marathon4you.de

 

Laufberichte

Muzungu und die Weltmeister

10.07.16 Iten Marathon
 
Autor: Joe Kelbel

 

Sonntag, Marathontag:
„No, no running!“

 

Aus allen ungepflasterten Nebenstrasse kommen Läufer in Kleidung ihrer Sponsoren. Sie laufen natürlich, ich gehe die zwei Kilometer. Am Startort ist noch nicht viel los. Die Halbmarathonläufer werden auf Pickups gestapelt oder in Matatus (Sammeltaxies) gestopft. Über 470 Läufer sind für die zwei Strecken gemeldet, es werden nur knapp 200 im Ziel ankommen.

 

 

Celestine, die Chefin, drückt jedem Matatufahrer 100 Schilling in die Hand, dann brausen die Autos zum Halbmarathonstart nach Eldoret. Der Marathon sollte eigentlich um 8 Uhr starten. Der, der hier das Sagen hat, will aber, daß die Frauen um 7:46 starten. Deswegen werden sie aussortiert. Von den etwa 50 Marathonläuferinnen werden nur 24 im Ziel ankommen. Doch dann wird auch nicht um 8 Uhr  gestartet, der Gouverneur fehlt. Niemand hat eine Telefonnummer von dem. Der Gouverneur von Eldoret ist ja da, aber der von Iten fehlt.

Hier stehen Weltrekordler, hier stehen 10, 15 Läufer die unter 2:10 laufen, mehr als 40, die unter 2:24 laufen. Und die werden nun hingehalten. Irgendwann entwickelt sich ein Aufstand. Zunächst ziehen sich alle weit hinter den Startbereich zurück, schicken dann eine Delegation nach vorne, es geht um die Prämien. Hier läuft niemand aus Spaß, außer dieser verrückte Weiße vielleicht.

Die Prämien werden von den Sponsoren bereitgestellt, die zwar viel erzählen und wenig davon einhalten, sodass die Prämien noch nicht feststehen. Der Lauf steht auf der Kippe. Alle heben die Hände, rufen laut: „No, no running“.  Dazu wird rhythmisch geklatscht und auch gelacht. Von meinem Standpunkt aus sehe ich das locker, aber die Läufer müssen leben, wollen hier entdeckt werden. Am Streckenrand stehen Headhunter und Vertreter von Sportsfirmen, um neue Talente zu entdecken.

Der Gouverneur kommt gegen 8:50 Uhr, sieht sich mit der aggressiven Stimmung konfrontiert und tippt deswegen lieber auf seinem I-Phone rum. Celestine, die Chefin, kommt gerade von der Strecke und stellt sich nun der Menge: „500.000 Schilling, also 5000 US $ für die beiden Gewinner m/w, dann Staffelung nach unten bis zu Platz 10“, lasse ich  mir übersetzen.  Es scheint so, daß der Lauf nun doch gestartet werden kann, nach kenianischen Verhältnissen sogar einigermaßen pünktlich.

Bischof von Iten, Bischof von Nairobi, Gouverneur von Eldoret, Gouverneur von Iten, ich habe den Überblick verloren. Es sind keine Reden, eher Gebete. Alle stehen an der Startlinie, plötzlich ein Pfiff und ich bin allein!

 

 

Erfahrung vs Talent

 

ALLE SIND WEG! Joe steht alleine an der Startlinie! Die Zuschauer lachen, ich richte in Ruhe meinen Rucksack (der Inhalt wird mir heute das Leben retten), dann laufe ich  hinterher. Es gibt jetzt drei Steigungen, die ich (noch nicht) laufen kann. Erst hinter dem Ortsausgang geht es leicht abwärts, alles wird gut!

Das riesige Lornah-Kiplagat-Stadion mit Sauna und Schwimmbad ist vom Feinsten, Lornah Kiplagat hat es sich vom Preisgeld des New York Marathons bauen lassen. Jetzt trainieren hier die Läufer, die sich beim HATC eingemietet haben. HATC-Fremde zahlen 5-10 Euro, um hier auf feinsten Bahnen laufen zu dürfen.

Links und rechts der Straße sind Gemeindehäuser, aus denen per Lautsprecher Gospelsongs zu mir dringen. Es ist Sonntag, es ist gute Musik, nicht diese schwarz-amerikanischen Gospels. Gesungen wird zwischen 8-16 Uhr, dazwischen wird gepredigt.

Die Halbmarathonläufer kommen mir entgegen, als Vorletzte kommt Nary (1:41) mit Salva als Pacer, dann Totti, Eric, und Paul, weit dahinter die beiden Amerikaner, die hier eine Secondary-School aufgebaut haben. Bei km 10 überhole ich zwei schwarze Abbrecher, die nun umdrehen. Ab sofort habe ich gute Laune.

Schon bei km 12  kommt mir die Spitzengruppe des Marathons entgegen. 2:16 wird der Gewinner laufen, und das bei einem Höhenunterschied von 600 Metern. Ich dachte, die Strasse sei abgesperrt, aber jetzt kommen noch die Autos der Trainer, Headhunter und Sponsoren. Es werden nicht die Spitzenläufer beobachtet, sondern es wird in zweiter, dritter Reihe gesucht. Männer sitzen auf dem Türschlag und filmen Läufer, damit man deren Laufstil später analysieren kann.

 

 

Alle 5 Kilometer ist eine Wasserstation, bei km 15 überhole ich zwei schwarze Läufer, fühle mich wie Superman! Kann sehr gut atmen, es geht allerdings auch die ganze Zeit leicht bergab. Auf der Gegenseite springen Läufer, fast bei voller Geschindigkeit, auf die Pickups, es sind  Besenwagen. Jeder Wagen hat ca 10 Abbrecher drauf, es müssen 10, 15 Pickups alleine für die Marathonläufer sein.

Ein Polizeiauto ist der finale Besenwagen, eskortiert den wartenden Verkehr. Der dicke Polizeichef lehnt sich aus dem Fenster, schaut mich ungläubig an: „What´s wrong, Muzungu?“ “Everything´s  ok, officer, that´s normaaal!“ brülle ich ihm hinterher.

Dann ist der Spuk vorbei, auf der Strasse brausen nun die dieselnden Lastwagen und Sammeltaxies an mir vorbei, wirbeln die verlorenen oder weggeworfenen Startnummern auf, alleine die Transponder haben einen Wert von 400 Euro.

Gegenüber ist der VP 25, ich nehme ein Glas Wasser, bitte die Helfer zu warten, bis ich auf meinem Rückweg wieder vorbeikomme. Als ich den VP bei Km 20 errreiche, ist der schon abgebaut. Ich brülle dem Fahrer hinterher, der die Tische abtransportiert, und erhalte eine angenuckelte Wasserflasche. Kurz vor dem Wendepunkt bei km 21,1 stehen zwei Verkehrspolizisten mit Maschinengewehren, aber ohne Magazin. Ich frage, wo der Wendepunkt sei, mache Beweisfoto, weil natürlich alles schon abgebaut ist. 2:05 ist meine Halbmarathonzeit!

Beim VP km 25 sind die Tische doch schon entfernt, ich suche zwischen dem Müll auf dem Boden nach Wasser, frage die Jungs vom Roten Kreuz. „ No Water“. Dabei standen noch  reichlich Becher auf dem Tisch, als ich vor einer Stunde hier war. Man hätte ja zwei, drei Becher in eine Fasche umfüllen können, anstatt sie auf den Boden zu werfen. Und anstatt faul im Graben zu hocken, könnte man ja auch die leeren Flaschen und Becher einsammeln. Ich hatte damit gerechnet, ich kenne Afrika, und habe reichlich Wasser ( ja, Wasser!) im Rucksack gebunkert.

Es geht nun stetig hinauf, 600 Höhenmeter sind zu überwinden. Bin erstaunt, daß die Flaschen und Becher vom letzten Jahr sich schon ein wenig zersetzt haben und frage mich, wie lange die Transponder brauchen, um sich zu aufzulösen. Diesen Müll wird es nächstes Jahr nicht mehr geben.

Das Laufwetter hier oben ist optimal: 10-25 Grad, ganzjährig, frische Luft,  ab dem Abend heftige Gewitter. Die Sonne wird von weissen Wolken geblockt, also kein Sonnenbrand, und der Mangel an Wasser war für mich nie ein Problem. An einem kleinen, selbstgezimmerten Kiosk kaufe ich mir einen halben Liter Cola für ca 0,35 Eurocent.

In diesem Augenblick beginnt im Zielbereich die große Party. Der  Moderator testet die Zuschauer: Wie viel ist 5 plus 5? Wie viel ist 10 plus 10? Das klappt wunderbar, heute ist jeder ein Gewinner. Es wird getanzt und (fast) jeder freut sich über den heutigen Erfolg.

Dann wird nach dem letzten Läufer (3:05) alles abgebaut. Eine gelungene Veranstaltung, es werden Verträge unterschrieben, es gibt viele, schwarze, glückliche Gesichter, aber nur knapp 200 Finisher auf den zwei Distanzen.

 

 

Ich bin zu diesem Zeitpunkt gerade bei km 27, zwischen quäckenden Kindern: „ How are you! How are you, Muzungu?!“ Da ich nicht jedem Kind antworten kann, wird das Quäken immer lauter. Schließlich wird im Chor gebrüllt: „How are you, Muzungu!“ In Kambodscha quäckten die Kinder „Hello, Bye Bye!“ in Sri Lanka „What´s you name?“ Das war glaube ich das Schlimmste, weil mein Name vorne und hinter draufstand. Aber das „How are you“ ist muzunguverachtend, denn jeder sieht, wie es mir geht und daß ich kämpfe!

Km 30 ist wieder eindeutig an den Bechern und Wasserflaschen zu erkennen, die in der  Sonne bläulich leuchten. Km 35 ebenso, ich rechne jetzt mit einer Zielzeit von 4:45. Aber ich bin jetzt wieder auf einer Höhe von 2400 Metern, kann zwar gut atmen, aber den Muskeln fehlt Sauerstoff, oder Nahrung, jedenfalls muss ich auch kleine Steigungen gehen.

An der Countygrenze sind wieder die Nagelbänder ausgelegt. Die dienen nicht der Verbrechensabwehr. Zwischen den vielen, vielen Counties Kenias besteht Zollpflicht, aber nur für Lastwagen. Je nach Güterart werden bis zu 500 Schilling, also 4 Euro pro Tonne fällig.

Vereinzelt bekomme ich jetzt Beifall von den Zuschauern. Aber in Afrika zählt der Sieger, nicht der Kämpfer. Ich siege also mit 5:16 Stunden, mache ein Beweisfoto auf der verlassenen Ziellinie. Ich bin glücklich, absolut glücklich, ich hatte nicht geglaubt, hier zu finishen, Das offizielle Zeitlimit ist 6 Stunden und ich hatte befürchtet, es nicht zu schaffen.

In der St. Patricks School soll es ein Buffet für Läufer und Angehörige geben, aber ich mache mir keine Hoffnung, dass ich noch irgendwelche Reste bekomme. Also gehe ich glücklich die zwei Kilometer zurück zum Elgon Valley Resort.

Aber, wir sind in Afrika, die Party findet nicht im St Patrick´s, sondern  im Elgon Valley Resort, meiner Basis statt. In der Küche werde ich mit zwei eiskalten Flaschen Bier empfangen. Ich bin ein Held!

Dieser Marathon ist eine Empfehlung für Abenteurer und sehr erfahrene Läufer. Wer es wagt, den begleite ich nächstes Jahr. Mir hat der Aufenthalt hier viele Vorsätze und Motivation geliefert. Sehr zu empfehlen ist der Itenmarathon  in Kombination mit einem Aufenthalt in einem der Trainingscenter und einer Safari in die Masai Mara. Interair.de bietet ein Komplettpacket an.  

Muzungu Joe kombiniert sich jetzt noch den Mauritius Marathon hinzu.   

 
Ergebisse (600 Hm waren zu erlaufen)

 

Marathon Männer

1.    Stephan Biwott      2:16:02
2.    Evans Sambu         2:16:13
3.    not identified         2:16:37

15 Männer unter 2:20
40 Männer unter 2:28

Der Sieger vom letzten Jahr ist anschliessend in Seoul 2:05 gelaufen


Ergebnisse Marathon Frauen

1. Joan Kigen                        2:34:55
2. Jane Chelagat Seurei         2:36:42
3. Purity Kimetto Kangogo  2:37:27

 

Halbmarathon :

1.    Gideon Kipketer     1:04:50
2.    VictorKipchirchir   1:04:51
3.    Isaak Kipkoech       1:05:01

Acht Männer unter              1 :06

Frauen:
1.  Naomi Chemutai           1:07:52
2.  Eunice Cheebichi          1:14:09
3.  Gladys Jepkorir Chesir 1:14:12

12
 
 


 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024