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Laufberichte

Dornröschen und die Grüne Fee

20.06.09

Der Wanderweg erfordert hohe Aufmerksamkeit, zumal die schmierigen Steine und der Matsch die Schwierigkeitsstufe noch erhöhen. Nach dreihundert Höhenmetern kommt ein weiterer Verpflegungsposten an einer Stelle, wo ein Forstweg die Zufahrt ermöglicht. An dem Punkt, wo auch für geländetaugliche Fahrzeuge definitiv Endstation ist, betreuen zwei der zahlreichen freundlichen Helfer die Station. Sie haben sogar eine kleine Kochplatte mitgeschleppt, um warme Bouillon anbieten zu können.

Nach weiteren dreihundert Höhenmetern durch den Wald kommen wir auf die Bergweiden von La Motte, wo wieder für unser körperliches Wohl gesorgt wird. Auf einer Informationstafel ist ersichtlich, wie weit es bis zum höchsten Punkt noch ist wird. Hier treffe ich wieder auf den Läufer, dessen Gangart mir früher aufgefallen ist. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht: In Rolands Palmares stehen Ultraläufe wie UTMB und Diagonale des Fous. Gemeinsam ziehen wir über die friedlichen Juraweiden in Richtung Chasseron.

Schon seit Langem hat seine freie Lage dem Chasseron eine grosse Anzahl Besucher zugeführt. Vom diluvialen Rhonegletscher sind an seinen Hängen erratische Blöcke bis in Höhen von 1300 Metern abgelagert worden. Schon von den Römern muss der zwischen ihren Lagern von Eburodunum (Yverdon) und Ariolica (Pontarlier) gelegenen Chasseron begannen worden sein; sie sollen hier sogar einen Wachtturm und Tempel errichtet haben. 1897 ist auf dem Gipfel ein Gasthaus eröffnet worden, wo die den Sonnenaufgang erwartenden Gäste übernachten können; (…)

Beim letzten Aufstieg ziehe ich ein bisschen davon und lasse mir dafür beim Verpflegungspunkt neben dem Gasthaus Zeit. Nicht zum Übernachten, aber bei Crackers und Iso genieße ich vor dem Abstieg die herrliche Aussicht auf den Neuenburgersee und Yverdon.  Dort unten wird im September ein weiterer schöner Landschaftsmarathon durchgeführt, der Fyne Nature Marathon.

Nach dem Kilometerschild 40 gilt es schon bald sämtliche Bremshilfen auszufahren, abstehende Ohren inklusive. Auf kürzester Strecke müssen 600 Höhenmeter abgestiegen werden. Trotz stellenweise angebrachten Hilfsseilen komme ich nicht ohne Griff ins Gras durch. Wer jetzt den Blick über die Landschaft schweifen lassen will, muss eine Pause einschalten, denn der Weg verzeiht keine noch so kleine Unaufmerksamkeit.

Für Roland ist das alles kein Problem. Im Sauseschritt zieht er an mir vorbei, einteilt mir und taucht ein in des Waldes tiefe Gründe, wo das Gefälle mit einer Bodenbeschaffenheit in der Qualitätsklasse Schmierseife garniert ist.

Wem nach diesem Abstieg die Knie schlottern, kann vor dem nächsten Aufstieg beim nächsten Verpflegungsposten einen Halt einlegen. Während Roland von seinem Betreuer privat verpflegt wird, ziehe ich strammen Schrittes auf die nächste Anhöhe, von wo aus der Chasseron schon weit weg und ziemlich hoch scheint.

Wenig später, beim Verpflegungsposten im Weiler Saint Olivier, schließt Roland zu mir auf. Wir gönnen uns eine kleine Pause und sind der Meinung, dass bald fünfzig Kilometer geschafft sein müssten. Diese Annahme stellt sich beim Weiterlaufen als Irrtum heraus, denn nur wenige Meter weiter vorne ist das Schild, das uns unmissverständlich zu verstehen gibt, dass erst fünfundvierzig zurückgelegt sind.

Diesen kleinen Dämpfer stecken wir zurück, indem wir wieder gemeinsam laufen und uns unterhalten. In der nächsten Ortschaft, in La Côte aux Fées, gibt es schon wieder Flüssig- und Festnahrung, nebenan ist eine kleine Festwirtschaft und die einzige größere Ansammlung von Menschen, die uns anerkennenden Beifall spendet. Die verschiedenen alkoholischen Säfte und Wässerchen zwischen den Festbänken reizen mich nicht, der Grillduft hingegen lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Nach einigen weiteren Höhenmetern sind wir dort oben angekommen, wo uns der Weg über weitläufige, mit schönen Baumgruppen bestandene Weiden führt. Die überall vorbildlich angebrachten Markierungen lassen nie auch nur einen Anflug von Zweifel aufkommen, wo es weitergeht. Ohne sie wäre ich in dieser Pampa verloren. Das niedergetrampelte Gras müsste sonst als einziger Richtungsweiser dienen.

Der Untergrund ist zwar angenehm weich aber alles andere als eben. So ergibt es sich, dass Roland und ich nicht mehr im gleichen Tempo laufen und ich leicht nach vorne ziehe. Von hier an, gekennzeichnet durch die beiden nächsten Kilometertafeln im Abstand von fünf Kilometern, beginnt ein stiller Lauf, bei welchem mir das Gefühl für die Zeit verloren geht. Die vermehrt aufkommenden Wolken verändern das Licht so, dass ich nicht sagen kann, wie spät am Nachmittag es schon ist.

Irgendwann geht es in einem Waldstück wieder merklich abwärts, bis ich nach ein paar hohen Treppenstufen auf den Parkplatz des Hotels Chapeau de Napoléon komme. Der Hügel  bekam Anfang des 19. Jahrhunderts seinen Namen, weil er von Osten her betrachtet die gleiche Form wie die kaiserliche Kopfbedeckung zeigt. Auch hier greife ich bei der Verpflegung zu; das große Bier, welches ein Hotelgast auf der Terrasse vor sich stehen hat, würde ich jetzt auch nicht verschmähen.

Um den Felsenzirkus von Saint Sulpice herum, am Kilometerschild 60 vorbei, geht es dem Ziel entgegen. In der Nähe der Quelle der Areuse unterqueren wir die Straße in einem schmalen, niedrigen Tunnel, in welchem ich das Tempo verlangsamen muss, da die plötzliche Dunkelheit meine Sinneswahrnehmung und mein Gleichgewichtsgefühl ziemlich stört. Oder ist vielleicht die Müdigkeit?

 
 

Informationen: Swiss Canyon Trail
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