„Das wird schon“, denke ich mir, setze mich mit meinem Schnupfen ins Auto und fahre Richtung Süden, zum Gardasee. Es wird auch - nur nicht besser. Am Samstag habe ich sogar leichtes Fieber, an Laufen ist nicht zu denken. Als mir am Sonntag so einigermaßen ist, schwinge ich mich mit schwerer Fotoausrüstung auf’s Bike (danke, Ivo) und darf so beim Lake Garda Marathon dabei sein.
Auch ohne Marathon komme ich ins Schwärmen, denke ich an die wunderschöne Landschaft mit den Bergen im Norden und den Ebenen im Süden des langgezogenen Sees, der ein Überbleibsel aus der Eiszeit ist. Das gute Essen, für das die Region ebenso berühmt ist, ist mir im Moment nicht so wichtig, da ich die Kalorienzufuhr vernünftigerweise dem reduziertes Laufprogramm etwas angepasst habe. Alle, die in dieser Hinsicht keine Probleme haben, dürfen sich freuen.
Die Strecke ist zum Glück gleich. Nur das Veranstaltungszentrum mit kleiner Messe und Startnummernausgabe hat man ins Congresshaus in Limone verlegt, wo es sehr gut aufgehoben ist. Die Pastaparty hat man kurzfristig abgesagt und gibt dafür jedem Teilnehmer einen Essensgutschein über 5,00 €, der in verschiedenen Restaurants eingelöst werden kann. Das ist besser als nichts. Aber den Marathonis fehlt der zentrale Punkt, an dem man sich trifft, austauscht und kennen lernt. Vielleicht finden die Organisatoren für nächstes Jahr da eine andere Lösung.
Apropos - nächstes Jahr soll der Gardasee-Marathon am 10. Oktober stattfinden. Zusammen mit dem neuen Südtirol-Marathon, der eine Woche davor (03.10.) stattfindet und mit der neuen Strecke von Meran nach Bozen ein echtes Highlight wird, gibt es dann in den sehr beliebten Urlaubsregionen und nur 100 km von einander entfernt zwei Veranstaltungen, die man ideal zu einem kleinen Laufurlaub verbinden kann. Mein Urlaubsgesuch ist bereits eingereicht.
Zurück zum Heute. Mit der Startnummer bekommt jeder Teilnehmer ein grünes Armband, das ihn als Marathoni ausweist. Dafür bekommt er von Freitag bis Sonntag jeweils ein Tages-Ticket für die Schifffahrtslinien auf dem nördlichen See. Wer will, kann sich also den ganzen Tag von Limone nach Torbole, Riva und Malcesine schippern lassen. Alleine der Gegenwert dafür übersteigt schon das Startgeld (25,00 bis 35,00 €) für den Marathon. Trotzdem gibt es noch ein schickes Funktions-Shirt oben drauf. Wenn ich jetzt noch die Verpflegung sehe, die der bei einem sehr gut bestückten Citymarathon in Deutschland nicht nachsteht, komme ich zu dem Ergebnis, dass der Gardasee-Marathon ein echtes Schnäppchen ist.
Jetzt neigt der Deutsche ja dazu zu glauben, dass etwas, das nichts oder wenig kostet, auch nichts oder wenig wert ist. Und das tut mir für die Leute hier leid. Sie liefern nämlich insgesamt eine Veranstaltung ab, die auch dem schärfsten Kritiker den Wind aus dem Segeln nimmt. Auch in Deutschland würde der Gardasee-Marathon zu den Besten zählen.
Und dabei habe ich noch gar nicht darüber gesprochen, was die Attraktivität des Laufes im Wesentlichen ausmacht – die Strecke. Ich will gar nicht versuchen, sie in eine Schublade zu tun oder sie mit anderen vergleichen. Es geht nicht. Sie ist einmalig. Einmalig schön.
Limone - Start
Der Start ist in Limone. Der malerische Ort mit seinen 1100 Einwohnern wird täglich von über 10.000 Touristen überlaufen. Am Porto Vecchio jedoch scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Der alte Hafen mutet an wie eine kitschige Filmkulisse. Die Läuferinnen und Läufer, die in der Frühe von Malcesine oder Riva mit dem Schiff ankommen, haben gleich einen guten Eindruck. Die schmalen Gassen sind mit runden Kieselsteinen gepflastert. Um zum Startplatz zu gelangen, ist die einzige nennenswerte Steigung des Tages zu erklimmen. Zuerst erreicht man die 1691 erbaute Kirche San Benedetto, dann ist man auf der Gardesana Occidentale, der Traumstraße am westlichen Gardasee. Mein erstes Cabrio war ein Golf, meine erste Reise damit ging an den Gardasee. Das habe ich nie vergessen. Bevor die Straße zwischen 1927 und 1932 erbaut wurde, gab es zum westlichen Seeufer nur Schiffsverbindungen.
Erstmals starten in diesem Jahr Rollstuhlfahrer und Handbiker. Mir läuft jedes Mal ein Schauer über den Rücken, wenn ich die behinderten Sportsfreunde mit ihrer Begeisterung und Lebensfreude sehe. Schön, dass sie jetzt auch hier die Möglichkeit haben, ihren Sport auszuüben.
Um 9.30 Uhr gehen die Läuferinnen und Läufer auf die Strecke. 10 oder noch mehr Motorräder und Fahrzeuge führen das Läuferfeld an. Die Straße ist komplett gesperrt. Man muss sich den Aufwand einmal vorstellen: die Straße bis Riva und dann auf der anderen Seeseite bis Malcesine, die einzige Landverbindung zwischen den Orten, ist für den Verkehr gesperrt, alle Zufahrtstraßen ebenfalls und durch Polizei gesichert. Ich habe nicht ein einziges Fahrzeug, das nicht dahin gehört, auf der Strecke gesehen.
Gardesana Occidentale
Man spürt schon jetzt, es wird ein perfekter Tag. Die Sonne scheint, es ist (noch) nicht zu warm, die Marathonis legen los, wie verrückt. Die Straße hat zunächst leichtes Gefälle. Der Blick auf den See und zum gegenüberliegenden Ufer mit den bis zu 2000 m hohen Bergen ist phantastisch. Die Morgensonne blendet und schnell wärmt sie auch. Schon an der ersten Getränkestelle ist ausgiebiges Trinken angesagt. 74 Tunnels hat die Straße insgesamt, 26 (wenn ich richtig gezählt habe) davon liegen auf unserer Strecke.
10 Kilometer sind es bis Riva. Dazwischen liegt nichts als eine paradiesische Landschaft, die mit ihrer einmalig vielfältigen Vegetation wie ein riesiger Park anmutet, den schöner kein Mensch planen könnte. Palmen und Zedern, Agaven und blühende Sträucher, Büsche und Gräser gibt es mehr, als das Auge des Läufers entdecken könnte. Einzig die schlank aufragenden Zypressen fallen jedem sofort auf. Zuschauer gibt es hier kaum. Deshalb haben die Pacer nicht nur die Aufgabe übernommen, ihre „Kunden“ pünktlich ins Ziel zu bringen, sondern sie auch noch zu unterhalten. Sie sind am Scherzen und Singen, Gröhlen und Pfeifen. Die Stimmung passt zum Ambiente.