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Laufberichte

In 10 Laufminuten von Asien nach Europa

 

Die Bosporusbrücke ist Höhepunkt des Marathons, das sieht man an der Begeisterung bei vielen Läufern. Manche bleiben stehen und machen ein Selfie oder klettern auf die Leitschiene in Brückenmitte, die die beiden Fahrstreifen trennt, wie der Japaner, mit dem ich gestern im Ausflugsboot Seite an Seite saß. Auf der Brücke laufen die 15 km-Läufer am linken Fahrstreifen, die Zusammenführung erfolgt erst danach. Trotzdem kommt man auch rechts nur langsam voran.

Es sind viele Deutsche im Rennen. So mancher Kollege nutzt die Gelegenheit für einen Smalltalk mit dem Hintergedanken, vielleicht nach dem Marathon mit der Kollegin ein Gläschen zu trinken. Da hört man so einiges, aber Recht haben die Herren, wenn sie mit Phantasie und Charme einen Aufriss machen.

Vier türkische Veteranen in blau-rotem Trikot fallen mir auf der Brücke auf – sie sind zwar grauhaarig, aber kaum älter als ich und schon am Anfang mit einer 7er-Zeit zu langsam unterwegs (auch für 5:30 Stunden Schlusszeit beim Marathon). Ich nehme mir vor, in der Ergebnisliste ihre Startnummern abzurufen und würde wetten, dass das Quartett nicht geschlossen ankommt.

Der Anstieg nach der Brücke in den Stadtteil Ortaköy erscheint mir am Anfang des Marathons nach ca. 2,5 Kilometern als nebensächlich. Doch bereits jetzt marschieren zahlreiche 15 km-Läufer, die wohl nur um des Dabeiseins willen die Startgebühr bezahlt haben. Es kommt mir vor, als seien sie sogar in der Überzahl.

Nun geht es hinab auf Meeresniveau auf die Ciragan Caddesi, da mache ich Boden gut und laufe auf die 4:30er-Gruppe auf. Ich frage mich, ob der Pacer solange Kraft haben wird, den Ballon an einer dünnen Schnur hängend mit der rechten Hand zu halten.

Am Anfang eines Marathons rechnet man sich immer die bestmögliche Zeit aus, doch leider dauert es bei mir am Ende dann fast immer deutlich länger. Heute wären 4:45 für mich sehr zufriedenstellend, unter 5 Stunden aber fast eine Verpflichtung.

Die erste Labestelle ist bei Kilometer 5. Berge von 0,3 Liter Wasserflaschen stehen bereit. Die Läufer öffnen diese selbst, es wird nicht in Bechern ausgeschenkt. Man kann sich so die kleine Flasche auch mitnehmen, was manche tun. 32 Laufminuten trotz der Steigungen auf die Brücke hinauf und danach sowie den Fotostopps sind in Ordnung. Die 4:30er sind neben mir.

Direkt auf der Strecke gibt es in dieser Phase des Rennens wenig zu sehen. Der rechts liegende Yildiz-Park bleibt ausgespart, der Dolmabahce-Palast (einst Sitz des Sultans), nach ca. 7 Kilometern zur Linken am Meer liegend, ist auch etwas zu weit entfernt für einen gelungenen Schnappschuss. Außerdem ist ein Teil davon eingerüstet. Dafür kommt bereits ab Kilometer 7,5 die nächste Versorgungsstelle, bei der ich nicht stehenbleibe.

Bei jedem größeren Marathon kommt es zu Positionskämpfen. Eine mit einem Shirt des Bukarest-Marathons bekleidete energische Dame hat es auf mich abgesehen. Immer wieder will sie nach vorne, ich lasse sie gewähren. Doch dann wird sie wieder langsamer. Mal sehen, was daraus wird.

Vor mir auf der Galatabrücke ist ein Mitglied der 50 Staters unter den Läufern gut erkennbar – sein   weiß-rot-blau designtes Shirt mit großer Rückenaufschrift sorgt dafür. Das würde mich in der Pension reizen, in allen US-Bundesstaaten einen Marathon gelaufen zu sein, fünf habe ich mittlerweile schon kassiert.

Auf der Galatabrücke stehen zu jeder Tages- und Nachtzeit die Fischer. Ich bin ja schon mehrmals drüber spaziert und habe die eher magere Ausbeute gesehen. In den Kübel und Behältern kämpfen kleine Fische unter 20 cm ums Überleben bis der Sauerstoff im Wasser aufgebraucht ist. Man muss wissen, dass die Arbeitslosenrate in der Türkei sehr hoch ist, das Zusammenkommen auf der Brücke hat daher auch eine gesellschaftliche Bedeutung und dient dem Zeitvertreib. Die Menschen haben so eine Aufgabe.

Nach der Brücke mit einigen Schnappschüssen der umliegenden Bauwerke, die ich in den Tagen vor dem Lauf besucht habe, führt der Marathonkurs nach Westen. Wir sind im Stadtteil Eminönü, wo sich das Ziel der 10 Km-Läufer befindet. Die Labestelle kommt etwas später, mit 65 Minuten habe ich nun schon etwas Rückstand, bin aber guter Dinge und fühle mich fit.

Auf den folgenden Kilometern kommen auf der anderen Straßenseite die an den blauen Startnummern erkennbaren 15 km-Läufer entgegen, bald darauf dann auch die ersten in rot, die zu den schnellsten auf der Marathondistanz gehören. Die Eliteläufer sind zu diesem Zeitpunkt schon längst in Richtung Fatih zur Küstenstraße unterwegs.

Bei Kilometer 13 ist die nächste Versorgungsstation, außer Wasser gibt es nichts. Ich nehme mir eine Flasche mit und trinke bei einem langsamen Lauftempo wie es das Regelwerk empfiehlt.

Vor mir läuft ein energisch wirkender älterer Kollege mit einem Shirt der LG Mauerlauf. Er sieht aus wie ein erfahrener Ultraläufer und ist es auch. Mike hat viele Jahre in Istanbul gelebt (Türken-Mike) und ist in Läuferkreisen bestens bekannt. Auf der anderen Seite erblicke ich nun Conny, die ca. 500 m vor mir liegt. Wir klatschen ab – Ernst, ihr Lebenspartner, dürfte im 3:45er-Feld unterwegs sein.

Nun kommt es zur Wende. Hinter mir kommen noch viele aus der Gegenrichtung nach. Knapp vor der 15 Km-Markierung biegen die 15 km-Läufer nach Links Richtung Ziel ab, wir Marathonis haben nun einen längeren Anstieg in Richtung Aksaray und dann weiter zur Küste vor uns. Ich merke mir die Aufschrift, die ein älterer Läufer am Rücken seines einfaches Baumwoll-Shirts aufgedruckt hat: „Chasing your dreams or running from devils“. Vor mir eine etwas korpulente Kollegin, die letzte Woche in Athen gelaufen ist und das Shirt dazu trägt. Das wollte ich voriges Jahr auch machen, habe mich aber dann anders entschieden. Ob ein Kollege, der nun bei der 15 km-Anzeige auf Gehtempo umgestellt hat, seinem Slogan am Rücken „We own the streets“ gerecht wird, lasse ich offen.

 
 

Informationen: Istanbul Marathon
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