Als gebürtiger Oberkärntner bietet sich für mich auch heuer wieder die Gelegenheit, mittlerweile die 5. Ausgabe des internationalen Kärnten Marathons mit einem Verwandten- und Gräberbesuch zu verbinden. Wenn ich die Zeit 5 ½ Jahrzehnte in Gedanken zurückdrehe, so war in meiner Jugend ganz Unterkärnten für mich sozusagen Neuland.
In der 3. Klasse VS kam ich 1963 zum ersten Male im Zuge einer ganztägigen Rundfahrt mit einem Autobus in die Region Feldkirchen mit dem in der Nähe befindlichen Ossiacher See, der Schulausflug führte uns auch zu den Burgen Landskron und Hochosterwitz. So wie es eine umgangssprachliche Differenz zwischen Lienz in Osttirol, wo ich geboren wurde und auch die höhere Schule besuchte, gibt, so hört man in Kärnten auch heraus, ob jemand bspw. aus dem Mölltal in Oberkärnten kommt oder der Region Südkärnten zuzuordnen ist.
Im Laufe meiner 20 Jahre seit 2001, in denen der Marathon zur liebsten Freizeitbeschäftigung wurde, habe ich an mehreren Laufveranstaltungen in Kärnten teilgenommen. So etwa in Klagenfurt – der Marathon wurde 2003 in 2 Runden ausgetragen, 2004 auch den Ironman Kärnten bewältigt und mehrmals den Halbmarathon von Velden nach Klagenfurt absolviert. Ein schönes Erlebnis war auch der Wörthersee-Trail mit 57 km. Und nun steht meine 3. Teilnahme beim Panorama-Marathon von Feldkirchen zum Ossiacher See auf dem Programm.
Auf der Veranstalter-Homepage, die im neuen Glanz dank eines neuen Hauptsponsors erstrahlt, mit zahlreichen Links auf Berichte über den Marathon vom Vorjahr hinweist und sonst eine Fülle an gut aufbereiteten Informationen beinhaltet, wird auch ausführlich das behördlich bei Veranstaltungen eingeforderte Covid-19 Präventionskonzept dargelegt. Ich kenne kaum jemand, der nicht die Nase voll hat, wenn er an Corona denkt bzw. mit all den „Schikanen“, die leider unumgänglich sind, konfrontiert wird.
Als ich am Samstag nach einem kurzen Fußweg vom Parkplatz kommend vorbei am auf das 13. Jh. zurückgehenden Bamberger Amthof weiter zum Rathaus und über den Hauptplatz zum Stadtsaal Feldkirchen spaziere, sind gerademal 3 Sportler angestellt, die auf den 3G-Nachweis (genesen, geimpft, getestet) überprüft werden. Wenn alles korrekt ist, bekommt man ein blaues Band um das Handgelenk. Im Saal sind mehrere Tische aufgebaut, die Startnummernausgabe erfolgt unkompliziert, das Startsackerl ist zudem reichhaltig gefüllt.
Ich sollte erwähnen, dass über Sechzigjährige, also sog. Golden Runner & Walker, Seniorinnen und Senioren ab dem Jahrgang 1958 und älter generell eine 20%ige Ermäßigung erhalten. Auch Jugendlich ab dem Jahrgang 2002 bekommen 20% Rabatt. Mit 58 Euro (20% abgezogen) in der letzten gestaffelten Preisstufe ist die Teilnahme am internationalen Kärnten Marathon als günstig zu bezeichnen. Ein Leibchen ist im Startgeld nicht enthalten, um 18 Euro wird es extra angeboten.
Organisatorisch gesehen wird neben dem Marathon morgen auch ein Supermarathon über 50 km, ein Viertel- und ein Halbmarathon mit einer eigenen Kärnten-Wertung stattfinden. Zudem steht heute um 16:00 Uhr der Feldkirchner Stadtlauf über 5 km auf dem Programm. Es sind ferner Walkingbewerbe über 5/10,5/15,5/21,1 km, Teamläufe über 10,5 u. 21,1 km und auch für Kinder und Jugendlich Kurzstrecken über 300m, 1000m und 2000m vorgesehen. Die Stadtgemeinde Feldkirchen, mit ca. 14.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Kärntens, steht an diesem Wochenende ganz im Banne des Laufsports.
Ich treffe Helmut Linzbichler, renommierter Marathon- und Ultraläufer, Bergsteiger und Mount Everest-Bezwinger, der sein neuestes Buch „Abenteuer Unlimited: Mein Leben im Grenzbereich“ präsentiert und signiert. 80-Jährige sehen in der Regel anders aus. Helmut zählt in Österreich mit über 320 Finishes (darunter an die 60 Ultrabewerbe mit einem Transamerika-Lauf) zu den bekanntesten Marathonsammlern und ist zu so etwas wie eine Legende geworden. Wenn man ein Vorbild braucht, kann man sich an der Biografie von Helmut Linzbichler orientieren, der auch schwere Schicksalsschläge wie den Krebstod seiner Tochter in jungen Jahren aufgearbeitet und mit sportlicher Ambition überbrückt hat. Mir kamen die Tränen, als ich sein Nachwort zum Ableben seines geliebten Mädchens gelesen habe.
Um 8:45 Uhr parke ich mein Auto ca. 100 m vor dem Startbereich beim Amthof ein. Das Feld ist überschaubar, mehr als geschätzte 40 Personen dürften eine knappe ¾ Stunde vor Rennbeginn (noch) nicht anwesend sein. Zeit genug zum Plaudern bleibt allemal. Während die Ultraläufer und Marathonis schon um 9:20 ins Rennen gehen werden, beginnt der Start für die Halbdistanz erst um 10:10 Uhr. Alle langsamen Läufer/innen haben die Rückversicherung, dass der internationale Kärnten Marathon offiziell erst um 16:30 Uhr nach 7:10 Stunden schließen wird. Solche Öffnungszeiten gibt es sonst nur bei Trailmarathons oder im Land der unbegrenzten Möglichkeiten – wie bspw. beim New York City Marathon, wo manche erst nach 8 Stunden im Central Park eintreffen.
Der Platzsprecher ruft auf, dass alle Starter die Hände heben sollen – da kann ich nicht mitmachen, weil ich eine Kamera halte und einige Aufnahmen mache. Als Vorvorletzter gehe ich ins Rennen, Kollege Erber holt mich nach 200 m ein. Wir plaudern, unser Lauftempo ist sehr gemächlich. Auf der ersten Runde bei einer Aufwärtspassage zieht Karl Alfred etwas an, er bleibt aber in Reichweite.
Nach dem 2. Kilometer führt der Kurs vom Feldkirchner Stadtzentrum über den Hauptplatz in nördliche Richtung und dann scharf nach Westen weiter. Die Laufstrecke ist mit der vom letzten Jahr ident, auch 2020 hatten wir traumhaftes Herbstwetter. Die Temperatur beim Start lag heute unter 10 Grad, doch gegen Mittag werden 15 bis 20 Grad erwartet. Wir befinden uns in einer ländlichen Umgebung mit bäuerlichen Gehöften, tlw. noch immer grünen Wiesen und abgeernteten Äckern, die Obst- und Laubbäume sind kaum herbstlich verfärbt, nur die tiefstehende Sonne wirft bereits am Vormittag Schatten auf das Land.
Etwas dauert es und die schnellsten Teilnehmer des Viertelmarathons über 10,5km mit Start um 9:45 Uhr kommen nach. Beim Ortsteil Elbling sind 5 km erreicht, die Anzeige verweist auf noch ausstehende 37 km für die Marathonis. Auf der auf einer Spur gesperrten Ossiacher See Bundesstraße befinde ich mich nun mitten unter den Viertelmarathonläufern, nach einem Kilometer biegt die Strecke nach Tiffen-Nadling ab, es ist eine leichte Steigung zu bewältigen. Auf der folgenden Abwärtspassage, die unter der Unterführung der Ossiacher Bundesstraße verläuft, kann man wieder Zeit gutmachen. Bei der Ortschaft Leinig befindet sich die erste Labestelle, Wasser, Iso und Bananen werden angeboten – man bedient sich coronagemäß selbst.
Die Viertelmarathonläufer/innen biegen nach links wieder in Richtung Feldkirchen ab, für uns und die noch nachfolgenden Halbmarathonläufer/innen geht es nach Westen in Richtung der Ortschaften Liebetig und Leinig weiter. Kollege Erber liegt in Sichtweite vor mir, der Letzte im Marathonfeld von ca. 40 Startern ist nicht auszumachen. Ich habe das Pech – übertrieben formuliert – dass ich unfreiwillig Zeit verliere, als vor einem nur mit Rotlicht gesicherten Eisenbahnübergang der Ordner sorgsam darauf achtet, dass ich nicht vor dem heranfahrenden Zug den Gleiskörper betrete.
Es ist noch eine schönes Stück – dies auch im landschaftlichen Sinne – bis zum Herzstück der Streckenführung, dem „Bleistätter Moor“, einem Landschafts- und Europaschutzgebiet am Ossiacher See. Als ich mich auf der nunmehr schottrigen Zufahrtsstraße für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge knapp vor der 10 km Markierung befinde, braust der schnellste Halbmarathonläufer heran. Bei der Versorgungsstelle stehen mehrere Marathonis, die ihre erste 7 km-Runde um das Schutzgebiet schon hinter sich gebracht haben. Für mich sind es noch gut 3 km auf dem holprigen Ossiacher See Radweg R2, bis auch ich zur Abzweigung in Steindorf kommen werde. Laut Streckenführung ist die Bleistätter Trailstrecke 1 ½mal zu laufen, bevor es weiter nach Westen bis Bodensdorf geht.
Kollege Erber hat den Abstand zu mir vergrößert, ich kann ihn in der Ferne nur mehr an seinem rosa Trikot erkennen – im Alter wird man ja weitsichtig, das kommt mir entgegen. Umso dichter ist das Läuferaufkommen hinter mir, alle brausen heran, liegen inzwischen schon 7 km vor mir und bewegen sich schnell voran. Bei der Abzweigung hinein zum Bleistätter Moor sorgt die Percussionband Maracatu Renascente für viel Rhythmus und Lärm.
Schon letztes Jahr boten die Runden um das in der Ostbucht des Ossiacher Sees gelegene Bleistätter Moor viel Naturerlebnis. Das 80 ha Gebiet wurde 2017 geflutet und beherbergt mittlerweile zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten, u.a. den Eisvogel, Kraniche, Weiß- und Schwarzstörche, Fisch- und Zwergadler. Dementsprechend sind schon um die Mittagszeit viele Sonntagswanderer unterwegs, die aus der Gegenrichtung kommen.
An diesem Sonntag ist aber auch der asphaltierte Radweg nach Bodensdorf – wenn man die Runde um das Moor hinter sich gebracht hat – stark frequentiert. In beide Richtungen sind Spaziergänger und Radfahrer unterwegs, mitunter muss man auf ein zufahrendes Auto achten. Die 3,5 km lange Wendestrecke entlang dem See zur Linken und der Bahnlinie zur Rechten ist wellig. Die Sonne ist nun schon gegen 13 Uhr etwas nach Westen gewandert (in der Schule lernt man ja, dass sich die Erde bewegt), daher knipse ich die entgegenkommenden Marathon- und Ultramarathonteilnehmer im leichten Gegenlicht. Wie gewohnt und so wahrgenommen, sind die Läuferinnen und Läufer zumeist positiv eingestellt, wenn einer der ihren sie beim Lauf ablichtet.
Die Strecke bis zur Wende beim Kurpark Bodensdorf bietet viel Panorama, am schönsten ist der Blick auf das südliche Seeufer hinüber nach Ossiach. Die warme Sonnenstrahlung übertüncht die herbstliche Atmosphäre und Stimmung, Spaziergänger sitzen auf Bänken am See und genießen den Tag. Knapp hinter der Labe quert die rote Matte der Zeitnehmung die asphaltierte Straße zum See hinunter. Ich bin froh, dass es jetzt auch für mich wieder zur Abzweigung zum Bleistätter Moor ca. 3,5 km zurückgeht. Dort angekommen hat der Lärm der Schlagzeuger nicht nachgelassen.
Die weiteren Runden um das Bleistätter Moor ziehen sich, mich stören die Spaziergänger und eine Blase, die ich mir durch Sand in den Socken zugezogen habe. Auf der letzten Runde um das Bleistätter Moor überholt mich ein Läufer mit dem auffallenden Spruch „Los lei lafn“ auf der Rückseite des T-Shirts. Mag sein, dass es sich dabei um das offizielle Laufshirt handelt. Der Spruch hat mehrfache Bedeutung und wird vermutlich außerhalb Kärntens kaum richtig verstanden werden. Wer je die TV-Übertragung des über die Grenzen Österreichs hinaus bekannten Villacher Faschings erlebt hat, der orientiere sich beim Nachzipfer Hannes Höbinger, der zum Gaudium des Publikums mit viel Witz in das Kärntnerische einführt. Kleine Nachhilfe: „Aduado“ bedeutet „Auch du bist da“, daher „Los lei lafn“ einfach als Lebenseinstellung verstanden „lass es nur laufen, nimm das Leben leicht“ Oder das oft gehörte „eppa gor“ als „aber nicht wirklich?“
Endlich sind die 36 km geschafft, die Anzeige an der Tiebelbrücke ist auch der Wendepunkt, bevor es zurück nach Feldkirchen geht – dies aber unter Überwindung von ca. 190 Höhenmetern aufsteigend. Die Strecke zurück kenne ich ja schon, ein schottriger Feldweg für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, hie und da sind auch hier Spaziergänger unterwegs. Diesmal kommt kein Zug, doch der Bahnübergang wird auch nach 5 Stunden vom gleichen Ordner, der mich schon am Vormittag von der Überquerung des Bahnübergangs bei Rotlicht und herannahenden Zugs freundlich abgehalten hat, gesichert.
Bei der Labe in Leining sitzt nur noch ein Helfer, Wasser, Iso und auch Bananen stehen weiterhin bereit. Der Marathonkurs geht nun nicht wie vormittags in die Gegenrichtung zurück, sondern führt durch einige kleine Vororte von Feldkirchen. Bei Rabensdorf kommt mir im Auto entgegen, Rennleiter Dr. Helmut Paul sitzt am Steuer, er will sich ein Bild machen, wie viele Personen noch auf der Strecke sind. Er bleibt beim Einsatzwagen des Roten Kreuzes, der 200 m hinter mir dezent nachfährt, stehen und lässt sich informieren.
Es ist nicht das erste Mal, das ich alleine bei einem Marathon unterwegs bin. Bei der letzten Labe habe ich den Helfer gefragt, wann der Läufer mit dem rosa Trikot hier durchgekommen ist. Das war von weniger als 10 Minuten, also liegt Kollege Erber diesmal ca. 1 km vor mir. So ist es dann auch, der Platzsprecher kündigt mein Eintreffen geradezu euphorisch an, „Ehre wem Ehre gebührt“, möchte man sagen, aber unter den gegebenen Umständen steht das Finish und die Wertung im Klassement für mich im Vordergrund. Eine Helferin macht von Karl Alfred Erber und mir ein Zielfoto. Inzwischen ist auch Rennleiter Dr. Paul im Zielbereich nach seiner Streckeninspektion eingetroffen. Er ist mit Helmut Linzbichler gut befreundet, wie mein Belegfoto beweist. Helmut sagt zu mir, dass wir beide eigentlich niemandem mehr etwas beweisen müssen, seine 320 Marathons mit ca. 60 Ultras und meine 425 inkl. einiger längerer Läufe über die Ultradistanz sollten doch unter den Sammlern Gewicht haben.
Die Organisatoren des 5. internationalen Kärnten Marathons haben neben Engagement sehr viel Arbeitszeit in dieses auf 2 Tage ausgerichtete Lauffestival investiert und so auch der Pandemie mit ihren Erschwernissen erfolgreich Paroli geboten. Schade, dass nicht mehr Läuferinnen und Läufer vor allem am Marathon und Ultramarathon teilgenommen haben, manche haben sich zwar angemeldet, sind aber dann nicht gestartet.
Ich denke nicht, dass der Marathonkurs bestzeitentauglich ist, die 3 Runden insgesamt um das Bleistätter Moor verlaufen auf feinschottrigem Untergrund, auch der Radweg nach Bodensdorf weist löchrige Asphaltstellen mit abschüssigen Terrain auf und ist teilweise wellig. Fast 200 Höhenmeter zunächst ab-, dann aufsteigend auf den letzten 5 km bremsen zudem.
Die Versorgung auf der Strecke mit Wasser, Iso und Bananenstücken war bis zum Schluss der Veranstaltung gesichert, im Zielbereich konnte man sich frei bedienen, Traubenzucker, Schnitten, selbst Bier aus der Flasche stand zur Verfügung. Das Preis-, Leistungsverhältnis würde ich als sehr gut bezeichnen. Daher Gratulation und Danke an die Veranstalter und allen Helfern – nicht auszudenken, hätte ich den Schritt über die Gleise vor dem herannahenden Zug gesetzt. Dann wäre es mit der Marathonsammeloption endgültig vorbei gewesen.
Pfiat eich bis zum nächsten Mol…
Siegerliste Männer:
1. Onyshchenko Andrii (UKR) – 2:40:06,6
2 .Kröhn Niklas (AUT) – 2:47:38,3
3 .Senoner Thomas (AUT) – 3:18:11,5
Wertung Frauen:
1. Schoderbeck Anita (AUT) – 3:20:44,5
2. Sabbadini-Tengg Sigrid (AUT) – 3:20:46,5
3. Staudacher Simone (AUT) – 3:45:10,6
31 Finisher beim Marathon (25 Männer, 6 Frauen); 9 Finisher beim Supermarathon (8 Männer, 1 Frau); 73 beim Halbmarathon (54 Männer, 19 Frauen)