Nun beginnen für mich zwei volle Sightseeing-Tage. Vom Karaköy Port Hotel im Stadtteil Beyoglu spaziere ich den Anstieg hinauf zur belebten Flaniermeile Istiklal Caddesi, wo die historische Tram vom Taksim-Platz zum Tünel fährt (mit der unterirdischen Standseilbahn kommt man rasch hinunter zur Galata-Brücke).
In der mit vielen modernen Geschäften von Touristen auch schon am frühen Morgen aufgesuchten Istiklal-Straße befindet sich eine der wenigen erhaltenen und auch betreuten christlichen sakralen Bauten in Istanbul, nämlich die St. Antonius Kirche. Am Eingang sind an Tafeln Fotos vom Papstbesuch in Istanbul im November 2014 angebracht. Franziskus traf nicht hier, sondern in der Blauen Moschee den orthodoxen Patriarchen, den Mufti Rahmi Yaran, und feierte tags darauf eine katholische Messe in Istanbul.
Die Istiklal ist mit Fähnchen geschmückt, obwohl am Sonntag hier der Marathon nicht durchführen wird. Knapp vor dem Galataturm stoße ich durch Zufall auf das Österreichisch-Türkische St. Georgs Krankenhaus. Es gibt in Istanbul auch ein St. Georgs Kolleg, wo die Schülerinnen und Schüler eine in Österreich anerkannte Matura ablegen können und damit die Studienreife erlangen.
Die vielen Fischer auf beiden Seiten der Galatabrücke gab es auch schon vor 42 Jahren, als ich zum ersten Mal in die Türkei reiste. Hier fühle ich mich schon wieder heimisch, die Reminiszenzen kommen zurück. Nur erscheinen mir die Entfernungen heutzutage deutlich länger, denn von der Neuen Moschee bis zum Sultannahmet-Viertel, wo sich die am meisten von Touristen besuchten Bauwerke befinden, nämlich die Hagia Sophia und die Blaue Moschee, gehe ich fast eine halbe Stunde – wenn auch langsam und mit einer Fotopause vor der Einfahrt des Metrobusses in den Tunnel nahe dem Bahnhof Sirkeci, der unterirdisch den Bosporus bzw. das Mamarameer quert und nach Asien hinüberführt.
Die Hagia Sophia, einst eine byzantinische Kirche, unter den Osmanen zu einer Moschee umfunktioniert und heute ein Museum mit Eintritt, habe ich schon öfters besucht, das letzte Mal vor sechs Jahren. Die blaue Moschee, erbaut am Beginn des 16. Jahrhunderts, mit ihren sechs Minaretten eine der Hauptattraktionen Istanbuls, ist an diesem Freitag für Touristen gesperrt.
Mein Lieblingslokal war in den 1970er-Jahren das Pudding-Shop, heute und damals ein Café. Ich statte dem Lokal einen kurzen Besuch ab. Den Großen Bazar suche ich nur kurz auf, auch außerhalb der stark von Touristen frequentierten Gemäuer werden wie immer die neuesten Kollektionen auf Imitationsbasis feilgeboten. Eine „Armani“-Jeans kostet 25 Euro, nur hat man meine Größe nicht vorrätig. Ich solle am Montag wieder kommen, man würde sie organisieren können. Ich kann nachvollziehen, dass so mancher Tourist in einen Kaufrausch verfällt, wenn er in der Türkei in den beliebten Ferienorten einkauft.
Mein zweiter Lieblingsplatz aus vergangenen Tagen ist das Viertel um Aksaray, ein wenig heruntergekommen vielleicht, aber mit vielen kleinen Restaurants und Imbisslokalen für Einheimische, wo man um 10 bis 15 TL (3 bis 5 Euro) bestens speisen kann.
Der Samstag vor dem Rennen ist meist ein hektischer Tag – viele reisen erst an und haben es dann eilig, ihre Startunterlagen zu bekommen. Ich habe meine Sachen beisammen und werde auch den zweiten Sightseeing-Tag locker angehen.
Ich habe mich für eine mehrstündige Rundfahrt durch den Bosporus mit Durchfahrt unter der imposanten Brücke hin zur asiatischen Seite entschieden. Das Schiff legt erst ab, als es bis auf den letzten Platz gefüllt ist – eine Stunde hören wir einer Helfer immer dieselben Worten auf Türkisch und Englisch schreien: „Hurry up, come, come onboard, we take off, goin' under the bridge...“ Als wir durchfahren, wird das Gedränge vorne am Bug, wo die beste Fotosicht besteht, größer und größer. Mit meinen 192 cm habe ich Vorteile im Kampf um eine gute Knipsposition.
Ich hatte bisher immer angenommen, dass die Bosporusbrücke die engste Stelle zwischen Asien und Europa sei – doch je näher wir uns der Sultan Mehmet-Brücke nähern, an deren linken Ufer sich die Rumeli-Festung befindet, desto mehr bezweifle ich dies. Mit bloßen Augen kann man erkennen, dass diese Brücke ein wenig kürzer ist. Aber vielleicht täusche ich mich auch – ich muss demnächst einmal Mr. Google befragen. Unserem Ausflugsboot kommen laufend Frachter entgegen, die vom Schwarzen Meer die Meerenge mit Lotsen passieren und so durch das Marmarameer und die Dardanellen ins Mittelmeer gelangen.
Es ist bereits 14 Uhr 30, als wir wieder am Kai an der Galatabrücke anlegen. Für den Nachmittag habe ich einen Besuch der Mitte des 16. Jahrhunderts gebauten Süleymaniye-Moschee eingeplant. Mit einer weitläufigen Gartenanlage ist sie eine der größten in Istanbul. Wie gestern im Sultanahmet-Viertel mit der Hagia Sophia und der Blauen Moschee sind auch hier viele Touristen anzutreffen. Der Aufpasser hält mich für einen Moslem, der zum Gebet hineingehen will. Ich ziehe zwar die Schuhe aus, aber wickle mir die zum Transportieren der Schuhe verfügbaren Plastiksäcke um die Socken – und trage meine Sportschuhe offen hinein. Teppichböden in derartigen Gebäuden haben einen besonderen Geruch. Der Aufseher, vorher mit einem betagten und gläubigen Muslim in ein Gespräch verwickelt, kommt nun hinein und sieht mich fotografieren, anstatt tief gebeugt Dankesworte in Richtung Mekka auszustoßen. Ich murmele „Salam“, und ein „Allahu akbar“, aber seine Arabischkenntnisse scheinen schlecht zu sein. Auf Türkisch schimpfend fischt er mich raus und zeigt mir den Ausgang. Wenigstens war ich wieder einmal in einer Moschee, die Besucherzeiten für Nichtmuslime sind nämlich sehr begrenzt.
Nach einer Stärkung in einem kleinen Restaurant mit Hühnersuppe und Lammfleisch mit Reis unweit von Aksaray spaziere ich nochmals zum Zieleinlauf rüber neben der Blauen Moschee. Das staatliche türkische Fernsehen baut gerade alles für die morgige Übertragung auf. Ich spreche mit einem Verantwortlichen – er erwähnt, dass man auch über Satelliten ausstrahlen wird. Keine Frage, der Istanbul-Marathon ist gewachsen, die vielen internationalen Teilnehmer, die hier wie ich die Lage erkundigen (eigentlich herumschleichen), bestätigt dies. Ich freue mich auf den morgigen Lauf.
Ernst Fink und seine Conny treffe ich am Start leider nicht, bei 4000 Marathonläufern müsste man genau hinschauen. Dafür begrüßt mich der Franz Schwengler mit einem „Guten Morgen, Anton“. Er ist in der Laufszene ein bekannter Mann und mit einigen Freunden aus der Heimat hier. Ich nehme die Gelegenheit wahr und sag ihm, dass ich seine Marathonplattform regelmäßig für die Termin- und Linksuche benutze. Tausende Lauffreunde im deutschen Sprachraum und wohl auch im Ausland machen es wie ich.
Überrascht nehme ich die Ansage des Platzsprechers auf, der Teilnehmer aus 120 Ländern begrüßt. So viele Fahnen habe ich auf der Expo nicht gezählt, doch die Organisatoren würden wohl kaum alle auftreiben können. Unter den anwesenden Nationen hebt er Deutschland, Frankreich und die USA dezidiert hervor – sind ja auch die wichtigsten Länder.
Unter die Läufer mischen sich einzelne Verkäufer, die Wasser und Sesamgebäck anbieten. Es wird gut angenommen, denn viele dürften in ihren Quartieren kein Frühstück bekommen haben.
Ich postiere mich mit meiner Digicam bei den Presseleuten, um die Eliteläufer nicht zu verpassen. Dabei bin ich mir bewusst, dass ich nachher 300 Meter an der Seite zurückeilen muss, um auch ins Rennen gehen zu können.