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Laufberichte

Treviso Marathon 1.3: Corri nelle terre del Prosecco

06.03.16 Special Event
 

Mein Namensvetter und Marathon4you-Kollege Anton Lautner würde seine Einleitung vielleicht damit beginnen, dass er seine Leser fragt: „Wollt ihr wissen, warum die Marathonveranstalter wie bei Softwareprodukten 1.3 dazugeschrieben haben? Dann verrate ich es euch jetzt: Erstmals wird am Renntag auch ein zeitversetzter Halbmarathon angeboten. Der dritte Aspekt ist die integrierte Dreierstaffel mit je 14 km. So kommen wir auf die Dreifaltigkeit, die im strenggläubigen Italien eine religiöse Dimension hat.“


Vorinformationen, Anreise und Einchecken


Für den diesjährigen Treviso-Marathon hat man einen völlig neuen Kurs gesucht und gefunden. Wer Details auf der homepage für die Streckenführung interessierte, stellte fest, dass beim Rundkurs Hauptstadt und Verwaltungssitz der gleichnamigen Provinz in der Region Venetien völlig ausgespart wurde. Der 13. Treviso Marathon 1.3 beginnt und endet in Conegliano, mit 35.000 Einwohnern eine Gemeinde in der Provinz, die nur halb so groß wie Treviso ist, dafür aber zusammen mit Valdobbiadene die Heimat des Prosecco, umgeben vor vielen Weingärten. Das klingt nach einer guten Alternative.

Registrieren konnte man sich bereits in Herbst um 28 Euro online über MysDAM. Da ich die Deadline knapp vor Weihnachten verpasste, rückte ich in die nächste Preiskategorie auf 45 Euro. Die Nachmeldegebühr ist mit 60 Euro festgesetzt.

Bei der Autofahrt von Wien über Klagenfurt, wo ich mir wegen der tiefen Temperaturen im sonst so sonnigen Kärnten am Samstag gegen Mittag einen Sweater kaufe, weil ich keinen Pullover im Gepäck habe, überrascht mich ein Wettersturz in Udine – nennen wir es Adriatief. Am frühen Nachmittag beginnt es zu schütten, der Regen hält die ganze Nacht an. Der Rezeptionist im Prealpi zeigt mir die Wetterkarte – am Renntag soll es nicht besser werden.

Ich überlege, vom Hotel mit dem Auto die 2,5 Kilometer ins Zentrum nahe dem Bahnhof zu fahren, um die Startunterlagen zu holen oder zu Fuß zu gehen – wegen der dort begrenzten Parkplätze. Die Entscheidung auf das Auto zu verzichten, erweist sich als falsch, denn der überdimensionierte Regenschirm hilft nicht, wenn einem die durch die Wasserpfützen brausenden Vehikel permanent anspritzen und dies manchmal in voller Absicht. Abschnittsweise gib es keinen Gehsteig, meine Schuhe, die Socken und die Hose sind völlig durchnässt, als ich zum Zelt komme, wo die Startunterlagen ausgeben werden.  

Es gibt einige alte und neue Bestimmungen und Erleichterungen, wenn man in Italien als Ausländer einen Marathon laufen will. Die wenigsten sind Mitglied in einem anerkannten Leichtathletikklub oder Laufverein (etwa in Österreich im OLV) oder bspw. in Italien beim Club Supermarathon. In diesem Fall erspart man sich ein ärztliches Attest, ansonsten muss man seine Lauftauglichkeit mittels Bestätigung vom Arzt vorweisen und neuerdings auch eine Runcard um 15 Euro erwerben, deren Nummer man beim Registrieren anführen muss. Aber der Andrang gegen 17 Uhr im Zelt ist weniger stark als erwartet. Auf der Veranstalterseite im Web werden über 5.000 Starter bei allen Disziplinen angekündigt, die meisten kommen aus Italien. Aber auch aus den Nachbarländern  Österreich, Slowenien und Frankreich sind kleine Kontingente dabei. Ebenso sind einige Deutsche, Briten und Amerikaner  gemeldet.

Wie oft habe ich mich schon positiv über prall gefüllte Goodie-Sackerln bei Marathons in Italien geäußert. Auch diesmal beim Treviso-Marathon sind allerlei Knabbereien verstaut, darunter eine kleine Flache Prosecco aus der Region Venetien und Friaul-Julisch Venetien. Jeder hat schon irgendwann einmal einen Spumante oder Frissante getrunken. Heutzutage haben Prosecco-Erzeugnisse laut EU-Verordnung eine strenge und geschützte Herkunftsbezeichnung zu führen, die für alle italienische Schaum-,  Perl- und Stillweine Geltung hat. Dadurch haben sich Image und Qualität gesteigert, an die italienischen Weinskandale vergangener Jahre mag man sich eh nicht erinnern.

Meine Motivation mit nasser Kleidung ein Restaurant in der Stadt aufzusuchen und aufs Essen zu warten, ist gering. Stattdessen kaufe ich mir im nahen Spar ein Grillhuhn und diverse andere Kleinigkeiten. In Summe bezahle ich fast 20 Euro, dafür hätte ich wohl in einem Lokal gut speisen können. Im strömenden Regen mache ich mich auf den Rückweg zum Prealpi.  Mein EZ hat viel Komfort, die nassen Sachen hänge ich im Bad auf, der Heizkörper gibt viel Wärme ab. Mit meinen Fressalien, zwei Flaschen Bier als Durstlöscher und einige Süßigkeiten als Nachtisch zum Grillhuhn mache ich mir einen entspannten TV-Abend.  

Entgegen der Wettervorschau ist der Regen am Morgen wie weggeblasen. Der Mann an der Rezeption glaubt, es könnte ab dem frühen Nachmittag wieder zu regnen beginnen. Ich packe in den Kleidersack auch einen Leichtregenschutz ein, den ich mir in einem Ein-Euro-Geschäft gestern am Weg zurück ins Hotel gekauft habe. Vorsicht ist meistens besser als Nachsicht, sagt man so.

Infolge des späten Marathonstarts um 9 Uhr 45 bleibt viel Zeit für ein variantenreiches Frühstück im Prealpi. Mit einem Sitzplatz am Rande des Speisesaals hat man eine gute Sicht, um beim Essen die Anwesenden zu beobachten, ohne dass man Aufmerksamkeit auf sich zieht. Von gezählten 18 Personen sind fast alle Läufer/innen, der Aufmachung nach zu schließen. Um den Marathonsport muss man sich keine Sorgen machen, der Zulauf vor allem zur Halbdistanz ist im Wachsen.

Das Wetter ist wie ausgewechselt, von Regen keine Spur, wie der Rezeptionist ankündigte. Zwar ist der Himmel grau, es ist bewölkt, aber trocken. Es hat sechs Grad in der Früh und ist windstill, das wären ideale Bedingungen für den Marathon.

Wie komme ich zum Start, „pedibus“ (wie der Lateiner sagen würde) oder mit dem Auto. Wie viele Autos verkraftet der auf Tafeln angekündigte Parkplatz in der Stadt, sind um 9 Uhr noch Stellplätze frei? Ich lasse den Wagen beim Hotel unter einem Carport und marschiere zum zweiten Male die Strecke von 2,5 km. Der Autoverkehr ist am Morgen gering, die Pfützen sind tlw. aufgetrocknet. In der Stadt nahe dem Rennbüro kommt mir Werner Kroer entgegen. Er hat sich eine Pause vom Aufbautraining für 2016 gegönnt und ist heute nur zum Spaß dabei. Sportlich widmet er sich derzeit dem Schwimmen, es stärkt den Oberkörper, wie er mir sagt, und ist mal was anderes. Aber Werner wäre auch ohne Training auf der Marathondistanz  schneller als ich, es sind nicht alleine die fünf Jahre Altersunterschied, um die er jünger ist, er hat einfach mehr drauf.

Ich frage, wo ich meinen Kleiderbeutel abgeben kann. Das Depot befindet sich nahe dem ca. 300 Meter entfernten Bahnhof. Mir bleiben noch acht Minuten bis zum Start. Aber Hektik spüre ich keine. Auf dem Weg dorthin kommen mir zahlreiche Pacemaker mit ihren bunten Luftballons mit Angabe zu den angepeilten Zielzeiten entgegen. Als ich beim Depot ankomme, sind die Helfer gerade mit dem Aufbau der Labestelle für die Finisher beschäftigt. Dem ersten Blick nach zu schließen, wird das eine üppige Angelegenheit, denn sogar Brötchen mit Wurst- und Käsescheiben werden hergerichtet, hunderte Flaschen mit Isogetränken und Mineralwasser stehen bereit, ebenso Orangen und Bananen in den typischen Obstschachteln warten auf ihre spätere Verteilung an die Finisher, die allerdings nur dann etwas bekommen, wenn sie zum Depotbereich die 300 m runtergehen.

Es bleiben mir noch knapp drei Minuten. Mit zum Knipsen bereiter Kamera stelle ich mich vor die Absperrung, um die Eliteläufer ins Bild zu bekommen. Wie immer stehen viele Zuschauer an den Gittern. Ich komme nicht weit genug heran, aber mit der Teleeinstellung lassen sich die Motive gut heranzoomen. Mit einer ruhigen, am Körper abgestützten Hand sind die Fotos auch nicht verwackelt.

 

Marathonverlauf


Ich stelle mich zunächst einmal zu den 6-Stunden-Tempomachern mit roten Ballons. Bei einer fünf Stunden-Vorgabe habe ich derzeit Probleme, sie nicht knapp zu überschreiten, das wird sich im Laufe der Saison hoffentlich ändern. Der Treviso Marathon ist ganze sechs Stunden offen, da bleibt langsamen Läufern viel Spielraum. In so manchem Forum wird kritisiert, dass man bei einem Marathonlaufergebnis über fünf Stunden nicht mehr von Sport sprechen könne – dieser Standpunkt könnte auf M4Y einmal diskutiert werden. Doch ich gebe zu, dass die Kritik nicht unberechtigt ist, möchte aber ergänzen, dass viele es nicht schaffen würden (so wie ich seit Jahren) ohne jegliches Training einigermaßen mitzuhalten. Wenn man sich nicht so abquälen muss, macht das Marathonlaufen mehr Freude.
Die Halbmarathonläufer werden hinter uns starten, sie nehmen um 10 Uhr 10 das Rennen auf, die Strecke ist 3 Stunden offen. Die letzten Läuferinnen und Läufer des Halbmarathons könnten rechnerisch gesehen auf 3:25 Stunden-Finisher des um 9 Uhr 45 gestarteten Marathon stoßen. Doch das wird nicht der Fall sein, weil die Streckenverläufe anders sind und nur auf den ersten Kilometern der Halbmarathon über die Trasse des Marathons führt.

 

 

Ich befinde mich ganz am Ende der Startaufstellung, als der Marathon am Corso Vittorio Emanuelle II beginnt, benannt nach dem König von Sardinien-Piemont aus dem Hause Savoyen. In dieser Region ist übrigens der italienische Nationalstolz in traditioneller Form bewahrt– bei meinem ersten Marathon von Vittorio-Veneto nach Treviso im Jahre 2004 wurden wir von einer Schützengarde mit echten Kanonenschüssen „angefeuert“. Die Männer trugen Uniformen, ihre schwarzen Hüte schmückte eine Doppelspielhahnfeder.

Die Gründung eines italienischen Nationalstaates nahm hier ihren Ausgang. Viktor Emanuel stellte sich an die Spitze der italienischen Einigungsbewegung (Risorgimento), unterstützt von seinem Premierminister Camillo Benso von Cavour.  Am 17. März 1861 nahm er den Titel König von Italien an und regierte das Land bis zu seinem Ableben im Jahre 1878. Die Habsburger verloren nach der Schlacht bei Königgrätz gegen Preußen, das mit Italien Kriegsverbündeter war, im Jahr 1866 auch Venetien: Nach dem 1. Weltkrieg im Friedensvertrag von St. Germain 1920 dann die letzte territoriale Bastion, wenn man Südtirol (heute Alto Adige) so bezeichnen kann.

Aber wer denkt bei einem Marathonstart schon an historische Fakten, eher werden einige sich an Sportler aus der Region erinnern: Der ehemalige Tennisspieler Renzo Furlan stammt aus Conegliano, wie auch der große Fußballstar Alessandro Del Piero von Juventus.

Ich drücke meine GPS-Uhr  50 Meter vor der Matte, die Zeitnehmung besorgt ein in das Schuhband eingefädelter Leihchip der Firma MysDAM in der klassischen Größe des immer mehr aus der Mode kommenden Championchips.

Auf den ersten dreihundert Metern versuche ich auf die 4:30er-Pacemaker aufzuschließen. Ich will, wenn möglich, bis zur Halbdistanz ihr Tempo halten. Doch wie so oft am Anfang eines Marathons läuft auch diese Truppe unter einer Sechser-Zeit, d.h. schneller als 10km/h.

Wir bewegen uns auf den nach den großen italienischen Freiheitskämpfern Cavour und Garibaldi benannten Straßenabschnitten stadtauswärts. Die zwei 4:30h-Pacemaker sind Mitte 50, also im besten Marathonrennalter. Jedenfalls haben sie Reserven und könnten vermutlich unter 4 Stunden finishen. Daneben laufen einige Oldies, die mein Jahrgang sein könnten. Noch ist alles Paletti, alle können das „hohe“ Anfangstempo halten, obwohl die asphaltierte Straße sicht- und spürbar leicht ansteigt.

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