Obwohl der Laufkurs als Pendelstrecke konzipiert und daher hin und zurück weitgehend identisch ist, sind zumindest Start und Ziel an verschiedenen Orten positioniert. Zum Start müssen sich die Läufer zur knapp einen Kilometer vom Ziel entfernten, aber deutlich höher gelegenen Place de Milan begeben. Diese entpuppt sich als weitläufiges Parkgelände direkt beim Botanischen Garten. Der Platz bietet damit ideale Gelegenheit, sich einzulaufen, beim kollektiven Warm Up mitzumachen, dem Small Talk zu frönen - oder auch einfach nur die innere Ruhe zu suchen. Erst kurz vor 10 Uhr werden die gut 1.500 Marathonteilnehmer zum Start auf der Avenue de Cour gebeten.
Die Startaufstellung erfolgt in zwei Blocks, in die die Läufer gemäß ihrer bei der Anmeldung angegebenen Referenzzeit eingeteilt sind. Fünf Strafminuten droht das strenge Reglement demjenigen, der sich in den falschen Block einreiht. Das Reglement hält noch andere Nettigkeiten bereit: “Läufer mit Schiebewagen werden disqualifiziert”, heißt es da. Hat man Angst vor lauftollen Seniorenheimbewohnern? Nun ja - Fauja Singh, der kürzlich 100-jährig den Toronto-Marathon in 8:25:16 finishte, schafft das ja auch noch ohne weitere Hilfe. In Lausanne müsste er allerdings in bisschen schneller sein, auch wenn es ein offizielles Zeitlimit von knapp drei Stunden nur für das Erreichen von km 20 gibt.
Um 10:10 Uhr ist es soweit. Die letzten Sekunden werden herunter gezählt. Und los geht es. Lautstark verabschieden die beidseits der Streckenabsperrung dichtgedrängt harrenden Angehörigen die Läufer. Dann wird es ruhig. Der Läuferlindwurm trappelt über die Avenue de l’Elysee ostwärts immer geradeaus durch die noch morgendlich verschlafenen seenahen Randbezirke der Stadt. Von den Attraktionen der Stadt bekommen wir auf unserem Kurs nicht viel mit, dafür bleiben uns die Höhenmeter erspart, die man ansonsten hierfür aufwenden müsste. So geht es in leichtem Auf und Ab entspannt dahin, bis uns ein kräftiges Gefälle nach dem ersten Kilometer durch herbstlich eingefärbte Parklandschaft bis fast auf Seehöhennivau hinab bringt. Zum Glück müssen wir auf dem Rückweg hier nicht noch einmal hinauf.
Schnell lockert die Bebauung auf, wird aus der Stadt Vorstadt, aus der Vorstadt Umland. Nur kleine Hinweistafeln an der Straße lassen erkennen, dass wir die Stadt Lausanne verlassen und nahtlos in die Umlandgemeinden Pully und Paudex eintauchen. Erste Blickkontakte mit dem Genfersee sind uns erst hinter km 2 vergönnt, wenn auch nur für Momente. Der See ist zwar stets in der Nähe, aber noch steht die Bebauung dem Ausblick zumeist im Weg. Bei km 3 mischen sich die ersten Rebkulturen ins Blickfeld, es wird zunehmend ländlich, aber noch immer lässt uns der Großraum Lausanne nicht los. Dessen Ende markiert der Ort Lutry bei km 5. Vorbei am Yachthafen mit schönem Blick auf den See und die Alpen folgen wir der engen, gepflasterten Hauptgasse, die sich durch den malerischen alten Dorfkern schlängelt. Erstmals nach dem Start erwarten uns hier größere Zuschaueransammlungen, die uns für den weiteren Weg anfeuern.
Hinter Lutry überziehen weitläufige Weinberge, durchbrochen von vereinzelten Gehöften, die zunächst noch relativ sanfte Hügellandschaft. Das Lavaux, wie das historische Weinbaugebiet am Genfersee zwischen Lausanne und Vevey genannt wird, ist erreicht. Nur der ungestörte Seeblick ist uns nach wie vor verwehrt. In langen Geraden geht es auf der für den übrigen Verkehr gesperrten Straße dahin. Ab und an rattert ein Regionalzug auf der parallel laufenden Bahntrasse vorüber, sonst sind wir Läufer unter uns. Vorbei an Villette, von dem wir durch den Bahndamm getrennt praktisch nur die Kirchturmspitzen sehen, ist Cully bei km 10 das nächste größere Weindorf, das wir queren. Nach der fast meditativen Stille der vorangehenden Kilometer ist der lautstarke Empfang im Dorfzentrum eine echte Überraschung.