Als ich Anfang dieses Jahres meine Marathonplanung machte, war klar, dass ich heuer unter normalen Umständen meinen 50. Marathon laufen werde. Ein kleines Jubiläum, das ich mit einem besonderen Lauf würdigen wollte. Es sollte einfach etwas Besonderes und wenn möglich auch eine neue Herausforderung sein. Da kam mir der Karwendelmarsch in den Sinn. Bergläufe und Ultras stellen für mich noch immer eine große Herausforderung dar und da es nur einen Cut-Off zu bewältigen gibt, der auch noch leicht zu erreichen ist, stand es für mich schnell fest, der Karwendelmarsch wird mein Jubiläumslauf.
Bereits im Jahr 1969 organisierte der Innsbrucker Sigi Pilser zusammen mit vier Freunden erstmals diesen legendären Marsch. Rund 1200 Teilnehmer standen bei der Premiere am Start, um die traumhafte Strecke von Scharnitz über die Eng bis nach Pertisau am Achensee unter die Füße zu nehmen. Insgesamt zehn Jahre lang organisierte er diesen Marsch, der nur einmal aufgrund der Schneelage verkürzt werden musste. Nach weiteren neun Jahren war dann erst mal Schluss. Bei der letzten Austragung wurden alle bisherigen Teilnehmerrekorde gebrochen. 4098 Teilnehmer marschierten und liefen damals mit. Nach einer langen Auszeit erinnerte man sich dann wohl wieder an den legendären Karwendelmarsch und er feierte im Jahr 2009 eine Neuauflage. Bis heute steigen die Teilnehmerzahlen stetig an, so dass in diesem Jahr erstmals das Teilnehmerlimit von 2.500 Läufern erreicht wurde.
Die Legende lebt, wie es auf den Werbebanner heißt. Und ich bin diesmal mit dabei.
Ich reise am Vortag zusammen mit meinen Lauffreunden Bernie und Charly an und liege nach einem leckeren Abendessen schon zeitig im Bett. Der Wecker wird uns am Samstag um 04:15 Uhr unerbittlich aus dem Schlaf reißen. Start ist um 06:00 Uhr, welch unchristliche Zeit für mich Langschläfer. Aber bei einem Zeitlimit von vierzehn Stunden macht das schon Sinn, will man nicht in die Dunkelheit hineinlaufen. So stehen wir drei schon eine Stunde vor dem Start auf dem Sportgelände in Scharnitz und schnuppern schon mal Karwendelmarsch-Luft. Es ist schon beeindruckend, wenn sich 2500 Menschen auf ein derartiges Abenteuer vorbereiten.
Das Feld ist bunt gemischt. Neben top ausgerüsteten Trailrunnern, die offensichtlich alles am Leib tragen, was der Markt so hergibt, kann ich auch Teilnehmer entdecken, die in Cargo-Hosen, kariertem Hemd und in Wanderstiefeln an den Start gehen. Ich lass mich natürlich nicht blenden, so ein echter Bergfex, der marschiert einen Berg vermutlich schneller hoch, als ich ihn je laufen kann. Die Stimmung unter den Teilnehmern ist wirklich einzigartig. Es ist noch dunkel in Scharnitz, doch schon bald beginnt es zu dämmern und die Berge sind als dunkle Schatten zu erkennen. Es gribbelt in den Füßen, ich will los. Vor allem hat es jetzt noch angenehme 15 Grad, aber der Wetterbericht hat uns heute bis zu 30 Grad und Sonnenschein versprochen. Ich fürchte, dass mir das heute noch übel mitspielen wird. Ich vertrage solche Temperaturen nicht besonders gut, aber ich bin zuversichtlich und freue mich auf meinen Jubiläumslauf und die wunderbare Landschaft des Naturparks Karwendel.
Dann ist es endlich so weit. Punkt sechs Uhr ertönt der ohrenbetäubende Knall einer Böllerkanone und die Menge kommt in Bewegung. Der letzte Scharnitzer ist jetzt wohl auch wach. Da der Sportplatz am Ortsrand von Scharnitz liegt, lassen wir den kleinen Ort an der bayerisch-österreichischen Grenze bald hinter uns. Schon nach wenigen hundert Metern geht es nach links weg und der erste Anstieg liegt vor uns. Noch moderat geht es auf einem breiten Forstweg nach oben und das Läuferfeld kann sich sortieren und das ist auch dringend notwendig. Wanderer und Läufer sind buntgemischt. Doch der Ton unter den Teilnehmern stimmt: „Dürfte ich mal kurz vorbei?“ – „Klar!“ – Hier wird nicht um Zeiten gekämpft, es ist ein fröhliches Miteinander.
Langsam, aber sicher wird es auch hell und es liegt das erste Highlight vor uns. Wir erreichen das Karwendeltal und folgen einem breiten Wanderweg, der stetig aber nur leicht bergauf führt. Er ist gut zu laufen und verläuft größtenteils parallel zum Karwendelbach. Die Kulisse ist gigantisch. Links und rechts ragen die Gipfel des Karwendelgebirges teilweise bis zu 2500 Meter in die Höhe. Es ist wirklich atemberaubend. Ich trabe gemütlich vor mich hin und kann mich gar nicht sattsehen. Als dann auch noch die Sonne aufgeht und die ersten Gipfel anstrahlt, ist das idyllische Bergpanorama nahezu perfekt.
Nach 9,8 Kilometern erreichen wir die erste Verpflegungsstation am Schafstallboden. Die Schützengilde Scharnitz bewirtet uns vorzüglich und ich gönne mir ein zweites kleines Frühstück aus Äpfeln und Keksen. Einen Tee dazu und weiter geht’s durch das Karwendeltal. Nach einem weiteren kleinen Anstieg durchlaufen wir ein Gatter und vor uns vor uns liegt ein Traum von Berglandschaft. Viele Teilnehmer finden die Zeit zum Innezuhalten, ihr Fotohandy zu zücken und diesen atemberaubenden Anblick festzuhalten. Der Nebel liegt noch im Tal und die tiefstehende Sonne zaubert uns ein einzigartiges Motiv. Leider müssen wir weiter und lassen dieses Szenario hinter uns.
Bis jetzt haben wir uns eigentlich nur warmgelaufen und es gilt endlich richtig Höhenmeter zu machen. Der breite Wanderweg schlängelt sich nach oben und wir können bald zurück auf das Karwendeltal blicken. Ich teile mir diesen Streckenabschnitt zusammen mit Helga, die ich auch später immer wieder mal treffen werde. Wir haben den gleichen Schritt, obwohl sie zu den Marschierern gehört. Das macht aber nichts. Das Tempo ist gerade richtig. Wir sind nun bei etwa Kilometer 15 und nähern uns dem Karwendelhaus. Dort wartet die nächste Labestation auf uns.