Eine rote Lampe signalisiert, dass wir auf Sendung sind. Es ist früher Samstagmorgen, noch einen Tag bis zum Frankfurt Marathon 2011. Im Radio läuft "hr3 - pop&weck". Der Moderator, Gunnar Töpfer, interessiert sich für unser Marathonprojekt: in jedem Bundesland einen Marathon innerhalb eines Jahres – das Ziel war längst erreicht.
Es lief so gut, also liefen wir weiter. Das Bundesland Hessen war bereits im Juni mit dem Hessentag absolviert worden. Das Interview neigt sich dem Ende zu und es kommen die unausweichlichen Frage: „Ihr startet doch morgen beim Frankfurt Marathon, was könnt ihr den Zuhörern mit auf den Weg geben?“
Unsere Blicke kreuzen sich, jetzt nur nichts anmerken lassen. Ganz ruhig sage ich, nein wir laufen morgen Marathon, jedoch nicht in Frankfurt. Kurze Pause. Was ich den Zuhörern mit auf den Weg gebe, ist die Warnung vor den unendlich langweiligen Kilometern auf der Mainzer Landstraße… Schnell bekomme ich noch die Kurve, schwärme von meiner Heimatstadt, dem tollen Publikum an der Strecke und dem weltweit einzigartigen Zieleinlauf in der „Gud Stubb“.
Es war, als hätten die Wettergötter sich verschworen, um den Frankfurter Himmel in ein einziges schwarz zu verwandeln: Regensalven, dunkelgraue Wolken und ein kühler Wind fegten gestern noch über das Frankfurter Messegelände, auf dem die Marathonmesse stattfand - von Marathonvorfreude keine Spur. Ganz anders dagegen die Stimmung in den Hallen: 40.000 Läufer (in drei Tagen) schieben sich durch die vielen Messestände von Sportbekleidung, Stadt- und Landläufen. Die angebotenen Läufe teils Stadtläufe, teils extreme Landschaften. Gegen den Sonnenscheinoptimismus, den Duft von Kaffee, Bratwurst und neuen Laufschuhen, der die Messehalle durchströmte, kamen aber weder das Frankfurter Sauwetter noch die dunklen Wolken am internationalen Marathonhimmel an.
Dem Charme von Lother Leder bin ich erlegen und er ist sicher froh, seinen Ladenhüter verkauft zu haben. Stimmung auch bei der HR-Liveübertragung der Pasta-Party. Viele nutzten aber auch schon am Freitag die kurzen Wege von ihrer Arbeitsstelle zum Messegelände. Perfekt sitzender dunkler Anzug, gebügelt und gestärktes Hemd mit Manschettenknöpfen und einem perfekt sitzenden Scheitel. Stilistisch unpassend hängt der weiße Plastikbeutel über der Schulter und üblicherweise würde die Tüte in der Ledertasche versteckt werden. Heute zeigte der gut gefüllte Beutel jedoch allen: Ich gehöre dazu, ich bin dabei.
Wir waren schon einige Male dabei, ist aber auch schon ein paar Jahre her. Viel hat sich seitdem verändert, nicht nur die nun viel schönere Streckenführung. Frankfurt beeindruckt gleich mit neun der zehn höchsten Gebäude in Deutschland und wächst und wächst und das nicht nur nach oben. Die Stadt wird immer schöner, immer interessanter. Hier ist Sitz der Europäischen Zentralbank, der Deutschen Bundesbank und, und, und …. Frankfurt erinnert an Monopoly. Kaufen, verkaufen und wie beim Monopoly gibt es Hotels – ohne Sterne und solche der Luxuskategorie; Häuser, in denen Menschen leben und Wohnblocks in denen Menschen hausen, das kleine Stadthaus oder die edle Villa in ruhiger Lage. Wer das Geld hat, hat die Wahl.
So stelle ich mir vor, wie heute beim Marathon die Läufer wie lebende Spielsteine über das Spielfeld Frankfurt und damit über eine der wichtigsten Finanzzentren der Welt laufen! Lust auf eine 42km-Runde Monopoly?
Schon früh versammeln sich die ersten Läufer auf der breiten und heute für den Straßenverkehr gesperrten, Friedrich-Ebert-Anlage. Im vergangenen Jahr war es außergewöhnlich kühl, in diesem Jahr zweistellige Temperaturen. Die kalifornische Bräune und die Erinnerung an die hinter mir liegenden Wettkämpfe sind noch nicht verblasst.
Das Wetter ist windig, feucht und regnerisch - mir wird schlagartig klar: Die Herbst-Saison steht vor der Tür! Für uns Großstadtflaneure spielt das Wetter ohnehin keine Rolle. Ist man erst einmal durch das Start-Tor gelaufen, scheint jeder wie durch Magie so wind- und regenresistent zu werden, wie der „Hammering Man“ (Symbol der Arbeitswelt) am Rande der Startaufstellung. Er ist in die Jahre gekommen. Seit über zwanzig Jahren schlägt er zu und das bleibt natürlich nicht ohne Folgen: Erst vor kurzen musste sein Arm ausgetauscht werden.
Das Gedränge wird immer größer, die Anspannung kann man nicht mehr verhehlen, das Adrenalin nicht mehr leugnen. Um bei diesem Spiel zu gewinnen, muss man schon extrem gut trainiert, ein Profi oder Kenianer sein. Zusätzlich benötigt man wie beim Monopoly auch eine wenig Glück. Rekorde erwarten die Veranstalter wegen des Wetters nicht. Ein Spiel dauert im Idealfall um die zwei Stunden, im Extremfall auch schon mal über sechs.
Über uns dröhnen die Propeller des Fernsehübertragungshubschraubers. Es ist 10:30 Uhr – eine halbe Stunde später gegenüber den Vorjahren.
Nicht dass der Frankfurt Marathon besonders langschläferfreundlich wäre. Wo denkt ihr hin? Einziger Grund ist das Formel-1-Rennen in Indien. Diese Verzögerung war, dank eines weiteren hessischen Sieges, nicht umsonst!