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Laufberichte

GP BERN: Bern schlägt Berlin

13.05.12

Steuerabkommen, Schwarzgeld, Datenklau, Fluchtgeld, Steuerhinterziehung, Steuerbetrug. Alles Schlagwörter, mit welchen die Medien und Politiker in den vergangenen Wochen um sich geworfen haben. In diesem Umfeld hat mancher seine Chance gesehen, Reflexe zu bedienen und Wahlkampf zu betreiben.

Den Vogel abgeschossen hat die Zeitung mit den vier Buchstaben. Ohne ernsthafte Absicht, eine rechtliche Klärung zu erwirken, hat sie Anzeige gegen die Schweizer Justizministerin, Bundesrätin Simonetta Sommaruga, eingereicht. Einziges Ziel dieser Aktion: Sich selbst ins Gespräch zu bringen und damit die Auflage zu steigern.

Obwohl ich unsere Leserschaft deutlich intelligenter einstufe, versuche ich es vor dem Hintergrund der deutsch-schweizerischen Steueranimositäten auch einmal mit einem reißerischen Titel. Wenn ich nun mittels mathematischer Fakten die Richtigkeit meiner Behauptung untermauern will, werde ich zwar nur Schmunzeln und höhnisches Lachen ernten. Über mein Verhältnis zur Mathematik weiß der regelmäßige Leser mittlerweile Bescheid.

Zuerst muss ich aber darüber aufklären, warum der GP von Bern als 10-Meilen-Lauf  überhaupt in unserer Berichterstattung auftaucht. Eben, gerade deswegen. Wegen der Mathematik. Er ist mit  fast 30‘000 Teilnehmenden die größte Laufveranstaltung der Schweiz, gehört zu den Top 10 Europas und den Top 30 der Welt. Wenn ich nun die Teilnehmerzahl der größten Veranstaltung in Deutschland, des Berlin Marathons, in Relation zur Gesamtbevölkerung des Landes setze, ergibt sich ein eindeutiger Sieg für Bern. Nicht anderes sieht es aus, wenn ich als Vergleichsgrundlage die Einwohnerzahl der beiden Hauptstädte als Vergleichsgröße nehme. Auch wenn  ich den Kilometerfaktor herbeiziehe, gewinnt Bern trotz der verhältnismäßig kurzen Strecke immer noch.

Der Grund meiner Teilnahme ist einerseits, dass der Grand Prix als größter Volkslauf der Schweiz mit prominenter Beteiligung auch von eingefleischten Marathonis gerne ins Wettkampfprogramm aufgenommen wird, andererseits, dass ich als rekonvaleszenter Langstreckler gerne wieder unter die Leute gehe und nicht warten will, bis ich das auf der klassischen Strecke tun kann.

Die Fahrt nach Bern ist ganz entspannt, denn in der Teilnahmegebühr ist die Anfahrt mit dem ÖV zum halben Preis enthalten (für Teilnehmende aus dem Ausland ab der Grenze). Das macht in meinem Fall mit dem Halbtax-Abo sogar nur ein Viertel des vollen Preises. Wer im Bereich des Nahverkehrsverbunds „Libero“ wohnt, reist gar kostenlos an.

Schon in Schaffhausen treffe ich am Bahnhof die Schnellen der Region, ab Zürich wimmelt es im Zug nur so von Laufaccessoires und in Bern warten Extrazüge, um uns vom Hauptbahnhof zur S-Bahn-Haltestelle Wankdorf zu bringen. An dieser Stätte, wo heute das Stade de Suisse ist, stand das altehrwürdige Wankdorf-Stadion, wo 1954 das Wunder von Bern geschah.

Ein kurzer Fußweg führt zum Messegelände BERNEXPO. Wo vor einer Woche die nationale Pferdemesse stattfand, werden heute nicht Hufe scharren, sondern beschuhte Athletenfüße. Der Start- und Zielbereich und alles, was es vorher und nachher braucht, sind hier angesiedelt.

Ungewohnt sind für mich die Menschenmaßen, die sich über die der Größe des Anlasses angemessene Laufmesse zur Startnummernausgabe wälzen. Trotzdem halte ich die Startnummer und die mit zahlreichen Mustern, Informationen und Gutscheinen bepackte Startertüte zügig in der Hand. Draußen in einem Zelt kann das Teilnehmergeschenk, eine Laufhose abgeholt werden, dann geht es zum Umziehen in eines der Festzelte mit den Ausdehnungen eines Flugzeughangars, die als Garderobe dienen. Über die Wertsachenaufbewahrung – auch die effizient organisiert – gehe ich in die Nähe des Startbereichs, wo das Medienzentrum ist.

In Anbetracht der Wetterverhältnisse kommt mir dieser Zwischenstopp gelegen. Der  Heilige Pankratius hat kräftig Eiswürfel in die Atmosphäre geworfen, die bei uns unten als Kälte und unablässiger Regen ankommen. Von der Verfolgung des Start der Spitzenläufer bis ich im achtzehnten Startblock auf die Strecke gehe, werde ich über eine halbe Stunde bei diesen Bedingungen in meinen Laufklamotten ausharren, da schadet eine vorherige Aufwärmrunde nichts. Ein Blick auf die dick und wasserdicht eigepackten Fotografen im Pressezentrum bestätigt diese Einschätzung.

Der neue Renndirektor, Fernsehmoderator und Neo-Nationalrat Matthias Aebischer (Schweizer „MdB“) ist damit gefordert, die Startpistole einsatzbereit zu bekommen. Ich verkneife mir die Bemerkung, dass damit die Haltung seiner Partei  zur Armee Glaubwürdigkeit verliehen wird. Moderator und Moderatorin beim Startbogen haben lockere Sprüche drauf und haben auch noch die Nerven, „unseren“ Viktor Röthlin 50 Sekunden vor seinem Start zu einem Kurzinterview zu bitten. Später erwähnen sie bei jedem Startblock einzelne Leute, Geburtstagsjubilare, treue Teilnehmer, die noch keinen GP verpasst haben und heute den 31. In Angriff nehmen, Politiker, und wer sonst noch von Interesse ist.

Irgendwann kommt Andrea, Geschäftsführerin des Zermatt Marathons zur Startlinie und fragt mich, ob ich wie vergangenes Jahr in Lichtenstein beim LGT-Alpinmarathon wieder dabei sein werde. Langsam muss sie Angst haben, dass meine gleichzeitige Anwesenheit an einem Lauf die Garantie für Regenwetter ist. Außer bei ihr in Zermatt – immerhin.

Meine schwierigste Aufgabe wird heute das Fotografieren sein. Unter den Bäumen der langen Allee, in welcher ein Startblock hinter dem anderen aufgereiht ist, herrschen endzeitliche Lichtverhältnisse. Dies, gekoppelt mit dem feuchten Feind der Kamera, wird eine besondere Herausforderung.

Dann, endlich, darf ich mich auch wieder aufwärmen und loslegen. Am Schweizer Pentagon  vorbei – der Führungsstab der Armee residiert in einem Bau, welcher einem leicht aus der Achse geratenen Schweizerkreuz gleicht – ist genügend Platz für alle, bevor es dann den Aargauerstalden hinunter geht. Die Verlockung ist groß, es abwärts krachen zu lassen. Sofern man vergisst, dass anschließend noch weitere fünfzehn Kilometer folgen und ganz zum Schluss diese Steigung wieder genommen werden muss. Nicht umsonst ranken sich Legenden und Geschichten von Tragödien und Triumphen um diesen „Stutz“ (In diesem Zusammenhang bedeutet dieses Dialektwort steile Steigung, es kann aber auch Geld bedeuten…).

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