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Laufberichte

High in White Bretten

18.07.15 Night 52
 
Autor: Joe Kelbel

Geplant war „Ein Brett im Kornfeld“, denn die 52 km mit 900 Hm sind unerwartet schwer.  Aber in dieser Sommernacht wurde nicht geschlafen. Irgendjemand stimmte immer wieder  „Nights in White Satin“ an, denn mit meinem Bericht „Nights in white Bretten“ aus dem Jahr 2013 habe ich einen Ohrwurm geschaffen, dem man mit Helene Fischer und Rammstein nicht beikommen kann.

Der kleine Ort Bretten liegt 20 km nordöstlich von Karlsruhe inmitten einer Landschaft, wo sich Fuchs und Hase gegenseitig Sterbehilfe leisten. Da gibt es kein Fernsehempfang und kein Kino, da muss man Gras rauchen, um endlich einen Film sehen zu können. Abwechslung bringen die Läufer.  Die werden bejubelt, gefeiert und bewirtet, wie dicke Freunde.

Der Night 52 ist mit 52 km nicht zu kurz und nicht zu lang und startet um 17:45. Neu ist der Kraichgaulauf am 27.09., der in Sinsheim startet.  Die 50 km Strecke gehört dazu, bei Plazierung für beide Läufe gibt es Preisgelder.

Ich plaziere mein Auto auf dem Parkplatz „ Am Husarenbaum“. Die Husaren waren kroatisch- ungarische Reiter, also katholische, die in der Armee der Habsburger als Söldner dienten und hier pennten.

Es war 1504, als der protestantische Herzog von Württemberg die Stadt Bretten belagerte,  mit 20.000 Soldaten, 10.000 Landsknechten, 11.000 Pferden und Ochsen und 20.000 Marketenderinnen. In den 23 Tagen der Belagerung wurden 2100 Rinder, 2400 Schweine und 2000 Schafe vertilgt, 345 Tonnen Brot und 900.000 Liter Bier!

Der tägliche Versorgungstross zur Stadt war 20 Kilometer lang, Ähnlichkeiten mit unserem heutigen Lauf  sind also rein zufällig. Eine der großen Kanonen, die Wurfel, wog über zwei Tonnen und wurde von 16 Pferden gezogen. Mit der Wumme hat man 60 kg Steine auf die Stadtmauer von Bretten gefeuert. 100 Mann wurden für deren Bedienung gebraucht.

Die Brettener haben überlebt. Seit 500 Jahren feiern sie nun das Peter und Paul Fest zum Gedenken an ihren Sieg. Das Wochenende drauf, zur sechsten Brettener Jahreszeit, werden wir Läufer gefeiert: Night52 wird das Fest genannt, weil jeder Läufer 5 Liter Bier und wahlweise zwei Ochen oder zwei Marketenderinnen erhält.

Der Simmelturm ist nicht nach J. M. Simmel (Es muss nicht  immer Kavier sein) benannt. Simmel heisst „rund“.  Der Stadtturm ist also rund, wie die anderen auch. Dieser hier weist noch Einschlußlöcher auf, die bei der Renovierung 1904 freigelegt wurden. Die ausgebesserten Einschußlöcher stammen von der Ketterlin, einer 3 Tonnen Ramme, die 70 kg Steine verschoß.

Der Simmelturm steht am Start, an der Withumanlage. Withum hat auch Kanonen gebaut, allerdings erst später. Eine Sportskanone ist Joey Kelly, er läuft heute die 5 und die 10 km, ist der erste, der sich wundert, dass meine Startnummer auf dem Kopf steht. Die Kurzstreckler erhalten ihre Startnummern im Stadion, die Ultras in der Halle. Es ist der erste Lauf, bei dem ich in meiner Startertüte eine Flasche Bier finde.  Dies wird trotzdem ein Laufbericht!

Tom, einer der drei Organisatoren, wundert sich nicht, dass meine Startnummer auf dem Kopf steht: „ Ihr Ultras habt alle einen an der Birne!“ Start unter den schattigen Platanen, vor dem Stadion, Eltern und Kinder drängeln vor den elektronischen Anzeigetafeln, um die Ergebnisse der zahlreichen Kinderläufe zu erfahren. Die Aktion Lebenshilfe e.V. erhält 50 Cents pro Läufer, da kommt dieses Jahr einiges zusammen, neuer Teilnehmerrekord. Lobenswert ist die Verpflegung im Startbereich. Der Bürgermeister gibt den Startschuss.

Die erste 2 km-Runde geht durch die mittelalterliche Altstadt mit ihren schmalen Gassen,  vorbei am Brunnen der Möpse. Damit sind Hunde gemeint. Kaum im kleinen Industriegebiet angekommen, bin ich fertig. Die Hitze treibt den Puls hoch, ich muss gehen. Man sollte nach 7 Stunden im Ziel sein. Das wird aber nicht so streng gesehen. Deswegen laufen viele Veteranen von 1504 mit. Wir sind etwa 120 Ultras, ca 90 werden ankommen.

Auf der südlichen Talseite geht es „steil“ hinauf. Aufgeben wäre eine Option. Auf den Wiesen zwischen den Feldern füllen sich die ersten Partyzelte der feierwütigen Kraichgauer, die Bierwagen werden schon belagert. Ich könnte jetzt abbiegen, hoffe aber auf Sprantal, dem ersten VP bei km 7,5.

Aus Sprantal gibt es nichts zu berichten, nicht mal Belagerung. Aber man ist im Kraichgau der Überzeugung, dass Gott nicht gewollt hat, dass der Mensch Wasser trinkt, weswegen er das meiste versalzen hat. Stattdessen gibt es Apfelschorle, Isolimonade, Cola, Melone und vieles mehr. Es ist der letzte VP, bei dem die Getränke nicht gekühlt sind.

Jetzt geht es mir besser. Auf nahtlosen Wirtschaftswegen  laufen wir durch die Felder. Sonnenblumen drehen ihre Köpfe schon jetzt nach Osten, sie setzen auf die Zuverlässigkeit der Morgensonne. In den Brachflächen wachsen Kornblumen und vereinzelt leuchtet noch der Klatschmohn. Der Boden ist nicht fruchtbar, wir laufen auf einer wasserarmen Karstoberfläche, der Löss ist verschwunden, der Kalkboden kommt hervor.

Vom Ort Nußbaum bis zum Äquator sind es 5444 km. Das hat auch Kaiser Karl den Großen nicht interessiert, der von einem kleinen Jungen eine Walnuss geschenkt bekam und sie hier einpflanzte. Ich bekomme in Neulingen von einem älteren Jungen ein kühles Isogetränk und ein Gel hinterhergebracht, der Kaiser dankt! 

Dann endlich ist Bauschlott (km 15) erreicht, vor 1000 Jahren noch Buslat genannt. Hier ein Bierwagen mit Schwarzwaldmädels. Es ist der Hauptsitz des Sponsors vom Kelly. Biertische mit weißen Tischdecken laden die Ultras ein, doch die laufen noch. Der nächste VP gibt es eine Auswahl an Getränken und Essen, das beeindruckend ist. Es gibt alkoholfreies Bier. Aan weiß aber auch, dass alkfreies Bier wie ein BH auf der Wäscheleine ist und drückt mir eine eiskalte Flasche normales in die Hand. Wer will schon leere B-Körbchen halten?

Der Auenhof beschäftigt Menschen mit „kognitiven Schwierigkeiten“, die hier Agrarprodukte für Demeter anbauen. Demeter klingt nach Altersvergessen. Nach einem Ultra ist der IQ 30 Punkte tiefer, nochmals 10 Punkte runter drückt ihn die Hitze. Hä?

Kleinvillars entstand durch die Ansiedung von 379 Flüchtlingen, weil man in Oberderdingen schon zuviele Fremde hatte. Es war das Jahr 1699. Es waren Glaubensflüchtlinge, Waldenser, also Protestanten aus Frankreich.

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Informationen: Night 52
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