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Laufberichte

Wann explodiert der Harz?

04.08.12
Autor: Joe Kelbel

Vor drei Jahren hatte ich eine explodierende Teilnehmerzahl prophezeit. Aber im Harz geht´s ruhig zu, neuer Teilnehmerrekord ohne Explosion. Die Zahl der Ultras  übersteigt die der Marathonis, der Halben und der Walker. Es fehlt nur noch das i-Tüpfelchen zur Explosion!

Dieses i-Tüpfelchen wurde mir im Ziel geflüstert, kostet Geld und politischen Willen. Die Strecke wird dadurch länger, aber jeder, der hier mitgelaufen ist, der weiß, dass der Ultra nicht 69 km hat, der Marathon nicht 44 und der Halbe nicht 21,1. Im Harz ist es so: dauert alles länger, dafür genießt man auch.

Für das Weltkulturerbe Quedlinburg wäre das i-Tüpfelchen der Übergang von einer Stadt der Rentner in eine Stadt der Sportler. Mich hat der Rentnerschock in Alexisbad getroffen. An der Rezeption erhält man zwar Wandervorschläge, doch diese Klientel kann sich mit ihren Rollatoren nur eingeschränkt bewegen. Auch die Jungs mit ihren Harleys passen nur einzeln in den Aufzug.

In Alexisbad ist der Start des Marathons und der Ort, der noch Zimmerkapazität hat. Um von dort nach Stiege, dem Start des Ultras zu kommen, stelle ich mich um 5:45 Uhr an die Straße und halte den Daumen raus. Vollbremsung. Ich weiß nicht wer lauter war, der Hund oder seine Frau. Der Hund jedenfalls hat mir das Ohr geschleckt.  Fragt mich nicht, was der zum Frühstück hatte, ich glaube einen verwesten Hasenpelz. Sein Herrchen, der uns allseits bekannte großartige UltraJörg war jedenfalls dreifacher Helfer für mich: Mitfahrgelegenheit, Spender eines Rückfahrt-Shuttle-Tickets und Scout an der Stelle, wo fast alle falsch gelaufen sind.

In Stiege ist der Start des Ultras um 7 Uhr. Hier geht die alte Passstraße durch den Harz, daher der Name. Karl der Große hatte diesen Punkt befestigt. Auf der einen Seite des Sees ist das schöne Schloss, welches Otto IV dem Grafen von Blankenburg (1203) als Lehen gab, auf der anderen Seite vor dem Tourismusbüro ist die “Infrastruktur” des Laufes. Sie besteht aus einem Anhänger. Vor drei Jahren gab es noch eine Startnummernausgabe, so wie wir sie kennen. Die war im Tourismusbüro, jetzt halt der Anhänger, klappt auch, wir müssen nur alle grinsen, weil das Computerzeitalter im Harz noch nicht Einzug gehalten hat.

Bekommen wir den Harz nun auf Vordermann, oder bleibt er im Spinnennetz des Rentnerdaseins gefangen? Ich find den Harz nur geil, fühle mich hier absolut wohl, auch ohne WLAN-Netz. 

Weil dieses sagenumwobene PC-Zeitalter noch nicht Einzug gehalten hat. Es gibt ja irgendwo Viren, Torjaner uns sonstiges Gesocks, deswegen sind die Startpreise niedrig wie damals. Hans-Jürgen gibt die Startzeit per Handy ans Zielgelände zum Quedlinburger Sportplatz Moorberg, das lassen wir mal so, und nicht nur die Uhr läuft jetzt.

Es geht ganz leicht aufwärts, denn wir müssen noch über den Pass. Der Bach Hassel hat hier dieses wunderbare Wiesengebiet geschaffen. Ich sag das jetzt mal so emotionsfrei, weil ich zum Chillen und zum Sun-downer mal hier übernachten will und das mal ganz alleine und ohne Läufer. Jetzt hängen die Dunstschleier über der Landschaft und der Tau in den Blumen und Spinnennetzen.

Nach 2 Kilometern erreichen wir die Wasserscheide zwischen Hassel und Selke, von nun an geht es schnell bergab. Für uns nicht sichtbar ist die alte Ottonenstadt, sie liegt noch verborgen unter der Erde, allein die Kirche (ca 1000 n.Chr.) wurde teilweise ausgegraben. Wer in der Schule nicht aufgepasst hat, der lese sich noch mal meinen Bericht von 2009 durch, in dem ich kurz und bündig den Übergang zur Herrschaft der Ottonen als Gründung des Deutschen Reiches beschrieben hatte. Auch ich hatte in der Schule nicht ausgepasst, hole jetzt auf, was ich verpasst habe und stelle anhand der Ahnenforschung fest, dass genau genommen kein deutsches Blut in mir fließt. Was mich auch nicht schneller macht und mir deshalb egal ist.

Ein Stück weiter auf der “Hohen Straße” erreicht man den sogenannten Kanonenplatz. Es ist eine 400 Meter lange Schanze. Die Ursprünge dieser Schanze liegen im Dunkeln. Ein Zusammenhang zu dem alten ottonischen Jagdhof Selkenfelde scheint plausibel.

Der Trail durch diese sagenhafte Landschaft ist traumhaft, nicht schwierig, doch meine Vorläufer sind weg, der Weg ist grasbewachsen, matschig, mit Wurzeln durchsetzt. Ich hüpfe und springe durch das satte Grün, das macht richtig gute Laune, fühle mich sehr jung, weicher Waldboden und: Ruhe, sehr wichtig. 

Güntersberge km 11, erste Wasserstelle, von hier zweigt der Bode-Selke-Stieg nach Treseburg ab. Rechter Hand auf dem Kohlberg liegen Wallreste der sogenannten Güntersburg. Die Tochter eines Kaufmannes erscheine Wanderern noch heute, man hüte sich vor ihrem Schlüsselbund! Ich glaub, die Olle ist mir Donnerstag begegnet, weswegen ich ne Tetanusimpfung bekam: “Herr Joe, vermeiden Sie Anstrengung!”

Strassburg, km 17, mit seinen mittelalterlichen Resten des Bergbaues. Silberhaltiger Bleiglanz, Kupfer- und Schwefelkies und Flussspat wurden abgebaut. Der Schwerspat wurde gerne unter das Mehl gemischt, um es gewichtsmäßig zu strecken. Überwucherte Teiche und Gräben zeugen von der genutzten Wasserkraft für Pochwerke und Pumpen. Schächte, Halden, Lichtlöcher und uralte Anlagen laden zu Entdeckungen ein. Wenn ich nicht mehr laufe, dann werde ich hier forschen.

Alexisbad km 24, mit der tausend Jahre alten Silberhütte. Das Kloster Hagenrode bekam 993 von König Otto II das Münzrecht verliehen. Später wurden statt Münzen Silberpulver hergestellt, noch heute ist hier ein pyrotechnisches Unternehmen ansässig. Silberfarben ist allerdings die Aluminiumverbrennung, Strontium karminrot, Kalzium gelb, Kupfer blau.

Flussspat wurde bis zur Wende abgebaut. Die Fluoritkristalle leuchten wunderbar unter UV-Licht, gern gesehener Diskoeffekt, Material für die Knicklicher bei Nachtläufen und Grundlage für Fluorkohlenwasserstoffe, wenn man mal kaltes Bier bekäme.

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Informationen: Ottonenlauf
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