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Laufberichte

Salz auf unserer Haut - endlich wieder Ultra

 
Autor: Joe Kelbel

In dieser Nacht habe ich früher ganz andere Dinge gemacht!

Sicherlich gibt es in der Nacht zum 1.Mai auch andere Veranstaltungen. Im Rheinland  klaut man in dieser Nacht  Birken und stellt sie der Liebsten, mit buntem Krepppapier geschmückt, ans Zimmerfenster.

Sabine hatte ihr Fenster unterm Dach.  Also nahm ich einen besonders großen Baum, den wir nur mit vereinten Kräften nicht bändigen konnten, sodass  unter lautem Gebrüll des potentiellen Schwiegervaters der geniale Schmuck des Baumes dem  blütenweißen Putz des Elternhauses tiefe Wunden  zufügte. Dann rollte das Monstrum, gemeint ist der Baum, nicht Sabine, über den Gartenzaun und hinterließ ein gewaltiges Chaos. Ich habe Sabine nie wieder gesehen.

Heute Nacht dreht sich alles um Saline. 693 Meter beträgt die Runde um das Gradierwerk, 116 Läufer drehen hier in den nächsten 12 Stunden durch.
Anstelle von Birkenstämmen  wurden enorme Mengen Reisigbündel übereinandergeschichtet, über die die Sole aus den Quellen von Bad Dürkheim läuft. Lungen, Bronchien und Seele freuen sich über diese Freiluftmaschine und heute Nacht auch die Hexen, die wohl hier ihre Fahrzeuge buchen.


 

Wir parken unsere Fahrzeuge direkt an der beleuchteten Laufstrecke. Wer einen besseren Schlafplatz braucht, der pennt im Mercure-Hotel direkt daneben. Und wer mehr braucht, der geht zur Agip-Tankstelle.  Das Klohäuschen wird alle 6 Std gereinigt, zusätzlich gibt es noch beleuchtete Dixies. Seine Eigenverpflegung deponiert man irgendwo in den regensicheren  Nischen der Saline. Ja, Regen, den gibt es mal wieder in dieser Nacht, aber reichlich. Duschen kann man dann aber trotzdem noch im Mercure oder nach Zielschluss im Salinarium, wo es auch das Frühstück und die Siegerehrung gibt.

Kinder spielen an der kleinen Isenach mit den lieblichen Stromschnellen. Ein genialer Spielplatz mit hohen, eiserenen  Wasserspeiern. Eine wacklige Hängebrücke führt hinüber zum Biergarten und dem großen Wasserrad. Frühlingsblumen am gepflegten Ufer.

Start 21 Uhr. Gabi und Peter  organisieren den 12 Std Lauf.  Gabi bekam ihren Kosenamen, „Frau Werwolf“,  zu der Zeit, als es noch SWF 3 gab. Damals saß man  in halb Deutschland  während der Top 10  mit nervösem Zeigefinger auf der REC-Taste vor dem Kassentenrekorder.

Ludwig Mesel steht neben Gabi. Der 79jährige Winzer lief letzten Monat den Weinstrassen-Marathon in 4:53 und spendiert die Weinflaschen für die Startertüten.  Endlich mal eine sinnvolle Beilage.

 

 

24 Uhr. In den Betreuerzelten auf der Start-Ziel-Geraden steigt ein Feuerwerk. Geburtstagsparty für jemanden, der in dieser Nacht noch nie auf einer Punkerparty war und aus Notwehr den Feuerlöscher auf der Tanzfläche geleert hat.

Ca 1 Uhr: Auf Regen bin ich nicht eingestellt, auch nicht meine mittlerweile wieder jungfräulichen Füße, die sich mit Blasen melden. Jajaja, früher haben wir in dieser Nacht…. Dafür habe ich jetzt wieder alle Fußnägel, und weiß sind die auch  nach der 7 monatigen Pause.

Endlich „normale“ Leute um mich rum. Sie grinsen mich aus ihren klatschnassen Klamotten  an, wie Sponge Bob, die Mördermuschel. Es gibt halt  nichts Verrückteres, als einen 12 Stunden Lauf durchs Tiefenwasser. Erinnerungen werden gemacht, nicht erwartet. Füße sind fürs Laufen gemacht, nicht fürs Hochlegen.

Jetzt drückt der Regen das Salz von Saline geschmackvoll nach unten. Unvorstellbar, dass die meisten Kurgäste kaum eine Runde von 693 Meter schaffen und sich lieber auf der Parkseite auf einer der weißen Bänke ausruhen.

Ca. 2 Uhr. Zwei völlig zugekiffte Jungs stehen am Streckenrand und kringeln sich vor Lachen über uns. Völlig uneigennützig kläre ich die Jugend auf, dass wir auch Party machen. Dann laufe ich weiter und höre irgendeinen Läufer hinter mir: „Joe, dein Laufstil ist jetzt viel lockerer als vorhin!“

Ca 3 Uhr: Habe Hunger wie Hannibal Lector, greife mir vom Käse, von der Salami und von den heißen Pellkartoffeln. Die Versorgungsstation ist erstklassig, und stündlich wechselt das Angebot. Weißbart Gerhard scheint nur deswegen soviel zu laufen, weil er zuhause nichts zu essen bekommt, während andere sich an der Rückseite von Saline auch mal aufs Ohr legen, natürlich mit dieselnder Standheizung. Profis halt. Immerhin besser als Mütter, die ihre dieselnden Kinder mit Allrad vorm Schulportal abliefern.  Bin ich mal wieder gut drauf! Wie genial ist diese Veranstaltung!

Peter sagt : 100 km kann man immer in 24 Stunden laufen, also auch 50 in 12 Stunden. Stefan schafft heute 131,3 und gewinnt damit.

Peter läuft aber schon mal Ultra mit abgefaultem Blinddarm.  Warum er das überlebt hat, ist eines der medizinischen Rätsel eines Ultraläufers. Es soll ja auch Läufer geben, die mit gerissener Achillessehne 3 Ultras laufen.

Ca 4 Uhr, greife mir ne heiße Brühe und ein paar saure Gurken, schaue auf das Laptop, sehe, wie viele km ich auf dem Tacho habe. Klasse, geht doch! Da sind doch einige Luschen lange vor mir ausgestiegen. Gelle, Wolfgang! Oh Olaf, wofür hast Du eigentlich Dein Startgeld gezahlt ? Oder habt Ihr beiden Süßen in dieser Nacht noch was vor?

Live wird die km-Zahl ins Internet übertragen. Wunderbarer Service, für daheimgebliebene Interessenten, falls es sowas wirklich noch gibt.

Ca 5 Uhr: Bernd traut sich nicht, einen der Trails in Marokko zu laufen, wegen „der Anschläge“. So einen bekommen wir jetzt von den  heimkehrenden Hochzeitsgästen, die nicht mehr die Wegsteuerung haben: Ein Typ kollidiert mehrfach mit Läufern, fällt dann über den Mülleimer, zieht sich lallend daran hoch und grinst mir mit versifften Jacket hilflos ins Gesicht. Eine Dickmadame trägt einen leeren Bilderrahmen, hätte auch nicht mehr reingepasst. Ein älterer Herr mit braunen Flecken auf Hemd und Krawatte erklärt mir: „ Blubbblubb Hochzeit von Bluder!“ – Abgesehen davon, dass es mir bestimmt unverständlich ist, wie man sich so zurußen kann, dass man kein klares Wort mehr herausbringt, so scheint auch niemand seinen Bruder über die Konsequenzen aufgeklärt zu haben. Wie blöd! „Da haben wir früher in dieser Nacht ganz andere Dinge gemacht!“

Damals nahmen wir den Anhänger vom Ruderclub. Da hatten mindestens 26 Birken Platz. Besonders viele Mädels mussten wir in Oberbachem versorgen. Um der Held fürs Jahr zu sein, fällte ich die riesige, mit einem Kranz geschmückte Dorfbirke. Das Teil fiel krachend  auf die Friedhofsmauer, so dass nicht nur die Toten, sondern auch die  Dorfjugend wach wurde. Ich  lernte damals Laufen, also schnell Laufen, sehr schnell, nur nicht Birken aufstellen.

Jetzt laufe ich nur noch ein Runde, oder doch zwei, um  Fotos von Saline im Grauen, also am  Morgen, zu erhaschen. Dann noch eine Runde, dann noch eine, und noch eine. Es graut noch nicht so recht. Also noch einen Kaffee mit  Hefezopf und ein Leberwurstbrot am Verpflegungsstand. Ach, wie schön ist Panama! Und weiter.

5:30 Uhr: Hinter dem Toilettenhäuschen ziemlicher, eindeutiger Radau, lautes Stöhnen und Schmerzensschreie. Erst denke ich, dort hockt ein Triebtäter, dann sehe ich, dass ein Igelpärchen für Nachwuchs sorgt. Wohl dem Männchen, dessen Weibchen keine Stacheln auf dem Rücken hat!

Wer es jetzt noch nicht begriffen hat: Es gibt,  ohne Namen nennen zu wollen, Läufer, die laufen mit gebrochenen Rippen oder gebrochenem Fersenbein. Alles voll normal. Nur ich bin total bekloppt.  Und manchmal drehe ich total durch. Heute wegen Saline, es hat sich gelohnt.  47 km nach der Scheiß-OP im Oktober! Das ist der Hit. Ich bin wieder Ultra. 6 Uhr, Ende für mich. Danke!

 

Informationen: Salinenlauf (12-Stunden-Nachtlauf)
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