Das Remstal gilt als Wiege Württembergs. Konrad von Beutelsbach baute 1080 auf dem „Wirtemberg“ eine Burg, die dem Adelsgeschlecht und dem Land Württemberg seinen Namen gab.
Weit sichtbar über dem Remstal liegt das Kloster Lorch, 1100 als Familiengrablege des deutschen Königs- und Kaisergeschlechts, gegründet. Eine weitere Besonderheit im Remstal ist der Limes mit dem rekonstruierten Wachturm in der Nähe des Klosters.
Berühmte Schaffer und Tüftler stammen aus dem Remstal. Gottlieb Daimler als „Vater des Automobils“ wurde in Schorndorf geboren und Flugzeugkonstrukteur Ernst Heinkel stammt aus Grunbach. Firmengründer wie Kärcher (Reinigungsgeräte) und Stihl (Motorsägen) sind ebenfalls bekannte Namen aus dem „Remsland“ und tragen zum Prädikat „Exportweltmeister Deutschland“ bei.
Der Remstal Marathon ist unsere erste Marathon-Premiere. Normalerweise bin ich kein Freund von Experimenten; mir ist es lieber, wenn ich weiß, was auf mich zukommt. Doch ein neuer direkt vor unserer Haustür ist natürlich ein Muss.
Beim Studium der Homepage wird klar: hier werden keine kleinen Brötchen gebacken. Neben dem Marathon gibt es einen Halben und die Marathon-Staffel. Eingebettet in die Heimattage Baden Württemberg und die Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd, ist Publikumsinteresse vorprogrammiert. Das spiegelt auch die Starterliste wider: 643 vorangemeldete Marathonläufer und über 800 Halbe, dazu 110 Staffeln. Das sind Größenordnungen, von denen andere, bereits etablierte Läufe, nur träumen können.
Die Strecke führt von Waiblingen, das gleichzeitig beim Familiensporttag seine Innenstadt in ein großes Sportgelände verwandelt, nach Schwäbisch Gmünd. Es geht durch insgesamt 9 Gemeinden immer an der Rems entlang. Der Halbmarathon endet in Urbach. Es gibt einen Shuttleservice für Gepäck und Läufer. Angekündigt wird ein attraktives Rahmenprogramm in den verschiedenen Anliegergemeinden.
Kurz vor 8 Uhr erreichen wir Waiblingen. Da genügend Parkmöglichkeiten versprochen sind, fahren wir direkt bis zum Bürgerzentrum. Hier gibt es eine Tiefgarage , die auch mit unserem Bus zum Preis von 1 € benutzt werden kann. Eine Treppe höher, am Eingang des Bürgerzentrums, herrscht reger Andrang. Schnell ist das Nachmeldeformular ausgefüllt und genauso schnell erhalten wir unsere Startnummer.
Nun können wir uns entspannen. Der Start ist ja in Sichtweite auf der Brühlwiese. Dass wir dann doch noch in Stress kommen, liegt an der Toilettenschlange, die absolut nicht kürzer werden will und an Verzögerungen bei der Abgabe des Gepäcks. Im Nachhinein war die Hektik aber unnötig: es wird in zwei Startblöcken gestartet, und wir sind eh im 2. Block. Dann geht alles ganz schnell. Die Bürgermeister Andreas Hesky aus Waiblingen und Joachim Bläse aus Gmünd begrüßen die Läufer und freuen sich über die rege Teilnahme: „Der Südwesten hat auf diesen Lauf gewartet“. Dann heißt es „guten Lauf“ und der Startschuss fällt.
Es dauert einige Minuten, bis der letzte Läufer die Zeitmessmatte überquert hat. Zunächst führt der Weg unter der L1193 hindurch und auf einem Radweg durch die Talauen direkt an der Rems entlang. Bei so vielen Läufern heißt das: Nichts geht mehr. Nur im langsamen Joggingschritt kommen wir voran. Hier hinten im Feld sieht man das locker, keiner hat es eilig. Gerade noch wähnten wir uns in der Innenstadt, nun sind wir schon inmitten schönster Natur. An der Rundsporthalle geht es links und dann rechts auf die gesperrte Waiblinger Straße unter der B14 hindurch.
Schnell erreichen wir Beinstein. 1971 hat sich der kleine Ort mit damals 2.300 Einwohnern der Kreisstadt Waiblingen angeschlossen. Schlafen die Leute noch? Nein, überall stehen vereinzelt klatschende Schlachtenbummler. Andere haben ihr Frühstück nach draußen verlegt. So freuen sich die Anwohner über die Sportler und die Sportler über die Anwohner. Was die wohl sagen würden, wenn wir ihnen die Nutella wegschnappen?
Der Lauf führt an der evangelischen Kirche vorbei. Der vermutlich aus dem 12. Jahrhundert stammende Turm wurde gerade frisch saniert und mit einer vierten Glocke ausgestattet. Gottesdienst ist um 10 Uhr, da sind wir noch etwas zu früh dran. Wir biegen in den Mühlweg. Hier scheint das halbe Dorf versammelt. Auch im historischen Dorfkern werden wir begeistert empfangen. Beinstein ist die älteste Weinbaugemeinde des Remstales und wurde 1086 in einer kaiserlichen Schenkung das erste Mal urkundlich erwähnt. Das älteste Haus des Ortes stammt aus dem 16. Jahrhundert. Viele andere Gebäude, zum Teil mit Fachwerk gebaut, datieren aus dieser Zeit. Das Rathaus mit Fachwerk trägt die Jahreszahl 1582. Trotz des stilvollen Ambientes sind wir froh, das Kopfsteinpflaster hinter uns zu lassen.
Was wir nicht hinter uns lassen sind Zuschauer, die immer wieder in kleinen Gruppen die Läufer anfeuern. Das Feld ist nicht mehr so dicht wie am Anfang, man kann jetzt gut sein Tempo finden.
In Weinstadt-Endersbach liegt die erste Wechselzone für die Marathonstaffeln. Schon frühzeitig wird die Strecke geteilt, so dass ein gefahrloser Wechsel ohne Behinderung der anderen Läufer möglich ist. Das wird auch bei den weiteren Wechselpunkten genauso perfekt gelöst sein. Klar, dass hier ein Zuschauer-Hot-Spot ist. Wir genießen im Vorbeilaufen den Applaus.
In Großheppach bei km 5 gibt es dann erstmals etwas zu trinken. Die Temperaturen steigen bereits. Da ist es besser vorzusorgen und jede Möglichkeit zur Flüssigkeitsaufnahme zu nutzen. Wir unterqueren die B29 und folgen der stark befahrenen Straße auf dem Radweg. Zunächst geht es durch eine Apfelplantage. Die Obstbäume biegen sich unter der süßen Last. Die Apfelschwämme lässt grüßen. Hier kommen auch zwei Läufer, als Asterix und Obelix verkleidet, von hinten. Das trägt natürlich zur guten Stimmung unter den Läufern bei. Als wir freies Feld erreichen, haben wir einen weiten Blick auf die Läuferschlange vor uns. Die Rems macht inzwischen einen Bogen in entgegengesetzter Richtung und trifft erst kurz vor Grunbach-Remshalden wieder auf den Radweg.
Im Dorfkern von Grunbach, am nördlichen Talhang des Flusses Rems, sind zusammen mit der mittelalterlichen Dionysios Kirche noch mehrere alte Fachwerkhäuser erhalten. Dort kommen wir aber nicht vorbei. In den frühen 50er Jahren entstand, aufgrund und des starken Bedarfs an Baufläche (unter anderem für Spätaussiedler), eine Neubausiedlung am südlichen Talhang der Rems, der Ortsteil Grunbach-Süd. Zwischen beiden Ortsteilen führt der Radweg im Talgrund zwischen Eisenbahn, Rems und unter der B29 hindurch. Die Nähe zur B29 bedingt hier eine eher industrielle Bebauung. Das reich verzierte Gebäude eines Antikladen empfinde ich da als echte Bereicherung. Vor dem Eingang gibt es wohl einen kleinen privaten Sektempfang.
Zur Abwechslung führt der Radweg nun wieder direkt an der Rems entlang. Wenn man sich den Dauerlärm der Bundesstraße wegdenkt und die Industrieanlagen hinter den Bäumen auf der anderen Uferseite ignoriert, ist es richtig romantisch. Dann laufen wir durch das Betriebsgelände einer Gärtnerei mit gepflegter Wiese und üppigen Blumenrabatten am km 10 Schild vorbei. Übrigens ist jeder Kilometer einzeln ausgeschildert.
Weiter geht es über den Fluss. Schon von weitem hören wir Musik und Jubelgeschrei. Der nächste Staffelwechsel steht an. Gleich darauf kommt die erste richtige Verpflegungsstation. Eigentlich müsste ich noch nichts essen, aber das Obst und die Müsliriegel sind so appetitlich angerichtet, dass ich doch zugreife. Noch ein Lob an die jungen Helfer; dann laufe ich weiter.
Die nächste VP kommt schon in Winterbach bei km 14. Mit heute rund 7.800 Einwohnern gehört es zu den ältesten Siedlungen im Remstal und ist eine der wenigen selbstständig gebliebenen Gemeinden. 1996 wurde das 950jährige Bestehen gefeiert. Die hervorragende Infrastruktur, angefangen bei einer Vielzahl von Fachgeschäften über moderne Sportstätten bis hin zu Freizeit- und Bildungseinrichtungen, machen Winterbach auch als Wohnort attraktiv. Schön gelegene Wohngebiete mit kurzen Wegen zur Ortsmitte, eine gelungene Ortskernsanierung und die Lage direkt am Naherholungsraum Remstal und Schurwald tragen ebenfalls dazu bei. Hier lässt sich's gut leben.