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Laufberichte

Laufen wie Gott in Frankreich

03.06.12

Die Motive, einen Marathon zu laufen, sind sehr verschieden, doch lassen sie sich auf ein paar Grundtypen reduzieren: “Es nur schaffen” will der Anfänger, seine PB auf superflachem Kurs verbessern der Ehrgeizige. Stimmung ist das A und O für den Feierfreudigen, eine tolle Stadt, eine besondere  Landschaft erleben, das motiviert den Kulturfreak und den Naturverbundenen.  

“Einfach nur gepflegt die Birne und den Ranzen füllen”. Wer das sagt, wird bei einem Marathoni allenfalls ein verständnisloses “Hä!?” und die Empfehlung ernten, es doch besser mit “Lokalsport” zu versuchen. Denn hier sieht der klassische iso-carbo-orientierte Marathonläufer eine schlichte Inkompatibilität. Und doch: Genau dies ist für mich und viele hundert andere Läufer der Grund, warum es sie geradezu magisch zu einem ganz bestimmten Marathon in der elsässischen Pampa zieht: dem Marathon du Vignoble d’Alsace in Molsheim.

Sechs Stunden hat man hier Zeit, auf der klassischen Distanz zwölf verschiedene Weine zu verkosten, dazu zwölf gastronomische Beigaben und so nebenbei 17 Dörfer entlang der Elsässischen Weinstraße kennenzulernen. Spendable Winzer und eine großzügige Supermarktkette machen es möglich. Mein ehrgeiziges Ziel: alles durchprobieren und dennoch mit einigermaßen erhobenem Haupt und klarem Blick das Ziel in der Sollzeit finden. Eine echte Herausforderung. 

Die Macher des Marathons verstehen ihre Veranstaltung als eine Mischung aus Wein-, Genuss- und Spaßmarathon. Mit “Spaß” meinen sie dabei wohl primär das Verkleiden, wofür sie kräftig werben und eine zusätzliche Belohnung im Ziel ausloben. Abgeschaut haben sie sich das wohl beim “großen Bruder” Medoc Marathon im fernen Bordeaux. Der Spaß fängt aber schon bei der Homepage der Veranstaltung an, deren deutsche Ausgabe automatisch mittels Übersetzungsprogramm des französischen Ursprungstextes generiert wird. Heraus kommt ein an Skurrilität kaum zu überbietender Nonsens. Beispiel gefällig? Da werden die “dossards” (Startnummern) zu “Lätzchen” und die kulinarischen “gastro-viniques” Stationen unterwegs zu “Magen-Darm-weinig”. Da kann man nur hoffen, dass die Verkostung nicht tatsächlich auf den Verdauungstrakt durchschlägt.

 

Das große Gelage beginnt   

 

 

Dass ja keiner hungrig zum Start kommt, dafür sorgt schon die große “Spätzle Party” in Molsheim am Vortag des Laufs. Ins dortige Hôtel de la Monnaie wird geladen. Schon die Fotos im Internet verheißen Leckeres auf dem Teller bei Wein und viel Stimmung. Leider schaffe ich es nicht rechtzeitig und muss mich daher ganz auf die kulinarische Angebot am Lauftag konzentrieren.

An dem heißt es zunächst einmal: Früh aufstehen. Denn schon um 8 Uhr wird gestartet, was eingedenk potenziell sommerlicher Temperaturen aber durchaus Sinn macht. Nachdem uns die Tage vorher schon einen Vorgeschmack auf die warme Jahreszeit gegeben hatten, verheißen die düster-dunklen Wolken am Morgenhimmel aber für heute Anderes.  

Der Startpunkt des Spektakels ist in Dorlisheim, einem Dorf unweit von Molsheim, konkret auf dem Parkplatz des dort residierenden CORA-Markts, einem jener für Frankreich typischen Hyper-Mega-Riesensupermärkte. Ein Zufall ist das nicht, denn CORA ist Hauptsponsor des Laufs. Mehr noch: Als Spender der reichhaltigen Naturalausstattung ist er einer seiner Eckpfeiler. Eine gewisse Berühmtheit genießt Dorlisheim in Insiderkreisen allerdings aus anderen Grund: Denn hier ist jene Autoschmiede von Bugatti beheimatet, in der bis 2011 in Kleinstückzahl der legendäre Veyron 16.4, einst der pferdestärkste (1001 PS), schnellste (407 km/h, 0-100: 2,5 Sek.) und teuerste (1,3 Mio. ) für den Straßenverkehr zugelassene PKW, gefertigt wurde.

Beschleunigung und Tempo haben für die meisten der Starter heute allerdings nur sekundäre Bedeutung. Dem Aufruf des Veranstalters folgend sind tatsächlich viele durchaus originell verkleidet, gerne auch in der Variante “Adamskostüm”, wie etwa jener leicht geschürzte junge Franzose, der zwischen Bowler auf dem Kopf und seinen Laufschuhen nur mit Stringtanga und löchrigen Netzstrümpfen unterwegs ist. Ein echter Hingucker ist auch der Joe: Er  will im Neandertalerkostüm wohl an seine Ahnen erinnern. Nicht weniger fantasievoll: Bernie, der musicalreif den bayerischen Löwen heraus kehrt. Als bekennender Faschingsmuffel bleibe ich allerdings beim Läuferkostüm. Obwohl just vor dem Start der Himmel seine Pforten öffnet, tut das der Laune keinerlei Abbruch. Bei Kaffee und Kuchen lässt sich die Zeit gut im Foyer des Markts überbrücken, draußen trotzen die Verkleidungskünstler dem feuchten Guss und posieren vor den klickenden Kameras.

Der Startschuss fällt eher so nebenbei, kaum dass sich die Fünfhundertschaft der Läufer in den Startkanal bequemt hat. Und noch nie habe ich einen Start erlebt, der so mit Gelache und Gealber verbunden war wie hier.

Den ersten Kilometer geht es noch durch das regengraue Dorlisheim, dann queren wir eine Brücke, die uns hinaus in die Natur führt. Durch Wiesen und Felder folgen wir einem kleinen Sträßlein, das zunächst parallel der N 420 gen Westen folgt, sich dann aber in der Landschaft verliert.

 

Sylvaner & Bretzel

 

Lange müssen wir auf den ersten Verpflegungspunkt nicht warten. Gerade einmal 3 km dauert es bis zum ersten Genussstopp inmitten beschaulicher Weinlandschaft. Doch was sehe ich? Fast alle hetzen ungerührt vorbei. Die Genussläufer kommen wohl erst später. Die in rote Westen gewandeten Schankkellner sind fast arbeitslos und freuen sich umso mehr über die wenigen, denen sie ein erstes Gläslein, stilgerecht nicht etwa im Pappbecher, sondern im Glaskelch kredenzen können. Quasi als “Aperitif” ausgeschenkt wird der Saft einer der ältesten heute noch kultivierten Reben. Der Sylvaner war bereits im antiken Rom bekannt. Unter den dazu gereichten “Bretzeln” hatte ich mir zwar irgendwie so etwas wie Laugenbrezeln vorgestellt, nicht salziges Knabbergebäck. Aber zum Wein passt auch das. Und es kommt ja noch anderes. Gut gelaunt trabe ich weiter.

 
 

Informationen: Marathon du Vignoble d'Alsace
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