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Laufberichte

Senioren Europameisterschaft, Zittau

25.08.12

 

Vor dem Start in Hradek

 

Unweit des Stadions steige ich zusammen mit den vielen Teilnehmern aus den zwei Bussen. Am Stadion selbst befindet sich eine Schule, in der einige Klassenzimmer als Umkleideräume und als Gepäckdepot genutzt werden. Wir sind zwar auf die Sicherheitslage hingewiesen worden („Gelegenheit macht Diebe“), doch in jedem Klassenraum ist eine Person mit der Aufsicht des Gepäcks beauftragt.

Wichtig und unabdingbar ist für die Teilnehmer die Call-Room-Zeit. Der Call-Room ist die letzte Kontrollstelle. Wer zu spät kommt, den bestraft der Kontrolleur: Keine Zulassung! Für uns ist der Call-Room bei den Zeltpavillons zu finden. Mit der Zeit nimmt man es nicht so genau. Aber beim Empfang des Zeitmeßchips wollen die Volunteers das Confirmation Receipt sehen. Bei meinem Zelt geht der Service noch weiter, denn die Helfer bringen den Einmal-Chip am Fuß selbst an. So brauche ich mich nicht bücken. Am Ausgang des Stadions werden die Chips auf Funktion geprüft. Warum für die Zeitnahme eine italienische Firma beauftragt wurde, das werde ich nie erfahren. Es interessiert mich auch nicht.

Gegen 08.15 Uhr bin ich dann am Startplatz, der nunmehr rund 300 Meter vom Stadion entfernt ist. Das Handbuch besagt, dass für den Marathon vier Runden von exakt zehn Kilometer zu belaufen sind. Die fehlenden 2,195 Kilometer werden als Pendelstrecke hinten angehängt.

Start und Ziel ist am Ortsausgang an der Zitavské (Zittauer Straße) mit Laufrichtung Polen. Wenige Minuten vor dem Start erhalten wir die letzten Informationen in Englisch und Deutsch, die eher als Mahnung oder Warnung gelten sollen. Denn wer geht und erwischt wird, bekommt eine erste gelbe und zweite gelbe Karte. Und wer zum dritten Mal dem Kontrolleur auffällt, der wird disqualifiziert.  Dazu heißt es kurz und knapp: „This is not a walking event, this is a race!“ Davon steht allerdings nichts im Handbuch. Dass es beim Gehen bei „unsauberer“ Ausübung des Schrittes die rote Kelle gibt, ist bekannt, aber beim Marathon? Komisch, denn beim Marsch braucht man mehr Zeit. Ich sehe da keine Logik. Ein paar Meter Gehen bei den Versorgungsstellen ist aber erlaubt.

Die letzten Infos über den Lautsprecher sind die Hinweise „Five Minutes“, „Three Minutes“, und „One Minute To Start“. Und dann sollte das Kommando „On Your Marks“ kommen, bevor der Schuss uns knapp 300 Wettkämpfer in das Rennen schickt. Dass ich Euch vom Rennen kein Bildmaterial liefern kann, wollt Ihr mir nachsehen. Doch vom Umfeld will ich einiges sammeln.

Die Runde, so heißt es im Handbuch, weist einen Höhenunterschied von 26 Metern vom tiefsten zum höchsten Punkt au. Da aber laut Plan mit einigen Gegenanstiegen zu rechnen sind, schätze ich den Gesamthöhenunterschied auf etwa 250 bis 300 positive Höhenmeter ein. Es wird drei größere Wellen geben. Und da es jetzt auf den ersten Metern rund 20 Grad um 08.30 Uhr hat, wird es im Fortgang des Laufes bei den jetzt windigen Bedingungen sicher nicht leichter. Gut, dass jetzt die Sonne noch von Wolken verhüllt ist.

Die ersten fast vier Kilometer verlaufen mit leichtem Gefälle Richtung Zittau. Am Grenzübergang von Tschechien zu Polen ist die erste von zwei Versorgungsstationen eingerichtet. Getränke, Erfrischungen, Obst (Äpfel, Bananen) und nasse Schwämme sind bereitgestellt. Und hier gibt es eine weitere Hürde. Das Verpflegen ist nur innerhalb der markierten Versorgungspunkte erlaubt. Wer außerhalb dieser Stationen sich etwas zureichen lässt, kann disqualifiziert werden. Es gibt hier weitere Tische für die eigene Verpflegung. Das Zureichen ist allerdings nur Offiziellen erlaubt.

Auf dem Rundkurs sind zwei weitere Getränkestationen mit stillem Wasser und Schwämmen vorhanden. Die Läufer haben sich hier selbst zu bedienen. Ach ja, wie bei anderen Marathons, ein Nachlaufen der Helfer mit den Bechern ist ebenfalls nicht erlaubt.

Weitere Verpflegung wie Iso, Cola oder Riegel gibt es nicht. Es besteht nur die Möglichkeit, dieses auf den Verpflegungstischen vorab hinterlegen zu lassen. Wer seine Sachen auffällig kennzeichnet, findet diese auf den Biertischen leichter wieder. Und da passierte mir ebenfalls ein Fehler. Ich habe es schlicht vergessen und auch nicht mehr in Erinnerung, dass es als Getränke nur Wasser gibt und ein, zwei Gels liegen in der Unterkunft.

Dieser Lapsus fällt mir in der ersten Runde auf. Nur mit Wasser, das halte ich nicht aus. Als Folge werde ich an den Stellen jeweils ein Stückchen Banane verdrücken. Äpfel gehen auch nicht, denn die haut es mir … Ihr wisst schon. Bier schnorren geht auch nicht, ist verboten. Das trifft den Bayern hart. Ich werde Durst leiden müssen.

Die erste Runde lege ich in knapp 44 Minuten zurück, für die zweite benötige ich eine Minute mehr. Keine schlechte Ausgangsposition, aber schon in der zweiten Runde kommt die Sonne heraus und lässt die Temperatur deutlich steigen.

In der dritten Runde merke ich langsam, dass die Sonne mir die Kraft herauszieht. Es wird noch brutaler, als ich an der ersten V-Stelle keine Banane erwische. Es hilft auch kein Jammern, sondern ich muss weiter. Die nächste feste Bananennahrung ist noch nicht reif, ich würge sie hinunter.

Zuspruch kommt keiner, denn jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Zu Beginn der dritten Runde kann ich die letzten Kämpfer schon überholen. Die werden noch ein bis zwei Stunden länger unterwegs sein. Am Ende der Runde schaue ich wieder auf die Uhr und habe die Zeit im nächsten Moment vergessen.

In der vierten Runde ist es Kampf pur. Wenigstens kann ich vermeiden, dass mich jemand überholt. Aber es ist jedes Mal eine Genugtuung, wenn wieder ein Kilometerschild auftaucht und die Restkilometer zwar langsam, aber immerhin weniger werden. Wenigstens für ein Schmunzeln sorgt ein Böhme in seinem Dialekt: „Ihr seid jung und noch so fit!“ Wenn der wüsste, wie es mir geht. Aber mit meinem Kampf bin ich nicht alleine. Zwar überholen einige von hinten, doch etwa der gleichen Zahl an Konkurrenten geht es noch schlechter, ich kann auch einige kassieren. Dann kurz vor dem Ortsanfang von Hradek fällt mir ein Offizieller auf. Ob der nicht Disqualifikationen aussprechen wird, denn er steht für sich strategisch günstig an der letzten Steigung und kann wohl da erfolgreich seine Karten zücken.

3.15 Stunden und ein paar Sekunden bei Kilometer 40. Es folgt der Wendepunktkurs, der das bisherige in den Schatten stellen wird. Auf der gegenüberliegenden Seite sind die Zieleinläufer unterwegs, wir müssen noch knapp 1100 Meter zuerst voll in der Sonne, dann unter der Allee Richtung Polen schleichen. Dann am Kreisverkehr nach Liberec ist unsere Wende. Damit da keiner schon vorher umdreht, sind zwei, drei Kampfrichter anwesend und notieren jeden Läufer. Doch dann kriegen wir den Rest präsentiert: Gegenwind, Sonne und Anstieg. Und das verflixte Zieltransparent will nicht näherkommen.

Einer überholt mich noch auf den letzten 200 Metern, aber das ist mir egal, der gehört der M55-Fraktion an. Von hinten kommt dann keiner mehr und ich überlaufe fertig, wie lange nicht mehr, das Ziel.

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