An der Schnittstelle zwischen Allgäu und Bregenzerwald prägt ein besonderes Gestein die Landschaft. Als Nagelfluh wird das Geröll bezeichnet, das durch die Verfestigung von Flussschotter in Jahrtausenden entstanden ist. Die Bezeichnung bezieht sich auf die wie Nagelköpfe aus der Fluh (Felswand) herausschauenden Gesteinsarten. Eine ganze Kette von mehreren Gipfeln wurde 2008 zum Naturpark Nagelfluhkette zusammengefasst.
Über sechs dieser Gipfel führt der Gebirgsmarathon Immenstadt. Ausgangspunkt und Startplatz ist die Talstation der Mittagbahn in Immenstadt. Die ersten ca. 1000 Höhenmeter führen hinauf zum ersten Gipfel. In einem ständigen Auf und Ab geht es über den Gratkamm bis zum höchsten Punkt der Strecke, dem Hochgratgipfel. An der Hochgrat-Bergstation ist wenig später der Wendepunkt und es geht auf identischem Weg zurück und wieder bis fast hinunter nach Immenstadt. Zwischen Tal- und Mittelstation Mittagbahn ist eine erneute Wende, über die Mittelstation geht es hinauf auf den Mittagberg bis zum Ziel an der Bergstation.
Zum 25. Mal wird der Lauf heuer bereits ausgetragen. Große Berühmtheit hat er trotz aller Attraktivität in der weiten Läuferwelt noch nicht erhalten und zählt mehr zu den kleinen und familiären Veranstaltungen, die sehr gerne von lokalen Läufern besucht werden. Großes Anmeldeprozedere ist deswegen hier auch nicht nötig. Viele melden sich auch erst kurzfristig an, am einfachsten ist das per Mail unter Angabe von Name, Geburtsjahr, Geschlecht und Verein und schon ist man dabei. Das kann dann auch noch am Vortag über die Bühne gehen. Bezahlt wird vor Ort, heuer sind 30 Euro fällig. Nachmelder ist, wer vorher nichts von sich hören lässt und erst direkt zum Veranstaltungstag anreist. Derjenige muss dann noch einen Fünfer drauflegen.
An den Parkplätzen der Mittagbahn steht Urgestein Willi Hiemer mit seinem legendären Willi-Megaphon und weist uns Läufer auf die etwas weiter hinten liegenden Parkplätze in eine Wiese ein. Die sind zwar 100 Meter weiter entfernt, aber dafür kostenfrei - im Gegensatz zu den öffentlichen Parkplätzen der Mittagbahn.
Heuer herrscht richtig Betrieb an Kasse und Anmeldestand. Nachdem in den letzten Jahren kaum mal mehr als 30 – 50 Teilnehmer vor Ort waren, sind heute über 80 Läufer und Läuferinnen am Start. Dazu kommen noch zwei, die die 12 km im Nordic Walking in Angriff nehmen. Vielleicht ist die Renaissance ja dem neuen Trend Trailrunning geschuldet. Wechselkleidung kann direkt am Einstieg zum Lift abgeben werden, sie wird dann nach oben ins Ziel an der Bergstation transportiert.
Um Punkt 8 Uhr wird die Zeitmessung in Gang gesetzt und los geht‘s. Chip benötigen wir hier nicht. Nach ein paar hundert Metern überqueren wir über eine den urigen Schweizer Holzbrücken nachempfundenen Konstruktion den Steigbach, wo es anschließend gleich kräftig bergan geht. Nach wenigen Minuten kann man links an den Felsen oberhalb der Schlucht eine Kupfertafel erkennen. Diese wurde 1897 zu Ehren Kaiser Wilhelms an seinem 100. Geburtstag enthüllt. Wir folgen vorerst dem Steigbach weiter aufwärts auf einer Forststraße, abwechselnd auf Asphalt und Schotter.
Nach etwa 5 km erreichen wir an der Mittelalpe die erste Versorgungsstation, wo wir von Übernachtungsgästen mit einer La Ola empfangen werden. Für uns stehen Wasser, Cola und Bananen im Angebot. In Begleitung einiger Kälbchen führt uns kurz nach der Hütte ein wurzeliger Waldtrail zu einer feuchten Angelegenheit. Bei der Überquerung einer matschigen Viehweide kann hervorragend die Wasserresistenz der Laufschuhe überprüft werden. Nachdem wir die ganze Woche über ausgiebig mit Regen versorgt wurden, habe ich für heute eine hervorragende Wahl getroffen und komme trockenen Fußes durch.
Relativ kommod auf einem Kiesweg, teils mit Stufen versehen, verläuft das Ende des Anlaufs zum Einstieg in die Nagelfluhkette. Zwischen Stuiben und Sederer gelangen wir auf den aussichtsreichen Gratkamm, über den eine klassische Höhenwanderung führt. Der Schwierigkeitsgrad wird von Outdoor-Portalen und Wander-Empfehlungen ausschließlich als „schwer“ bezeichnet.
Knapp unterhalb des Gipfels passieren wir den Sederer. Eine äußerst delikate Stelle folgt beim anschließenden Bergabstück. Über einen Holzeinstieg muss man in mit Stacheldraht umzäunte Alpweiden einsteigen. Leider ist hier weder ein Schild des Gebirgsmarathons, noch eine offizielle Wegbeschilderung der Nagelfluhkette angebracht. Ich bin nicht der einzige, der hier schon einmal geradeaus weitergelaufen ist und sich so richtig gefährlich an die steil abfallende, ungesicherte Felswand bewegt hat. Obwohl die Stelle relativ unscheinbar ist, habe ich sie mir gemerkt und komme heute nicht mehr in Gefahr. Mein Tipp für alle Neulinge, die auch einmal den Gebirgsmarathon bestreiten wollen: Nach dem Passieren des Sederer unbedingt schnellstmöglich nach links, den Einstieg in die Viehweiden vorzunehmen.
Recht gut zu laufen ist der einige hundert Meter lange Abstieg über die Wiesen. Ein paar ausgetretene Trampelpfade markieren recht deutlich den richtigen Weg. Vor uns präsentiert sich eindrucksvoll der Kamm und die steil abfallende Wand des Buralpkopfs mit seinen diagonal freigelegten Felspartien.
Einige kürzere Kletterpartien, wo schon Mal die Hände benötigt werden, beinhaltet der Aufstieg zum Buralpkopf, der im Übrigen gar keinen richtigen Gipfel aufweisen kann, sondern eher ein Bergrücken ist. Was ihn aber nicht unattraktiver macht, ganz im Gegenteil.
Einer der aufregendsten Abschnitte führt uns über erodierte Wegspuren zum Gündleskopf. Über eine mit Stahlseil gesicherte Stelle gilt es ein felsiges Gratstück von etwa 30 Metern Länge zu überqueren. Ohne dieses Seil würden wahrscheinlich viele Teilnehmer schwer ins Grübeln kommen, hier überhaupt weiterzugehen. Ich muss erst einmal tief Luft holen und meine Kamera gut sichern. Mit einer Hand am Seil balanciere ich vorsichtig - eine abenteuerliche Mutprobe. Trotz alledem, der Abschnitt ist atemberaubend.
Wenn man sich die durch kohlensauren Kalk zusammenzementierten Nagelfluh-Felsen aus grobem Geröll und gerundeten Kieselsteinen einmal aus der Nähe ansieht, kann man sich schwer vorstellen, dass das Gestein sehr witterungsbeständig ist und schon viele Jahrtausende „überlebt“ hat. Aber es ist robust und bei den Allgäuern wird die Nagelfluh auch liebevoll als Herrgottsbeton bezeichnet.
Ruppige und entlang unserer Wegführung ausgewaschene Pfade mit oftmals freigelegten Gesteinsstücken, führen uns durch Almweiden steil hinunter zur Gündlesscharte. Mit einem Quad hat man Cola und Wasser für uns herauf transportiert und einen Getränkestand errichtet.
Viel Zeit zum Erholen bleibt nicht, der Aufstieg durch die Gündlesscharte führt gefühlt fast senkrecht nach oben. Die Führenden sind bereits auf ihrem Rückweg und kommen uns hier entgegen. Im Affenzahn stürzen sie sich durch tief ausgewaschene und noch sehr feuchte und dadurch rutschige Rinnen den Abhang herunter. Ich bin froh, mir das in aller Ruhe ansehen zu können und es ihnen bei meinem späteren Rückweg nicht nachmachen zu müssen.
Ein paar Höhenmeter unterhalb des Gipfelkreuzes des Rindalphorns ist die Kletterpartie beendet. Für uns geht’s links weiter, der Gipfelsturm bleibt uns erspart. Ein überwältigender Ausblick bietet sich bei der Überführung zum Gelchenwanger Kopf auf dem ganz nah am Kammgrat entlang laufenden Pfad. Darunter sind jetzt auch immer wieder ganz angenehm zu laufende Abschnitte über den weichen Wiesentrail. Aber stellenweise auch einige Schlammlöcher, bei denen man sich erst einmal die richtige Route überlegen muss, um nicht knöcheltief im Matsch zu versinken.