Weidegatter aus. Zwar ist ein Durchgang für Wanderer vorgesehen, doch ist der bisweilen so schmal, dass so mancher mit dem Rucksack hängen bleibt und zur allgemeinen Belustigung für Verstopfung sorgt.

Bei einem durch den Wald steil hangaufwärts führenden Wegstück wird unsere bergläuferische Fähigkeit ein erstes Mal getestet. Aber nur kurz. Schon finden wir uns auf einem bequemen Sträßchen wieder, das sich zunächst asphaltiert parallel zum Hang über Kilometer durch die Almen schlängelt. Wunderbar ist die Kulisse über die Weiten des saftigen Grüns, durchbrochen von Almhütten und vereinzelten Nadelbauminseln, mündend in einem schroffen Bergkamm. In lockerem Laufschritt sammeln wir so schon Höhenmeter. Aber nur hier. Denn so locker wird es sich auf der gesamten Strecke nie wieder laufen lassen.

Der Asphalt mutiert zum Schotterweg und die Steigung nimmt zu. Nicht dramatisch, aber konsequent. Wir müssen kräftemäßig ein paar Schippen nachlegen, um den Laufschritt beizubehalten. Mountainbiker preschen uns im Wahnsinnstempo aus der Gegenrichtung entgegen. Anscheinend haben sie es so eilig, um in die nächste Berghütte zu kommen. Jedenfalls waren da zuvor fast so viele Räder wie Gäste zu sehen.

Immer mehr Läufer beugen sich der Dauersteigung und wechseln ins Power-Walking. Da lasse ich mich natürlich gerne anstecken. Glockengeläut empfängt uns von der Anhöhe. Die Glöckner sind wahrlich imposante Rinder, die uns neugierig beäugen. Aber zum Glück auch nicht mehr von uns wollen. Fast noch mehr überrascht mich jedoch ein Bau im Hintergrund. "Bergrestaurant Jochalp" steht in großen Lettern darauf. Na so was: Erst 1:15 Stunden bin ich unterwegs und schon sind die ersten 11 km und der erste "Höhepunkt", die Jochalp knapp über der 2000 m-Grenze, bewältigt. Rechnet man das hoch, wäre ich zum Abendessen in Davos. ...

Aber wie nennt man eine solche Rechnung? Milchmädchenrechnung.  

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Informationen: Swiss Irontrail
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