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Laufberichte

So flach sind die Niederlande gar nicht

04.02.06

„Do you speak English?“

 

Der Tag hat schon vor mehr als einer Stunde begonnen, als ich die Deutsch/Niederländische Grenze auf der Autobahn bei Kleve traversiere. Der Himmel ist mit Hochnebel verhangen und zum ersten Mal seit vielen Tagen zeigt die Thermometerskala wieder Pluswerte.


2 – 3 Grad Celsius beträgt die Außentemperatur und bei der Überquerung des Rhein-Deltaarms namens Vaal begegnen mir einige Kormoran-Formationen in Keilform, die mich an die Fernflüge der Kraniche erinnern. Zum Unterschied dazu fliegen die Kormorane viel tiefer und auch viel schneller. Ich habe den Eindruck, dass sich diese fischfressende Spezies, die auch von manchen ihr nicht wohlgesonnen Zeitgenossen Wasserraben genannt wird, in den letzten Jahren sehr stark vermehrt hat.

 

Eine halbe Stunde später, so gegen 9.30 h sehe ich schon die Koning Willem Kazern, den Austragungsplatz auf der linken Straßenseite. Nach dem Abbiegen stoppt mich ein holländischer Polzist mit der Frage: „ Do you speak English?“ Zuerst staune ich, da ich gewöhnt bin, dass unsere Niederländischen Nachbarn Deutsch verstehen und bejahe dann seine Frage. Er will meine gelbe Parkberechtigungskarte sehen, die ich ja mit den Startunterlagen erhalten hätte. Ich bedeute ihm, dass ich Nachmelder bin, und ich deshalb keine hätte.

 

„No Card, no Parking“ ist die lapidare Antwort. Ich soll mir außerhalb einen Parkplatz suchen. Die Suche stelle ich nach 5 Minuten ein, da ich feststellen muß, dass ich mich dann doch allzu weit vom Start und Ziel entfernen müsste.

 

Nun versuche ich den 2. Anlauf. Zum Glück ist der rigorose Polizist soeben mit einem anderen Autofahrer beschäftigt. Mich „bedient“ nun eine junge Polizistin, die ebenfalls nach meinen englischen Sprachkenntnissen fragt. Diesmal verneine ich und sage nur:“ Weißt Du was, ich fahre jetzt einfach durch und Tschüss.“. Sie sagt auch Tschüss und im Rückspiegel sehe ich, dass sie mir unschlüssig nachschaut ...

 

Ins Kasernengelände lässt man mich trotzdem nicht herein und ich muß dann ca. 1 km weiter im Wald parken. Was formale Engstirnigkeit angeht, so scheinen Holländer und Deutsche Zwillinge zu sein.

 

Im Kasernenhof treffe ich als ersten bekannten Läufer wieder meinen Lauffreund Günther Meinhold, der schon die Startnummerabholungsprozedur hinter sich hat und einen warmen Platz zum Aufhalten sucht, da wir bis zum Start noch über 2 Stunden Zeit haben.

 

Ganz anders war es vor 2 Jahren, als ich mit einer Lauffreundin aus Bernkastel buchstäblich in der letzten Minute in der Kaserne ankam. Freundlicherweise stellte Günther uns seinen Van zum Umkleiden zur Verfügung. Zum Startplatz waren es noch etliche 100 m zu gehen und Günther drängte zur Eile. Auf seine Frage von außen: „Was macht Ihr denn da drin  so lange?“ antwortete ich:“Ei, wir vögeln halt noch ein bisschen“ und Marlies setzte noch eins drauf, als sie rief : "Wie sollen wir uns denn sonst aufwärmen, wo wir doch so wenig Zeit haben.“

 

Entgeistert riss Meinhold die Tür seines Wagens auf,  wir waren gerade mit dem Umziehen fertig geworden. An dieses „Ereignis“ muß ich schmunzelnderweise gerade denken.

 

Später begegne ich unter anderen auch meinem 100 MC-Kameraden Wolfgang Schwabe, bei dem im Jahre 1996 Leukämie diagnostiziert wurde und dem der Arzt noch allenfalls 4 Jahre Lebenszeiteingeräumt hatte. Wolfgang wird heute seinen 180. Marathon finishen und über 20 Minuten früher als ich im Ziel sein… ich freue mich mit Dir!

 

Eine halbe Stunde vorm Start lerne ich einen Marathondebütanten im Alter von Ende 40 kennen, der noch vor nicht allzu langer Zeit 150 kg auf die Waage brachte und das bei nur ca. 180 cm Körperhöhe. Mit intensiven Walken und ungeheuer anmutender Essdisziplin hat er sein Gewicht auf ca. 85 kg minimiert… ich bekunde Dir höchsten Respekt!

 

Am Start sind viele hundert Läufer bereits versammelt und im Mikrophon ertönt die Stimme eines Holländischen Schnellsprechers. Neben dem Marathon wird auch noch eine sogenannte Asselronde angeboten. Assel hat nichts mit dem in feuchten, dunklen Kellern lebenden Insekt zu tun, sondern ist eine Ortschaft im Umkreis von Apeldoorn, die durchlaufen wird. Die Laufstrecke misst 27,5 km. 5/6 der angetretenen Läufer tragen die Startnummer dieses Laufes. Der Rest läuft den Marathon.

 

Es ist nun wenige Minuten vor 12.00 Uhr, und die Sonne schaut einige wenige Sekunden durch den Hochnebel. Mit dem mir seit Jahren bekannten Läufer Lothar Westen aus Duisburg und zweien seiner Lauffreunde habe ich mich weit hinten im Starterfeld aufgereiht.

 

Und die Masse setzt sich gehenderweise in Bewegung. Es dauert etwa 3 Minuten bis wir den Startteppich erreichen, der unsere Chip-Nr. aktiviert. Viele 100 Zuschauer stehen rechts und links der Straße und jubeln uns zu. Ein Zustand, der immer wieder angenehme Gefühle in uns erzeugt.

 

Wir laufen jetzt an der Peripherie von Apeldoorn  auf einer Straße mit leichtem Gefälle und nach dem Erscheinen des Schildes KM 1 bedeutet Lothar, dass wir dafür 5 ¾ Minuten gebracht haben. Eigentlich viel zu schnell, da es jetzt aber leicht bergauf geht, wird das Tempo sofort zurückgenommen. Mir ist noch in Erinnerung, dass ich bei meiner ersten Teilnahme am Apeldoorner Marathon vor 4 Jahren ziemlich entkräftet und wie ein Betrunkener torkelnd ins Ziel kam. Das muss nicht unbedingt wiederholt werden.

 

Einige 100 m laufen wir noch an schmucken holländischen Häuschen vorbei, um dann in den Wald zu gelangen. Es ist ein Mischwald, in dem die Buchen dominieren; unter anderen sind auch die immergrünen Stechpalmen, die es bei uns im Hunsrück und in der Eifel ebenfalls gibt, zu sehen.

 

Die Gegend hier entspricht in keiner Weise dem Klischee vom flachen Holland, das allgemein sich in unseren Köpfen verfestigt hat. Es ist Hügelland, ja die eine oder andere Passage kann man getrost in die Rubrik Berglauf einordnen. Wie immer werde ich bergauf langsamer, lasse mich dann von vielen überholen, um dann bei der Talfahrt alles wieder zu revidieren, ja sogar die Überholendrechung positiv gestalte.

 

Nach 5 km kommt das betreffende km-Schild mit einer Digitaluhr, die gerade 33 Minuten anzeigt. Übrigens sind alle 5 km beschildert und mit einer Zeituhr bestückt. Die erste Getränkestelle mit sehr freundlichen Helfern kommen einem mit Wasser gefüllten Pappbechern entgegen.

 

Wir überschreiten jetzt das Gatter eines mit Draht umzäunten Geländes. Es ist ein Nationalpark, Heideland mit viel Heidekraut und einzelnen Kiefern und Wassertümpeln in Winterstarre hier und da dazwischen. Das Läuferfeld hat sich mittlerweile ziemlich eingependelt und ich lauf einige Zeit mit einem Kameraden aus Rotterdam im etwa gleichen Lebensalter. Auf meine Frage nach seinen Marathonzeiten, meint er, dass er so gegen 10 Minuten vor 17.00 ankommen werde… Und er kam genau in dieser Zeit an; im übrigen absolut sekundengleich mit meiner Finisherzeit.

 

Nach wenigen km verlassen wir den Heide-Natur-Park und gelangen wieder in den Wald, immer auf gutem Asphaltuntergrund laufend. Ja die gesamte Laufstrecke hat besten festen, schlaglöcherfreien geteerten Untergrund. Kurz vor km 10 kommt wieder eine Verpflegungsstelle, wo ich heißen gesüßten Tee zu mir nehme, da Isotonische Getränke erst ab km 15 verabreicht werden.

 

Die 10 km-Digitaluhr zeigt 1.05 an. Nun bin ich eingelaufen und ich bewege mich in meinem Wohlfühltempo durch die gefrostete aber schneefreie Winterwaldlandschaft. Die kühle Atemluft prickelt wie Champagner; so ganz im Gegensatz zu meinen Trainingseinheiten auf dem Fließband im Fitness-Studio, wo das Einatmen der zu warmen, trockenen und verbrauchten Atemluft regelrechte Unlustgefühle hervorruft.

 

An einer kerzengeraden Nationalstraße geht es jetzt in der Bergversion mehrere km vorbei. Eine ganze Reihe Läufer überhole ich  und wie immer in dieser km-Entfernung,  fühle ich mich blendend. Es ist eine Lust zu laufen und zu leben… Ich bin froh und stolz, ein Marathonläufer zu sein!

 

Mehrere Male geht es nach rechts und nach links, immer im Wald. Die Strecke ist hervorragend durch Banderolen und Helfer abgesichert, und ein Verlaufen wird dadurch schon im Ansatz verhindert. Es ist auch dringend erforderlich, da ich beim Langlauf weder rechnen kann noch orientierungsbegabt bin. Im Normalzustand kann ich mich gut orientieren, mit dem Rechnen ist es aber auch da nicht weit her.

 

Bei km 15 gibt es jetzt Xtra, ein Isotonisches Getränk, von dem ich mir gleich den Inhalt von 3 Pappbechern einverleibe. Es schmeckt und bekommt mir gut. Die nächsten 10 km verlaufen wie gehabt, ich laufe meistens alleine und bin mir selbst genug.

 

Bei km 26 kommen wir in einen Park; an einer Verpflegungsstelle trinke ich wieder heißen Tee und auf die Frage nach Cola gibt mir eine freundliche Blondine eine Flasche Maxim, einem hypotonischen Sportgetränk dänischer Provinienz  mit auf den Weg.

 

Jetzt werde ich von vielen Läufern überholt. Es sind die schnellen Marathonisten, die in der 3 h-Zeit den Marathon finishen werden. Leichtfüssig, Gazellen gleich lassen sie mich als Nilpferd erscheinen. Bei KM 28 ist eine Wegegabelung: links das Ziel, rechts geht’s zur 2. Marathonrunde. Die Zieldigitaluhr zeigt gerade 3.09 h und ich werde von 2 Läufern, dem Laufkameraden Heinrich vom 100 MC und einem Holländer mit miniaturisierten Schäferhund älteren Semesters überholt.

 

Regelrecht einsam wird die Strecke jetzt, da ja keine Assel-Rondeure mehr gegenwärtig laufen. KM 30 kommt und erste Müdigkeitstendenzen machen sich durch Unlustgefühle bemerkbar: der innere Schweinehund erwacht! Jetzt lasse ich kurz hintereinander 2 Ultra-Gelchips im Mund zergehen. Diese sehr wohlschmeckenden Guarana beinhaltenden Sportler-Nahrungs-Ergänzungsmittel bringen innerhalb von Minuten diesen Unlusthund wieder zum Schlafen. Im Gegenteil, das Laufen macht wieder Freude und leicht und locker laufe und überhole ich sowohl den 100 MC-Heinrich als auch den Holländer mit seinem Hund.

 

Ich laufe jetzt an einem Platz vorbei und nehme Wohlgerüche auf, die mich an meine Frühkindheit zurückerinnern. Frisch gefällten Douglasien entströmt ein Duft, den ich damals aufnahm, als ich von meiner Mutter  im mit Tannennadelextrakten angereichertem Wasser gebadet wurde.

 

Die 35-km Marke mit Digitaluhr wird erreicht und ich trabe freundlich grüßend am zurückgrüßenden Streckenposten vorbei. Bei km 37 sehe ich an einer langen Gerade von weitem das Triumvirat aus Duisburg, mit dem ich gestartet war. Nun nehme ich das 2. Mal 2 Ulta-Gelchips ein, und Minuten später überhole ich im Sprinttempo die verdutzen Kameraden.

 

Das Gelände verläuft jetzt noch ca. 3 km leicht abfällig und ich laufe für meine Begriffe schnell und locker und überhole noch mehrere Konkurrenten. Wenig später erreiche ich wieder den Stadtpark mit seinen vereisten Teichen, trinke am Verpflegungspunkt noch 3 Becher Wasser und bald darauf kommt dann die Zieleinlaufgerade, die über 1 km gerade und ansteigend verläuft. Auf einem Banner steht:“ nog 1 km!“

 

500 m vor dem Ziel überholt mich noch der anfangs mit mir gelaufene gleichaltrige Athlet aus Amsterdam, der trotzdem sekundengleich in der Ergebnisliste mit mir aufgeführt ist. Er ist etwas früher als ich über den Start-Zeitnahme-Teppich gelaufen!

 

Noch ein anderer Läufer kommt mir immer näher. Als ich das Banner: „nog 195 m“ erreiche, schalte ich in den Sprintgang um, und laufe majestätisch, den Konkurrenten hinter mir lassend mit einem Strahlen im Gesicht ins Ziel. Als Nettozeit wird in der Ergebnisliste 4.50 und einige Sekunden stehen. Von einem Mädchen bekomme ich die Finishermedaille umgehängt und ich bedanke mich bei Ihr mit Küsschen auf die Wange.

 

Ja, jetzt fühle ich mich wohl, es ist ein wunderbares Gefühl der Selbstzufriedenheit, das immer wieder am Ende eines Langlaufs die zuvor eingegangene Mühewaltung reich belohnt. Der mich beinahe überholende Kamerad stellt sich als Kurt Laub vor, zählt 58 Lenze, arbeitet bei der Firma VW in Wolfsburg und hat noch genau 43 Tage Lebensarbeitszeit vor sich, wie er mir euphorisch verkündet. Herzlichen Glückwunsch lieber Kurt!

 

In der Kaserne gibt es Duschen in Einzelkabinen mit wunderbarem heißem Wasser, was die gegenwärtige Selbstzufriedenheit weiter steigert. Aus der Nachbarkabine ertönt die Stimme eines Duisburger Kameraden, der meint, ob man nicht eine Wasserprobe dem geizigen Kuhaupt nach Bad Arolsen schicken sollte!

 

Als ich nach dem Duschen und Umziehen nach draußen gehe, hat die Dunkelheit schon wieder Einzug gehalten und ein freudestrahlender medaillenbehängter Spätfinisher, wahrscheinlich ein Debütant kommt mir grüßend entgegen.

 

Es war mal wieder ein schöner, ein sehr schöner Tag!

 

 

Informationen: Midwinter Marathon
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